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Document 62009CJ0227

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 21. Oktober 2010.
Antonino Accardo und andere gegen Comune di Torino.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunale ordinario di Torino, Sezione Lavoro - Italien.
Sozialpolitik - Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer - Arbeitszeitgestaltung - Polizisten der Gemeindepolizei - Richtlinie 93/104/EG - Richtlinie 93/104/EG in der durch die Richtlinie 2000/34/EG geänderten Fassung - Richtlinie 2003/88/EG - Art. 5, 17 und 18 - Wöchentliche Höchstarbeitszeit - Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene - Abweichungen betreffend verlegte wöchentliche Ruhezeit und Ausgleichsruhezeit - Unmittelbare Wirkung - Unionsrechtskonforme Auslegung.
Rechtssache C-227/09.

European Court Reports 2010 I-10273

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:624

Rechtssache C-227/09

Antonino Accardo u. a.

gegen

Comune di Torino

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale ordinario di Torino)

„Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Polizisten der Gemeindepolizei – Richtlinie 93/104/EG – Richtlinie 93/104/EG in der durch die Richtlinie 2000/34/EG geänderten Fassung – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 5, 17 und 18 – Wöchentliche Höchstarbeitszeit – Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene – Abweichungen betreffend verlegte wöchentliche Ruhezeit und Ausgleichsruhezeit – Unmittelbare Wirkung – Unionsrechtskonforme Auslegung“

Leitsätze des Urteils

1.        Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Richtlinie 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

(Richtlinie 2000/34 des Europäischen Parlaments und des Rates; Richtlinie 93/104 des Rates, Art. 17 Abs. 3)

2.        Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer –Richtlinien 93/104 und 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

(Richtlinien 2000/34 und 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 17 und 18; Richtlinie 93/104 des Rates, Art. 17)

3.        Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Richtlinien 93/104 und 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung

(Richtlinien 2000/34 und 2003/88 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 17 und 18; Richtlinie 93/104 des Rates, Art. 17)

1.        Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in der durch die Richtlinie 2000/34 geänderten Fassung, kommt gegenüber Abs. 2 dieses Artikels autonome Bedeutung zu, so dass ein Beruf auch dann unter die in Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 in den erwähnten zwei Fassungen vorgesehene Abweichung fallen kann, wenn er in diesem Abs. 2 nicht aufgezählt ist.

(vgl. Randnr. 36, Tenor 1)

2.        Eine Berufung auf die fakultativen Abweichungen, die in Art. 17 der Richtlinie 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in der durch die Richtlinie 2000/34 geänderten Fassung, sowie gegebenenfalls in den Art. 17 und/oder 18 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehen sind, gegenüber Einzelnen ist nicht möglich. Diese Bestimmungen sind außerdem nicht dahin auszulegen, dass sie es unmittelbar erlauben oder es verbieten, Tarifverträge, die von den Regeln abweichen, mit denen Art. 5 dieser Richtlinien umgesetzt wird, anzuwenden, da deren Anwendung vom innerstaatlichen Recht abhängt.

(vgl. Randnrn. 47, 53-54, 59, Tenor 2)

3.        Da die in Art. 17 der Richtlinien 93/104 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in der durch die Richtlinie 2000/34 geänderten Fassung, sowie gegebenenfalls in den Art. 17 und/oder 18 der Richtlinie 2003/88 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung enthaltenen Abweichungen fakultativ sind, verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht zu ihrer Umsetzung in das nationale Recht. Um die in diesen Bestimmungen vorgesehene Befugnis in Anspruch nehmen zu können, unter bestimmten Umständen von den Erfordernissen nach insbesondere Art. 5 dieser Richtlinien abzuweichen, müssen die Mitgliedstaaten die Entscheidung treffen, sich auf sie zu berufen.

Es ist Sache der Mitgliedstaaten, hierfür die Rechtsetzungstechnik zu wählen, die ihnen am geeignetsten erscheint, wobei sie zu beachten haben, dass solche Abweichungen nach dem Wortlaut der in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen selbst insbesondere im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern vorgenommen werden dürfen.

Die Mitgliedstaaten müssen, wenn ihnen das Unionsrecht die Befugnis einräumt, von manchen Bestimmungen einer Richtlinie abzuweichen, ihr Ermessen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ausüben, zu denen der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört. In dieser Hinsicht müssen Bestimmungen, die fakultative Abweichungen von den Grundsätzen einer Richtlinie erlauben, mit der Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden, die erforderlich sind, um den Erfordernissen dieses Grundsatzes zu genügen.

(vgl. Randnrn. 51-52, 55)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

21. Oktober 2010(*)

„Sozialpolitik – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer – Arbeitszeitgestaltung – Polizisten der Gemeindepolizei – Richtlinie 93/104/EG – Richtlinie 93/104/EG in der durch die Richtlinie 2000/34/EG geänderten Fassung – Richtlinie 2003/88/EG – Art. 5, 17 und 18 – Wöchentliche Höchstarbeitszeit – Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene – Abweichungen betreffend verlegte wöchentliche Ruhezeit und Ausgleichsruhezeit – Unmittelbare Wirkung – Unionsrechtskonforme Auslegung“

In der Rechtssache C‑227/09

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunale ordinario di Torino, Sezione Lavoro (Italien) mit Entscheidung vom 3. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juni 2009, in dem Verfahren

Antonino Accardo,

Viola Acella,

Antonio Acuto,

Domenico Ambrisi,

Paolo Battaglino,

Riccardo Bevilacqua,

Fabrizio Bolla,

Daniela Bottazzi,

Roberto Brossa,

Luigi Calabro,

Roberto Cammardella,

Michelangelo Capaldi,

Giorgio Castellaro,

Davide Cauda,

Tatiana Chiampo,

Alessia Ciaravino,

Alessandro Cicero,

Paolo Curtabbi,

Paolo Dabbene,

Mauro D’Angelo,

Giancarlo Destefanis,

Mario Di Brita,

Bianca Di Capua,

Michele Di Chio,

Marina Ferrero,

Gino Forlani,

Giovanni Galvagno,

Sonia Genisio,

Laura Dora Genovese,

Sonia Gili,

Maria Gualtieri,

Gaetano La Spina,

Maurizio Loggia,

Giovanni Lucchetta,

Sandra Magoga,

Manuela Manfredi,

Fabrizio Maschio,

Sonia Mignone,

Daniela Minissale,

Domenico Mondello,

Veronnica Mossa,

Plinio Paduano,

Barbaro Pallavidino,

Monica Palumbo,

Michele Paschetto,

Frederica Peinetti,

Nadia Pizzimenti,

Gianluca Ponzo,

Enrico Pozzato,

Gaetano Puccio,

Danilo Ranzani,

Pergianni Risso,

Luisa Rossi,

Paola Sabia,

Renzo Sangiano,

Davide Scagno,

Paola Settia,

Raffaella Sottoriva,

Rossana Trancuccio,

Fulvia Varotto,

Giampiero Zucca,

Fabrizio Lacognata,

Guido Mandia,

Luigi Rigon,

Daniele Sgavetti

gegen

Comune di Torino

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Arabadjiev, U. Lõhmus und A. Ó Caoimh (Berichterstatter) sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. Juni 2010,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Herrn Accardo u. a., vertreten durch R. Lamacchia, avvocato,

–        von Herrn Lacognata u. a., vertreten durch A. Grespan, avvocatessa,

–        der Comune di Torino, vertreten durch M. Li Volti, S. Tuccari und A. Melidoro, avvocatesse,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante und L. Ventrella, avvocati dello Stato,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadrouška als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek und C. Cattabriga als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 5, 17 und 18 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 307, S. 18).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Accardo u. a. sowie Herrn Lacognata u. a. auf der einen Seite und der Comune di Torino auf der anderen Seite wegen einer Klage auf Ersatz des Schadens, den die Kläger in den Jahren 1998–2007 wegen der Nichteinhaltung der wöchentlichen Ruhezeiten, die den Polizisten der Gemeindepolizei von Turin hätten gewährt werden müssen, erlitten haben sollen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Die Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) ist die Rahmenrichtlinie, in der die allgemeinen Grundsätze in Bezug auf Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer festgelegt sind. Diese Grundsätze sind später durch eine Reihe von Einzelrichtlinien fortentwickelt worden, zu denen die Richtlinie 93/104, die Richtlinie 93/104 in der durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 (ABl. L 195, S. 41) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung) und die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9) (im Folgenden gemeinsam: Arbeitszeitrichtlinien) gehören.

4        Art. 2 der Richtlinie 89/391 definiert ihren Anwendungsbereich wie folgt:

„(1)      Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2)      Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.“

5        Die Richtlinie 93/104 wurde zunächst durch die Richtlinie 2000/34 geändert. In weiterer Folge wurde die so geänderte Richtlinie 93/104 mit Wirkung zum 2. August 2004 durch die sie kodifizierende Richtlinie 2003/88 aufgehoben und ersetzt.

6        Art. 1 („Gegenstand und Anwendungsbereich“) der Arbeitszeitrichtlinien bestimmt:

„(1)      Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.

(2)      Gegenstand dieser Richtlinie sind

a)      die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten, der Mindestjahresurlaub, die Ruhepausen und die wöchentliche Höchstarbeitszeit sowie

b)      bestimmte Aspekte der Nacht- und der Schichtarbeit sowie des Arbeitsrhythmus.

(3)      Diese Richtlinie gilt unbeschadet … für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG.

(4)      Die Bestimmungen der Richtlinie 89/391/EWG finden unbeschadet strengerer und/oder spezifischer Vorschriften in der vorliegenden Richtlinie auf die in Absatz 2 genannten Bereiche voll Anwendung.“

7        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Arbeitszeitrichtlinien sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.      Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

2.      Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

…“

8        Die Art. 3 bis 7 der Arbeitszeitrichtlinien sehen die Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten zu treffen haben, damit jedem Arbeitnehmer tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten sowie bezahlter Jahresurlaub gewährt werden. In ihnen sind außerdem die Pausenzeiten und die wöchentliche Höchstarbeitszeit geregelt.

9        Nach Art. 3 („Tägliche Ruhezeit“) der Arbeitszeitrichtlinien „[treffen die] Mitgliedstaaten … die erforderlichen Maßnahmen, damit jedem Arbeitnehmer pro 24-Stunden-Zeitraum eine Mindestruhezeit von elf zusammenhängenden Stunden gewährt wird“.

10      Was die wöchentliche Ruhezeit betrifft, sieht Art. 5 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinien vor, dass die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Maßnahmen [treffen], damit jedem Arbeitnehmer pro Siebentageszeitraum eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden zuzüglich der täglichen Ruhezeit von elf Stunden gemäß Artikel 3 gewährt wird“. Aus Art. 5 geht ferner hervor, dass, wenn objektive, technische oder arbeitsorganisatorische Umstände dies rechtfertigen, eine Mindestruhezeit von 24 Stunden gewählt werden kann.

11      Art. 16 der Arbeitszeitrichtlinien setzt für die Anwendung ihres Art. 5 einen Bezugszeitraum bis zu 14 Tagen fest.

12      Die Arbeitszeitrichtlinien sehen aufgrund der Besonderheiten bestimmter Tätigkeiten unter gewissen Voraussetzungen eine Reihe von Abweichungen von mehreren ihrer Grundregeln vor.

13      Hierzu bestimmt Art. 17 der Richtlinie 93/104 und der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung:

„…

(2)      Sofern die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher gleichwertiger Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten, kann im Wege von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern abgewichen werden:

2.1      von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16:

b)      für den Wach- und Schließdienst sowie die Dienstbereitschaft, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Sachen und Personen zu gewährleisten, und zwar insbesondere in Bezug auf Wachpersonal oder Hausmeister oder Wach- und Schließunternehmen;

c)      bei Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss, und zwar insbesondere bei

iii)      Presse-, Rundfunk-, Fernsehdiensten oder kinematografischer Produktion, Post oder Telekommunikation, Ambulanz-, Feuerwehr- oder Katastrophenschutzdiensten,

(3)      Von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 kann abgewichen werden im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene oder, bei zwischen den Sozialpartnern getroffenen Abmachungen, im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen Sozialpartnern auf niedrigerer Ebene.

Mitgliedstaaten, in denen es keine rechtliche Regelung gibt, wonach über die in dieser Richtlinie geregelten Fragen zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene Tarifverträge oder Vereinbarungen geschlossen werden können, oder Mitgliedstaaten, in denen es einen entsprechenden rechtlichen Rahmen gibt und innerhalb dessen Grenzen können im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten Abweichungen von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 durch Tarifverträge oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf geeigneter kollektiver Ebene zulassen.

Die Abweichungen gemäß den Unterabsätzen 1 und 2 sind nur unter der Voraussetzung zulässig, dass die betroffenen Arbeitnehmer gleichwertige Ausgleichsruhezeiten oder in Ausnahmefällen, in denen die Gewährung solcher Ausgleichsruhezeiten aus objektiven Gründen nicht möglich ist, einen angemessenen Schutz erhalten.

Die Mitgliedstaaten können Vorschriften vorsehen

–        für die Anwendung dieses Absatzes durch die Sozialpartner und

–        für die Erstreckung der Bestimmungen von gemäß diesem Absatz geschlossenen Tarifverträgen oder Vereinbarungen auf andere Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten.

…“

14      Gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 93/104 und der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft setzen, um dieser spätestens am 23. November 1996 nachzukommen, oder sich spätestens zu diesem Zeitpunkt vergewissern, dass die Sozialpartner mittels Vereinbarungen die erforderlichen Bestimmungen eingeführt hatten; dabei waren die Mitgliedstaaten gehalten, die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, damit sie jederzeit gewährleisten konnten, dass die von der genannten Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt wurden.

15      Wie aus Randnr. 5 des vorliegenden Urteils hervorgeht, wurde die Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung mit Wirkung zum 2. August 2004 durch die Richtlinie 2003/88 aufgehoben und ersetzt. Mit der Richtlinie 2003/88 sollen laut ihrem ersten Erwägungsgrund die Bestimmungen der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung aus Gründen der Übersichtlichkeit und Klarheit kodifiziert werden. So wurden der Inhalt und die Nummerierung insbesondere der Art. 1 bis 3, 5 und 16 ohne Änderung in die Richtlinie 2003/88 übernommen. Die Nrn. 2.1 und 2.2 von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung sind nunmehr auf die Abs. 2 und 3 von Art. 17 der Richtlinie 2003/88 aufgeteilt. Abs. 3 von Art. 17 der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung wurde in Art. 18 der Richtlinie 2003/88 übernommen.

 Nationales Recht

16      Laut der Vorlageentscheidung setzt sich der im Ausgangsverfahren streitige Zeitraum 1998–2007, was das anwendbare nationale Recht anbelangt, aus drei verschiedenen Abschnitten zusammen.

17      Zunächst beruhte bis zum 29. April 2003 das Recht des Arbeitnehmers auf wöchentliche Ruhezeit zum einen auf Art. 36 Abs. 3 der Verfassung, wonach „[d]er Arbeitnehmer … Anspruch auf wöchentliche Ruhezeit [hat] und … darauf nicht verzichten [kann]“, und zum anderen auf Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile, wonach „[d]er Arbeitnehmer … Anspruch auf einen Ruhetag pro Woche [hat], der regelmäßig auf den Sonntag fällt“. Aus den von Herrn Accardo u. a. beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen geht hervor, dass diese beiden Bestimmungen lange vor dem Erlass der Richtlinie 93/104 bekannt gemacht wurden.

18      Danach beruhte ab dem 29. April 2003, dem Tag des Inkrafttretens des Decreto legislativo Nr. 66 vom 8. April 2003 zur Umsetzung der Richtlinien 93/104/EG und 2000/34/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ordentliche Beilage zur GURI Nr. 87 vom 14. April 2003, im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 66/2003), die allgemeine Regelung der wöchentlichen Ruhezeit auf Art. 9 Abs. 1 dieses Dekrets, der das Recht des Arbeitnehmers auf Gewährung einer regelmäßig auf den Sonntag fallenden Ruhezeit von mindestens 24 zusammenhängenden Stunden alle sieben Tage zuzüglich der Stunden der täglichen Ruhezeit nach Art. 7 dieses Dekrets vorsieht. Nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. b und Art. 17 Abs. 4 dieses Dekrets kann durch Tarifverträge von diesem Recht abgewichen werden, sofern gleichwertige Ausgleichsruhezeiten gewährt werden.

19      Schließlich sind seit dem 1. September 2004 nach einer durch Art. 1 Abs. 1 Buchst. b des Decreto legislativo Nr. 213 vom 19. Juli 2004 zur Änderung und Ergänzung des Decreto legislativo Nr. 66 vom 8. April 2003 betreffend die Strafbestimmungen auf dem Gebiet der Arbeitszeit (GURI Nr. 192 vom 17. August 2004, im Folgenden: Decreto legislativo Nr. 213/2004) bewirkten Änderung die Bestimmungen des Decreto legislativo Nr. 66/2003 nicht mehr auf die Polizisten der Gemeindepolizei anwendbar.

20      Sowohl vor dem Inkrafttreten des Decreto legislativo Nr. 66/2003 als auch nach Erlass des Decreto legislativo Nr. 213/2004 wurden durch drei „nationale Tarifverträge“ des Tätigkeitsbereichs Gebietskörperschaften, die jeweils in den Jahren 1987, 2000 und 2001 geschlossen wurden (im Folgenden gemeinsam: Tarifverträge des Ausgangsverfahrens), für die Polizisten der Gemeindepolizei geltende Abweichungen von den ordentlichen Regeln für die wöchentliche Ruhezeit vorgesehen. Jeder dieser Verträge sah für einen „Bediensteten, der aufgrund besonderer dienstlicher Erfordernisse“ nicht in den Genuss der wöchentlichen Ruhezeit kam, einen „Anspruch auf Ausgleichsruhezeit [vor], die regelmäßig innerhalb von 15 Tagen, jedenfalls aber innerhalb der nachfolgenden zwei Monate zu gewähren ist“. Ferner sah der im Jahr 1987 geschlossene Tarifvertrag für diese Bediensteten eine Erhöhung ihres täglichen Normalentgelts um 20 % vor, während die entsprechende Erhöhung, die die in den Jahren 2000 und 2001 geschlossenen Tarifverträge vorsahen, 50 % betrug.

21      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass sich die Kläger des Ausgangsverfahrens auf die Art. 1418 und 1419 des Codice civile berufen; diese sähen die Nichtigkeit von Vertragsbestimmungen vor, die „gegen zwingende Vorschriften verstoßen“, und bestimmten zugleich, dass solche Bestimmungen „von Rechts wegen durch diese zwingenden Vorschriften ersetzt werden“.

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

22      Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind Polizisten bei der Gemeindepolizei der Comune di Torino und im Ausmaß von 35 Stunden pro Woche beschäftigt. Sie wurden in den Jahren 1998–2007 zu Schichtdiensten herangezogen, nach denen vorgesehen war, dass einmal alle fünf Wochen an sieben aufeinanderfolgenden Arbeitstagen gearbeitet wird, laut der Vorlageentscheidung gefolgt von einer Ausgleichsruhezeit, so dass die Ruhezeit nicht gestrichen, sondern einfach verlegt worden sei.

23      Dieses Schichtsystem und die Verlegung der Ruhezeit des siebten Tages der fünften Woche waren das Ergebnis eines Gewerkschaftsabkommens vom 2. Juli 1986 zwischen der Gemeindeverwaltung und den lokalen Vertretern der wichtigsten italienischen gewerkschaftlichen Organisationen (im Folgenden: Abkommen von 1986).

24      Mit Klage beim vorlegenden Gericht nahmen die Kläger des Ausgangsverfahrens die Comune di Torino auf Ersatz des Schadens in Anspruch, den sie durch psychophysischen Verschleiß wegen Nichteinhaltung der – nach innerstaatlichem Recht jedoch vorgesehenen – wöchentlichen Ruhezeit erlitten haben sollen, weil sie an sieben aufeinanderfolgenden Tagen gearbeitet hätten und ihnen danach nur ein Ruhetag in Form von Ausgleichsruhezeit gewährt worden sei. Als Klagegrund machten sie geltend, dass Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile zwingende Vorschriften seien und daher die einschlägigen Bestimmungen des Abkommens von 1986 sowie der Tarifverträge des Ausgangsverfahrens wegen des Fehlens anlassbezogener gesetzlicher Vorkehrungen als unzulässig anzusehen seien.

25      Die Comune di Torino hielt dem entgegen, dass nach Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 von der in Art. 5 der Richtlinie 93/104 geregelten wöchentlichen Ruhezeit im Wege von Tarifverträgen oder zwischen den Sozialpartnern auf nationaler oder regionaler Ebene abgeschlossenen Vereinbarungen abgewichen werden könne und diese Abweichungen unter der Voraussetzung zulässig seien, dass den betroffenen Arbeitnehmern gleichwertige Ausgleichsruhezeiten gewährt würden.

26      Die Kläger des Ausgangsverfahrens stellen jedoch sowohl die unmittelbare Wirkung von Art. 17 der Richtlinie 93/104 vor Erlass des Decreto legislativo Nr. 66/2003 als auch die Anwendbarkeit von Abs. 3 dieses Artikels auf Gemeindepolizisten in Frage. Dieser Tätigkeitsbereich sei nämlich in der Aufzählung in Art. 17 Abs. 2 Nr. 2.1 der Richtlinie 93/104 nicht ausdrücklich erwähnt, und für ihn bestehe daher auch nicht die in Abs. 3 dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit der Abweichung. Letztere Möglichkeit sei nicht autonom, sondern nur eine nähere Konkretisierung von Art. 17 Abs. 2.

27      Außerdem sei jedenfalls das gesamte Decreto legislativo Nr. 66/2003 nach der durch das Decreto legislativo Nr. 213/2004 bewirkten Änderung auf die Gemeindepolizei nicht mehr anwendbar, was ihnen gegenüber zur Unanwendbarkeit von Art. 17 der Richtlinie 93/104 und erneut zur Anwendbarkeit von Art. 36 der Verfassung und Art. 2109 des Codice civile führe.

28      Unter diesen Umständen hat das Tribunale ordinario di Torino, Sezione Lavoro, das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Sind die Art. 5, 17 und 18 der Richtlinie 93/104 dahin auszulegen, dass sie im innerstaatlichen Recht unabhängig von ihrer förmlichen Umsetzung oder von innerstaatlichen Vorschriften, die ihre Anwendbarkeit auf bestimmte Berufskategorien einschränken, in einem Rechtsstreit, in dem ein Tätigwerden der Sozialpartner im Einklang mit dieser Richtlinie festgestellt wird, unmittelbar anwendbar sind?

2.      Ist das Gericht des Mitgliedstaats unabhängig von einer solchen unmittelbaren Wirkung jedenfalls verpflichtet, eine noch nicht umgesetzte Richtlinie oder, nach ihrer Umsetzung, eine Richtlinie, deren Wirksamkeit durch innerstaatliche Vorschriften ausgeschlossen scheint, als Auslegungsmaßstab und damit als Bezugspunkt für die Behebung möglicher Auslegungszweifel heranzuziehen?

3.      Ist es dem Gericht eines Mitgliedstaats verwehrt, die Unzulässigkeit eines Verhaltens festzustellen und deshalb Schadensersatz zuzusprechen, wenn dieses Verhalten von den Sozialpartnern gestattet worden ist und diese Gestattung mit dem Gemeinschaftsrecht, wenn auch in Form einer nicht umgesetzten Richtlinie, im Einklang steht?

4.      Ist Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 dahin auszulegen, dass er ein Einschreiten der Sozialpartner und die Einführung einer abweichenden Regelung der wöchentlichen Ruhezeit durch diese in autonomer Weise, d. h. gänzlich losgelöst von Abs. 2 und von der dortigen Aufzählung von Berufen und Tätigkeiten, gestattet?

 Zu den Vorlagefragen

29      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Vorlageentscheidung zwar nur auf die ursprüngliche Fassung der Richtlinie 93/104 ausdrücklich Bezug nimmt; aus der Akte geht jedoch hervor, dass im für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum die Arbeitszeitrichtlinien, jeweils aufeinanderfolgend, in Kraft waren. Dieser Umstand ist bei der Beantwortung der Vorlagefragen gegebenenfalls zu berücksichtigen.

 Zur vierten Frage

30      Mit seiner vierten Frage, die zuerst zu behandeln ist, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 gegenüber Abs. 2 dieses Artikels autonome Bedeutung zukommt, so dass ein Beruf, obwohl er in diesem Abs. 2 nicht aufgezählt ist, unter die in Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 vorgesehene Abweichung fallen kann.

31      Wie insbesondere aus Randnr. 26 des vorliegenden Urteils hervorgeht, hat diese Frage ihren Ursprung im Vorbringen der Kläger des Ausgangsverfahrens, dass Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 nicht losgelöst von Abs. 2 dieses Artikels auszulegen oder anzuwenden sei. Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 könne nicht dahin ausgelegt werden, dass er weiter reichende Abweichungen als die gestatte, die in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehen seien, und somit eine eigene und autonome abweichende Regelung enthalte.

32      Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

33      Wie nämlich die Comune di Torino, die italienische und die tschechische Regierung sowie die Europäische Kommission im Wesentlichen vertreten, ist der Systematik und dem Wortlaut von Art. 17 der Richtlinie 93/104 und der Richtlinie 93/104 in der geänderten Fassung kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich seines Abs. 3 durch den seines Abs. 2 bedingt wäre.

34      Wie ferner die Kommission hervorhebt, enthalten zum einen diese Absätze keine Verweise aufeinander und werden zum anderen in diesen Absätzen für jede einzelne Kategorie erlaubter Abweichungen die identischen Voraussetzungen, von denen die Möglichkeit der Verlegung der wöchentlichen Ruhezeit in allen Fällen abhängt, wiedergegeben.

35      Wie außerdem aus Randnr. 15 des vorliegenden Urteils hervorgeht, wurde Art. 17 Abs. 3 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung anlässlich der Kodifizierung durch die Richtlinie 2003/88 wortgleich in einen neuen Art. 18 übernommen, während der Inhalt von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung auf die Abs. 2 und 3 von Art. 17 der Richtlinie 2003/88 aufgeteilt wurde. Daraus folgt, dass der Unionsgesetzgeber der Ansicht war, dass die Abs. 2 und 3 von Art. 17 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung verschieden ausgelegt werden können oder sogar müssen, so dass sie anlässlich der Kodifizierung voneinander getrennt werden konnten.

36      Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Art. 17 Abs. 3 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung gegenüber Abs. 2 dieses Artikels autonome Bedeutung zukommt, so dass ein Beruf auch dann unter die in Art. 17 Abs. 3 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung vorgesehene Abweichung fallen kann, wenn er in diesem Abs. 2 nicht aufgezählt ist.

 Zu den ersten drei Fragen

37      Wie aus der Vorlageentscheidung u. a. hervorgeht, steht im Ausgangsverfahren außer Streit, dass für den Zeitraum vom 29. April 2003 bis 29. August 2004 das Decreto legislativo Nr. 66/2003 im Einklang mit Art. 17 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung grundsätzlich gestattete, im Rahmen des im Jahr 2001 geschlossenen Tarifvertrags von der in Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile vorgesehenen wöchentlichen Ruhezeit abzuweichen.

38      Aus der Vorlageentscheidung geht jedoch ferner hervor, dass es diese Bestimmungen der Verfassung und des Codice civile außerhalb dieses Zeitraums der Comune di Torino verwehren können, sich zu ihrer Verteidigung rechtmäßig auf die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens zu stützen, um das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Schichtsystem zu rechtfertigen, das im Einklang mit dem Abkommen von 1986 insbesondere vorsieht, dass die Ruhezeit des siebten Tages der fünften Woche verlegt wird.

39      Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht hat, fallen die unter gewöhnlichen Umständen von den Dienststellen der Gemeindepolizei ausgeübten Tätigkeiten in den Anwendungsbereich der Richtlinie 89/391 und aufgrund des Verweises auf Art. 2 dieser Richtlinie in Art. 1 Abs. 3 der Arbeitszeitrichtlinien in deren Anwendungsbereich (vgl. entsprechend u. a. Beschluss vom 14. Juli 2005, Personalrat der Feuerwehr Hamburg, C‑52/04, Slg. 2005, I‑7111, Randnrn. 51 bis 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Aus der dem Gerichtshof vorgelegten Akte scheint hervorzugehen, dass Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile, insbesondere wenn sie im Einklang mit den Erfordernissen nach den Art. 3 und 16 der Richtlinie 93/104 angewandt werden, die Umsetzung von Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinien in das italienische Recht darstellen können, was zu überprüfen erforderlichenfalls Sache des vorlegenden Gerichts ist. Jedenfalls ist vor dem Gerichtshof nicht vorgebracht worden, dass diese nationalen Bestimmungen den Anforderungen des erwähnten Art. 5 nicht entsprächen.

41      Hingegen geht das nationale Gericht in der Vorlageentscheidung zwar von der Prämisse aus, dass die fakultativen Abweichungen, die Art. 17 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der geänderten Fassung oder die Art. 17 und 18 der Richtlinie 2003/88 (im Folgenden gemeinsam: in Rede stehende abweichende Bestimmungen) vorsähen, das im Abkommen von 1986 vorgesehene System der wöchentlichen Ruhezeit grundsätzlich zuließen, was zu überprüfen seine Sache sein wird, es hat jedoch Zweifel, ob dieses Abkommen sowie die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens von Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Code civile abweichen dürfen.

42      Es fragt sich daher im Wesentlichen, ob die Möglichkeit besteht, sich unmittelbar oder mittelbar auf die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen zu berufen, um Hindernisse, die der Anwendung der Tarifverträge des Ausgangsverfahrens nach innerstaatlichem Recht möglicherweise entgegenstehen, zu überwinden.

43      Vor diesem Hintergrund sind die ersten drei Fragen, die gemeinsam behandelt werden können, dahin zu verstehen, dass durch sie im Wesentlichen geklärt werden soll, ob die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsverfahrens unmittelbar angewandt werden können oder ob das nationale Gericht bei Fehlen einer solchen unmittelbaren Wirkung die im Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts dahin auslegen muss oder darf, dass sie eine Abweichung von der nach Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile vorgesehenen wöchentlichen Ruhezeit erlauben.

 Zur Möglichkeit einer unmittelbaren Anwendung der in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen

44      Die erste Frage des vorlegenden Gerichts zielt zwar insbesondere auf Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinien ab, doch ist hervorzuheben, dass das vorlegende Gericht, wie insbesondere aus Randnr. 42 des vorliegenden Urteils hervorgeht, mit dieser Frage vor allem wissen möchte, ob sich die Beklagte des Ausgangsverfahrens gegenüber den Klägern des Ausgangsverfahrens unmittelbar auf die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen berufen kann, um die Abweisung der Klage im Ausgangsverfahren zu erreichen.

45      Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. insbesondere Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall, 152/84, Slg. 1986, 723, Randnr. 48, vom 14. Juli 1994, Faccini Dori, C‑91/92, Slg. 1994, I‑3325, Randnr. 20, vom 7. Januar 2004, Wells, C‑201/02, Slg. 2004, I‑723, Randnr. 56, vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, Slg. 2004, I‑8835, Randnr. 108, sowie vom 19. Januar 2010, Kücükdeveci, C‑555/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 46).

46      Soweit daher die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen nicht rechtmäßig umgesetzt wurden, was zu prüfen im vorliegenden Fall Sache des vorlegenden Gerichts ist, können sich die Behörden eines Mitgliedstaats, der von dieser Befugnis keinen Gebrauch gemacht hat, nicht auf die eigene Unterlassung dieses Mitgliedstaats berufen, um Einzelnen wie den Klägern des Ausgangsverfahrens die Gewährung wöchentlicher Ruhezeit zu verwehren, die grundsätzlich, vorbehaltlich einer in dieser Hinsicht vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfung, den Anforderungen von Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinien entspräche (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2008, Flughafen Köln/Bonn, C‑226/07, Slg. 2008, I‑5999, Randnr. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

47      Daraus folgt, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Berufung auf die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen gegenüber Einzelnen wie den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht möglich ist.

 Zur Pflicht oder Befugnis, innerstaatliches Recht unionsrechtskonform auszulegen

48      Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, möchte das Tribunale ordinario di Torino, Sezione Lavoro, mit der zweiten und der dritten Frage wissen, ob das innerstaatliche Recht dennoch im Licht der in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen auszulegen ist, um zu entscheiden, ob sich die Comune di Torino rechtmäßig auf die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens stützen kann, um von den Anforderungen von Art. 36 Abs. 3 der Verfassung und Art. 2109 Abs. 1 des Codice civile abzuweichen.

49      In dieser Hinsicht trifft zu, dass die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser Richtlinie vorgesehene Ziel zu erreichen, und ihre Pflicht, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Trägern öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch den Gerichten obliegen (vgl. u. a. Urteile vom 10. April 1984, von Colson und Kamann, 14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 26, sowie Kücükdeveci, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Aus den Arbeitszeitrichtlinien lässt sich jedoch keine Verpflichtung ableiten, das innerstaatliche Recht im Sinne einer privilegierten Anwendung von Tarifverträgen auszulegen, die von den Regeln abweichen, mit denen Art. 5 dieser Richtlinien umgesetzt wird.

51      Da nämlich die in den in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen enthaltenen Abweichungen fakultativ sind, verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten nicht zu ihrer Umsetzung in das nationale Recht. Um die in diesen Bestimmungen vorgesehene Befugnis in Anspruch nehmen zu können, unter bestimmten Umständen von den Erfordernissen nach insbesondere Art. 5 der Arbeitszeitrichtlinien abzuweichen, müssen die Mitgliedstaaten die Entscheidung treffen, sich auf sie zu berufen (vgl. entsprechend Urteil vom 4. Juni 2009, SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, C‑102/08, Slg. 2009, I‑4629, Randnrn. 51, 52 und 55).

52      Es ist Sache der Mitgliedstaaten, hierfür die Rechtsetzungstechnik zu wählen, die ihnen am geeignetsten erscheint (vgl. entsprechend Urteil SALIX Grundstücks-Vermietungsgesellschaft, Randnr. 56), wobei sie zu beachten haben, dass solche Abweichungen nach dem Wortlaut der in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen selbst insbesondere im Wege von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern vorgenommen werden dürfen.

53      Die Arbeitszeitrichtlinien sind als solche nicht dahin auszulegen, dass sie der Anwendbarkeit von Tarifverträgen wie denen, die im Ausgangsverfahren in Rede stehen, entgegenstünden oder umgekehrt deren Anwendbarkeit entgegen anderen einschlägigen innerstaatlichen Bestimmungen forderten.

54      Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob sich die Comune di Torino im Ausgangsverfahren rechtmäßig auf das Abkommen von 1986 und auf die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens stützen kann, vor allem vom vorlegenden Gericht nach innerstaatlichem Recht zu beantworten (vgl. entsprechend Urteil vom 3. Oktober 2000, Simap, C‑303/98, Slg. 2000, I‑7963, Randnrn. 55 bis 57).

55      Es ist jedoch hervorzuheben, dass die Mitgliedstaaten, wenn ihnen das Unionsrecht die Befugnis einräumt, von manchen Bestimmungen einer Richtlinie abzuweichen, ihr Ermessen unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ausüben müssen, zu denen der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört. In dieser Hinsicht müssen Bestimmungen, die fakultative Abweichungen von den Grundsätzen einer Richtlinie erlauben, mit der Bestimmtheit und Klarheit umgesetzt werden, die erforderlich sind, um den Erfordernissen dieses Grundsatzes zu genügen.

56      Vor diesem Hintergrund wird sich das vorlegende Gericht zwei Möglichkeiten gegenübersehen: Entweder die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens genügen dem allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit und den Erfordernissen des innerstaatlichen Rechts für eine rechtmäßige Umsetzung der in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen nicht, oder diese Verträge stellen im Einklang mit dem italienischen Recht und unter Beachtung des allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit die Umsetzung der durch die erwähnten Unionsbestimmungen erlaubten Abweichungen dar.

57      Im ersten Fall – wenn das innerstaatliche italienische Recht der Anwendung des Abkommens von 1986 sowie der Tarifverträge des Ausgangsverfahrens entgegensteht – kann eine solche Anwendung, wie die tschechische Regierung dargelegt hat und wie aus der in Randnr. 45 des vorliegenden Urteils erwähnten Rechtsprechung hervorgeht, im Verhältnis zu Einzelnen nicht allein durch eine Berufung auf die Arbeitszeitrichtlinien gewährleistet werden (vgl. ebenso entsprechend Urteile vom 11. Juni 1987, Pretore di Salò/X, 14/86, Slg. 1987, 2545, Randnrn. 19 und 20, vom 3. Mai 2005, Berlusconi u. a., C‑387/02, C‑391/02 und C‑403/02, Slg. 2005, I‑3565, Randnrn. 73 und 74, sowie vom 5. Juli 2007, Kofoed, C‑321/05, Slg. 2007, I‑5795, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58      Im zweiten in Randnr. 56 des vorliegenden Urteils erwähnten Fall stünden in dieser Hinsicht die Arbeitszeitrichtlinien einer Auslegung des innerstaatlichen Rechts dahin, dass sich die Comune di Torino auf die Tarifverträge des Ausgangsverfahrens berufen kann, ebenfalls nicht entgegen, vorausgesetzt, die einschlägigen Bestimmungen dieser Verträge erfüllen voll die Voraussetzungen nach den in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen, was zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts wäre. Zu letzterem Punkt ist darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen als Ausnahmen von der Gemeinschaftsregelung über die Arbeitszeitgestaltung nach der Richtlinie 93/104 so ausgelegt werden müssen, dass ihr Anwendungsbereich auf das zur Wahrung der Interessen, deren Schutz sie ermöglichen, unbedingt Erforderliche begrenzt wird (vgl. Urteil vom 9. September 2003, Jaeger, C‑151/02, Slg. 2003, I‑8389, Randnr. 89).

59      Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen zu antworten, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Berufung auf die in Rede stehenden abweichenden Bestimmungen gegenüber Einzelnen wie den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht möglich ist. Diese Bestimmungen sind außerdem nicht dahin auszulegen, dass sie es erlauben oder verbieten, Tarifverträge wie die des Ausgangsverfahrens anzuwenden, deren Anwendung vom innerstaatlichen Recht abhängt.

 Kosten

60      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104/EG des Rates vom 23. November 1993 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, sowohl in der ursprünglichen Fassung als auch in der durch die Richtlinie 2000/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 2000 geänderten Fassung, kommt gegenüber Abs. 2 dieses Artikels autonome Bedeutung zu, so dass ein Beruf auch dann unter die in Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie 93/104 in den erwähnten zwei Fassungen vorgesehene Abweichung fallen kann, wenn er in diesem Abs. 2 nicht aufgezählt ist.

2.      Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens ist eine Berufung auf die fakultativen Abweichungen, die in Art. 17 der Richtlinien 93/104 und 93/104 in der durch die Richtlinie 2000/34 geänderten Fassung sowie gegebenenfalls in den Art. 17 und/oder 18 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgesehen sind, gegenüber Einzelnen wie den Klägern des Ausgangsverfahrens nicht möglich. Diese Bestimmungen sind außerdem nicht dahin auszulegen, dass sie es erlauben oder verbieten, Tarifverträge wie die des Ausgangsverfahrens anzuwenden, deren Anwendung vom innerstaatlichen Recht abhängt.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Italienisch.

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