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Document 62008CJ0341

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 12. Januar 2010.
Domnica Petersen gegen Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Sozialgericht Dortmund - Deutschland.
Richtlinie 2000/78/EG - Art. 2 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 - Verbot der Diskriminierung wegen des Alters - Nationale Bestimmung, die das Höchstalter für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes auf 68 Jahre festlegt - Verfolgtes Ziel - Begriff ‚für den Gesundheitsschutz erforderliche Maßnahme‘ - Kohärenz - Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme.
Rechtssache C-341/08.

European Court Reports 2010 I-00047

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2010:4

Rechtssache C-341/08

Domnica Petersen

gegen

Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe

(Vorabentscheidungsersuchen des Sozialgerichts Dortmund)

„Richtlinie 2000/78/EG – Art. 2 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Nationale Bestimmung, die das Höchstalter für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes auf 68 Jahre festlegt – Verfolgtes Ziel – Begriff ‚für den Gesundheitsschutz erforderliche Maßnahme‘ – Kohärenz – Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme“

Leitsätze des Urteils

1.        Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters

(Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 2 Abs. 5 und Art.  6 Abs. 1)

2.        Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Diskriminierung wegen des Alters – Verbot – Pflicht der nationalen Gerichte

1.        Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird, indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt.

(vgl. Randnr. 78, Tenor 1)

2.        Wenn eine innerstaatliche Regelung, mit der eine auf Vertragsärzte anzuwendende Höchstaltersgrenze eingeführt wird, unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels gegen die Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf verstößt, muss das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und einem Verwaltungsorgan anhängig ist, diese Regelung selbst dann unangewendet lassen, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassen wurde und das nationale Recht die Nichtanwendung einer solchen Regelung nicht vorsieht.

(vgl. Randnr. 81, Tenor 2)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

12. Januar 2010(*)

„Richtlinie 2000/78/EG – Art. 2 Abs. 5 und Art. 6 Abs. 1 – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Nationale Bestimmung, die das Höchstalter für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes auf 68 Jahre festlegt – Verfolgtes Ziel – Begriff ‚für den Gesundheitsschutz erforderliche Maßnahme‘ – Kohärenz – Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahme“

In der Rechtssache C‑341/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Sozialgericht Dortmund (Deutschland) mit Entscheidung vom 25. Juni 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juli 2008, in dem Verfahren

Domnica Petersen

gegen

Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe,

Beteiligte:

AOK Westfalen-Lippe,

BKK-Landesverband Nordrhein-Westfalen,

Vereinigte IKK,

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See Dezernat 0.63 ,

Landwirtschaftliche Krankenkasse NRW,

Verband der Angestellten-Krankenkassen e.V.,

AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V.,

Kassenzahnärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, des Kammerpräsidenten E. Levits, der Kammerpräsidentin P. Lindh (Berichterstatterin) sowie der Richter C. W. A. Timmermans, A. Rosas, P. Kūris, A. Borg Barthet, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        von Frau Petersen, vertreten durch Rechtsanwalt H.‑J. Brink,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und N. Graf Vitzthum als Bevollmächtigte,

–        von Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von P. McGarry, BL,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,

–        der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz, J. Enegren und B. Conte als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. September 2009

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16, im Folgenden: Richtlinie).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Petersen und dem Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe wegen dessen Weigerung, die Betroffene zur Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes über das Alter von 68 Jahren hinaus zuzulassen.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3        Die Richtlinie wurde auf der Grundlage von Art. 13 EG erlassen. In den Erwägungsgründen 9, 11 und 25 dieser Richtlinie heißt es:

„(9)      Beschäftigung und Beruf sind Bereiche, die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind.

(11)      Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung können die Verwirklichung der im EG-Vertrag festgelegten Ziele unterminieren, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit.

(25)      Das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters stellt ein wesentliches Element zur Erreichung der Ziele der beschäftigungspolitischen Leitlinien und zur Förderung der Vielfalt im Bereich der Beschäftigung dar. Ungleichbehandlungen wegen des Alters können unter bestimmten Umständen jedoch gerechtfertigt sein und erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation der Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können. Es ist daher unbedingt zu unterscheiden zwischen einer Ungleichbehandlung, die insbesondere durch rechtmäßige Ziele im Bereich der Beschäftigungspolitik, des Arbeitsmarktes und der beruflichen Bildung gerechtfertigt ist, und einer Diskriminierung, die zu verbieten ist.“

4        Der Zweck der Richtlinie ist nach ihrem Art. 1 „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

5        Art. 2 der Richtlinie lautet:

„(1)      Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)      Im Sinne des Absatzes 1

a)      liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

(5)      Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

6        Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie sieht vor:

„Im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)      die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

c)      die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts“.

7        Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.

Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:

a)      die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;

b)      die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile;

c)      die Festsetzung eines Höchstalters für die Einstellung aufgrund der spezifischen Ausbildungsanforderungen eines bestimmten Arbeitsplatzes oder aufgrund der Notwendigkeit einer angemessenen Beschäftigungszeit vor dem Eintritt in den Ruhestand.“

8        Die Richtlinie war nach ihrem Art. 18 Abs. 1 bis spätestens 2. Dezember 2003 in das nationale Recht der Mitgliedstaaten umzusetzen. Allerdings sieht Art. 18 Abs. 2 vor:

„Um besonderen Bedingungen Rechnung zu tragen, können die Mitgliedstaaten erforderlichenfalls eine Zusatzfrist von drei Jahren ab dem 2. Dezember 2003, d. h. insgesamt sechs Jahre, in Anspruch nehmen, um die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Diskriminierung wegen des Alters und einer Behinderung umzusetzen. In diesem Fall setzen sie die Kommission unverzüglich davon in Kenntnis. …“

9        Die Bundesrepublik Deutschland hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, so dass die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie über die Diskriminierung wegen des Alters und einer Behinderung in diesem Mitgliedstaat spätestens am 2. Dezember 2006 erfolgt sein musste.

 Nationales Recht

10      Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz vom 14. August 2006 (BGBl. I, S. 1897, im Folgenden: AGG) hat die Richtlinie umgesetzt. Dieses Gesetz hat die im Folgenden dargelegte auf Vertragsärzte anzuwendende Altersgrenze weder abgeschafft noch modifiziert.

11      Das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I, S. 2266, im Folgenden: GSG 1993) hat eine auf Vertragsärzte anzuwendende Höchstaltersgrenze eingeführt, die seit dem 14. November 2003 in § 95 Abs. 7 Satz 3 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuchs (BGBl. I, S. 2190, im Folgenden: SGB V) zu finden ist.

12      Dieser § 95 Abs. 7 Satz 3 sieht vor, dass ab 1. Januar 1999 die Zulassung zur Ausübung der Tätigkeit eines Vertragsarztes mit Ablauf des Kalendervierteljahrs endet, in dem der Vertragsarzt das 68. Lebensjahr vollendet.

13      Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB V ist diese Bestimmung analog auf Vertragszahnärzte anzuwenden.

14      Nach Angaben des vorlegenden Gerichts flankierte diese Altersgrenze § 102 SGB V, mit dem eine ebenfalls für die Zeit ab 1. Januar 1999 geltende gebietsabhängige Bedarfszulassung für Ärzte (Zahnärzte) in Kraft gesetzt wurde.

15      In der Gesetzesbegründung zum GSG 1993 heißt es:

„Die Entwicklung der Vertragsarztzahl stellt eine wesentliche Ursache für überhöhte Ausgabenzuwächse in der gesetzlichen Krankenversicherung dar. Angesichts einer ständig steigenden Zahl von Vertragsärzten besteht die Notwendigkeit, die Anzahl der Vertragsärzte zu begrenzen. Die Überversorgung kann nicht nur durch Zulassungsbeschränkungen und damit zu Lasten der jungen Ärztegeneration eingedämmt werden. Hierzu ist auch die Einführung einer obligatorischen Altersgrenze für Vertragsärzte erforderlich.“

16      Den Angaben des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass diese Altersgrenze vorbehaltlich folgender vier Ausnahmen gilt, von denen die ersten drei in den betreffenden Rechtsvorschriften niedergelegt sind und die letzte sich aus ihnen ergibt:

–        der Betroffene war zum Zeitpunkt der Vollendung des 68. Lebensjahrs weniger als zwanzig Jahre als Vertragsarzt (Vertragszahnarzt) tätig und vor dem 1. Januar 1993 bereits als solcher zugelassen; in diesem Fall wird die Zulassung längstens bis zum Ablauf dieses Zeitraums verlängert;

–        in einem bestimmten Gebiet der Zulassungsregion ist eine Unterversorgung an Vertragsärzten (Vertragszahnärzten) eingetreten oder droht unmittelbar;

–        bei Krankheit, Urlaub und Teilnahme des Vertragsarztes (Vertragszahnarztes) an Fortbildungsveranstaltungen;

–        da die Regelung nur im Vertragsarztsystem (Vertragszahnarztsystem) praktizierende Ärzte (Zahnärzte) erfasst, können Ärzte und Zahnärzte außerhalb dieses Systems ihren Beruf ausüben, ohne dass ihnen eine Altersgrenze vorgeschrieben wird.

17      Mit dem Gesetz zur Änderung des Vertragsarztrechts und anderer Gesetze – Vertragsarztänderungsgesetz vom 22. Dezember 2006 (BGBl. I, S. 3439) hob der Gesetzgeber § 102 SGB V, der gebietsabhängige Bedarfsquoten für Ärzte (Zahnärzte) vorsah, mit Wirkung zum 1. Januar 2007 auf, erhielt jedoch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze aufrecht.

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18      Frau Petersen, die am 24. April 1939 geboren wurde, vollendete im Jahr 2007 ihr 68. Lebensjahr. Sie war seit 1. April 1974 zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen.

19      Mit Beschluss vom 25. April 2007 stellte der Zulassungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe fest, dass ihre Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung am 30. Juni 2007 endete.

20      Frau Petersen legte gegen diese Entscheidung Widerspruch ein und berief sich dabei insbesondere darauf, dass sie mit der Richtlinie und dem AGG unvereinbar sei.

21      Nachdem ihr Widerspruch durch Entscheidung des Berufungsausschusses für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe zurückgewiesen worden war, erhob Frau Petersen gegen diese Entscheidung Klage beim Sozialgericht Dortmund.

22      Das Sozialgericht Dortmund führt aus, dass die Zurückweisung des Widerspruchs von Frau Petersen nach innerstaatlichem Recht rechtmäßig sei. Es erwähnt insoweit die Einschätzungen des Bundessozialgerichts und des Bundesverfassungsgerichts, wonach die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze gerechtfertigt sei, wobei sich diese beiden Gerichte jedoch auf unterschiedliche Gründe stützten. Nach Auffassung des Bundessozialgerichts habe diese Altersgrenze ermöglicht, eine ausgewogene Lastenverteilung zwischen den Generationen zu gewährleisten, und sie sei weiterhin sachgerecht, um die Berufschancen jüngerer Vertragszahnärzte zu erhalten. Diese Begründung sei jedoch – so das vorlegende Gericht – nicht mehr haltbar, nachdem die Quoten für Vertragszahnärzte weggefallen seien und kein Versorgungsüberangebot mehr bestehe.

23      Das vorlegende Gericht stellt demgegenüber auf das vom Bundesverfassungsgericht in einem Urteil vom 7. August 2007 angeführte Ziel ab. Diesem Urteil zufolge sei diese Altersgrenze durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, die Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung vor den Gefährdungen durch ältere, nicht mehr voll leistungsfähige Vertragszahnärzte zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht habe an der zuvor in einem Urteil aus dem Jahre 1998 entwickelten Auffassung festgehalten und entschieden, dass der Gesetzgeber angesichts des ihm eingeräumten Gestaltungsspielraums nicht verpflichtet sei, eine individuelle Prüfung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit jedes Vertragsarztes, der das 68. Lebensjahr vollendet habe, vorzusehen. Er habe vielmehr auf der Grundlage von Erfahrungswerten eine generalisierende Regelung erlassen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht habe auch als unerheblich angesehen, dass der Gesundheitsschutz der Versicherten nicht in der Gesetzesbegründung erwähnt werde, und habe daran erinnert, dass es bei der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung alle Gesichtspunkte berücksichtige und durch diese Begründung nicht eingeschränkt sei.

24      Das vorlegende Gericht stellt jedoch die Frage, ob dieses Ergebnis auch im Hinblick auf die Richtlinie gilt. Seiner Auffassung nach ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze keine Maßnahme im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie, da der Gesundheitsschutz nach Ansicht des Gesetzgebers selbst nicht der Grund gewesen sei, der zum Erlass der betreffenden Bestimmung geführt habe. Diese Altersgrenze sei in Anbetracht der Ausnahmeregelungen, die erlassen worden seien, auch keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie. Schließlich äußert das Sozialgericht Dortmund Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Altersgrenze mit Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie.

25      Es möchte wissen, ob der vom Bundesverfassungsgericht angeführte Gesundheitsschutz der Versicherten ein legitimes Ziel im Sinne der letztgenannten Bestimmung sein kann, wohl wissend, dass dieses Ziel in Wirklichkeit nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe.

26      Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze auf die Vertragszahnärzte, die ihre Tätigkeit über diese Grenze hinaus ausüben wollten, sehr benachteiligend auswirke, da 90 % der Bevölkerung in der gesetzlichen, auf das vertragsärztliche System gestützten Krankenversicherung versichert seien. Es möchte wissen, ob eine weniger beschränkende Maßnahme, wie die jeweilige Prüfung des individuellen Einzelfalls, ins Auge gefasst werden könnte.

27      Unter diesen Umständen hat das Sozialgericht Dortmund beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Kann die gesetzliche Regelung einer Höchstaltersgrenze für die Zulassung zur Berufsausübung (hier: für die Tätigkeit als Vertragszahnärztin) im Sinne des Art. 6 der Richtlinie eine objektive und angemessene Maßnahme zum Schutz eines legitimen Ziels (hier: der Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten) und ein zur Erreichung dieses Ziels angemessenes und erforderliches Mittel sein, wenn sie ausschließlich aus einer auf „allgemeine Lebenserfahrung“ gestützten Annahme eines ab einem bestimmten Lebensalter eintretenden generellen Leistungsabfalls hergeleitet wird, ohne dass dabei dem individuellen Leistungsvermögen des konkret Betroffenen in irgendeiner Weise Rechnung getragen werden kann?

2.      Falls Frage Nr. 1 zu bejahen ist: Kann ein im Sinne des Art. 6 der Richtlinie legitimes (Gesetzes-)Ziel (hier: der Gesundheitsschutz der gesetzlich krankenversicherten Patienten) auch dann angenommen werden, wenn dieses Ziel für den nationalen Gesetzgeber bei der Wahrnehmung seines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums selbst überhaupt keine Rolle gespielt hat?

3.      Falls Frage Nr. 1 oder 2 zu verneinen ist: Darf ein vor Erlass der Richtlinie ergangenes Gesetz, das mit dieser Richtlinie unvereinbar ist, kraft Vorrangs des europäischen Rechts auch dann nicht angewandt werden, wenn das die Richtlinie umsetzende nationale Recht (hier: das AGG) eine solche Rechtsfolge im Fall eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot nicht vorsieht?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

28      Die deutsche Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen unter Berücksichtigung der unmittelbar bevorstehenden Änderung der deutschen Rechtsvorschriften, die dazu führe, dass das Verbot der Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes bei einem Alter von mehr als 68 Jahren aufgehoben werde, unzulässig sei.

29      Hierzu genügt der Hinweis, dass, wie der Generalanwalt in Nr. 32 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, der Umstand, dass eine solche Änderung eintreten soll, unerheblich ist. Den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen ist nämlich zu entnehmen, dass Frau Petersen die Zulassung zur Ausübung des Berufs einer Vertragszahnärztin entzogen und ihr die Möglichkeit genommen wurde, diese Tätigkeit nach dem 30. Juni 2007 auszuüben. Folglich ist eine Antwort des Gerichtshofs auf die vorgelegten Fragen für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits maßgebend, und das Vorabentscheidungsersuchen ist zulässig.

 Zur ersten und zur zweiten Frage

30      Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie einer nationalen Maßnahme entgegensteht, mit der für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes ein Höchstalter, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, um die Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten zu schützen, da angenommen wird, dass die Leistungsfähigkeit dieser Zahnärzte von diesem Alter an abnimmt. Es wirft die Frage auf, ob es von ausschlaggebender Bedeutung ist, dass dieses Ziel vom Gesetzgeber nicht berücksichtigt worden ist.

31      Zur Beantwortung dieser Fragen ist zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt, ob sie eine Ungleichbehandlung wegen des Alters einführt und, wenn ja, ob die Richtlinie diese Ungleichbehandlung verbietet.

32      Erstens ergibt sich zum Anwendungsbereich der Richtlinie aus deren Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c, dass diese Richtlinie im Rahmen der auf die Gemeinschaft übertragenen Zuständigkeiten für alle Personen in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit und die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts, gilt (vgl. Urteile vom 16. Oktober 2007, Palacios de la Villa, C‑411/05, Slg. 2007, I‑8531, Randnr. 43, und vom 5. März 2009, Age Concern England, C‑388/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 24).

33      Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme legt für die Ausübung des Berufs eines Zahnarztes im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ein Höchstalter fest. Wie aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervorgeht, fällt aber ein Anteil von 90 % der Patienten unter dieses System. Dementsprechend ist der Umstand, dass ein Zahnarzt nicht im Vertragszahnarztsystem praktizieren darf, geeignet, die Nachfrage nach den von ihm angebotenen Dienstleistungen zu beschränken. Folglich berührt § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V dadurch, dass er ein Alter festsetzt, jenseits dessen der Zugang zur Tätigkeit eines Vertragszahnarztes und die Ausübung dieser Tätigkeit nicht mehr möglich sind, die Bedingungen für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie sowie die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen im Sinne ihres Art. 3 Abs. 1 Buchst. c.

34      Zweitens ist zu der Frage, ob die im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften eine Ungleichbehandlung wegen des Alters in Beschäftigung und Beruf enthalten, festzustellen, dass gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie „Gleichbehandlungsgrundsatz“ im Sinne dieser Richtlinie bedeutet, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aus einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Gründe geben darf. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie stellt klar, dass eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne von Abs. 1 vorliegt, wenn eine Person aus einem der in Art. 1 dieser Richtlinie genannten Gründe eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person, die sich in einer vergleichbaren Situation befindet (vgl. Urteile Palacios de la Villa, Randnr. 50, und Age Concern England, Randnr. 33).

35      Die Anwendung einer Bestimmung wie § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V führt dazu, dass Personen, hier Vertragszahnärzte, deshalb eine weniger günstige Behandlung erfahren als andere Personen, die den gleichen Beruf ausüben, weil sie älter sind als 68 Jahre. Mit einer solchen Bestimmung wird eine Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne der Richtlinie eingeführt.

36      Drittens ist zu prüfen, ob die sich aus der Anwendung von § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V ergebende Ungleichbehandlung mit der Richtlinie vereinbar ist oder nicht.

37      Hierzu ist das Ziel zu ermitteln, das mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme verfolgt wird, um festzustellen, anhand welcher Richtlinienbestimmungen diese Maßnahme zu prüfen ist.

38      Das vorlegende Gericht hat mehrere Ziele erwähnt, nämlich erstens den Schutz der Gesundheit der gesetzlich krankenversicherten Patienten, da angenommen werde, dass die Leistungsfähigkeit der Zahnärzte von einem bestimmten Alter an abnehme, zweitens die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen und drittens die ausgewogene Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems. Es hat jedoch nur ein einziges, nämlich das erste, herausgegriffen und betont, dass dieses Ziel nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen habe.

39      Es ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht nicht auf Vorarbeiten, parlamentarische Beratungen oder eine Gesetzesbegründung verwiesen hat, die erläuterten, aus welchen Gründen die Bestimmung über die Festlegung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Höchstalters beibehalten wurde, während die sie flankierende Vorschrift, die für Ärzte (Zahnärzte) Quoten nach Maßgabe des regionalen Bedarfs vorsah, aufgehoben wurde.

40      Fehlt es in den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften an einer genauen Angabe zum verfolgten Ziel, ist es, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, wichtig, dass andere, aus dem allgemeinen Kontext der betreffenden Maßnahme abgeleitete Anhaltspunkte die Feststellung des hinter dieser Maßnahme stehenden Ziels ermöglichen, damit dessen Rechtmäßigkeit sowie die Angemessenheit und Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten Mittel gerichtlich überprüft werden können (vgl. Urteile Palacios de la Villa, Randnr. 57, und Age Concern England, Randnr. 45).

41      In ihrer Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat die deutsche Regierung hierzu angegeben, der Gesetzgeber habe die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze für einen begrenzten Beobachtungszeitraum beibehalten wollen, um zu prüfen, ob die Probleme im Zusammenhang mit der von den Vertragszahnärzten ausgehenden Überversorgung trotz der Abschaffung der Quoten verschwunden seien. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse dieser Prüfung habe es der Gesetzgeber für umsichtig gehalten, eine Maßnahme aufrechtzuerhalten, mit der die Zahl der Vertragszahnärzte und zugleich die Gesundheitsausgaben dadurch beschränkt werden sollten, dass die praktizierenden Zahnärzte, die das 68. Lebensjahr vollendet hatten, ihre Tätigkeit nicht mehr im Rahmen des Vertragszahnarztsystems ausüben konnten. Die Beibehaltung dieser Altersgrenze habe, so die deutsche Regierung, somit das ursprüngliche Ziel des GSG 1993 verfolgt, nämlich in erster Linie die öffentlichen Gesundheitsausgaben zu kontrollieren.

42      Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits ist es letztlich Sache des nationalen Gerichts, das allein für die Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits, mit dem es befasst ist, sowie für die Auslegung des anwendbaren nationalen Rechts zuständig ist, festzustellen, aus welchem Grund die betreffende Maßnahme aufrechterhalten wurde, und somit das mit ihr verfolgte Ziel zu ermitteln.

43      Um dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben, ist zu prüfen, ob die Richtlinie einer Ungleichbehandlung wegen des Alters wie der im Ausgangsverfahren fraglichen unter Berücksichtigung jedes einzelnen der drei angeführten Ziele entgegensteht.

 Zum ersten und zum dritten angeführten Ziel

44      Das erste und das dritte angeführte Ziel sind zusammen zu prüfen. Das erste Ziel betrifft nämlich unmittelbar den Bereich der Gesundheit der Patienten unter dem Gesichtspunkt der Befähigung der Ärzte und Zahnärzte. Das dritte Ziel betrifft, auch wenn es sich auf das finanzielle Gleichgewicht des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bezieht, ebenfalls diesen Bereich, jedoch unter einem anderen Gesichtspunkt.

45      Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass nicht nur das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen ärztlichen Versorgung, sondern auch das Ziel der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit unter das Ziel des Schutzes der Gesundheit der Bevölkerung fallen können, wenn sie beide zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beitragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Mai 2006, Watts, C‑372/04, Slg. 2006, I‑4325, Randnrn. 103 und 104, sowie vom 10. März 2009, Hartlauer, C‑169/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 46 und 47).

46      Wie der Generalanwalt in Nr. 53 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist davon auszugehen, dass, wenn die in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V auf 68 Jahre festgelegte Altersgrenze ein Instrument der Politik ist, die sich mit der Planung des zahnärztlichen Versorgungsangebots zwecks Dämpfung steigender Gesundheitskosten in der gesetzlichen Krankenversicherung befasst, diese Altersgrenze das Ziel des Gesundheitsschutzes unter dem Gesichtspunkt des Erhalts des finanziellen Gleichgewichts der gesetzlichen Krankenkasse verfolgt.

47      Was die einschlägigen Richtlinienbestimmungen angeht, ist nach Auffassung des vorlegenden Gerichts die Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme mit der Richtlinie anhand von deren Art. 6 Abs. 1 zu prüfen.

48      Es ist jedoch daran zu erinnern, dass der Umstand, dass ein einzelstaatliches Gericht die Vorlagefrage ihrer Form nach unter Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften des Gemeinschaftsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran hindert, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die ihm bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Gemeinschaftsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (vgl. Urteil vom 27. Oktober 2009, ČEZ, C‑115/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 81).

49      Hierzu ist festzustellen, dass Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie den Gesundheitsschutz ausdrücklich erwähnt. Nach dieser Bestimmung berührt diese Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft u. a. zum Schutz der Gesundheit notwendig sind.

50      Daher sind das erste und das dritte Ziel anhand dieses Art. 2 Abs. 5 zu prüfen.

51      In Bezug auf Maßnahmen, die auf dem Gebiet des Gesundheitswesens getroffen werden, ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung sowie nach Art. 152 Abs. 5 EG die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit und insbesondere für den Erlass von Vorschriften zur Organisation und Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitswesen und der medizinischen Versorgung behalten. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit haben die Mitgliedstaaten zwar das Gemeinschaftsrecht zu wahren, doch ist bei der Prüfung, ob das genannte Gebot beachtet worden ist, zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat bestimmen kann, auf welchem Niveau er den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten will und wie dieses Niveau erreicht werden kann. Da sich dieses Niveau von einem Mitgliedstaat zum anderen unterscheiden kann, ist den Mitgliedstaaten ein Wertungsspielraum zuzuerkennen (vgl. Urteile Hartlauer, Randnrn. 29 und 30, sowie vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u. a., C‑171/07 und C‑172/07, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 18 und 19).

52      Unter Berücksichtigung dieses Wertungsspielraums ist anzuerkennen, dass es ein Mitgliedstaat im Rahmen von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie für erforderlich halten kann, für die Ausübung eines ärztlichen Berufs wie desjenigen eines Zahnarztes eine Altersgrenze festzulegen, um die Gesundheit der Patienten zu schützen. Diese Erwägung gilt unabhängig davon, ob das Ziel des Gesundheitsschutzes unter dem Gesichtspunkt der Befähigung der Zahnärzte oder dem des finanziellen Gleichgewichts des innerstaatlichen Gesundheitssystems betrachtet wird. In Bezug auf den letztgenannten Gesichtspunkt kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Entwicklung der Zahl der Vertragszahnärzte zu einem übermäßigen Anstieg des Versorgungsangebots geführt und sich in einem zu hohen Niveau der vom Staat zu tragenden Ausgaben niedergeschlagen hat und dass das Ausscheiden des ältesten Teils dieser Zahnärzte eine Verringerung dieser Ausgaben sowie eine Vermeidung des Risikos ermöglicht, dass das Gleichgewicht des Systems der sozialen Sicherheit erheblich gefährdet wird. Was die Festlegung der Altersgrenze auf 68 Jahre betrifft, kann dieses Alter als hinreichend weit fortgeschritten betrachtet werden, um als Endpunkt der Zulassung als Vertragszahnarzt zu dienen.

53      Bei der Beurteilung, ob die Maßnahme im Hinblick auf das angestrebte Ziel erforderlich war, ist ferner zu prüfen, ob die Ausnahmen von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Altersgrenze die Kohärenz der betreffenden Regelung nicht in der Weise beeinträchtigen, dass sie zu einem diesem Ziel entgegenwirkenden Ergebnis führen. Eine Regelung ist nämlich nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. Urteil Hartlauer, Randnr. 55).

54      Wie aus Randnr. 16 des vorliegenden Urteils hervorgeht, kennt die im Ausgangsverfahren streitige Regelung vier Ausnahmen. Die zweite und die dritte Ausnahme betreffen das Fehlen von Vertragszahnärzten, sei es aufgrund eines Zahnärztemangels in bestimmten Gebieten, sei es wegen Krankheit, Urlaubs oder der Teilnahme dieser Zahnärzte an Fortbildungsveranstaltungen. In diesen Fällen können sich die gesetzlich krankenversicherten Patienten von Zahnärzten versorgen lassen, die älter sind als 68 Jahre.

55      Diese Ausnahmen beeinträchtigen nicht das Ziel des Gesundheitsschutzes. Sie dienen vielmehr dazu, sicherzustellen, dass sich die betroffenen Patienten gleichwohl versorgen lassen können. Da sie zudem für Fälle gedacht sind, in denen das zahnärztliche Versorgungsangebot nicht ausreicht, sind sie ihrem Wesen nach nicht geeignet, dieses Angebot in einem Übermaß zu erzeugen, das geeignet wäre, das finanzielle Gleichgewicht des innerstaatlichen Gesundheitssystems zu gefährden.

56      Die erste Ausnahme betrifft die am 1. Januar 1993 zugelassenen Vertragszahnärzte, die jedoch bei Vollendung des 68. Lebensjahrs noch keine zwanzig Jahre Praxis im Vertragszahnarztsystem gesammelt haben. Den vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ist zu entnehmen, dass diese Ausnahme darauf abzielt, die Zahnärzte nicht zu benachteiligen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung und trotz bereits fortgeschrittenen Alters für den Aufbau einer Altersversorgung noch nicht hinreichend lange praktiziert hatten. Diese Ausnahme soll insbesondere die aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik stammenden Vertragszahnärzte betreffen. Nach den insoweit unwidersprochenen Angaben der deutschen Regierung geht es bei den von dieser Ausnahme erfassten Zahnärzten jedoch nur um eine bestimmte Gruppe, die im Übrigen nur vorübergehend bestehe, da sie nach Ablauf eines Zeitraums von höchstens zwanzig Jahren aufgelöst sein werde.

57      Unter Berücksichtigung dieser Umstände, die die Tragweite dieser ersten Ausnahme abschwächen, ist festzustellen, dass diese Ausnahme die Kohärenz der im Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften im Hinblick auf das Ziel des Gesundheitsschutzes der gesetzlich krankenversicherten Patienten sowohl unter dem Gesichtspunkt der Befähigung der Vertragszahnärzte als auch unter dem des finanziellen Gleichgewichts des gesetzlichen Systems der Krankenversicherung nicht beeinträchtigt.

58      Die vierte Ausnahme ist als solche nicht in den Rechtsvorschriften aufgeführt, ergibt sich aber aus deren Anwendungsbereich. § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V betrifft nämlich nur im Vertragszahnarztsystem praktizierende Zahnärzte. Somit können die Zahnärzte außerhalb dieses Systems ihren Beruf unabhängig von ihrem Alter ausüben, und dementsprechend können die Patienten sich von Zahnärzten versorgen lassen, die älter sind als 68 Jahre.

59      Zwar hat der Gerichtshof gewisse Ausnahmen von im Namen des Gesundheitsschutzes erlassenen Regelungen zugelassen, doch blieben diese zeitlich und ihrem Umfang nach begrenzt (vgl. Urteil vom 19. Mai 2009, Kommission/Italien, C‑531/06, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 73).

60      Um die Auswirkungen dieser vierten Ausnahme auf die Kohärenz der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme im Hinblick auf Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie zu beurteilen, sind darüber hinaus Wesen und Wortlaut dieser Bestimmung zu berücksichtigen. Da es um eine Abweichung vom Diskriminierungsverbot geht, ist sie eng auszulegen. Auch der Wortlaut dieses Art. 2 Abs. 5 führt zu einem solchen Ansatz.

61      Eine Maßnahme jedoch, die eine Ausnahme zulässt, die so weit geht wie die für die außerhalb des Vertragszahnarztsystems praktizierenden Zahnärzte kann nicht als für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung wesentlich angesehen werden. Wenn die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze den Gesundheitsschutz der Patienten unter dem Gesichtspunkt der Befähigung der betroffenen praktizierenden Zahnärzte zum Ziel hat, ist nämlich festzustellen, dass die Patienten im Rahmen dieser Ausnahme nicht geschützt sind. Diese Ausnahme scheint somit dem verfolgten Ziel entgegenzuwirken. Darüber hinaus ist sie zeitlich unbegrenzt und gilt, auch wenn keine bezifferte Angabe gemacht wurde, potenziell für alle Zahnärzte und erscheint geeignet, eine nicht zu vernachlässigende Zahl von Patienten zu betreffen.

62      Daher ist davon auszugehen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme, wenn mit ihr das Ziel des Schutzes der Gesundheit der Patienten unter dem Gesichtspunkt der Befähigung der Ärzte und Zahnärzte verfolgt wird, aufgrund des Bestehens der vorgenannten vierten Ausnahme Widersprüche aufweist. In diesem Fall ist die für Vertragszahnärzte vorgeschriebene Altersgrenze für den Gesundheitsschutz im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie nicht erforderlich.

63      Sollte diese Maßnahme demgegenüber die Wahrung des finanziellen Gleichgewichts des öffentlichen Gesundheitssystems zum Ziel haben, gefährdet diese vierte Ausnahme das verfolgte Ziel nicht. Dieses System fällt nämlich in einen Bereich, für den der Staat die finanzielle Verantwortung trägt, und erstreckt sich definitionsgemäß nicht auf das private Gesundheitssystem. Folglich ist die Einführung einer nur für Vertragszahnärzte geltenden Altersgrenze zum Zweck der Kontrolle der Ausgaben im öffentlichen Gesundheitssektor mit dem verfolgten Ziel vereinbar. Der Umstand, dass die außerhalb des gesetzlichen Systems der Krankenversicherung tätigen Zahnärzte nicht betroffen sind, beeinträchtigt somit nicht die Kohärenz der betreffenden Rechtsvorschriften.

64      Soweit daher die Maßnahme der Beibehaltung dieser Altersgrenze das Risiko einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit mit dem Ziel vermeiden soll, ein hohes Niveau des Gesundheitsschutzes zu erreichen, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat, kann diese Maßnahme als mit Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie vereinbar angesehen werden.

 Zum zweiten angeführten Ziel

65      Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, hat das Bundessozialgericht die Auffassung vertreten, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze durch ein zweites Ziel gerechtfertigt sei, das darauf gerichtet sei, innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte die Berufschancen zwischen den Generationen zu verteilen. Dieses Ziel wurde hilfsweise auch von der deutschen Regierung in ihrer mündlichen Stellungnahme geltend gemacht.

66      Das genannte Ziel ist in Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie nicht vorgesehen. Indessen ist zu prüfen, ob es ein legitimes Ziel im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie darstellen könnte.

67      Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie können u. a. rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung als „legitime“ Ziele im Sinne dieser Bestimmung betrachtet werden.

68      Hierzu hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Förderung von Einstellungen unbestreitbar ein legitimes Ziel der Sozial- oder Beschäftigungspolitik der Mitgliedstaaten darstellt und dass diese Wertung offensichtlich auch für Instrumente der nationalen Arbeitsmarktpolitik gelten muss, die für bestimmte Arbeitnehmergruppen die Chancen auf Eingliederung in das Erwerbsleben verbessern sollen (vgl. Urteil Palacios de la Villa, Randnr. 65). Auch eine Maßnahme, die getroffen wurde, um den Zugang jüngerer Personen zum Beruf eines Vertragszahnarztes zu begünstigen, kann als eine Maßnahme der Beschäftigungspolitik angesehen werden.

69      Darüber hinaus muss nach dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie noch geprüft werden, ob die Mittel zur Erreichung dieses Ziels „angemessen und erforderlich“ sind.

70      Insoweit erscheint es nach der Entwicklung der Beschäftigungssituation in dem betreffenden Sektor nicht unvernünftig, wenn die Behörden eines Mitgliedstaats davon ausgehen, dass die Anwendung einer Altersgrenze, die dazu führt, dass die ältesten praktizierenden Zahnärzte aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, die Beschäftigung jüngerer Berufsangehöriger begünstigen kann. Was die Festlegung dieser Altersgrenze auf 68 Jahre angeht, scheint, wie in Randnr. 52 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dieses Alter hinreichend weit fortgeschritten, um als Endpunkt der Zulassung als Vertragszahnarzt zu dienen.

71      Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Anwendung einer Altersgrenze zur Erreichung des verfolgten Ziels angemessen und erforderlich ist. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass dann, wenn die Zahl der Vertragszahnärzte auf dem betreffenden Arbeitsmarkt, gemessen am Bedarf der Patienten, nicht überhöht ist, der Zugang neuer und insbesondere junger Berufsangehöriger zu diesem Markt normalerweise unabhängig davon möglich ist, ob es Zahnärzte gibt, die ein bestimmtes Alter, im vorliegenden Fall 68 Jahre, überschritten haben. In diesem Fall könnte es sein, dass die Einführung einer Altersgrenze zur Erreichung des verfolgten Ziels weder angemessen noch erforderlich ist.

72      Die deutsche Regierung hat in der mündlichen Verhandlung unwidersprochen ausgeführt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Altersgrenze in den Gebieten nicht gelte, in denen ein Mangel an Vertragszahnärzten festgestellt worden sei. Sie hat weiter vorgetragen, dass es im Gesundheitswesen wichtig sei, dass der Staat von seinem Wertungsspielraum Gebrauch machen könne, um die erforderlichen Maßnahmen nicht nur dann einzusetzen, wenn ein akutes Problem der ärztlichen Überversorgung vorliege, sondern auch dann, wenn die latente Gefahr bestehe, dass ein solches Problem auftrete.

73      Insoweit ist unter Berücksichtigung des in Randnr. 51 des vorliegenden Urteils erwähnten Wertungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, anzuerkennen, dass ein Mitgliedstaat es in einer Situation, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht ist oder die latente Gefahr besteht, dass eine solche Situation eintritt, für erforderlich halten kann, eine Altersgrenze wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende vorzuschreiben, um jüngeren Zahnärzten den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern.

74      Ob eine solche Situation gegeben ist, hat jedoch das vorlegende Gericht zu prüfen.

75      Für diesen Fall bliebe noch zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Maßnahme unter Berücksichtigung der vier in Randnr. 16 des vorliegenden Urteils genannten Ausnahmen kohärent ist.

76      Die ersten drei Ausnahmen, die entweder für spezifische Fälle eines Mangels an Vertragszahnärzten oder für einen begrenzten Zeitraum gedacht sind, gefährden insoweit nicht das Ziel, den Zugang junger Vertragszahnärzte zum Arbeitsmarkt zu begünstigen. Die vierte Ausnahme betrifft den Sektor außerhalb des Vertragszahnarztsystems und berührt in keiner Weise den Zutritt junger Zahnärzte, die im Rahmen des Vertragszahnarztsystems praktizieren, zu diesem Markt.

77      Folglich kann, wenn eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat, die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung wegen des Alters als durch dieses Ziel objektiv und vernünftigerweise gerechtfertigt und die Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels als angemessen und erforderlich angesehen werden, sofern eine Situation gegeben ist, in der die Zahl der Vertragszahnärzte überhöht ist oder die latente Gefahr besteht, dass eine solche Situation eintritt.

78      Auf die erste und die zweite Frage ist daher zu antworten, dass

–        Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs des Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt;

–        Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist;

–        es Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird, indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt.

 Zur dritten Frage

79      Bei der dritten Frage geht es darum, welche Konsequenzen aus der Feststellung zu ziehen wären, dass eine vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassene nationale Regelung mit dieser unvereinbar ist, wenn das nationale Recht die Nichtanwendung einer solchen Regelung nicht vorsieht.

80      Der Gerichtshof hat entschieden, dass alle Träger der Verwaltung den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zu beachten haben (vgl. u. a. Urteile vom 22. Juni 1989, Costanzo, 103/88, Slg. 1989, 1839, Randnr. 32, und vom 29. April 1999, Ciola, C‑224/97, Slg. 1999, I‑2517, Randnr. 30). Diese Erwägung gilt auch für ein Verwaltungsorgan wie den Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe. Darauf, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Bestimmungen bereits vor dem Inkrafttreten der Richtlinie bestanden, kommt es nicht an. Das Gleiche gilt, wenn diese Bestimmungen keine Möglichkeit für die innerstaatlichen Gerichte vorsahen, sie im Fall der Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht unangewendet zu lassen.

81      Folglich ist auf die dritte Frage zu antworten, dass, wenn eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels gegen die Richtlinie verstößt, das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und einem Verwaltungsorgan wie dem Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe anhängig ist, diese Regelung selbst dann unangewendet lassen muss, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassen wurde und das nationale Recht die Nichtanwendung einer solchen Regelung nicht vorsieht.

 Kosten

82      Für die Parteien des Ausgangsrechtsstreits ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Maßnahme wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, mit der für die Ausübung des Berufs eines Vertragszahnarztes eine Höchstaltersgrenze, im vorliegenden Fall 68 Jahre, festgelegt wird, entgegensteht, wenn diese Maßnahme nur das Ziel hat, die Gesundheit der Patienten vor dem Nachlassen der Leistungsfähigkeit von Vertragszahnärzten, die dieses Alter überschritten haben, zu schützen, da diese Altersgrenze nicht für Zahnärzte außerhalb des Vertragszahnarztsystems gilt.

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist dahin auszulegen, dass er einer solchen Maßnahme nicht entgegensteht, wenn diese die Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen innerhalb der Berufsgruppe der Vertragszahnärzte zum Ziel hat und wenn sie unter Berücksichtigung der Situation auf dem betreffenden Arbeitsmarkt zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich ist.

Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, welches Ziel mit der Maßnahme zur Festlegung dieser Altersgrenze verfolgt wird, indem es den Grund für ihre Aufrechterhaltung ermittelt.

2.      Wenn eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Ziels gegen die Richtlinie 2000/78 verstößt, muss das nationale Gericht, bei dem ein Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und einem Verwaltungsorgan wie dem Berufungsausschuss für Zahnärzte für den Bezirk Westfalen-Lippe anhängig ist, diese Regelung selbst dann unangewendet lassen, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Richtlinie erlassen wurde und das nationale Recht die Nichtanwendung einer solchen Regelung nicht vorsieht.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.

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