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Document 62009CJ0356

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 18. November 2010.
Pensionsversicherungsanstalt gegen Christine Kleist.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberster Gerichtshof - Österreich.
Sozialpolitik - Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen - Richtlinie 76/207/EWG - Art. 3 Abs. 1 Buchst. c - Nationale Regelung, die die Kündigung von Arbeitnehmern erleichtert, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben - Ziel der Förderung der Beschäftigung jüngerer Menschen - Nationale Regelung, die das Pensionsalter für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre festlegt.
Rechtssache C-356/09.

European Court Reports 2010 I-11939

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:703

Rechtssache C‑356/09

Pensionsversicherungsanstalt

gegen

Christine Kleist

(Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs)

„Sozialpolitik – Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen – Richtlinie 76/207/EWG – Art. 3 Abs. 1 Buchst. c – Nationale Regelung, die die Kündigung von Arbeitnehmern erleichtert, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben – Ziel der Förderung der Beschäftigung jüngerer Menschen – Nationale Regelung, die das Pensionsalter für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre festlegt“

Leitsätze des Urteils

Sozialpolitik – Männliche und weibliche Arbeitnehmer – Zugang zur Beschäftigung und Arbeitsbedingungen – Gleichbehandlung – Richtlinie 76/207 – Nationale Regelung, die die Kündigung von Arbeitnehmern erleichtert, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben

(Richtlinie 76/207 des Rates, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c)

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die einem Arbeitgeber erlaubt, zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine von dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht.

(vgl. Randnr. 46 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

18. November 2010(*)

„Sozialpolitik – Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen – Richtlinie 76/207/EWG – Art. 3 Abs. 1 Buchst. c – Nationale Regelung, die die Kündigung von Arbeitnehmern erleichtert, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben – Ziel der Förderung der Beschäftigung jüngerer Menschen – Nationale Regelung, die das Pensionsalter für Frauen auf 60 Jahre und für Männer auf 65 Jahre festlegt“

In der Rechtssache C‑356/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 4. August 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 4. September 2009, in dem Verfahren

Pensionsversicherungsanstalt

gegen

Christine Kleist

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter), A. Rosas, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Rechtsanwalt A. Ehm,

–        von Frau Kleist, vertreten durch Rechtsanwalt H. Forcher-Mayr,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. September 2010

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/207).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Kleist und ihrem Arbeitgeber, der Pensionsversicherungsanstalt, über die Bedingungen für die Beendigung ihres Arbeitsvertrags.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Richtlinie 76/207, die durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Neufassung) (ABl. L 204, S. 23) mit Wirkung vom 15. August 2009 aufgehoben wurde, sah in Art. 2 vor:

„(1)      Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.

(2)      Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

–        ‚unmittelbare Diskriminierung‘: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

–        ‚mittelbare Diskriminierung‘: wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen, die einem Geschlecht angehören, in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich;

…“

4        Gemäß Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie bedeutet die „Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung …, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen … keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts … [in Bezug auf] die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG“ des Rates vom 10. Februar 1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen (ABl. L 45, S. 19) geben darf.

5        Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24) bestimmt:

„Diese Richtlinie steht nicht der Befugnis der Mitgliedstaaten entgegen, Folgendes von ihrem Anwendungsbereich auszuschließen:

a)      die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen;

…“

 Nationales Recht

6        Die §§ 1, 2 und 3 des Bundesverfassungsgesetzes über unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten vom 29. Dezember 1992 (BGBl 1992/832) lauten:

„§ 1. Gesetzliche Regelungen, die unterschiedliche Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Versicherten der gesetzlichen Sozialversicherung vorsehen, sind zulässig.

§ 2.      Beginnend mit 1. Jänner 2019 ist für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die vorzeitige Alterspension jährlich bis 2028 mit 1. Jänner um sechs Monate zu erhöhen.

§ 3.      Beginnend mit 1. Jänner 2024 ist für weibliche Versicherte die Altersgrenze für die Alterspension jährlich bis 2033 mit 1. Jänner um sechs Monate zu erhöhen.“

7        Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) vom 9. September 1955 (BGBl 189/1955) in geänderter Fassung gilt nach seinem § 270 sowohl für Arbeiter als auch für Angestellte. § 253 Abs. 1 ASVG sieht vor, dass die Versicherten nach Vollendung des Regelpensionsalters, das 65 Jahre für Männer und 60 Jahre für Frauen beträgt, Anspruch auf Alterspension haben, wenn die Wartezeit nach § 236 ASVG erfüllt ist.

8        Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass die (nach dem ASVG gewährte) gesetzliche Alterspension nach österreichischem Recht aus Gründen des weiter aufrechten Bestands eines Arbeitsverhältnisses oder der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit über das Alter hinaus, von dem an ein Anspruch auf diese Pension besteht, nicht gekürzt werden darf.

9        Der Kollektivvertrag, der auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, ist die Dienstordnung B für die Ärzte und Dentisten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (im Folgenden: DO.B). Dieser Kollektivvertrag schafft eine besondere Kündigungsregelung, wonach die Beschäftigten, deren Betriebszugehörigkeit zehn Jahre oder mehr beträgt, nur aus bestimmten Gründen gekündigt werden dürfen.

10      § 134 DO.B sieht vor:

„…

(2)      Unkündbare Ärzte haben Anspruch auf Versetzung in den Ruhestand, wenn

2.      Anspruch auf Alterspension gemäß § 253 ASVG … besteht …

(4)      Der Vorstand kann einen unkündbaren Arzt in den Ruhestand versetzen, wenn der Arzt

1.      die Voraussetzungen nach Abs. 2 Z … 2 … erfüllt …

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11      Frau Kleist, geboren im Februar 1948, war bei der Pensionsversicherungsanstalt als leitende Ärztin angestellt.

12      Die Pensionsversicherungsanstalt hat den Beschluss gefasst, alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die die Voraussetzungen für eine Versetzung in den Ruhestand nach der DO.B erfüllen, zu kündigen. Frau Kleist teilte ihrem Arbeitgeber mit Schreiben vom 9. Jänner 2007 mit, dass sie nicht die Absicht habe, nach Vollendung des 60. Lebensjahrs in Pension zu gehen, sondern bis 65 weiter arbeiten wolle. Der Arbeitgeber teilte ihr daraufhin mit Schreiben vom 6. Dezember 2007 mit, dass er ihre Versetzung in den Ruhestand zum 1. Juli 2008 beschlossen habe.

13      Frau Kleist focht ihre Kündigung vor dem Landesgericht Innsbruck an. Dessen klagsabweisendes Urteil vom 14. März 2008 wurde vom Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen mit Urteil vom 22. August 2008 abgeändert. Daraufhin legte die Pensionsversicherungsanstalt Revision beim Obersten Gerichtshof ein.

14      Der Oberste Gerichtshof betont, dass das durch die DO.B eingerichtete Kündigungssystem vom allgemeinen System nach österreichischem Recht abweicht, da Letzteres vorsieht, dass eine Kündigung im Allgemeinen keines Grundes bedarf. Er weist jedoch darauf hin, dass dadurch die Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes gegen missbräuchliche Kündigungen nicht ausgeschlossen ist, der nach österreichischem Recht unter bestimmten Voraussetzungen gilt, wenn durch diese Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden und der Arbeitgeber die Kündigung nicht durch betriebliche Gründe oder Gründe in der Person des Arbeitnehmers rechtfertigen kann.

15      Im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob die Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt, wird seine soziale Absicherung, insbesondere durch den Bezug einer Alterspension, berücksichtigt. Dieses Kriterium wird auch im Rahmen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmung der DO.B herangezogen, die dem Arbeitgeber gestattet, den im Vergleich zu der gesetzlichen Regelung verstärkten Kündigungsschutz gegenüber Arbeitnehmern, die über eine Alterspension verfügen, nicht anzuwenden, und damit die Einstellung jüngerer Arbeitnehmer ermöglicht.

16      Der Oberste Gerichtshof stellt sich die Frage, ob das Kriterium der sozialen Situation des Arbeitnehmers, auf das das österreichische Kündigungsrecht verweise, bei der Beurteilung der Vergleichbarkeit der Situation der Arbeitnehmer nicht ebenso zu berücksichtigen sei wie das Alterskriterium. Männer und Frauen seien insofern gleichgestellt, als sie, wenn sie über eine soziale Absicherung verfügten, den verstärkten Kündigungsschutz der DO.B verlören.

17      Insbesondere im Hinblick auf die Bedeutung des Spielraums der Mitgliedstaaten bei der Ausgestaltung beschäftigungspolitischer Maßnahmen seien die durch das Ausgangsverfahren aufgeworfenen Rechtsfragen durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht ausreichend erläutert worden, um dem vorlegenden Gericht den Erlass einer Entscheidung zu ermöglichen.

18      In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen, dass er – im Rahmen eines Arbeitsrechtssystems, das beim allgemeinen Kündigungsschutz der Arbeitnehmer auf deren soziale (finanzielle) Angewiesenheit auf den Arbeitsplatz abstellt – der Bestimmung eines Kollektivvertrags entgegensteht, die einen über den gesetzlichen allgemeinen Kündigungsschutz hinausgehenden besonderen Kündigungsschutz nur bis zu jenem Zeitpunkt vorsieht, in dem typischerweise eine soziale (finanzielle) Absicherung durch die Leistung einer Alterspension gegeben ist, wenn diese Alterspension für Männer und Frauen zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfällt?

2.      Steht Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 im Rahmen des dargestellten Arbeitsrechtssystems der Entscheidung eines öffentlichen Arbeitgebers entgegen, der eine Arbeitnehmerin wenige Monate nach dem Zeitpunkt kündigt, in dem sie eine Absicherung durch eine Alterspension hat, um neue am Arbeitsmarkt bereits andrängende Arbeitnehmer einzustellen?

 Zu den Vorlagefragen

19      Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die einem öffentlichen Arbeitgeber zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung erlaubt, Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht, eine von dieser Richtlinie verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt.

 Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

20      Nach Ansicht von Frau Kleist stellt die im Ausgangsverfahren streitige Regelung eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar, da sie einem Arbeitgeber gestatte, eine Arbeitnehmerin zwangsweise in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie das Alter erreiche, ab dem sie Anspruch auf eine Alterspension habe, nämlich 60 Jahre, obwohl der Anspruch auf eine solche Pension zu verschiedenen Zeitpunkten erworben werde, je nachdem, ob es sich bei dem Arbeitnehmer um einen Mann oder um eine Frau handele. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 müsse dahin ausgelegt werden, dass er einer solchen Regelung entgegenstehe.

21      Frau Kleist ersucht den Gerichtshof, sich auch zur Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16) zu äußern. Sie trägt vor, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegenstehe, weil sie überdies zu einer unmittelbaren Diskriminierung wegen des Alters führe.

22      Die Pensionsversicherungsanstalt macht geltend, dass die im Ausgangsverfahren streitige Regelung eine mittelbar auf dem Geschlecht beruhende unterschiedliche Behandlung festsetze, die im Hinblick auf das Ziel, die Beschäftigung jüngerer Menschen zu fördern, gerechtfertigt sei und demnach keine unzulässige Diskriminierung darstelle. Außerdem müsse eine Situation vermieden werden, in der Frauen einen Doppelbezug von Aktivgehalt und ASVG-Pension lukrieren könnten, während Männer diese Möglichkeit nicht hätten.

23      Die Europäische Kommission ist der Ansicht, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen sei, dass er der Bestimmung eines Kollektivvertrags entgegenstehe, die einen über den gesetzlichen allgemeinen Kündigungsschutz hinausgehenden besonderen Kündigungsschutz nur bis zu jenem Zeitpunkt vorsehe, in dem der Arbeitnehmer über eine soziale Absicherung verfüge, die ihm finanzielle Mittel verschaffe, was typischerweise durch die Leistung einer Alterspension gegeben sei, wenn der Anspruch auf diese Pension für Männer und Frauen zu unterschiedlichen Zeitpunkten anfalle, wobei das Ziel, die Beschäftigung jüngerer Menschen zu fördern, eine solche Regelung nicht rechtfertigen könne.

 Antwort des Gerichtshofs

24      Zunächst ist festzustellen, dass die Frage nach den Bedingungen für die Gewährung einer Alterspension und die nach den Bedingungen für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses unterschiedlich sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, Slg. 1986, 723, Randnr. 32).

25      Was die Bedingungen für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses betrifft, sieht Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 vor, dass die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung hinsichtlich der Entlassungsbedingungen bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf.

26      In diesem Zusammenhang fällt eine Altersgrenze für das obligatorische Ausscheiden der Arbeitnehmer im Rahmen einer allgemeinen Pensionierungspolitik eines Arbeitgebers unter den – weit auszulegenden – Begriff der Entlassung in dieser Bestimmung, auch wenn dieses Ausscheiden die Gewährung einer Altersrente mit sich bringt (vgl. entsprechend Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, Randnr. 34, und Beets-Proper, 262/84, Slg. 1986, 773, Randnr. 36).

27      Daraus folgt, dass das Ausgangsverfahren Entlassungsbedingungen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 betrifft, da Frau Kleist von ihrem Arbeitgeber entsprechend dessen Entscheidung, alle Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, zwangsweise in den Ruhestand versetzt wurde.

28      Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass eine allgemeine Entlassungspolitik, wonach eine Arbeitnehmerin nur aus dem Grund entlassen wird, weil sie das Alter erreicht oder überschritten hat, in dem sie Anspruch auf eine Altersrente erwirbt und das nach den nationalen Rechtsvorschriften für Männer und Frauen unterschiedlich ist, eine durch die Richtlinie 76/207/EWG verbotene Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Marshall, Randnr. 38).

29      Dazu ist, erstens, festzustellen, dass eine unmittelbare Diskriminierung nach Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 76/207 vorliegt, wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

30      Im vorliegenden Fall geht aus § 134 Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 1 der DO.B hervor, dass unkündbare Ärzte doch gekündigt werden dürfen, wenn sie einen Anspruch auf Alterspension gemäß § 253 ASVG erworben haben. Nach § 253 Abs. 1 ASVG haben Männer diesen Anspruch, wenn sie das Alter von 65 Jahren, und Frauen, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht haben. Folglich dürfen Arbeitnehmer weiblichen Geschlechts gekündigt werden, wenn sie das Alter von 60 Jahren erreicht haben, während Arbeitnehmer männlichen Geschlechts erst im Alter von 65 Jahren gekündigt werden dürfen.

31      Da das von diesen Bestimmungen verwendete Kriterium vom Geschlecht der Arbeitnehmer nicht zu trennen ist, liegt demnach entgegen dem Vorbringen der Pensionsversicherungsanstalt eine Ungleichbehandlung vor, die unmittelbar auf das Geschlecht gestützt ist.

32      Es ist, zweitens, zu prüfen, ob sich die Arbeitnehmer weiblichen Geschlechts im Alter von 60 bis 65 Jahren in einem solchen Zusammenhang, wie er von diesen Bestimmungen geregelt wird, in einer Situation befinden, die mit der der Arbeitnehmer männlichen Geschlechts derselben Altersgruppe im Sinne von Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 76/207 vergleichbar ist.

33      Hierzu stellt sich das vorlegende Gericht im Wesentlichen die Frage, ob der Umstand, dass die Arbeitnehmer weiblichen Geschlechts im Alter von 60 bis 65 Jahren über eine soziale Absicherung in Form der gesetzlichen Alterspension verfügen, der Situation dieser Arbeitnehmer im Vergleich zu der Situation von Arbeitnehmern männlichen Geschlechts derselben Altersgruppe, die nicht über eine solche Absicherung verfügen, nicht einen besonderen Charakter verleihen kann.

34      Die Vergleichbarkeit solcher Situationen ist u. a. im Hinblick auf das Ziel der Regelung zu prüfen, die die Ungleichbehandlung festsetzt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. Dezember 2004, Hlozek, C‑19/02, Slg. 2004, I‑11491, Randnr. 46, und entsprechend vom 16. Dezember 2008, Arcelor Atlantique et Lorraine u. a., C‑127/07, Slg. 2008, I‑9895, Randnr. 26).

35      Die Regelung, die im Ausgangsverfahren die streitige Ungleichbehandlung festsetzt, soll die Bedingungen festlegen, unter denen die Arbeitnehmer ihre Beschäftigung verlieren können.

36      Im Ausgangsverfahren steht im Gegensatz zu den Rechtssachen, in denen die Urteile vom 9. November 1993, Roberts (C‑132/92, Slg. 1993, I‑5579, Randnr. 20), und Hlozek (Randnr. 48) ergangen sind, der Vorteil der weiblichen Arbeitnehmer, der darin besteht, dass sie ihre Alterspension in einem Alter beanspruchen können, das fünf Jahre unter dem für männliche Arbeitnehmer festgelegten Alter liegt, in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel der Regelung, die eine Ungleichbehandlung festsetzt.

37      Dieser Vorteil kann die weiblichen Arbeitnehmer nämlich nicht in eine besondere Situation im Vergleich zu den männlichen Arbeitnehmern bringen, da sich Männer und Frauen hinsichtlich der Bedingungen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in der gleichen Situation befinden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 1986, Roberts, 151/84, Slg. 1986, 703, Randnr. 36).

38      Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, ergibt sich außerdem der in Randnr. 33 des vorliegenden Urteils genannte Umstand daraus, dass die Republik Österreich gemäß der in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7 vorgesehenen Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung ein System einrichten wollte, das einen Unterschied in Bezug auf das gesetzliche Pensionsalter für Männer und Frauen vorsieht, um die gesellschaftliche, familiäre und ökonomische Benachteiligung der Frauen auszugleichen.

39      Der Gerichtshof hat aber wiederholt entschieden, dass die in dieser Bestimmung enthaltene Ausnahme vom Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts angesichts der grundlegenden Bedeutung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in dem Sinne eng auszulegen ist, dass sie nur für die Festsetzung des Rentenalters für die Gewährung der Alters- oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen der sozialen Sicherheit gelten kann (vgl. in diesem Sinne Urteile Marshall, Randnr. 36, vom 21. Juli 2005, Vergani, C‑207/04, Slg. 2005, I‑7453, Randnr. 33, und vom 27. April 2006, Richards, C‑423/04, Slg. 2006, I‑3585, Randnr. 36).

40      Da die im Ausgangsverfahren streitige Regelung, wie sich aus Randnr. 27 des vorliegenden Urteils ergibt, den Bereich der Entlassung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 und nicht die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 79/7 genannten Auswirkungen betrifft, gilt die Ausnahme nicht für diese Regelung.

41      Drittens trifft die Richtlinie 76/207 eine Unterscheidung zwischen der unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts und der sogenannten „mittelbaren“ Diskriminierung dahin, dass nach ihrem Art. 2 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich nur die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die eine mittelbare Diskriminierung darstellen können, der Einstufung als Diskriminierung entgehen können, wenn sie „durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel … zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich [sind]“. Eine solche Möglichkeit ist hingegen für Ungleichbehandlungen, die eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 erster Gedankenstrich dieser Richtlinie darstellen können, nicht vorgesehen.

42      Da zum einen die Ungleichbehandlung, die durch eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige geschaffen wurde, unmittelbar auf dem Geschlecht beruht, obwohl, wie aus Randnr. 37 des vorliegenden Urteils hervorgeht, die Situation von Frauen und Männern im vorliegenden Fall gleich ist, und zum anderen die Richtlinie 76/207 keine im vorliegenden Fall anwendbare Ausnahme vom Grundsatz der Gleichbehandlung enthält, ist diese Ungleichbehandlung unter diesen Umständen als unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Vergani, Randnr. 34).

43      Diese Ungleichbehandlung kann daher nicht, wie die Pensionsversicherungsanstalt geltend macht, durch das Ziel gerechtfertigt werden, die Beschäftigung jüngerer Menschen zu fördern.

44      Was schließlich eine eventuelle Diskriminierung aufgrund des Alters im Sinne der Richtlinie 2000/78 angeht, ist darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 234 EG das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen hat (vgl. u. a. Urteil vom 12. Oktober 2010, Rosenbladt, C‑45/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 32).

45      Da das vorlegende Gericht den Gerichtshof nicht nach der Auslegung dieser Richtlinie gefragt hat und aus dem Vorlagebeschluss auch nicht hervorgeht, dass das Vorliegen einer solchen Diskriminierung im Rahmen des Ausgangsverfahrens behauptet wurde, erscheint die Prüfung dieser Fragestellung für die Entscheidung im Ausgangsverfahren nicht sachdienlich.

46      Auf die Vorlagefragen ist daher zu antworten, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die einem Arbeitgeber erlaubt, zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine von dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht.

 Kosten

47      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung, die einem Arbeitgeber erlaubt, zur Förderung des Zugangs jüngerer Menschen zur Beschäftigung Arbeitnehmer zu kündigen, die einen Anspruch auf Alterspension erworben haben, eine von dieser Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts darstellt, wenn Frauen diesen Anspruch in einem Alter erwerben, das fünf Jahre niedriger ist als das Alter, in dem der Anspruch für Männer entsteht.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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