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Document 62011CJ0256

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 15. November 2011.
Murat Dereci und andere gegen Bundesministerium für Inneres.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Verwaltungsgerichtshof - Österreich.
Unionsbürgerschaft - Aufenthaltsrecht der Angehörigen von Drittstaaten, die Familienangehörige von Unionsbürgern sind - Auf der mangelnden Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch den Unionsbürger beruhende Versagung - Mögliche Ungleichbehandlung gegenüber Unionsbürgern, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats - Art. 41 des Zusatzprotokolls - Stillhalteklauseln.
Rechtssache C-256/11.

European Court Reports 2011 -00000

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:734

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

15. November 2011 (*)

„Unionsbürgerschaft – Aufenthaltsrecht der Angehörigen von Drittstaaten, die Familienangehörige von Unionsbürgern sind – Auf der mangelnden Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit durch den Unionsbürger beruhende Versagung – Mögliche Ungleichbehandlung gegenüber Unionsbürgern, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats – Art. 41 des Zusatzprotokolls – Stillhalteklauseln“

In der Rechtssache C‑256/11

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 5. Mai 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2011, in den Verfahren

Murat Dereci,

Vishaka Heiml,

Alban Kokollari,

Izunna Emmanuel Maduike,

Dragica Stevic

gegen

Bundesministerium für Inneres

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts, J.‑C. Bonichot, J. Malenovský und U. Lõhmus, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Ilešič und E. Levits,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: K. Malacek, Verwaltungsrat,

aufgrund des Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. September 2011, das Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. September 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn M. Dereci, vertreten durch Rechtsanwalt H. Blum,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Hesse als Bevollmächtigten,

–        der dänischen Regierung, vertreten durch C. Vang als Bevollmächtigten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

–        Irlands, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von P. McCann, BL,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und J. Langer als Bevollmächtigte,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

–        der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Hathaway und S. Ossowski als Bevollmächtigte im Beistand von K. Beal, Barrister,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Maidani, C. Tufvesson und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Vorschriften des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft sowie des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats vom 19. September 1980 (im Folgenden: Beschluss Nr. 1/80) über die Entwicklung der Assoziation, die durch das von der Republik Türkei einerseits und den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft andererseits am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnete und durch den Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossene, gebilligte und bestätigte Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei (im Folgenden: Assoziierungsabkommen) errichtet wurde, und des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls (im Folgenden: Zusatzprotokoll).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen Herrn Dereci, Frau Heiml, Herrn Kokollari, Herrn Maduike sowie Frau Stevic und dem Bundesministerium für Inneres aufgrund des Umstands, dass das Ministerium die von den Beschwerdeführern der Ausgangsverfahren gestellten Anträge auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung abgelehnt hat, wobei damit in vier der Ausgangsverfahren eine Ausweisungsanordnung und Maßnahmen zur Entfernung aus dem österreichischen Staatsgebiet einhergingen.

 Rechtlicher Rahmen

 Völkerrecht

3        Art. 8 („Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens“) der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) bestimmt:

„1.      Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

2.      Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

 Unionsrecht

 Das Assoziierungsabkommen

4        Nach seinem Art. 2 Abs. 1 hat das Assoziierungsabkommen zum Ziel, eine beständige und ausgewogene Verstärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter voller Berücksichtigung der Notwendigkeit zu fördern, dass hierbei der beschleunigte Aufbau der türkischen Wirtschaft sowie die Hebung des Beschäftigungsstandes und der Lebensbedingungen des türkischen Volkes gewährleistet werden. Art. 12 des Assoziierungsabkommens lautet: „Die Vertragsparteien vereinbaren, sich von den Artikeln [39 EG], [40 EG] und [41 EG] leiten zu lassen, um untereinander die Freizügigkeit der Arbeitnehmer schrittweise herzustellen.“ In Art. 13 des Abkommens vereinbaren die Vertragsparteien, „sich von den Artikeln [43 EG] bis [46 EG] und [48 EG] leiten zu lassen, um untereinander die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben“.

 Der Beschluss Nr. 1/80

5        Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen.“

 Das Zusatzprotokoll

6        Nach seinem Art. 62 sind das Zusatzprotokoll und dessen Anhänge Bestandteil des Assoziierungsabkommens.

7        Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls sieht vor:

„Die Vertragsparteien werden untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs einführen.“

 Die Richtlinie 2003/86/EG

8        Art. 1 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung (ABl. L 251, S. 12) lautet:

„Ziel dieser Richtlinie ist die Festlegung der Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.“

9        In Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie heißt es:

„Diese Richtlinie findet auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung.“

 Die Richtlinie 2004/38/EG

10      Kapitel I („Allgemeine Bestimmungen“) der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158, S. 77, berichtigt im ABl. L 229, S. 35) umfasst die Art. 1 bis 3.

11      Art. 1 („Gegenstand“) dieser Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie regelt

a)      die Bedingungen, unter denen Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt innerhalb des Hoheitsgebiets der Mitgliedstaaten genießen;

b)      das Recht auf Daueraufenthalt der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten;

c)      die Beschränkungen der in den Buchstaben a) und b) genannten Rechte aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit.“

12      Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

1.      ‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;

2.      ‚Familienangehöriger‘:

a)      den Ehegatten;

b)      den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;

c)      die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

d)      die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

3.      ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.“

13      Art. 3 („Berechtigte“) der Richtlinie 2004/38 bestimmt in Abs. 1:

„Diese Richtlinie gilt für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen als den Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Artikel 2 Nummer 2, die ihn begleiten oder ihm nachziehen.“

 Nationales Recht

14      Das Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (BGBl. I 100/2005, im Folgenden: NAG) regelt die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich, wobei zwischen auf das Unionsrecht gestützten Ansprüchen und auf das österreichische Recht gestützten Ansprüchen unterschieden wird.

15      In § 11 NAG („Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel“) heißt es:

„…

(2)      Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.      der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.      der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.      der Fremde über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.      der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

(3)      Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 [EMRK] geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.      die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.      das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.      die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.      der Grad der Integration;

5.      die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.      die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.      Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.      die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.

(4)      Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs. 2 Z 1), wenn

1.      sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde …

(5)      Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) … entsprechen. …“

16      § 21 NAG („Verfahren bei Erstanträgen“) bestimmt:

„(1)      Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(2)      Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:

1.      Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr gemeinschaftsrechtliches oder das ihnen auf Grund des [am 21. Juni 1999 in Luxemburg unterzeichneten Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (ABl. 2002, L 114, S. 6)] zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

(3)      Abweichend von Abs. 1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

2.      zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

(6)      Eine Inlandsantragstellung nach Abs. 2 Z 1 und Z 4 bis 6, Abs. 3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung fremdenpolizeilicher Maßnahmen nicht entgegen und kann daher in fremdenpolizeilichen Verfahren keine aufschiebende Wirkung entfalten.“

17      § 47 NAG bestimmt:

„(1)      Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des [in § 21 Abs. 2 genannten Abkommens] zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

(2)      Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 sind, ist ein Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger‘ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllen. Dieser Aufenthaltstitel ist bei Vorliegen der Voraussetzungen des 1. Teils einmal um den Zeitraum von zwölf Monaten, danach jeweils um 24 Monate zu verlängern.

(3)      Angehörigen von Zusammenführenden im Sinne des Abs. 1 kann auf Antrag eine quotenfreie ‚Niederlassungsbewilligung – Angehöriger‘ erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teils erfüllen und

1.      Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird;

2.      Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen, und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird; oder

3.      sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a)      die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben;

b)      die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben und Unterhalt bezogen haben oder

c)      bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

…“

18      Nach dem NAG gelten als „Familienangehörige“ nur Ehegatten, eingetragene Lebenspartner und minderjährige ledige Kinder, Ehegatten und eingetragene Lebenspartner nur dann, wenn beide zum Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr vollendet haben. Andere Familienmitglieder, insbesondere Eltern und volljährige Kinder, werden als „sonstige Angehörige“ angesehen.

19      § 57 NAG bestimmt, dass Drittstaatsangehörige, die Familienangehörige eines österreichischen Staatsbürgers sind, den Status erhalten, der den Familienangehörigen eines anderen Unionsbürgers gewährt wird, wenn dieser österreichische Staatsbürger in einem anderen Mitgliedstaat oder in der Schweiz ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich zurückkehrt. In allen anderen Fällen müssen diese Drittstaatsangehörigen dieselben Voraussetzungen erfüllen wie die übrigen nach Österreich eingewanderten Drittstaatsangehörigen, d. h. die Voraussetzungen von § 47 NAG.

20      Durch das NAG wurde zum 1. Jänner 2006 das Bundesgesetz über die Einreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Fremden (BGBl. I 75/1997, im Folgenden: Gesetz von 1997) aufgehoben. § 49 des Gesetzes von 1997 bestimmte:

„(1)      Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. Solche Fremde können Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung im Inland stellen. Die Gültigkeitsdauer der ihnen die beiden ersten Male erteilten Niederlassungsbewilligung beträgt jeweils ein Jahr.

(2)      Der Niederlassungsnachweis ist solchen Drittstaatsangehörigen auf Antrag zu erteilen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (§ 8 Abs. 1) gegeben sind und die Fremden

1.      seit mindestens zwei Jahren mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet sind und mit diesem im Bundesgebiet im gemeinsamen Haushalt leben;

…“

21      Durch das Gesetz von 1997 waren auch das Aufenthaltsgesetz (BGBl. 466/1992) und das Fremdengesetz (BGBl. 838/1992) aufgehoben worden, die beide zum Zeitpunkt des Beitritts der Republik Österreich zur Europäischen Union am 1. Jänner 1995 in Kraft waren.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22      Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass alle Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren Drittstaatsangehörige sind, die mit Familienangehörigen, die als österreichische Staatsangehörige Unionsbürger sind und in Österreich ihren Wohnsitz haben, zusammenleben möchten. Hinzuzufügen ist, dass die betreffenden Unionsbürger nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben und hinsichtlich ihres Lebensunterhalts nicht auf die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren angewiesen sind.

23      Dagegen unterscheiden sich die Sachverhalte der Ausgangsverfahren insbesondere darin, ob die Beschwerdeführer rechtmäßig oder unrechtmäßig in das österreichische Hoheitsgebiet eingereist sind, wo sich ihr derzeitiger Wohnsitz befindet, wie die familiäre Bindung zu dem betreffenden Unionsbürger ausgestaltet ist und ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit von diesem besteht.

24      So reiste Herr Dereci, ein türkischer Staatsangehöriger, unrechtmäßig nach Österreich ein, heiratete eine österreichische Staatsbürgerin und hat mit ihr drei Kinder, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und noch minderjährig sind. Herr Dereci wohnt derzeit mit seiner Familie in Österreich. Herr Maduike, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste ebenfalls unrechtmäßig nach Österreich ein und heiratete eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er derzeit in Österreich wohnt.

25      Frau Heiml, eine Staatsangehörige von Sri Lanka, heiratete hingegen einen österreichischen Staatsbürger, bevor sie rechtmäßig nach Österreich einreiste, wo sie derzeit mit ihrem Ehemann wohnt, wenngleich ihr Aufenthaltstitel inzwischen erloschen ist.

26      Herr Kokollari wiederum reiste im Alter von zwei Jahren rechtmäßig mit seinen Eltern, die die jugoslawische Staatsgehörigkeit besaßen, nach Österreich ein. Er ist 29 Jahre alt und gibt an, dass seine Mutter, die inzwischen österreichische Staatsbürgerin geworden ist, für seinen Unterhalt aufkomme. Er wohnt derzeit in Österreich. Frau Stevic, eine serbische Staatsangehörige, ist 52 Jahre alt und beantragt die Familienzusammenführung mit ihrem Vater, der seit vielen Jahren in Österreich lebt und im Jahr 2007 die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekam. Sie trägt vor, sie habe regelmäßig eine monatliche Unterstützung von ihrem Vater erhalten, und dieser werde bei ihrem Aufenthalt in Österreich für ihren Unterhalt sorgen. Frau Stevic wohnt derzeit in Serbien, wo sich auch ihr Ehemann und ihre drei volljährigen Kinder befinden.

27      Die Anträge aller Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Österreich wurden abgelehnt. Gegen Frau Heiml, Herrn Dereci, Herrn Kokollari und Herrn Maduike wurde zudem die Ausweisung oder Außerlandesschaffung angeordnet.

28      Die ablehnenden Bescheide des Bundesministeriums für Inneres beruhen hauptsächlich auf einem oder mehreren der folgenden Gründe: Formfehler bei der Antragstellung, Verstoß gegen die Pflicht, sich bis zur Bescheidung des Antrags im Ausland aufzuhalten, sei es wegen unrechtmäßiger Einreise nach Österreich oder wegen eines über die ursprünglich genehmigte Dauer hinaus verlängerten Aufenthalts nach rechtmäßiger Einreise, Fehlen ausreichender Mittel oder Verstoß gegen die öffentliche Ordnung.

29      In allen Ausgangsverfahren hat es das Bundesministerium für Inneres abgelehnt, eine ähnliche wie die in der Richtlinie 2004/38 für Familienangehörige eines Unionsbürgers vorgesehene Regelung auf die Beschwerdeführer anzuwenden, weil deren Familienangehörige von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hätten. Das Ministerium hat sich auch geweigert, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltsrecht nach Art. 8 EMRK zuzuerkennen, und dies vor allem damit begründet, dass ihr Aufenthaltsstatus in Österreich von Beginn ihres Privat- und Familienlebens an als unsicher anzusehen gewesen sei.

30      Das vorlegende Gericht hat über die von den Beschwerdeführern der Ausgangsverfahren gegen die Bescheide des Bundesministeriums für Inneres erhobenen Beschwerden zu befinden. Es wirft die Frage auf, ob die Hinweise, die der Gerichtshof im Urteil vom 8. März 2011, Ruiz Zambrano (C‑34/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), gegeben hat, auf eines oder mehrere der Ausgangsverfahren angewandt werden können.

31      In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Drittstaatsangehörigen und ihre Familienangehörigen, die Unionsbürger mit österreichischer Staatsangehörigkeit seien und von ihrem Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hätten, ebenso wie in der Rechtssache, in der das Urteil Ruiz Zambrano ergangen sei, vor allem zusammenleben wollten.

32      Jedoch liefen die betreffenden Unionsbürger anders als in der genannten Rechtssache nicht Gefahr, mittellos dazustehen.

33      Für das vorlegende Gericht stellt sich daher die Frage, ob die Weigerung des Bundesministeriums für Inneres, den Beschwerdeführern der Ausgangsverfahren einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so auszulegen ist, dass sie bewirkt, dass ihren Familienangehörigen, die Unionsbürger sind, der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird.

34      Für den Fall, dass dies verneint werden sollte, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich Herr Dereci in Österreich nicht nur aufhalten wolle, um mit seinen Familienangehörigen zusammenzuleben, sondern auch, um einer selbständigen oder unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Da die Bestimmungen des Gesetzes von 1997 günstiger gewesen seien als die des NAG, stelle sich die Frage, ob Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und Art. 41 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen seien, dass in einer Situation wie der von Herrn Dereci die günstigeren Vorschriften des genannten Gesetzes auf ihn anzuwenden seien.

35      In diesem Kontext hat der Verwaltungsgerichtshof beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      a)     Ist Art. 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, dessen Ehegatte und minderjährige Kinder Unionsbürger sind, den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat des Ehegatten und der Kinder, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, zu verweigern, und zwar selbst dann, wenn diese Unionsbürger hinsichtlich des Lebensunterhalts nicht auf den Drittstaatsangehörigen angewiesen sind? (Beschwerdeführer Dereci)

b)      Ist Art. 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen, dessen Ehegatte Unionsbürger ist, den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat des Ehegatten, dessen Staatsangehörigkeit dieser besitzt, zu verweigern, und zwar selbst dann, wenn der Unionsbürger hinsichtlich des Lebensunterhalts nicht auf den Drittstaatsangehörigen angewiesen ist? (Beschwerdeführer Heiml und Maduike)

c)      Ist Art. 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einem volljährigen Drittstaatsangehörigen, dessen Mutter Unionsbürgerin ist, den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat der Mutter, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, zu verweigern, und zwar auch dann, wenn zwar nicht die Unionsbürgerin hinsichtlich des Lebensunterhalts auf den Drittstaatsangehörigen angewiesen ist, aber der Drittstaatsangehörige hinsichtlich seines Lebensunterhalts auf die Unionsbürgerin angewiesen ist? (Beschwerdeführer Kokollari)

d)      Ist Art. 20 AEUV dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verwehrt, einer volljährigen Drittstaatsangehörigen, deren Vater Unionsbürger ist, den Aufenthalt im Wohnsitzmitgliedstaat des Vaters, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, zu verweigern, und zwar auch dann, wenn zwar nicht der Unionsbürger hinsichtlich des Lebensunterhalts auf die Drittstaatsangehörige angewiesen ist, aber die Drittstaatsangehörige vom Unionsbürger Unterhalt erhält? (Beschwerdeführerin Stevic)

2.      Falls eine der Fragen zu 1 zu bejahen ist:

Handelt es sich bei der aus Art. 20 AEUV herrührenden Pflicht der Mitgliedstaaten, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, um ein direkt aus dem Unionsrecht erfließendes Recht zum Aufenthalt, oder ist es hinreichend, dass der Mitgliedstaat dem Drittstaatsangehörigen das Recht zum Aufenthalt rechtsbegründend zuerkennt?

3.      a)     Falls nach der Antwort zu Frage 2 ein Aufenthaltsrecht kraft Unionsrecht besteht:

Unter welchen Voraussetzungen besteht ausnahmsweise das aus dem Unionsrecht herrührende Aufenthaltsrecht nicht, bzw. unter welchen Voraussetzungen darf dem Drittstaatsangehörigen das Recht zum Aufenthalt aberkannt werden?

b)      Falls es nach der Antwort zu Frage 2 ausreichend sein sollte, dass dem Drittstaatsangehörigen das Aufenthaltsrecht rechtsbegründend zuerkannt wird:

Unter welchen Voraussetzungen darf dem Drittstaatsangehörigen – trotz einer grundsätzlich bestehenden Pflicht des Mitgliedstaats, ihm den Aufenthalt zu ermöglichen – das Recht zum Aufenthalt verwehrt werden?

4.      Für den Fall, dass Art. 20 AEUV nicht entgegensteht, dem Drittstaatsangehörigen in der Situation, in der sich Herr Dereci befindet, den Aufenthalt im Mitgliedstaat zu verwehren:

Steht Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 oder Art. 41 des Zusatzprotokolls, das nach seinem Art. 62 Bestandteil des Assoziierungsabkommens ist, in einem Fall wie jenem des Herrn Dereci entgegen, den erstmaligen Zuzug türkischer Staatsangehöriger strengeren nationalen Regeln zu unterwerfen, als sie bereits zuvor für den erstmaligen Zuzug türkischer Staatsangehöriger gegolten haben, obwohl jene nationalen Vorschriften, die den erstmaligen Zuzug erleichtert hatten, erst nach jenem Zeitpunkt in Kraft gesetzt wurden, mit dem die genannten die Assoziierung mit der Türkei betreffenden Bestimmungen für den Mitgliedstaat Wirksamkeit erlangt haben?

36      Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 9. September 2011 ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 23a der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem beschleunigten Verfahren unterworfen worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

37      Die erste Frage ist so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist und sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat und der hinsichtlich seines Lebensunterhalts nicht auf den Drittstaatsangehörigen angewiesen ist.

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

38      Die österreichische, die dänische, die deutsche, die irische, die niederländische und die polnische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission sind der Ansicht, dass die Bestimmungen des Unionsrechts über die Unionsbürgerschaft es einem Mitgliedstaat in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern.

39      Ihres Erachtens sind auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten weder die Bestimmungen der Richtlinie 2004/38 anwendbar, da die betreffenden Unionsbürger nicht von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, noch die Bestimmungen des AEUV über die Unionsbürgerschaft, da es sich um rein interne Sachverhalte ohne Berührungspunkte mit dem Unionsrecht handele.

40      Sie sind im Wesentlichen der Auffassung, dass sich die im Urteil Ruiz Zambrano herausgearbeiteten Grundsätze auf ganz außergewöhnliche Fallkonstellationen bezögen, in denen die Anwendung einer innerstaatlichen Maßnahme zur Verwehrung des tatsächlichen Genusses des Kernbestands der durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte führe. Die Sachverhalte in den vorliegenden Ausgangsverfahren unterschieden sich erheblich von dem Sachverhalt in der Rechtssache Ruiz Zambrano, da bei den hier betroffenen Unionsbürgern nicht die Gefahr bestehe, dass sie das Hoheitsgebiet der Union verlassen müssten und ihnen damit der tatsächliche Genuss der ihnen durch den Unionsbürgerstatus verliehenen Rechte verwehrt würde. Die Kommission fügt hinzu, auch die Ausübung des Rechts der Unionsbürger, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, werde nicht behindert.

41      Dagegen ist Herr Dereci der Ansicht, das Unionsrecht sei dahin auszulegen, dass es einem Mitgliedstaat verwehrt sei, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort mit seiner Ehefrau und seinen drei Kindern wohnen wolle, die Unionsbürger seien und sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besäßen, aufhielten.

42      Ob ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliege, sei irrelevant. Art. 20 AEUV sei dahin auszulegen, dass der ausschlaggebende Gesichtspunkt darin bestehe, ob dem Unionsbürger der Genuss des Kernbestands der durch seinen Status verliehenen Rechte verwehrt werde. Dies sei bei den Kindern von Herrn Dereci der Fall, da sie davon abhängig seien, dass er für ihren Unterhalt aufkomme, und da eine wirksame Unterhaltsgewährung beeinträchtigt werden könnte, wenn er aus dem österreichischen Hoheitsgebiet ausgewiesen würde.

43      Schließlich ist die griechische Regierung der Auffassung, nach der Entwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs bestehe die Verpflichtung, sich von den entsprechend anzuwendenden Bestimmungen des Unionsrechts, insbesondere der Richtlinie 2004/38, leiten zu lassen und den Beschwerdeführern der Ausgangsverfahren deshalb den Aufenthalt zu gestatten, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt seien: erstens, dass die Situation der Unionsbürger, die nicht von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, der Situation derjenigen entspreche, die von diesem Recht Gebrauch gemacht hätten, was im vorliegenden Fall bedeute, dass der Inländer und seine Familienangehörigen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Bedingungen erfüllen müssten, zweitens, dass die nationalen Maßnahmen einen wesentlichen Eingriff in das Recht, sich frei zu bewegen und aufzuhalten, bedeuteten, und drittens, dass das nationale Recht dem Betroffenen keinen mindestens gleichwertigen Schutz gewähre.

 Antwort des Gerichtshofs

–       Zur Anwendbarkeit der Richtlinien 2003/86 und 2004/38

44      Einleitend ist festzustellen, dass die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren Drittstaatsangehörige sind, die ein Aufenthaltsrecht in einem Mitgliedstaat begehren, um dort mit Familienangehörigen zu wohnen, die Unionsbürger sind und von ihrem Recht auf Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten keinen Gebrauch gemacht haben.

45      Zur Beantwortung der ersten Frage in ihrer vom Gerichtshof umformulierten Form ist zunächst zu klären, ob die Richtlinien 2003/86 und 2004/38 auf die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren anwendbar sind.

46      Erstens ist in Bezug auf die Richtlinie 2003/86 festzustellen, dass ihr Ziel nach ihrem Art. 1 die Festlegung der Bedingungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige ist, die sich rechtmäßig im Gebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.

47      Nach Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/86 findet sie jedoch auf die Familienangehörigen eines Unionsbürgers keine Anwendung.

48      Da es im Rahmen der Ausgangsrechtsstreitigkeiten die Unionsbürger sind, die sich in einem Mitgliedstaat aufhalten, während ihre Familienangehörigen, die Drittstaatsangehörige sind, beabsichtigen, in den Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, um die Familiengemeinschaft mit den Unionsbürgern aufrechtzuerhalten, ist die Richtlinie 2003/86 auf die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren nicht anwendbar.

49      Im Übrigen sollten zwar, wie die Kommission zutreffend ausgeführt hat, nach dem von ihr am 11. Jänner 2000 vorgelegten Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ([2000/C 116 E/15], KOM[1999] 638 endg. – 1999/0258[CNS], ABl. C 116 E, S. 66) in den Anwendungsbereich der Richtlinie die Unionsbürger einbezogen werden, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hatten, doch wurde von ihrer Einbeziehung im Rechtsetzungsverfahren, das zum Erlass der Richtlinie 2003/86 führte, abgesehen.

50      Zweitens hat der Gerichtshof in Bezug auf die Richtlinie 2004/38 bereits festgestellt, dass sie die Ausübung des den Unionsbürgern unmittelbar aus dem Vertrag erwachsenden elementaren und persönlichen Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, erleichtern soll und insbesondere bezweckt, dieses Recht zu stärken (vgl. Urteile vom 25. Juli 2008, Metock u. a., C‑127/08, Slg. 2008, I‑6241, Randnrn. 82 und 59, und vom 5. Mai 2011, McCarthy, C‑434/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).

51      Wie sich aus den Randnrn. 24 bis 26 des vorliegenden Urteils ergibt, fallen Frau Heiml, Herr Dereci und Herr Maduike als Ehegatten von Unionsbürgern unter den Begriff „Familienangehörige“ in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2004/38. Auch Herr Kokollari und Frau Stevic können als Verwandte in gerader absteigender Linie von Unionsbürgern unter den genannten Begriff fallen, wobei dies, da sie das 21. Lebensjahr vollendet haben, nach Art. 2 Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie voraussetzt, dass ihnen von diesen Unionsbürgern Unterhalt gewährt wird.

52      Die Richtlinie 2004/38 findet jedoch, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, auf Sachverhalte wie diejenigen der Ausgangsverfahren keine Anwendung.

53      Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 gilt die Richtlinie 2004/38 nämlich für jeden Unionsbürger, der sich in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie, die ihn begleiten oder ihm nachziehen (vgl. Urteil Ruiz Zambrano, Randnr. 39).

54      Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, fällt nach einer grammatikalischen, teleologischen und systematischen Auslegung dieser Bestimmung ein Unionsbürger, der nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese auf ihn nicht anwendbar ist (Urteil McCarthy, Randnrn. 31 und 39).

55      Ferner hat er festgestellt, dass, wenn ein Unionsbürger nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 fällt, auch sein Familienangehöriger nicht unter diesen Begriff fällt, da die durch diese Richtlinie den Familienangehörigen eines nach ihr Berechtigten verliehenen Rechte keine eigenen Rechte dieser Angehörigen, sondern abgeleitete Rechte sind, die sie als Familienangehörige des Berechtigten erworben haben (vgl. in Bezug auf einen Ehegatten Urteil McCarthy, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Aus der Richtlinie 2004/38 ergibt sich nämlich nicht für alle Drittstaatsangehörigen das Recht, in einen Mitgliedstaat einzureisen und sich dort aufzuhalten, sondern nur für diejenigen, die Familienangehörige im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat (Urteil Metock u. a., Randnr. 73).

57      Da im vorliegenden Fall die betreffenden Unionsbürger nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, fallen sie nicht unter den Begriff „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, so dass diese weder auf sie noch auf ihre Familienangehörigen anwendbar ist.

58      Folglich sind die Richtlinien 2003/86 und 2004/38 nicht auf Drittstaatsangehörige anwendbar, die ein Aufenthaltsrecht begehren, um zu Familienangehörigen zu ziehen, die Unionsbürger sind, aber nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht und sich stets in dem Mitgliedstaat aufgehalten haben, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen.

–       Zur Anwendbarkeit der Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft

59      Ungeachtet der Unanwendbarkeit der Richtlinien 2003/86 und 2004/38 auf die Ausgangsverfahren ist zu prüfen, ob sich die in diesen Rechtssachen in Rede stehenden Unionsbürger gleichwohl auf die Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft berufen können.

60      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen nicht auf Sachverhalte angewandt werden können, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon, C‑212/06, Slg. 2008, I‑1683, Randnr. 33, Metock u. a., Randnr. 77, und McCarthy, Randnr. 45).

61      Die Lage eines Unionsbürgers, der – wie es auf alle Familienangehörigen der Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren zutrifft – vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann jedoch nicht allein aus diesem Grund einer rein internen Situation gleichgestellt werden (vgl. Urteile vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 22, und McCarthy, Randnr. 46).

62      Der Gerichtshof hat nämlich mehrfach hervorgehoben, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (vgl. Urteil Ruiz Zambrano, Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Als Staatsangehörige eines Mitgliedstaats genießen die Familienangehörigen der Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren den Unionsbürgerstatus gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV und können sich daher auch gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, auf die mit diesem Status verbundenen Rechte berufen (vgl. Urteil McCarthy, Randnr. 48).

64      Auf dieser Grundlage hat der Gerichtshof entschieden, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (vgl. Urteil Ruiz Zambrano, Randnr. 42).

65      In der Rechtssache, die zu dem genannten Urteil führte, stellte sich nämlich die Frage, ob eine derartige Auswirkung vorliegt, wenn einer einem Drittstaat angehörenden Person im Mitgliedstaat des Wohnsitzes ihrer minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis verweigert werden. Der Gerichtshof vertrat u. a. die Ansicht, dass eine solche Aufenthaltsverweigerung zur Folge hat, dass sich die genannten Kinder, die Unionsbürger sind, gezwungen sehen, das Gebiet der Union zu verlassen, um ihre Eltern zu begleiten. Unter derartigen Umständen wäre es den genannten Unionsbürgern de facto unmöglich, den Kernbestand der Rechte, die ihnen ihr Unionsbürgerstatus verleiht, in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil Ruiz Zambrano, Randnrn. 43 und 44).

66      Daraus folgt, dass sich das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, auf Sachverhalte bezieht, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes.

67      Diesem Kriterium kommt somit insofern ein ganz besonderer Charakter zu, als es Sachverhalte betrifft, in denen – obwohl das das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen betreffende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist – einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Staatsbürgers eines Mitgliedstaats ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, da sonst die Unionsbürgerschaft der letztgenannten Person ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde.

68      Infolgedessen rechtfertigt die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde.

69      Damit bleibt zwar noch offen, ob auf anderen Grundlagen, insbesondere aufgrund des Rechts auf Schutz des Familienlebens, ein Aufenthaltsrecht nicht verweigert werden darf. Auf diese Frage ist jedoch im Rahmen der Bestimmungen über den Schutz der Grundrechte und nach Maßgabe ihrer jeweiligen Anwendbarkeit einzugehen.

–       Zum Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens

70      Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta), der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens betrifft, Rechte enthält, die den in Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleisteten Rechten entsprechen, und dass somit Art. 7 der Charta die gleiche Bedeutung und Tragweite beizumessen ist wie Art. 8 Abs. 1 EMRK in seiner Auslegung durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Urteil vom 5. Oktober 2010, McB., C‑400/10 PPU, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 53).

71      Es ist jedoch daran zu erinnern, dass die Bestimmungen der Charta nach ihrem Art. 51 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union gelten. Nach Art. 51 Abs. 2 der Charta dehnt diese den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkeiten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Union, noch ändert sie die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben. Somit hat der Gerichtshof im Licht der Charta das Unionsrecht in den Grenzen der der Union übertragenen Zuständigkeiten zu prüfen (vgl. Urteile McB., Randnr. 51, und vom 15. September 2011, Gueye und Salmerón Sánchez, C‑483/09 und C‑1/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 69).

72      Sollte das vorlegende Gericht im vorliegenden Fall im Licht der Umstände der Ausgangsrechtsstreitigkeiten der Ansicht sein, dass die Situation, in der sich die Beschwerdeführer der Ausgangsverfahren befinden, unter das Unionsrecht fällt, muss es daher prüfen, ob die Weigerung, ihnen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, das in Art. 7 der Charta vorgesehene Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens beeinträchtigt. Ist es dagegen der Ansicht, dass der Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt, muss es eine solche Prüfung im Licht von Art. 8 Abs. 1 EMRK vornehmen.

73      Alle Mitgliedstaaten sind nämlich Vertragsparteien der EMRK, in deren Art. 8 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verankert ist.

74      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

 Zur zweiten und zur dritten Frage

75      Da die zweite und die dritte Frage nur für den Fall einer Bejahung der ersten Frage gestellt wurden, brauchen sie nicht beantwortet zu werden.

 Zur vierten Frage

76      Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 oder Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, den erstmaligen Zuzug türkischer Staatsangehöriger strengeren nationalen Regeln zu unterwerfen, als sie zuvor für diesen Zuzug gegolten haben, obwohl die letztgenannten Regeln, die den erstmaligen Zuzug erleichtert hatten, erst in Kraft gesetzt wurden, nachdem die genannten Bestimmungen für den Mitgliedstaat im Anschluss an dessen Beitritt zur Union Wirksamkeit erlangt haben.

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

77      Die österreichische und die deutsche Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs sind der Ansicht, dass weder Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 noch Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls der Anwendung strengerer als der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmungen bestehenden nationalen Regeln auf türkische Staatsangehörige entgegenstünden, die in einem Mitgliedstaat eine unselbständige oder selbständige Tätigkeit ausüben wollten, da die genannten Bestimmungen nur auf türkische Staatsangehörige anwendbar seien, die sich im Aufnahmemitgliedstaat in einer ordnungsgemäßen Situation befänden, und sich nicht auf Fälle wie den von Herrn Dereci erstreckten, der unrechtmäßig nach Österreich eingereist sei und sich dort stets unrechtmäßig aufgehalten habe.

78      Dagegen sind die niederländische Regierung und die Kommission der Auffassung, dass die genannten Bestimmungen der Einführung jeder neuen Beschränkung der Ausübung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der Niederlassungsfreiheit in den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten entgegenstünden, einschließlich solcher, die die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die erstmalige Aufnahme im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten beträfen.

79      Herr Dereci führt aus, er sei auf der Grundlage seines Asylantrags nach Österreich eingereist und habe diesen Antrag wegen seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin zurückgenommen. Eine solche Heirat habe es nach den zur damaligen Zeit geltenden Rechtsvorschriften ermöglicht, in den Genuss des Niederlassungsrechts zu kommen. Im Übrigen sei er vom 1. Juli 2002 bis zum 30. Juni 2003 als Arbeitnehmer tätig gewesen, und vom 1. Oktober 2003 bis zum 31. August 2008 habe er als Selbständiger den von seinem Bruder übernommenen Friseursalon betrieben.

 Antwort des Gerichtshofs

80      Einleitend ist festzustellen, dass sich die vierte Frage unterschiedslos auf Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 und auf Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls bezieht.

81      Diese beiden Bestimmungen haben zwar dieselbe Funktion, jedoch ihren jeweils eigenen, genau bestimmten Bereich, so dass sie nicht zusammen angewandt werden können (Urteil vom 21. Oktober 2003, Abatay u. a., C‑317/01 und C‑369/01, Slg. 2003, I‑12301, Randnr. 86).

82      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts heiratete Herr Dereci am 24. Juli 2003 eine österreichische Staatsbürgerin und stellte im Anschluss daran am 24. Juni 2004 einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach dem Gesetz von 1997. Herr Dereci trägt im Übrigen vor, er habe zu dieser Zeit den Friseursalon seines Bruders übernommen.

83      Folglich betrifft der Fall von Herrn Dereci die Niederlassungsfreiheit und fällt damit unter Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls.

84      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Aufenthaltsgesetz und dem Fremdengesetz, die in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils erwähnt werden, um die Rechtsvorschriften handelt, die die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch türkische Staatsangehörige in Österreich regelten, als dieser Mitgliedstaat am 1. Jänner 1995 der Europäischen Union beitrat und damit das Zusatzprotokoll in seinem Hoheitsgebiet in Kraft trat.

85      Zwar wurden die genannten Gesetze durch das Gesetz von 1997 aufgehoben, doch wurde dieses seinerseits mit Wirkung vom 1. Jänner 2006 durch das NAG aufgehoben, mit dem nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger verschärft werden.

86      Infolgedessen ist die vierte Frage so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen ist, dass der Erlass einer Neuregelung, die restriktiver ist als die Vorgängerregelung, mit der ihrerseits eine frühere Regelung gelockert wurde, die die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betraf, als „neue Beschränkung“ im Sinne dieses Artikels anzusehen ist.

87      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls in den Mitgliedstaaten unmittelbare Wirkung hat, so dass sich türkische Staatsangehörige, auf die er anwendbar ist, vor den nationalen Gerichten auf die Rechte, die er ihnen verleiht, berufen können, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des innerstaatlichen Rechts auszuschließen. Diese Bestimmung enthält nämlich eine klare, präzise und nicht an Bedingungen geknüpfte, eindeutige Stillhalteklausel, die eine Verpflichtung der Vertragsparteien begründet, bei der es sich rechtlich um eine reine Unterlassungspflicht handelt (vgl. Urteil vom 20. September 2007, Tum und Dari, C‑16/05, Slg. 2007, I‑7415, Randnr. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

88      Nach ständiger Rechtsprechung ist die in Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthaltene Stillhalteklausel zwar nicht aus sich heraus geeignet, türkischen Staatsangehörigen allein auf der Grundlage des Unionsrechts ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthaltsrecht zu verleihen, und kann ihnen auch weder ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr noch ein Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verschaffen; eine solche Klausel verbietet jedoch allgemein die Einführung neuer Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung dieser wirtschaftlichen Freiheiten durch einen türkischen Staatsangehörigen in einem Mitgliedstaat strengeren Voraussetzungen als denjenigen unterworfen wird, die für ihn galten, als das Zusatzprotokoll in Bezug auf den betreffenden Mitgliedstaat in Kraft trat (vgl. Urteil vom 19. Februar 2009, Soysal und Savatli, C‑228/06, Slg. 2009, I‑1031, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

89      Eine Stillhalteklausel, wie sie Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls enthält, hat nämlich nicht die Wirkung einer materiell-rechtlichen Vorschrift, die das maßgebliche materielle Recht unanwendbar macht und an dessen Stelle tritt, sondern stellt eine gleichsam verfahrensrechtliche Vorschrift dar, die in zeitlicher Hinsicht festlegt, nach welchen Bestimmungen der Regelung eines Mitgliedstaats die Situation eines türkischen Staatsangehörigen zu beurteilen ist, der in einem Mitgliedstaat von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen will (vgl. Urteil Tum und Dari, Randnr. 55, und Urteil vom 21. Juli 2011, Oguz, C‑186/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).

90      In diesem Zusammenhang ist Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls darauf gerichtet – damit die Voraussetzungen einer schrittweisen Herstellung der Niederlassungsfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten und der Republik Türkei nicht erschwert werden –, günstige Bedingungen für ihre schrittweise Verwirklichung zu schaffen, indem er den innerstaatlichen Stellen das absolute Verbot auferlegt, durch eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen neue Hindernisse für die Ausübung dieser Freiheit einzuführen. Diese Bestimmung erweist sich somit als notwendige Ergänzung zu Art. 13 des Assoziierungsabkommens, in dessen Rahmen sie die für die schrittweise Beseitigung der innerstaatlichen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit unerlässliche Vorbedingung bildet (vgl. Urteil Tum und Dari, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91      Auch wenn während eines ersten Abschnitts der schrittweisen Herstellung dieser Freiheit bereits bestehende innerstaatliche Einschränkungen auf dem Gebiet der Niederlassungsfreiheit beibehalten werden können, ist infolgedessen darauf zu achten, dass kein neues Hindernis eingeführt wird, damit die schrittweise Einführung dieser Freiheit nicht zusätzlich behindert wird (vgl. Urteil Tum und Dari, Randnr. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92      In Bezug auf eine nationale Bestimmung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an türkische Arbeitnehmer hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass daher gewährleistet sein muss, dass sich die Mitgliedstaaten nicht von dem verfolgten Ziel entfernen, indem sie von Bestimmungen abgehen, die sie nach Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 in ihrem Gebiet zugunsten der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer erlassen haben (Urteil vom 9. Dezember 2010, Toprak und Oguz, C‑300/09 und C‑301/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 55).

93      Überdies hat der Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass eine Verschärfung einer Bestimmung, die eine Erleichterung der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats für die Bedingungen der Ausübung der Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer geltenden Bestimmung vorsah, eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieses Artikels darstellt, auch wenn diese Verschärfung die genannten Bedingungen im Vergleich zu denen, die sich aus der zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats geltenden Bestimmung ergeben, nicht verschlechtert (vgl. in diesem Sinne Urteil Toprak und Oguz, Randnr. 62).

94      Angesichts der übereinstimmenden Auslegung des mit Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls und Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 verfolgten Ziels ist davon auszugehen, dass sich die Tragweite der in diesen Bestimmungen enthaltenen Stillhalteverpflichtung entsprechend auf sämtliche neuen Hindernisse für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, des freien Dienstleistungsverkehrs oder der Freizügigkeit der Arbeitnehmer erstreckt, die eine Verschärfung der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Bedingungen darstellen (vgl. in diesem Sinne Urteil Toprak und Oguz, Randnr. 54), so dass gewährleistet sein muss, dass sich die Mitgliedstaaten nicht von dem mit den Stillhalteklauseln verfolgten Ziel entfernen, indem sie Bestimmungen ändern, die sie nach Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 oder des Zusatzprotokolls in ihrem Gebiet zugunsten der genannten Freiheiten türkischer Staatsangehöriger erlassen haben.

95      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass sich mit dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger in Fällen wie denen von Herrn Dereci verschärft haben.

96      Nach § 21 NAG müssen nämlich Drittstaatsangehörige, zu denen auch türkische Staatsangehörige in einer Situation wie der von Herrn Dereci gehören, ihren Antrag auf Aufenthaltsgewährung im Allgemeinen außerhalb des österreichischen Hoheitsgebiets einbringen und die Entscheidung über ihren Antrag im Ausland abwarten.

97      Dagegen genossen türkische Staatsangehörige in einer Situation wie der von Herrn Dereci nach § 49 des Gesetzes von 1997 als Familienangehörige österreichischer Staatsbürger Niederlassungsfreiheit und konnten Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung in Österreich stellen.

98      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass das NAG eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls darstellt, da es die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger im Vergleich zu den Bedingungen, die für sie zuvor aufgrund von Bestimmungen galten, die nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls in Österreich erlassen worden waren, verschlechtert hat.

99      Schließlich genügt zu dem Vorbringen der österreichischen und der deutschen Regierung sowie der Regierung des Vereinigten Königreichs, dass sich Herr Dereci „nicht in einer ordnungsgemäßen Situation“ befinde und deshalb nicht in den Genuss der Anwendung von Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls kommen könne, die Feststellung, dass es nach den Angaben in der Vorlageentscheidung zwar zutrifft, dass Herr Dereci im November 2001 unrechtmäßig in das österreichische Hoheitsgebiet eingereist ist, doch hatte er, als er die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beantragte, nach den zu dieser Zeit geltenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften aufgrund seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin ein Niederlassungsrecht und durfte, wie er es im Übrigen getan hat, in Österreich einen dahin gehenden Antrag stellen. Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts wurde sein ursprünglich rechtmäßiger Aufenthalt erst durch das Inkrafttreten des NAG zu einem nicht ordnungsgemäßen Aufenthalt, was zur Zurückweisung seines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels führte.

100    Folglich kann seine Situation nicht als nicht ordnungsgemäß eingestuft werden, da die Unregelmäßigkeit infolge der Anwendung der Bestimmung eingetreten ist, die eine neue Beschränkung darstellt.

101    Nach alledem ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls dahin auszulegen ist, dass der Erlass einer Neuregelung, die restriktiver ist als die Vorgängerregelung, mit der ihrerseits eine frühere Regelung gelockert wurde, die die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betraf, als „neue Beschränkung“ im Sinne dieses Artikels anzusehen ist.

 Kosten

102    Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Das Unionsrecht und insbesondere dessen Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehren, einem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.

2.      Art. 41 Abs. 1 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls ist dahin auszulegen, dass der Erlass einer Neuregelung, die restriktiver ist als die Vorgängerregelung, mit der ihrerseits eine frühere Regelung gelockert wurde, die die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats betraf, als „neue Beschränkung“ im Sinne dieses Artikels anzusehen ist.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch

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