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Document 62013CJ0263

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 24. Juni 2015.
Königreich Spanien gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) – Kürzung der finanziellen Beteiligung – Berechnungsmethode der Extrapolation – Verfahren zum Erlass der Entscheidung durch die Europäische Kommission – Nichteinhaltung der Frist – Folgen.
Rechtssache C-263/13 P.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2015:415

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

24. Juni 2015 ( *1 )

„Rechtsmittel — Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) — Kürzung der finanziellen Beteiligung — Berechnungsmethode der Extrapolation — Verfahren zum Erlass der Entscheidung durch die Europäische Kommission — Nichteinhaltung der Frist — Folgen“

In der Rechtssache C‑263/13 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 14. Mai 2013,

Königreich Spanien, vertreten durch A. Rubio González als Bevollmächtigten,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und A. Steiblytė als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin und A. Borg Barthet, der Richterin M. Berger und des Richters F. Biltgen (Berichterstatter),

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich Spanien die Aufhebung des Urteils Spanien/Kommission (T‑65/10, T‑113/10 und T‑138/10, EU:T:2013:93, im Folgenden: angefochtenes Urteil) des Gerichts der Europäischen Union, mit dem das Gericht seine Klagen auf Nichtigerklärung der Entscheidungen der Kommission C (2009) 9270 vom 30. November 2009, C (2009) 10678 vom 23. Dezember 2009 und C (2010) 337 vom 28. Januar 2010 (im Folgenden zusammen: streitige Entscheidungen) über die Kürzung der Beteiligung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), die im Rahmen des operationellen Programms „Andalusien“ des Ziels 1 (1994–1999) gemäß der Entscheidung C (94) 3456 der Kommission vom 9. Dezember 1994, im Rahmen des operationellen Programms „Baskenland“ des Ziels 2 (1997–1999) gemäß der Entscheidung C (1998) 121 der Kommission vom 5. Februar 1998 und im Rahmen des operationellen Programms „Gemeinschaft Valencia“ des Ziels 1 (1994–1999) gemäß der Entscheidung C (1994) 3043/6 der Kommission vom 25. November 1994 gewährt worden war, abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Nach Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 312, S. 1) ist „[d]er Tatbestand der Unregelmäßigkeit … bei jedem Verstoß gegen eine Gemeinschaftsbestimmung als Folge einer Handlung oder Unterlassung eines Wirtschaftsteilnehmers gegeben, die einen Schaden für den Gesamthaushaltsplan der Gemeinschaften oder die Haushalte, die von den Gemeinschaften verwaltet werden, bewirkt hat bzw. haben würde, sei es durch die Verminderung oder den Ausfall von Eigenmitteleinnahmen, die direkt für Rechnung der Gemeinschaften erhoben werden, sei es durch eine ungerechtfertigte Ausgabe“.

3

Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Die Verjährungsfrist für die Verfolgung beträgt vier Jahre ab Begehung der Unregelmäßigkeit nach Artikel 1 Absatz 1. Jedoch kann in den sektorbezogenen Regelungen eine kürzere Frist vorgesehen werden, die nicht weniger als drei Jahre betragen darf.“

4

Der EFRE wurde durch die Verordnung (EWG) Nr. 724/75 des Rates vom 18. Mai 1975 (ABl. L 73, S. 1, und Berichtigung ABl. 1975, L 110, S. 44) geschaffen, die nach mehrfacher Änderung ab dem 1. Januar 1985 durch die Verordnung (EWG) Nr. 1787/84 des Rates vom 19. Juni 1984 betreffend den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABl. L 169, S. 1) ersetzt wurde.

5

Im Jahr 1988 wurde die Regelung der Strukturfonds durch die Verordnung (EWG) Nr. 2052/88 des Rates vom 24. Juni 1988 über Aufgaben und Effizienz der Strukturfonds und über die Koordinierung ihrer Interventionen untereinander sowie mit denen der Europäischen Investitionsbank und der anderen vorhandenen Finanzinstrumente (ABl. L 185, S. 9) umgestaltet.

6

Die Verordnung Nr. 2052/88 trat am 1. Januar 1989 in Kraft und sollte binnen einer Frist, die am 31. Dezember 1993 endete, vom Rat auf Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften überprüft werden.

7

Daher wurde diese Verordnung durch die Verordnung (EWG) Nr. 2081/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 5) geändert, die ihrerseits vor dem 31. Dezember 1999 überprüft werden sollte.

8

Diese Verordnungen führen die Strukturfonds (den Europäischen Ausrichtungs‑ und Garantiefonds für die Landwirtschaft [EAGFL], Abteilung „Ausrichtung“, den Europäischen Sozialfonds [ESF] und den EFRE) ein, deren Aufgabe es ist, zum Ausgleich der wichtigsten regionalen Ungleichgewichte in der Europäischen Union beizutragen, u. a. durch Förderung der Entwicklung und der strukturellen Anpassung der Regionen mit Entwicklungsrückstand (Ziel 1) und Umstellung der Regionen, der Grenzregionen oder der Teilregionen (einschließlich Arbeitsmarktregionen und städtischer Verdichtungsräume), die von der rückläufigen industriellen Entwicklung schwer betroffen sind (Ziel 2).

9

Art. 7 („Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht und Kontrolle“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 2052/88 in der durch die Verordnung Nr. 2081/93 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 2052/88) bestimmt:

„Die Aktionen, die Gegenstand einer Finanzierung durch die Strukturfonds oder einer Finanzierung der [Europäischen Investitionsbank (EIB)] oder eines sonstigen vorhandenen Finanzinstruments sind, müssen den Verträgen und den aufgrund der Verträge erlassenen Rechtsakten sowie den Gemeinschaftspolitiken, einschließlich der Wettbewerbsregeln, der Vergabe öffentlicher Aufträge, des Umweltschutzes und der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit für Männer und Frauen entsprechen.“

10

Die Verordnung (EWG) Nr. 4253/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 hinsichtlich der Koordinierung der Interventionen der verschiedenen Strukturfonds einerseits und zwischen diesen und den Interventionen der Europäischen Investitionsbank und der sonstigen vorhandenen Finanzinstrumente andererseits (ABl. L 374, S. 1) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2082/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 20) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 4253/88) bestimmt in Art. 23 („Finanzkontrolle“):

„(1)   Um den erfolgreichen Abschluss

der von öffentlichen oder privaten Trägern durchgeführten Maßnahmen zu gewährleisten, treffen die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Aktionen die erforderlichen Maßnahmen, um

regelmäßig nachzuprüfen, dass die von der Gemeinschaft finanzierten Aktionen ordnungsgemäß ausgeführt worden sind,

Unregelmäßigkeiten zu verhindern und zu ahnden;

infolge von Unregelmäßigkeiten oder Fahrlässigkeit verlorengegangene Beträge zurückzufordern. Falls der Mitgliedstaat [und/oder die zwischengeschaltete Stelle] und/oder der Träger nicht den Nachweis erbringt, dass die Unregelmäßigkeiten oder die Fahrlässigkeit ihnen nicht anzulasten sind, ist der Mitgliedstaat subsidiär für die Zurückzahlung der nicht rechtmäßig gezahlten Beträge verantwortlich. …

Die Mitgliedstaaten setzen die Kommission von den zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen in Kenntnis und übermitteln ihr insbesondere eine Beschreibung der Kontroll‑ und Verwaltungssysteme, die für die wirksame Durchführung der Aktionen eingerichtet worden sind. Sie unterrichten die Kommission regelmäßig über den Verlauf administrativer und gerichtlicher Verfahren.

(2)   Unbeschadet der von den Mitgliedstaaten gemäß den innerstaatlichen Rechts‑ und Verwaltungsvorschriften durchgeführten Kontrollen und unbeschadet des Artikels 206 des [EG‑Vertrags] und sonstiger Kontrollmaßnahmen nach Artikel 209 Buchstabe c) des Vertrages können Beamte oder Bedienstete der Kommission vor Ort die Maßnahmen, die aus den Strukturfonds finanziert werden, und die Verwaltungs‑ und Kontrollsysteme insbesondere im Stichprobenverfahren kontrollieren.

(3)   Die zuständige Stelle und die zuständigen Behörden halten der Kommission nach der letzten Zahlung für eine Aktion drei Jahre lang alle Belege für die im Rahmen der Aktion getätigten Ausgaben und Kontrollen zur Verfügung.“

11

Art. 24 („Kürzung, Aussetzung und Streichung der Beteiligung“) der Verordnung Nr. 4253/88 bestimmt:

„(1)   Wird eine Aktion oder eine Maßnahme so ausgeführt, dass die gewährte finanzielle Beteiligung weder teilweise noch insgesamt gerechtfertigt erscheint, so nimmt die Kommission eine entsprechende Prüfung des Falls im Rahmen der Partnerschaft vor und fordert insbesondere den Mitgliedstaat oder die von ihm für die Durchführung der Aktion benannten Behörden auf, sich innerhalb einer bestimmten Frist dazu zu äußern.

(2)   Nach dieser Prüfung kann die Kommission die finanzielle Beteiligung an der betreffenden Aktion oder Maßnahme kürzen oder aussetzen, wenn durch die Prüfung bestätigt wird, dass eine Unregelmäßigkeit oder eine erhebliche Veränderung der Art oder der Durchführungsbedingungen der Aktion oder Maßnahme vorliegt und diese Veränderung der Kommission nicht zur Zustimmung unterbreitet wurde.

…“

12

Nach Art. 11 („Kontrolle der Vereinbarkeit“) der Verordnung (EWG) Nr. 4254/88 des Rates vom 19. Dezember 1988 zur Durchführung der Verordnung Nr. 2052/88 in Bezug auf den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABl. L 374, S. 15) in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2083/93 des Rates vom 20. Juli 1993 (ABl. L 193, S. 34) geänderten Fassung „übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission gemäß den spezifischen Verfahren der einzelnen Politiken [gegebenenfalls] die Angaben betreffend die Einhaltung der in Artikel 7 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 2052/88 genannten Bestimmungen“.

13

Nach Anhörung des Beratenden Ausschusses für die Entwicklung und Umstellung der Regionen und des Ausschusses nach Art. 147 EG erließ die Kommission, gestützt auf Art. 23 der Verordnung Nr. 4253/88, mehrere Durchführungsverordnungen, darunter die Verordnung (EG) Nr. 2064/97 vom 15. Oktober 1997 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 4253/88 hinsichtlich der Finanzkontrolle durch die Mitgliedstaaten bei von den Strukturfonds kofinanzierten Maßnahmen (ABl. L 290, S. 1).

14

Art. 8 der Verordnung Nr. 2064/97 sieht vor:

„(1)   Spätestens im Zeitpunkt des Antrags auf endgültige Zahlung und der endgültigen Ausgabenerklärung für jede Interventionsform legen die Mitgliedstaaten der Kommission einen Vermerk … vor, der von einer Person oder Stelle erstellt worden ist, die in ihrer Funktion von der mit der Durchführung betrauten Stelle unabhängig ist. Der Vermerk enthält einen Überblick über die Ergebnisse der in den abgelaufenen Jahren durchgeführten Kontrollen und Untersuchungen sowie eine zusammenfassende Schlussfolgerung zu der Gültigkeit des Antrags auf endgültige Zahlung und zu der Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit der dieser endgültigen Ausgabenerklärung zugrunde liegenden Maßnahmen.

(2)   Ist in Anbetracht erheblicher Mängel des Verwaltungs‑ oder Kontrollsystems oder der großen Häufigkeit des Auftretens von Unregelmäßigkeiten eine zusammenfassende positive Schlussfolgerung zur Gültigkeit des Antrags auf endgültige Zahlung sowie der endgültigen Ausgabenerklärung nicht möglich, so wird in dem Vermerk auf diese Umstände hingewiesen und eine Schätzung des Umfangs des Problems sowie seiner finanziellen Auswirkungen vorgenommen.

In einem solchen Fall kann die Kommission um die Durchführung einer weiteren Kontrolle mit dem Ziel der Feststellung und Beseitigung von Unregelmäßigkeiten innerhalb eines von ihr bestimmten Zeitraums ersuchen.“

15

Am 15. Oktober 1997 erließ die Kommission auch interne Leitlinien für die Nettofinanzkorrekturen im Rahmen der Anwendung des Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88. Nach den Nrn. 5 und 6 dieser internen Leitlinien ist als Ausnahme von der Regel, dass sich eine Nettofinanzkorrektur nur auf die jeweils aufgedeckte(n) Unregelmäßigkeit(en) bezieht, eine höhere Finanzkorrektur für den Fall vorgesehen, dass die Kommission Grund zu der Annahme hat, dass die Unregelmäßigkeit systematischen Charakter hat, d. h. auf grundsätzliche Mängel im Bereich des Managements, der Kontrolle oder des Audits zurückgeht und in anderen, ähnlich gelagerten Fällen ebenfalls auftreten könnte. Bei der Vornahme einer solchen Finanzkorrektur bedient sich die Kommission der Extrapolation, d. h., sie berücksichtigt das Niveau und den spezifischen Charakter des unzulänglichen Verwaltungssystems sowie den Grad der Wahrscheinlichkeit, dass infolgedessen auch anderweitig Mittel missbräuchlich verwendet werden könnten.

16

Die Verordnungen Nrn. 2052/88 und 4253/88 wurden mit Wirkung vom 1. Januar 2000 durch die Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates vom 21. Juni 1999 mit allgemeinen Bestimmungen über die Strukturfonds (ABl. L 161, S. 1) aufgehoben.

17

Die Verordnung Nr. 1260/1999 gilt gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 für den EFRE, den ESF, den EAGFL, Abteilung „Ausrichtung“, und das Finanzinstrument für die Ausrichtung der Fischerei (FIAF).

18

In Art. 39 („Finanzkorrekturen“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Es obliegt in erster Linie den Mitgliedstaaten, bei Unregelmäßigkeiten Nachforschungen anzustellen, bei nachgewiesenen erheblichen Veränderungen der Art oder der Durchführungs‑ und Kontrollbedingungen einer Intervention tätig zu werden und die erforderlichen Finanzkorrekturen vorzunehmen.

Der Mitgliedstaat nimmt die in Bezug auf die individuelle oder systematische Unregelmäßigkeit erforderlichen Finanzkorrekturen vor. Die von dem Mitgliedstaat vorgenommenen Korrekturen bestehen in der Streichung oder Kürzung der Gemeinschaftsbeteiligung. Der Mitgliedstaat kann die auf diese Weise freigesetzten Mittel unter Einhaltung der aufgrund von Artikel 53 Absatz 2 festzulegenden Bestimmungen für die betreffende Intervention wiederverwenden.

(2)   Wenn die Kommission nach Abschluss der erforderlichen Überprüfungen feststellt, dass

a)

ein Mitgliedstaat seinen Verpflichtungen gemäß Absatz 1 nicht nachgekommen ist oder

b)

eine Intervention insgesamt oder zum Teil die Beteiligung der Fonds weder ganz noch teilweise rechtfertigt oder

c)

bei den Verwaltungs‑ und Kontrollsystemen beträchtliche Mängel vorliegen, die zu systematischen Unregelmäßigkeiten führen könnten,

so setzt die Kommission die ausstehenden Zwischenzahlungen aus und fordert den Mitgliedstaat unter Angabe ihrer Gründe auf, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu äußern und gegebenenfalls alle erforderlichen Korrekturen vorzunehmen.

Erhebt der Mitgliedstaat Einwände gegen die Bemerkungen der Kommission, so wird er von der Kommission zu einer Anhörung eingeladen, bei der beide Seiten in Zusammenarbeit auf der Grundlage der Partnerschaft bemüht sind, zu einer Einigung über die Bemerkungen und die daraus zu ziehenden Schlüsse zu gelangen.

(3)   Kommt nach Ablauf des von der Kommission festgelegten Zeitraums keine Einigung zustande und hat der Mitgliedstaat bis dahin keine Korrekturen vorgenommen, so kann die Kommission unter Berücksichtigung etwaiger Bemerkungen des Mitgliedstaats innerhalb von drei Monaten beschließen,

a)

die Vorauszahlung … zu kürzen oder

b)

die erforderlichen Finanzkorrekturen vorzunehmen und die Fondsbeteiligung für die betreffende Intervention ganz oder teilweise zu streichen.

Die Kommission setzt den Betrag einer Korrektur unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung der Art der Unregelmäßigkeit oder der Änderung sowie des Umfangs und der finanziellen Auswirkungen der festgestellten Mängel der Verwaltungs‑ oder Kontrollsysteme der Mitgliedstaaten fest.

Wurde bis zum Ablauf der hierfür vorgesehenen Frist kein Beschluss über ein Vorgehen gemäß Buchstabe a) oder Buchstabe b) gefasst, so wird die Aussetzung der Zwischenzahlungen unverzüglich aufgehoben.

…“

19

Die Verordnung (EG) Nr. 1783/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 1999 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (ABl. L 213, S. 1), mit der die Verordnung Nr. 4254/88 aufgehoben wurde, enthält keine Vorschriften über finanzielle Berichtigungen.

20

Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 448/2001 der Kommission vom 2. März 2001 mit Durchführungsvorschriften zur Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 des Rates hinsichtlich des Verfahrens für die Vornahme von Finanzkorrekturen bei Strukturfondsinterventionen (ABl. L 64, S. 13) lautet:

„(1)   Die Frist, innerhalb der der betroffene Mitgliedstaat einer Aufforderung der Kommission gemäß Artikel 39 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 nachkommen kann, seine Bemerkungen zu übermitteln und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen, beträgt zwei Monate, es sei denn, die Kommission räumt in ausreichend begründeten Fällen eine längere Frist ein.

(2)   Wenn die Kommission eine extrapolierte oder pauschale Finanzkorrektur vorschlägt, erhält der Mitgliedstaat Gelegenheit, durch eine Prüfung der betreffenden Dossiers nachzuweisen, dass der tatsächliche Umfang der Unregelmäßigkeit geringer war, als ihn die Kommission veranschlagt hat. In Abstimmung mit der Kommission kann der Mitgliedstaat den Umfang dieser Prüfung auf einen geeigneten Anteil oder eine Stichprobe der betroffenen Dossiers begrenzen. Außer in ausreichend begründeten Fällen beträgt die eingeräumte Frist für diese Prüfung nicht mehr als zwei weitere Monate ab dem Ende der in Absatz 1 genannten Frist. Die Ergebnisse einer solchen Prüfung werden nach dem Verfahren des Artikels 39 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 überprüft. Die Kommission berücksichtigt jedes von dem Mitgliedstaat innerhalb der vorgegebenen Frist vorgelegte Beweismaterial.

(3)   Wenn der Mitgliedstaat Einwendungen gegen die Bemerkungen der Kommission erhebt und eine Anhörung gemäß Artikel 39 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1260/1999 stattfindet, läuft die Frist von drei Monaten, binnen der die Kommission einen Beschluss nach Artikel 39 Absatz 3 der vorgenannten Verordnung fasst, ab dem Tag der Anhörung.“

21

Die Verordnung Nr. 1260/1999, die vom Rat spätestens am 31. Dezember 2006 zu überprüfen war, wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates vom 11. Juli 2006 mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds und den Kohäsionsfonds (ABl. L 210, S. 25) aufgehoben. Diese Verordnung gilt gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 für die genannten Fonds unbeschadet der besonderen Bestimmungen, die jeweils in den Verordnungen zur Regelung dieser Fonds vorgesehen sind.

22

Die Verordnung (EG) Nr. 1080/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1783/1999 (ABl. L 210, S. 1) enthält keine Bestimmung für das Verfahren für Finanzkorrekturen, die die Kommission vornehmen kann. Das Gleiche gilt für die Verordnung (EG) Nr. 1828/2006 der Kommission vom 8. Dezember 2006 zur Festlegung von Durchführungsvorschriften zur Verordnung Nr. 1083/2006 und der Verordnung Nr. 1080/2006 (ABl. L 371, S. 1).

23

Die genannten Finanzkorrekturen unterliegen gemeinsamen Regeln für diese drei Fonds, die in den Art. 99 bis 102 der Verordnung Nr. 1083/2006 festgelegt sind.

24

Art. 100 („Verfahren“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1)   Bevor die Kommission eine finanzielle Berichtigung beschließt, eröffnet sie das Verfahren, indem sie den Mitgliedstaat über ihre vorläufigen Schlussfolgerungen in Kenntnis setzt und ihn auffordert, sich binnen zwei Monaten zu äußern.

Wenn die Kommission eine extrapolierte oder pauschale finanzielle Berichtigung vorschlägt, erhält der Mitgliedstaat Gelegenheit, durch eine Prüfung der betreffenden Unterlagen nachzuweisen, dass der tatsächliche Umfang der Unregelmäßigkeit geringer war als von der Kommission veranschlagt. In Abstimmung mit der Kommission kann der Mitgliedstaat den Umfang dieser Prüfung auf einen angemessenen Anteil oder eine Stichprobe in den betreffenden Unterlagen begrenzen. Außer in hinreichend begründeten Fällen wird für diese Prüfung eine Frist von bis zu zwei weiteren Monaten ab dem Ende der in Unterabsatz 1 genannten Zweimonatsfrist eingeräumt.

(2)   Die Kommission berücksichtigt jedes Beweismaterial, das der Mitgliedstaat innerhalb der in Absatz 1 genannten Frist vorlegt.

(3)   Erhebt der Mitgliedstaat Einwände gegen die vorläufigen Schlussfolgerungen der Kommission, so wird er von der Kommission zu einer Anhörung eingeladen, bei der beide Seiten in partnerschaftlicher Zusammenarbeit bemüht sind, zu einer Einigung über die Feststellungen und die daraus zu ziehenden Schlüsse zu gelangen.

(4)   Im Falle einer Einigung kann der Mitgliedstaat die betreffenden Gemeinschaftsmittel gemäß Artikel 98 Absatz 2 Unterabsatz 2 wieder einsetzen.

(5)   Kommt keine Einigung zustande, so entscheidet die Kommission binnen sechs Monaten nach der Anhörung über die finanzielle Berichtigung, wobei sie alle Informationen und Bemerkungen berücksichtigt, die ihr im Zuge des Verfahrens übermittelt wurden. Findet keine Anhörung statt, so beginnt die Sechsmonatsfrist zwei Monate nach dem Datum des von der Kommission versandten Einladungsschreibens.“

25

Art. 108 („Inkrafttreten“) der Verordnung Nr. 1083/2006 sieht in seinen ersten beiden Absätzen vor:

„Diese Verordnung tritt am Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Die Artikel 1 bis 16, 25 bis 28, 32 bis 40, 47 bis 49, 52 bis 54, 56, 58 bis 62, 69 bis 74, 103 bis 105 und 108 gelten ab dem Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung nur für Programme für den Zeitraum 2007–2013. Die übrigen Vorschriften gelten ab dem 1. Januar 2007.“

26

Die Verordnung Nr. 1083/2006 wurde durch die Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres‑ und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres‑ und Fischereifonds (ABl. L 347, S. 320) aufgehoben. Art. 145 Abs. 6 dieser Verordnung bestimmt: „Zur Vornahme der finanziellen Berichtigung erlässt die Kommission mittels Durchführungsrechtsakten einen Beschluss, und zwar binnen sechs Monaten nach dem Datum der Anhörung oder nach Eingang der zusätzlichen Informationen, falls der Mitgliedstaat sich während der Anhörung dazu bereit erklärt hatte, solche vorzulegen. Die Kommission berücksichtigt alle Informationen und Anmerkungen, die ihr im Zuge des Verfahrens übermittelt wurden. Findet keine Anhörung statt, so beginnt die Sechsmonatsfrist zwei Monate nach dem Datum des hierzu von der Kommission versandten Einladungsschreibens.“

27

Gemäß Art. 154 der Verordnung Nr. 1303/2013 gilt der genannte Art. 145 ab dem 1. Januar 2014.

28

Dieser Art. 145 gehört zu Teil Vier der Verordnung Nr. 1303/2013, der die allgemeinen Bestimmungen enthält, die für den EFRE, den ESF, den Kohäsionsfonds sowie den Europäischen Meeres‑ und Fischereifonds in Bezug auf Verwaltung und Kontrolle, Finanzverwaltung, Rechnungslegung und finanzielle Berichtigungen gelten.

29

Weder die Verordnung (EU) Nr. 1301/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und mit besonderen Bestimmungen hinsichtlich des Ziels „Investitionen in Wachstum und Beschäftigung“ und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1080/2006 (ABl. L 347, S. 289) noch die Delegierte Verordnung (EU) Nr. 480/2014 der Kommission vom 3. März 2014 zur Ergänzung der Verordnung Nr. 1303/2013 (ABl. L 138, S. 5) enthalten eine Bestimmung in Bezug auf das Verfahren für Finanzkorrekturen, die die Kommission vornehmen kann.

Vorgeschichte des Rechtsstreits und die streitigen Entscheidungen

30

Der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt, wie er aus den Rn. 1 bis 9 des angefochtenen Urteils hervorgeht, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

31

Mit ihren Entscheidungen C (94) 3456 vom 9. Dezember 1994, C (1998) 121 vom 5. Februar 1998 und C (1994) 3043/6 vom 25. November 1994 billigte die Kommission die operationellen Programme „Andalusien“ des Ziels 1 (1994–1999), „Baskenland“ des Ziels 2 (1997–1999) bzw. „Gemeinschaft Valencia“ des Ziels 1 (1994–1999).

32

Während der Abschlussprüfungen dieser Programme wählte die Kommission bestimmte Projekte zur Durchführung von Kontrollen aus. Bei der Prüfung dieser Stichproben zeigten sich viele Unregelmäßigkeiten, von denen sich einige wiederholten und im Wesentlichen aus Verletzungen von Unionsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge sowie von im Rahmen der Strukturfonds anwendbaren Regeln bestanden. Diese Unregelmäßigkeiten wurden von der Kommission als systematisch eingestuft.

33

Nach mehreren Schriftwechseln zwischen der Kommission und den spanischen Behörden entschied die Kommission, die Beteiligung des EFRE, die für jedes der vorstehend genannten operationellen Programme bewilligt worden war, zu kürzen, indem die systematischen Fehler, die die Kommission nach ihrer Ansicht während der Prüfung der Stichproben entdeckt hatte, auf die Gesamtheit der Programme extrapoliert wurden.

34

Im Einzelnen wählte die Kommission im Rahmen der Abschlussprüfungen des operationellen Programms „Andalusien“ als zufällige Stichprobe von 5319 Projekten 37 Projekte über einen Betrag von 870341396 Euro, d. h. 16,69 % des Endbetrags der gemeldeten Ausgaben, aus, und dies auf der Grundlage eines wertbezogenen Stichprobenverfahrens und mit der Prüfungssoftware Audit Command Language (ACL), einem computergestützten Prüfungsinstrument. Die Schlussfolgerungen dieser Prüfung wurden den spanischen Behörden in den Berichten vom 19. Oktober 2004 und 10. April 2006 mitgeteilt. Nach mehrmaligem Austausch von Bemerkungen und Informationen zwischen der Kommission und den spanischen Behörden fand am 2. und 3. Juli 2008 in Brüssel (Belgien) eine Anhörung statt. Diese Anhörung führte zur Verpflichtung der spanischen Behörden, innerhalb von drei Wochen zusätzliche Informationen über die Förderfähigkeit der betroffenen Maßnahmen nachzureichen. Diese zusätzlichen Informationen wurden mit Schreiben vom 22. Juli und 5. August 2008 vorgelegt. Die Kommission teilte den spanischen Behörden ihre endgültigen Schlussfolgerungen mit Schreiben vom 19. März 2009 mit. Diese antworteten mit Schreiben vom 21. April 2009.

35

Mit ihrer Entscheidung C (2009) 9270 vom 30. November 2009 kürzte die Kommission die in Höhe von 3323249050,16 Euro bewilligte Beteiligung des EFRE am operationellen Programm „Andalusien“ um 219334437,31 Euro. Diese Kürzung entspricht einer Extrapolation der von der Kommission als systematisch für das gesamte operationelle Programm eingestuften Unregelmäßigkeiten.

36

Im Rahmen der Abschlussprüfungen des operationellen Programms „Baskenland“ wählte die Kommission als zufällige Stichprobe von 3348 Projekten 37 Projekte über einen Betrag von 266765981 Euro, der 36,98 % der endgültig gemeldeten Ausgaben entsprach, aus, wobei sie dieselbe Methode wie für das operationelle Programm „Andalusien“ anwandte. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Prüfung wurden den spanischen Behörden in den Berichten vom 17. August 2005 und 24. September 2007 mitgeteilt. Nach mehrmaligem Austausch von Bemerkungen und Informationen fand am 22. und 23. Januar 2009 in Brüssel eine Anhörung statt. Diese Anhörung führte zur Verpflichtung der spanischen Behörden, innerhalb von drei Wochen zusätzliche Informationen über die Förderfähigkeit der betroffenen Maßnahmen nachzureichen. Diese zusätzlichen Informationen wurden mit Schreiben vom 16. Februar 2009 und mit E‑Mails vom 10., 23. und 24. Februar 2009 übermittelt. Die Kommission teilte den spanischen Behörden ihre endgültigen Schlussfolgerungen mit Schreiben vom 29. Juli 2009 mit. Diese antworteten mit Schreiben vom 15. September 2009.

37

Mit ihrer Entscheidung C (2009) 10678 vom 23. Dezember 2009 kürzte die Kommission die in Höhe von 301152434 Euro bewilligte Beteiligung des EFRE am operationellen Programm „Baskenland“ um 27884692,27 Euro. Diese Kürzung entspricht einer Extrapolation der von der Kommission als systematisch für das gesamte operationelle Programm eingestuften Unregelmäßigkeiten.

38

Im Rahmen der Abschlussprüfungen des operationellen Programms „Gemeinschaft Valencia“ wählte die Kommission als zufällige Stichprobe von 7862 Projekten 38 Projekte über einen Betrag von 607075404,63 Euro, der 28,72 % der endgültig gemeldeten Ausgaben entsprach, aus, wobei sie dieselbe Methode wie für die beiden anderen operationellen Programme anwandte. Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen dieser Prüfung wurden den spanischen Behörden in den Berichten vom 10. Juni 2004 und vom 10. April 2006 mitgeteilt. Nach mehrmaligem Austausch von Bemerkungen und Informationen zwischen der Kommission und den spanischen Behörden fand am 4. und 5. November 2008 in Brüssel eine Anhörung statt. Diese Anhörung führte zur Verpflichtung der spanischen Behörden, innerhalb von drei Wochen zusätzliche Informationen über die Förderfähigkeit der betroffenen Maßnahmen nachzureichen. Diese Informationen wurden mit Schreiben vom 24. November 2008 übermittelt. Die Kommission teilte den spanischen Behörden ihre endgültigen Schlussfolgerungen mit Schreiben vom 29. Mai 2009 mit. Diese antworteten mit Schreiben vom 3. Juli 2009 und mit E-Mail vom 7. Juli 2009.

39

Mit ihrer Entscheidung C (2010) 337 vom 28. Januar 2010 kürzte die Kommission die in Höhe von 1298056426,49 Euro bewilligte Beteiligung des EFRE am operationellen Programm „Gemeinschaft Valencia“ um 115612377,25 Euro. Diese Kürzung entspricht einer Extrapolation der von der Kommission als systematisch für das gesamte operationelle Programm qualifizierten Unregelmäßigkeiten.

Klagen vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

40

Mit Klageschriften, die am 11. Februar 2010 (Rechtssache T‑65/10), 8. März 2010 (Rechtssache T‑113/10) und 24. März 2010 (Rechtssache T‑138/10) bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhob das Königreich Spanien Klagen auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidungen.

41

Durch Beschluss des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 26. April 2010 wurden die drei Rechtssachen zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

42

Das Königreich Spanien stützte diese Klagen auf folgende vier Klagegründe: Erstens, Verstoß gegen Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88, da die Kommission die Finanzkorrekturen nach dieser Vorschrift nicht im Wege der Extrapolation vornehmen dürfe; zweitens, hilfsweise Verstoß gegen Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88 und Art. 4 Abs. 3 EUV, da sich für die betroffenen geänderten Verträge keine Mängel im Bereich der Durchführung, der Kontrolle oder des Audits gezeigt hätten; drittens, ebenfalls hilfsweise Verstoß gegen Art. 24 der Verordnung Nr. 4253/88, da die von der Kommission für die Finanzkorrekturen durch Extrapolation herangezogenen Stichproben nicht repräsentativ für die betreffenden operationellen Programme gewesen seien; viertens, Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2988/95 sowie gegen den Grundsatz der Einhaltung einer angemessenen Frist, da die Kommission die für die Vornahme der betreffenden Finanzkorrekturen erforderliche Frist überschritten habe.

43

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht nacheinander den vierten, den ersten, den zweiten und den dritten Klagegrund zurück und wies die Klagen in vollem Umfang ab.

Anträge der Parteien vor dem Gerichtshof

44

Mit seinem Rechtsmittel beantragt das Königreich Spanien,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

den Rechtsstreit selbst endgültig zu entscheiden und die streitigen Entscheidungen für nichtig zu erklären;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

45

Die Kommission beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

dem Königreich Spanien die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Vorbringen der Parteien

46

Das Königreich Spanien stützt sein Rechtsmittel auf zwei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt es, das Gericht habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass Art. 24 Abs. 2 der Verordnung Nr. 4253/88 die Rechtsgrundlage sei, nach der die Kommission Finanzkorrekturen vornehmen dürfe, die auf einer Extrapolation beruhten. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund rügt das Königreich Spanien, dass das Gericht die Kontrolle der Zuverlässigkeit, der Kohärenz, der Einschlägigkeit und der Eignung der von der Kommission im vorliegenden Fall angewendeten Extrapolation rechtsfehlerhaft vorgenommen habe, da erstens die Grundgesamtheit der ausgewählten Stichprobe auf der Grundlage der gemeldeten Ausgaben und nicht der bewilligten Beteiligung bestimmt worden sei, zweitens die Ausgaben, die nicht kofinanziert und von diesem Mitgliedstaat zurückgenommen worden seien, in diesem Zusammenhang berücksichtigt worden seien, drittens die von der Kommission berücksichtigte Stichprobe durch fehlende Homogenität gekennzeichnet gewesen sei und viertens die genannte Stichprobe kein ausreichendes Maß an Zuverlässigkeit aufgewiesen habe.

47

Die Kommission trägt im Wesentlichen vor, dass der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen sei. Der zweite Rechtsmittelgrund werfe Tatsachenfragen auf, so dass er als unzulässig oder jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

48

Zur Entscheidung über das vorliegende Rechtsmittel ist vorab festzustellen, dass das Gericht mit dem angefochtenen Urteil über die Nichtigkeitsklagen des Königreichs Spanien entschieden und sie abgewiesen hat, nachdem es die von diesem Mitgliedstaat für diese Klagen geltend gemachten vier Klagegründe für unbegründet erklärt hatte.

49

Das Gericht hat insbesondere zuerst den vierten Klagegrund geprüft, mit dem im Wesentlichen geltend gemacht wurde, dass die streitigen Entscheidungen von der Kommission innerhalb von Fristen erlassen worden seien, die nicht als angemessen betrachtet werden könnten. Das Gericht hat jedoch in Rn. 56 des angefochtenen Urteils diesen Klagegrund als unbegründet zurückgewiesen. Damit hat das Gericht die förmliche Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidungen bejaht.

50

Aus den in den Rn. 56 bis 89 sowie den Rn. 93 und 94 der Urteile Spanien/Kommission (C‑192/13 P, EU:C:2014:2156) und Spanien/Kommission (C‑197/13 P, EU:C:2014:2157) angeführten Gründen ergibt sich jedoch, dass die Kommission seit dem Jahr 2000 verpflichtet ist, beim Erlass einer Entscheidung über eine Finanzkorrektur eine gesetzliche Frist einzuhalten, und dass die Dauer dieser Frist in Abhängigkeit von der geltenden Regelung schwankt.

51

Beim derzeitigen Stand des Unionsrechts gibt es nichts, was diese Rechtsprechung in Frage stellen könnte, vielmehr kann sie auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden.

52

So entscheidet die Kommission gemäß Art. 100 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1083/2006 binnen sechs Monaten nach der Anhörung über die finanzielle Berichtigung und, falls keine Anhörung stattfindet, beginnt die Sechsmonatsfrist zwei Monate nach dem Datum des von der Kommission versandten Einladungsschreibens.

53

Aus Art. 108 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1083/2006 ergibt sich, dass deren Art. 100 seit dem 1. Januar 2007 galt, und zwar auch für Programme vor dem Zeitraum 2007–2013.

54

Im vorliegenden Fall fanden die Anhörungen des Königreichs Spanien am 2. und 3. Juli 2008 für das operationelle Programm „Andalusien“, am 22. und 23. Januar 2009 für das operationelle Programm „Baskenland“ und am 4. und 5. November 2008 für das operationelle Programm „Gemeinschaft Valencia“ statt. Die Kommission hingegen erließ die streitigen Entscheidungen zu diesen Programmen erst am 30. November 2009, 23. Dezember 2009 und 28. Januar 2010.

55

Folglich hat die Kommission vorliegend nicht die nach Art. 100 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1083/2006 vorgeschriebene Frist von sechs Monaten eingehalten.

56

Außerdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum einen, dass die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschriften über den Erlass einer beschwerenden Maßnahme ‐ wenn z. B. die Kommission die streitige Entscheidung nicht innerhalb der vom Unionsgesetzgeber festgelegten Frist erlassen hat ‐ eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften darstellt (vgl. Urteile Vereinigtes Königreich/Rat, 68/86, EU:C:1988:85, Rn. 48 und 49, Spanien/Kommission, C‑192/13 P, EU:C:2014:2156, Rn. 103, und Spanien/Kommission, C‑197/13 P, EU:C:2014:2157, Rn. 103), und zum anderen, dass der Unionsrichter, wenn er bei der Untersuchung des betreffenden Rechtsakts zu dem Ergebnis kommt, dass dieser nicht ordnungsgemäß erlassen wurde, die Konsequenzen aus der Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift zu ziehen und folglich den mit einem solchen Fehler behafteten Rechtsakt für nichtig zu erklären hat (vgl. Urteile Kommission/ICI, C‑286/95 P, EU:C:2000:188, Rn. 51, Kommission/Solvay, C‑287/95 P und C‑288/95 P, EU:C:2000:189, Rn. 55, Spanien/Kommission, C‑192/13 P, EU:C:2014:2156, Rn. 103, und Spanien/Kommission, C‑197/13 P, EU:C:2014:2157, Rn. 103).

57

Nach ständiger Rechtsprechung kann der Unionsrichter, außer in besonderen Fällen wie denen, die u. a. in den Verfahrensordnungen der Unionsgerichte vorgesehen sind, seine Entscheidung nicht auf einen von Amts wegen geprüften Rechtsgrund stützen, sei er auch zwingenden Rechts, ohne die Parteien zuvor aufgefordert zu haben, sich dazu zu äußern (vgl. Urteile Kommission/Irland u. a., C‑89/08 P, EU:C:2009:742, Rn. 57, und HABM/National Lottery Commission, C‑530/12 P, EU:C:2014:186, Rn. 54).

58

Was die Frage anbelangt, innerhalb welcher Frist ein Finanzkorrekturbeschluss zu ergehen hat, ist darauf hinzuweisen, dass das Königreich Spanien und die Kommission in den Rechtssachen, in denen die Urteile Spanien/Kommission (C‑192/13 P, EU:C:2014:2156) und Spanien/Kommission (C‑197/13 P, EU:C:2014:2157) – die sich im Wesentlichen auf die gleichen Sach- und Rechtsfragen bezogen – ergangen sind, bereits Gelegenheit hatten, sich zu dieser Frage zu äußern. Überdies hatte der Gerichtshof in den genannten Rechtssachen die Parteien aufgefordert, ihr Vorbringen auf diese Frage zu konzentrieren.

59

Darüber hinaus ist diese Rechtsprechung seitdem vom Gerichtshof wiederholt bestätigt worden (vgl. Urteile Spanien/Kommission, C‑429/13 P, EU:C:2014:2310, und Spanien/Kommission, C‑513/13 P, EU:C:2014:2412).

60

Hieraus folgt zum einen, dass die Kommission hinreichend Gelegenheit gehabt hat, ihre auf die Bedeutung der in Art. 100 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1083/2006 festgelegten Frist bezogenen Gründe und Argumente in einer streitigen Verhandlung vorzutragen, und zum anderen, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung dieser Vorschrift als gefestigt anzusehen ist.

61

Daher ist festzustellen, dass die vorliegende Rechtssache einen besonderen Fall im Sinne der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellt und die Parteien nicht aufzufordern sind, sich zu diesem Rechtsgrund zu äußern.

62

Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass die Kommission beim Erlass der streitigen Entscheidungen die durch eine Verordnung des Rates gesetzlich vorgeschriebene Frist nicht eingehalten hat.

63

Es ist daher festzustellen, dass das Gericht dadurch, dass es die Klagen des Königreichs Spanien abgewiesen hat, anstatt den Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften, mit dem die streitigen Entscheidungen behaftet sind, zu ahnden, einen Rechtsfehler begangen hat.

64

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben.

Zu den erstinstanzlichen Klagen

65

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

66

Der Gerichtshof verfügt im vorliegenden Fall über die erforderlichen Angaben, um endgültig über die vom Königreich Spanien beim Gericht erhobenen Klagen auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidungen zu entscheiden.

67

Insoweit genügt der Hinweis, dass die streitigen Entscheidungen aus den in den Rn. 50 bis 63 des vorliegenden Urteils genannten Gründen wegen Verletzung wesentlicher Formvorschriften für nichtig zu erklären sind.

Kosten

68

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

69

Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Spanien mit seinem Rechtsmittel obsiegt hat und den vor dem Gericht erhobenen Klagen stattgegeben wird, sind der Kommission gemäß den Anträgen des Königreichs Spanien ihre eigenen Kosten und die Kosten dieses Mitgliedstaats aufzuerlegen, die sowohl im ersten Rechtszug als auch im Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil Spanien/Kommission (T‑65/10, T‑113/10 und T‑138/10, EU:T:2013:93) des Gerichts der Europäischen Union wird aufgehoben.

 

2.

Die Entscheidungen der Kommission C (2009) 9270 vom 30. November 2009, C (2009) 10678 vom 23. Dezember 2009 und C (2010) 337 vom 28. Januar 2010 über die Kürzung der Beteiligung des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), die im Rahmen des operationellen Programms „Andalusien“ des Ziels 1 (1994–1999) gemäß der Entscheidung C (94) 3456 der Kommission vom 9. Dezember 1994, des operationellen Programms „Baskenland“ des Ziels 2 (1997–1999) gemäß der Entscheidung C (1998) 121 der Kommission vom 5. Februar 1998 und des operationellen Programms „Gemeinschaft Valencia“ des Ziels 1 (1994–1999) gemäß der Entscheidung C (1994) 3043/6 der Kommission vom 25. November 1994 gewährt worden war, werden für nichtig erklärt.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt die Kosten, die dem Königreich Spanien und ihr selbst im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.

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