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Document 62004CJ0341

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 2. Mai 2006.
Eurofood IFSC Ltd.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Supreme Court - Irland.
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen - Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 - Insolvenzverfahren - Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens - Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners - Anerkennung des Insolvenzverfahrens - Ordre public.
Rechtssache C-341/04.

European Court Reports 2006 I-03813

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2006:281

Rechtssache C-341/04

Eurofood IFSC Ltd

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court)

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Insolvenzverfahren – Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens – Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners – Anerkennung des Insolvenzverfahrens – Ordre public“

Schlussanträge des Generalanwalts F. G. Jacobs vom 27. September 2005 

Urteil des Gerichtshofes (Große Kammer) vom 2. Mai 2006 

Leitsätze des Urteils

1.     Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000

(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates, Artikel 3 Absatz 1)

2.     Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000

(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates, Artikel 16 Absatz 1)

3.     Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000

(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates, Artikel 26)

4.     Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Insolvenzverfahren – Verordnung Nr. 1346/2000

(Verordnung Nr. 1346/2000 des Rates, Artikel 26)

1.     Wenn Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, kann die in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung Nr. 1346/2000 aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.

(vgl. Randnr. 37, Tenor 1)

2.     Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können. Die in dieser Bestimmung aufgestellte Prioritätsregel, wonach das in einem Mitgliedstaat eröffnete Insolvenzverfahren in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald es im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, stützt sich nämlich auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, das es ermöglicht hat, ein verbindliches Zuständigkeitssystem zu schaffen und dementsprechend auf die innerstaatlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Anerkennung und die Vollstreckbarerklärung zugunsten eines vereinfachten Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens für im Rahmen von Insolvenzverfahren ergangene Entscheidungen zu verzichten. Wenn ein Beteiligter der Auffassung ist, dass der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, und deshalb die von dem Gericht, das dieses Verfahren eröffnet hat, angenommene Zuständigkeit anfechten möchte, so hat er bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem dieses Verfahren eröffnet worden ist, die im nationalen Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung einzulegen.

(vgl. Randnrn. 39-40, 43, Tenor 2)

3.     Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin erlassene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert. Der Mechanismus, der vorsieht, dass nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, das in allen Mitgliedstaaten wirksam ist, in denen die Verordnung anwendbar ist, könnte nämlich ernstlich gestört werden, wenn die Gerichte dieser Mitgliedstaaten, bei denen zeitgleich auf die Insolvenz eines Schuldners gestützte Anträge anhängig gemacht werden, während längerer Zeit konkurrierende Zuständigkeiten für sich in Anspruch nehmen könnten. Es kommt somit für die Effizienz des mit der Verordnung eingeführten Systems darauf an, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Anerkennungsgrundsatz so bald wie möglich im Lauf des Verfahrens Anwendung finden kann.

(vgl. Randnrn. 52, 54, Tenor 3)

4.     Artikel 26 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist. Wenn die konkreten Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch in Relation zu der möglicherweise gegebenen Eilbedürftigkeit einer Entscheidung variieren können, so muss doch jede Beschränkung der Ausübung dieses Anspruchs ordnungsgemäß gerechtfertigt werden und mit Verfahrensgarantien einhergehen, die für die von einem solchen Verfahren betroffenen Personen eine effektive Möglichkeit sicherstellen, getroffene Eilmaßnahmen anzufechten. Zwar ist es Sache des Gerichts des Anerkennungsstaats, festzustellen, ob tatsächlich im Verlauf des Verfahrens vor dem Gericht des anderen Mitgliedstaats offensichtlich gegen das Recht auf rechtliches Gehör verstoßen wurde, doch kann das Gericht des Anerkennungsstaats sich nicht darauf beschränken, seine eigenen Vorstellungen von der Mündlichkeit des Verfahrens und von der fundamentalen Rolle, die diese in seiner Rechtsordnung spielt, zu übertragen, sondern muss anhand sämtlicher Umstände beurteilen, ob die vom genannten Verfahren Betroffenen hinreichend die Möglichkeit hatten, gehört zu werden.

(vgl. Randnrn. 66-68, Tenor 4)




URTEIL DES GERICHTSHOFES (Große Kammer)

2. Mai 2006(*)

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Insolvenzverfahren – Entscheidung zur Eröffnung des Verfahrens – Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners – Anerkennung des Insolvenzverfahrens – Ordre public“

In der Rechtssache C-341/04

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Artikeln 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Supreme Court (Irland) mit Entscheidung vom 27. Juli 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 2004, in dem Verfahren

Eurofood IFSC Ltd

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, der Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), C. W. A. Timmermans, A. Rosas und J. Malenovský, der Richter J.‑P. Puissochet und R. Schintgen, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. Klučka, U. Lõhmus und E. Levits,

Generalanwalt: F. G. Jacobs,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juli 2005,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–       von Herrn Bondi, vertreten durch G. Moss, QC, B. Shipsey, SC, J. Gleeson, G. Clohessy und E. Barrington, Barristers-at-law, sowie durch B. O’Neil, D. Smith und C. Mallon, Solicitors,

–       der Bank of America NA, vertreten durch M. M. Collins und L. McCann, SC, B. Kennedy, Barrister-at-law, sowie durch W. Day, Solicitor,

–       von Herrn Farrell, Official Liquidator, vertreten durch M. G. Collins, SC, und D. Murphy, Barrister-at-law, sowie durch T. O’Grady, Solicitor,

–       des Director of Corporate Enforcement, vertreten durch A. Keating, Principal Solicitor, und C. Costello, Barrister-at-law,

–       der Certificate/Note holders, vertreten durch D. Baxter, Solicitor, D. McDonald, SC, und J. Breslin, Barrister-at-law,

–       Irlands, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von D. Barniville, Barrister-at-law,

–       der tschechischen Regierung, vertreten durch T. Boček als Bevollmächtigten,

–       der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing als Bevollmächtigten,

–       der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, J.‑C. Niollet und A. Bodard-Hermant als Bevollmächtigte,

–       der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von O. Fiumara und M. Massella Ducci Teri als Bevollmächtigte,

–       der ungarischen Regierung, vertreten durch P. Gottfried als Bevollmächtigten,

–       der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

–       der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä und A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,

–       der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. O’Reilly und A.‑M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. September 2005

folgendes

Urteil

1       Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. L 160, S. 1, im Folgenden: Verordnung).

2       Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über die irische Gesellschaft Eurofood IFSC Ltd (im Folgenden: Eurofood).

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsrecht

3       Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 gilt die Verordnung „für Gesamtverfahren, welche die Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben“.

4       Artikel 2 der Verordnung trägt die Überschrift „Definitionen“ und bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bedeutet

a)      ‚Insolvenzverfahren‘ die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Gesamtverfahren. Diese Verfahren sind in Anhang A aufgeführt;

b)      ‚Verwalter‘ jede Person oder Stelle, deren Aufgabe es ist, die Masse zu verwalten oder zu verwerten oder die Geschäftstätigkeit des Schuldners zu überwachen. Diese Personen oder Stellen sind in Anhang C aufgeführt;

e)      ‚Entscheidung‘, falls es sich um die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder die Bestellung eines Verwalters handelt, die Entscheidung jedes Gerichts, das zur Eröffnung eines derartigen Verfahrens oder zur Bestellung eines Verwalters befugt ist;

f)      ‚Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung‘ den Zeitpunkt, in dem die Eröffnungsentscheidung wirksam wird, unabhängig davon, ob die Entscheidung endgültig ist;

…“

5       Anhang A der Verordnung, der sich auf Insolvenzverfahren gemäß Artikel 2 Buchstabe a der Verordnung bezieht, nennt für Irland das Verfahren der Zwangsliquidation („compulsory winding up“). Anhang C der Verordnung führt als einen der Verwalter gemäß Artikel 2 Buchstabe b für diesen Mitgliedstaat den „provisional liquidator“ auf.

6       Hinsichtlich der Bestimmung des zuständigen Gerichts sieht Artikel 3 Absätze 1 und 2 der Verordnung vor:

„(1)      Für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Bei Gesellschaften und juristischen Personen wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.

(2)      Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen im Gebiet eines Mitgliedstaats, so sind die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat. Die Wirkungen dieses Verfahrens sind auf das im Gebiet dieses letzteren Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt.“

7       In Bezug auf die Bestimmung des anwendbaren Rechts sieht Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung vor:

„Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird …“

8       Was die Anerkennung des Insolvenzverfahrens betrifft, bestimmt Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung:

„Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein nach Artikel 3 zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats wird in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist.“

9       Artikel 17 Absatz 1 der Verordnung lautet wie folgt:

„Die Eröffnung eines Verfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 entfaltet in jedem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt …“

10     Jedoch heißt es in Artikel 26 der Verordnung:

„Jeder Mitgliedstaat kann sich weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entscheidung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder diese Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.“

11     Nach Artikel 29 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung kann der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen.

12     Artikel 38 der Verordnung sieht vor, dass der vorläufige Verwalter, der vom nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats bestellt worden ist, „berechtigt [ist], zur Sicherung und Erhaltung des Schuldnervermögens, das sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, jede Maßnahme zu beantragen, die nach dem Recht dieses Staates für die Zeit zwischen dem Antrag auf Eröffnung eines Liquidationsverfahrens und dessen Eröffnung vorgesehen ist.“

 Nationales Recht

13     Nach Section 212 des Companies Act 1963 (im Folgenden: Companies Act) ist der High Court für die Liquidation von Gesellschaften zuständig.

14     Nach Section 215 des Companies Act beginnt die Liquidation einer Gesellschaft mit einem Liquidationsantrag an das Gericht, den die Gesellschaft selbst oder einer oder mehrere ihrer Gläubiger stellen.

15     Section 220 des Companies Act sieht vor:

„1.      Beschließt eine Gesellschaft, bevor ein Antrag auf ihre gerichtliche Liquidation gestellt wird, die freiwillige Liquidation, so gilt als Beginn der Liquidation der Gesellschaft der Zeitpunkt der Beschlussfassung; sofern nicht das Gericht es aufgrund des Nachweises einer arglistigen Täuschung oder eines Irrtums für angebracht hält, etwas anderes anzuordnen, gelten alle im Rahmen der freiwilligen Liquidation getroffenen Maßnahmen als wirksam getroffen.

2.      In allen anderen Fällen gilt als Beginn der Liquidation einer Gesellschaft durch das Gericht der Zeitpunkt der Stellung des Liquidationsantrags.“

16     Nach Section 226 Absatz 1 des Companies Act kann das Gericht jederzeit nach Stellung eines Liquidationsantrags vorläufig einen Verwalter bestellen. Andernfalls erfolgt die in Section 225 vorgesehene Bestellung des Verwalters zum Zeitpunkt des Erlasses des Liquidationsbeschlusses. Gemäß Section 229 Absatz 1 ist ein „provisional liquidator“ nach seiner Bestellung verpflichtet, „alle Vermögensgegenstände und Forderungsrechte, die der Gesellschaft gehören oder dem Anschein nach gehören, in seinen Gewahrsam zu nehmen oder unter seine Kontrolle zu bringen“.

 Dem Rechtsstreit zugrunde liegender Sachverhalt und Vorlagefragen

17     Eurofood wurde 1997 in Irland als „company limited by shares“ (Kommanditgesellschaft auf Aktien) mit satzungsmäßigem Sitz im International Financial Services Center in Dublin eingetragen. Sie ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Parmalat SpA, einer Gesellschaft italienischen Rechts. Ihr Hauptgeschäftszweck war die Beschaffung von Finanzmitteln für Gesellschaften des Parmalat‑Konzerns.

18     Am 24. Dezember 2003 ließ das italienische Ministero delle attività produttive (Ministerium für die Produktionstätigkeiten) die Parmalat SpA nach dem Decreto legge Nr. 347 vom 23. Dezember 2003 über Eilmaßnahmen zur industriellen Umgestaltung insolventer Großunternehmen (Misure urgenti per la ristrutturazione industriale di grandi imprese in stato di insolvenza, GURI Nr. 298 vom 24. Dezember 2003) zum Verfahren der außerordentlichen Verwaltung zu und bestellte Herrn Bondi zum außerordentlichen Verwalter dieser Gesellschaft.

19     Am 27. Januar 2004 beantragte die Bank of America NA beim High Court (Irland) die Eröffnung eines Zwangsliquidationsverfahrens (compulsory winding up by the Court) gegen Eurofood sowie die Bestellung eines vorläufigen Verwalters. Dieser Antrag stützte sich auf die Behauptung, dass die genannte Gesellschaft zahlungsunfähig sei.

20     Am gleichen Tag bestellte der High Court aufgrund dieses Antrags Herrn Farrell zum vorläufigen Verwalter (provisional liquidator) und übertrug ihm die Befugnis, das Vermögen der Gesellschaft in Besitz zu nehmen, ihre Geschäfte zu führen, in ihrem Namen ein Bankkonto zu eröffnen und die Dienste eines Anwalts in Anspruch zu nehmen.

21     Am 9. Februar 2004 ließ das italienische Ministero delle attività produttive Eurofood zum Verfahren der außerordentlichen Verwaltung zu und bestellte Herrn Bondi zum außerordentlichen Verwalter.

22     Am 10. Februar 2004 wurde beim Tribunale civile e penale Parma (Italien) die Feststellung der Insolvenz von Eurofood beantragt. Als Termin für die Verhandlung wurde der 17. Februar 2004 anberaumt, worüber Herr Farrell am 13. Februar 2004 unterrichtet wurde. Am 20. Februar 2004 erklärte sich das Gericht für international zuständig für die Feststellung der Insolvenz dieser Gesellschaft, weil sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen von Eurofood in Italien befinde.

23     Mit Urteil vom 23. März 2004 entschied der High Court, dass nach irischem Recht das Insolvenzverfahren gegen Eurofood in Irland an dem Tag eröffnet worden sei, an dem die Bank of America NA dies beantragt habe, also am 27. Januar 2004. Da der High Court der Auffassung war, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen von Eurofood in Irland befinde, entschied er, dass das dort eröffnete Verfahren das Hauptinsolvenzverfahren sei. Ferner führte er aus, die Umstände, unter denen das Verfahren vor dem Tribunale civile e penale Parma verlaufen sei, könnten es nach Artikel 26 der Verordnung rechtfertigen, dass die irischen Gerichte der Entscheidung dieses Gerichts die Anerkennung versagten. Nach Feststellung der Insolvenz von Eurofood beschloss der High Court die Liquidation dieser Gesellschaft und bestellte Herrn Farrell zum Liquidator.

24     Nachdem Herr Bondi Berufung gegen dieses Urteil eingelegt hatte, hat es der Supreme Court für erforderlich gehalten, vor Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Wird in Irland bei einem zuständigen Gericht ein Antrag auf Liquidation (winding up) einer zahlungsunfähigen Gesellschaft gestellt und bestellt dieses Gericht bis zum Erlass eines Liquidationsbeschlusses einen vorläufigen Verwalter (provisional liquidator), der befugt ist, das Vermögen der Gesellschaft in Besitz zu nehmen, ihre Geschäfte zu führen, ein Bankkonto zu eröffnen und einen Anwalt zu bestellen, all dies mit der Rechtsfolge, dass die Verwaltungsratsmitglieder der Gesellschaft ihre Handlungsbefugnisse verlieren, stellt dann diese Verfügung in Verbindung mit der Stellung des Antrags die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (insolvency proceedings) im Sinne des im Licht der Artikel 1 und 2 ausgelegten Artikels 16 der Verordnung dar?

2.      Falls Frage 1 zu verneinen ist: Ist in Irland die Stellung eines Antrags beim High Court auf gerichtliche Zwangsliquidation (compulsory winding up) einer Gesellschaft aufgrund der irischen Rechtsvorschrift (Section 220[2] des Companies Act), wonach der Tag der Stellung des Antrags als Beginn der Liquidation der Gesellschaft gilt, als Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (insolvency proceedings) im Sinne dieser Verordnung anzusehen?

3.      Ist ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem die Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz hat und ihre Interessen in einer für Dritte erkennbaren Art und Weise gewöhnlich verwaltet, wo aber das Insolvenzverfahren zuerst eröffnet wird, nach Artikel 3 in Verbindung mit Artikel 16 dieser Verordnung zuständig für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens?

4.      Sind, wenn

         a)     der satzungsmäßige Sitz einer Muttergesellschaft und der ihrer Tochtergesellschaft in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten liegen,

         b)     die Tochtergesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen in einer für Dritte erkennbaren Art und Weise gewöhnlich und unter vollständiger und stetiger Wahrung ihrer eigenen Corporate identity in dem Mitgliedstaat nachgeht, in dem ihr satzungsmäßiger Sitz liegt, und

         c)     die Muttergesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung und ihrer Befugnis zur Bestellung der Verwaltungsratsmitglieder in der Lage ist, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft zu kontrollieren, und dies auch tut,

         bei der Bestimmung des „Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen“ die vorstehend unter b oder die unter c genannten Faktoren ausschlaggebend?

5.      Ist ein Mitgliedstaat dann, wenn es offensichtlich gegen seine öffentliche Ordnung verstößt, einer Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung in Bezug auf Personen oder Einrichtungen Rechtswirkung zuzuerkennen, deren Anspruch auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt worden ist, nach Artikel 17 dieser Verordnung verpflichtet, die Entscheidung der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats, mit der in Bezug auf eine Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet werden soll, anzuerkennen, wenn das Gericht des erstgenannten Mitgliedstaats überzeugt ist, dass die betreffende Entscheidung unter Missachtung dieser Grundsätze erlassen wurde, und wenn insbesondere der Antragsteller in dem zweitgenannten Mitgliedstaat sich trotz Aufforderungen und entgegen der Anordnung des Gerichts des zweitgenannten Mitgliedstaats geweigert hat, dem nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats ordnungsgemäß bestellten vorläufigen Verwalter (provisional liquidator) der Gesellschaft Abschriften der wesentlichen Unterlagen zu verschaffen, die dem Antrag zugrunde liegen?

25     Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofes vom 15. September 2004 ist der Antrag des Supreme Court auf Behandlung der vorliegenden Rechtssache im nach Artikel 104a Absatz 1 der Verfahrensordnung vorgesehenen beschleunigten Verfahren zurückgewiesen worden.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur vierten Frage

26     Mit seiner vierten Frage, die als erste zu prüfen ist, soweit sie allgemein das mit der Verordnung eingeführte System zur Feststellung der Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten betrifft, möchte das vorlegende Gericht wissen, was der entscheidende Faktor für die Identifizierung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen der Tochtergesellschaft ist, wenn es um eine Muttergesellschaft und ihre Tochtergesellschaft geht, die ihren jeweiligen satzungsmäßigen Sitz in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben.

27     Das vorlegende Gericht fragt sich, wie einerseits die Tatsache, dass die Tochtergesellschaft der Verwaltung ihrer Interessen in einer für Dritte erkennbaren Art und Weise gewöhnlich und unter Wahrung ihrer eigenen Corporate Identity in dem Mitgliedstaat nachgeht, in dem ihr satzungsmäßiger Sitz liegt, und andererseits die Tatsache, dass die Muttergesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung und ihrer Befugnis zur Bestellung der Verwaltungsratsmitglieder in der Lage ist, die Geschäftspolitik der Tochtergesellschaft zu kontrollieren, gegeneinander abzuwägen sind.

28     Artikel 3 der Verordnung sieht zwei Verfahrensarten vor. Das nach Artikel 3 Absatz 1 vom zuständigen Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, eröffnete so genannte „Hauptinsolvenzverfahren“ hat insofern universelle Wirkungen, als es sich auf in allen Mitgliedstaaten, in denen die Verordnung anwendbar ist, belegenes Vermögen des Schuldners erstreckt. Zwar kann später nach Artikel 3 Absatz 2 vom zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats, in dem der Schuldner eine Niederlassung hat, ein Verfahren eröffnet werden, doch sind die Wirkungen dieses so genannten „Sekundärinsolvenzverfahrens“ auf das im Gebiet dieses Mitgliedstaats belegene Vermögen des Schuldners beschränkt.

29     Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung stellt klar, dass bei Gesellschaften bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort des satzungsmäßigen Sitzes ist.

30     Daraus folgt, dass nach dem mit der Verordnung eingeführten System zur Feststellung der Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten eine eigene gerichtliche Zuständigkeit für jeden Schuldner existiert, der eine juristisch selbständige Einheit darstellt.

31     Der Begriff des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen ist der Verordnung eigen. Daher hat er eine autonome Bedeutung und muss deshalb einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften ausgelegt werden.

32     Die Bedeutung dieses Begriffes erhellt aus der 13. Begründungserwägung der Verordnung, wo es heißt: „Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.“

33     Aus dieser Definition geht hervor, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen ist. Diese Objektivität und diese Möglichkeit der Feststellung durch Dritte sind erforderlich, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren. Diese Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sind umso wichtiger, als die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung die des anwendbaren Rechts nach sich zieht.

34     Folglich lässt sich bei der Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen einer Schuldnergesellschaft die vom Gemeinschaftsgesetzgeber zugunsten ihres satzungsmäßigen Sitzes aufgestellte widerlegliche Vermutung nur entkräften, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll.

35     Dies könnte insbesondere bei einer „Briefkastenfirma“ der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht.

36     Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nachgeht, so reicht die Tatsache allein, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.

37     Unter diesen Voraussetzungen ist auf die vierte Frage zu antworten, dass dann, wenn Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, die in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden kann, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.

 Zur dritten Frage

38     Mit seiner dritten Frage, die als zweite zu prüfen ist, soweit sie allgemein das mit der Verordnung eingeführte System der Anerkennung betrifft, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob nach den Artikeln 3 und 16 der Verordnung ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem das Unternehmen seinen satzungsmäßigen Sitz hat und seine Interessen in einer für Dritte erkennbaren Art und Weise gewöhnlich verwaltet, wo aber das Insolvenzverfahren zuerst eröffnet wird, als für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständig anzusehen ist. Das vorlegende Gericht möchte somit im Wesentlichen wissen, ob die vom Gericht eines Mitgliedstaats zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens wahrgenommene Zuständigkeit von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung beantragt wird, überprüft werden kann.

39     Wie aus der 22. Begründungserwägung der Verordnung hervorgeht, stützt sich die in Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung aufgestellte Prioritätsregel, wonach das in einem Mitgliedstaat eröffnete Insolvenzverfahren in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald es im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist, auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.

40     Dieses gegenseitige Vertrauen hat es ermöglicht, im Anwendungsbereich der Verordnung ein für die Gerichte verbindliches Zuständigkeitssystem zu schaffen und dementsprechend auf die innerstaatlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Anerkennung und die Vollstreckbarerklärung zugunsten eines vereinfachten Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahrens für im Rahmen von Insolvenzverfahren ergangene Entscheidungen zu verzichten (vgl. analog zum Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 1972, L 299, S. 32, im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen] Urteile vom 9. Dezember 2003 in der Rechtssache C-116/02, Gasser, Slg. 2003, I‑14693, Randnr. 72, und vom 27. April 2004 in der Rechtssache C-159/02, Turner, Slg. 2004, I‑3565, Randnr. 24).

41     Diesem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ist es inhärent, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem ein Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anhängig gemacht wird, seine Zuständigkeit im Hinblick auf Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung überprüft, d. h. untersucht, ob der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in diesem Mitgliedstaat hat. Hierbei ist zu betonen, dass eine solche Prüfung unter Beachtung der wesentlichen Verfahrensgarantien, die ein faires Verfahren erfordert, vorzunehmen ist (vgl. Randnr. 66 des vorliegenden Urteils).

42     Im Gegenzug hierzu verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, wie die 22. Begründungserwägung der Verordnung klarstellt, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung überprüfen zu können.

43     Wenn ein Beteiligter der Auffassung ist, dass der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, und deshalb die von dem Gericht, das dieses Verfahren eröffnet hat, angenommene Zuständigkeit anfechten möchte, so hat er bei den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem dieses Verfahren eröffnet worden ist, die im nationalen Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung einzulegen.

44     Somit ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können.

 Zur ersten Frage

45     Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats, bei dem ein Antrag auf Liquidation eines zahlungsunfähigen Unternehmens anhängig ist, vor Anordnung dieser Liquidation einen vorläufigen Verwalter mit Befugnissen zu bestellen, die rechtlich zur Folge haben, dass die Unternehmensführung ihre Handlungsbefugnisse verliert, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung darstellt.

46     Aus dem Wortlaut von Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung geht hervor, dass die Insolvenzverfahren, auf die die Verordnung anwendbar ist, vier Merkmale aufweisen müssen. Es muss sich um ein Gesamtverfahren handeln, das die Insolvenz des Schuldners voraussetzt und den zumindest teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge hat.

47     Die genannten Verfahren sind im Anhang A der Verordnung und die Verwalter in deren Anhang C aufgeführt.

48     Die Verordnung zielt nicht auf die Einführung eines einheitlichen Insolvenzverfahrens, sondern, wie sich aus ihrer zweiten Begründungserwägung ergibt, darauf ab, „effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren“ sicherzustellen. Hierzu legt sie Regeln fest, deren Ziel, wie die dritte Begründungserwägung angibt, „eine Koordinierung der Maßnahmen in Bezug auf das Vermögen eines zahlungsunfähigen Schuldners“ ist.

49     Indem Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung verlangt, dass jede ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnende Entscheidung eines hierfür zuständigen Gerichts eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anerkannt wird, sobald sie in dem Staat, in dem sie ergangen ist, wirksam ist, stellt er zugunsten der zuerst ergangenen Eröffnungsentscheidung eine Prioritätsregel auf, die auf einem zeitlichen Kriterium beruht. „Die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts sollte“, wie die 22. Begründungserwägung der genannten Verordnung ausführt, „in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden; diese sollten die Entscheidung dieses Gerichts keiner Überprüfung unterziehen dürfen.“

50     Jedoch definiert die Verordnung den Begriff „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ nicht hinreichend genau.

51     Hierbei ist daran zu erinnern, dass die Voraussetzungen und Förmlichkeiten, die für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verlangt werden, dem nationalen Recht unterliegen und sich beträchtlich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. In manchen Mitgliedstaaten wird das Verfahren sehr kurz nach der Antragstellung eröffnet, und die erforderlichen Nachprüfungen werden erst später vorgenommen. In anderen Mitgliedstaaten müssen bestimmte wesentliche Feststellungen, die recht viel Zeit in Anspruch nehmen können, vor der Eröffnung des Verfahrens getroffen werden. In manchen nationalen Rechtsordnungen kann das Insolvenzverfahren für einige Monate „vorläufig“ eröffnet werden.

52     Wie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften geltend macht, kommt es für die Effizienz des mit der Verordnung eingeführten Systems darauf an, dass der in Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung enthaltene Anerkennungsgrundsatz so bald wie möglich im Lauf des Verfahrens Anwendung finden kann. Der Mechanismus, der vorsieht, dass nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden kann, das in allen Mitgliedstaaten wirksam ist, in denen die Verordnung anwendbar ist, könnte ernstlich gestört werden, wenn die Gerichte dieser Mitgliedstaaten, bei denen zeitgleich auf die Insolvenz eines Schuldners gestützte Anträge anhängig gemacht werden, während längerer Zeit konkurrierende Zuständigkeiten für sich in Anspruch nehmen könnten.

53     Im Hinblick auf dieses Ziel der Gewährleistung der Effizienz des mit der Verordnung eingeführten Systems ist der Begriff „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ auszulegen.

54     Unter diesen Voraussetzungen ist als „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ im Sinne der Verordnung nicht nur eine Entscheidung zu verstehen, die in dem für das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, geltenden Recht des Mitgliedstaats förmlich als Eröffnungsentscheidung bezeichnet wird, sondern auch die Entscheidung, die infolge eines auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrags auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens ergeht, wenn diese Entscheidung den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert. In einem solchen Fall sind nämlich die beiden charakteristischen Folgen eines Insolvenzverfahrens, nämlich die Bestellung eines in Anhang C genannten Verwalters und der Vermögensbeschlag gegen den Schuldner, wirksam geworden und damit alle konstitutiven Elemente der Definition eines solchen Verfahrens durch Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung gegeben.

55     Entgegen dem, was Herr Bondi und die italienische Regierung geltend machen, lässt sich diese Auslegung nicht durch die Tatsache entkräften, dass der in Anhang C der Verordnung genannte Verwalter ein vorläufig bestellter Verwalter sein kann.

56     Sowohl Herr Bondi als auch die italienische Regierung räumen ein, dass im Ausgangsverfahren der vom High Court mit Entscheidung vom 27. Januar 2004 ernannte „provisional liquidator“ zu den in Anhang C der Verordnung für Irland genannten Verwaltern gehört. Sie heben allerdings hervor, dass es sich um einen vorläufigen Verwalter handele und dass die Verordnung eine auf diesen Fall anwendbare besondere Vorschrift enthalte. Artikel 38 der Verordnung berechtigt nämlich, worauf sie hinweisen, den vorläufigen Verwalter, der in der 16. Begründungserwägung der Verordnung als „vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens bestellter“ Verwalter definiert wird, dazu, für die Zeit zwischen dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und dessen Eröffnung Maßnahmen zur Sicherung des in einem anderen Mitgliedstaat befindlichen Schuldnervermögens zu beantragen. Herr Bondi und die italienische Regierung folgern daraus, dass die Bestellung eines vorläufigen Verwalters nicht das Hauptinsolvenzverfahren eröffnen könne.

57     Hierzu ist festzustellen, dass Artikel 38 der Verordnung im Zusammenhang mit deren Artikel 29 zu lesen ist, wonach der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat beantragen kann. Der genannte Artikel 38 bezieht sich somit auf den Fall, dass beim zuständigen Gericht eines Mitgliedstaats ein Hauptinsolvenzverfahren anhängig gemacht worden ist, dieses Gericht aber, obwohl es eine Person oder eine Stelle zur vorläufigen Überwachung des Schuldnervermögens bestellt hat, noch nicht den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner verhängt oder einen der in Anhang C der Verordnung genannten Verwalter bestellt hat. In diesem Fall kann die fragliche Person oder Stelle, obwohl sie zur Einleitung eines Sekundärinsolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat nicht berechtigt ist, Maßnahmen zur Sicherung des in diesem Mitgliedstaat befindlichen Schuldnervermögens beantragen. Dies ist allerdings im Ausgangsverfahren, in dem der High Court einen in Anhang C der Verordnung genannten „provisional liquidator“ bestellt und den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner verhängt hat, nicht der Fall.

58     Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin erlassene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert.

 Zur zweiten Frage

59     Angesichts der auf die erste Frage gegebenen Antwort erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage.

 Zur fünften Frage

60     Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein Mitgliedstaat nach Artikel 17 der Verordnung verpflichtet ist, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen, wenn die dieses eröffnende Entscheidung unter Verstoß gegen die Verfahrensmodalitäten ergangen ist, die im erstgenannten Staat durch dessen Ordre public garantiert werden.

61     Während die 22. Begründungserwägung der Verordnung aus dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ableitet, dass „[d]ie zulässigen Gründe für eine Nichtanerkennung … auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein [sollten]“, sieht deren Artikel 26 vor, dass ein Mitgliedstaat sich weigern kann, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen, soweit diese Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.

62     Im Zusammenhang mit dem Brüsseler Übereinkommen hat der Gerichtshof entschieden, dass die Ordre-public-Klausel in Artikel 27 Nummer 1 dieses Übereinkommens nur in Ausnahmefällen einschlägig sein kann, da Artikel 27 ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele des Übereinkommens, nämlich die Erleichterung der Freizügigkeit der Urteile, bildet (Urteil vom du 28. März 2000 in der Rechtssache C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I‑1935, Randnrn. 19 und 21).

63     Nachdem er sich dafür zuständig erklärt hatte, über die Grenzen zu wachen, innerhalb deren sich das Gericht eines Vertragsstaats auf diese Ordre-public-Klausel stützen darf, um der Entscheidung eines Gerichts eines anderen Vertragsstaats die Anerkennung zu versagen, hat der Gerichtshof im Rahmen des Brüsseler Übereinkommens entschieden, dass eine Anwendung dieser Klausel nur dann in Betracht kommt, wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Bei dem Verstoß muss es sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (Urteil Krombach, Randnrn. 23 und 37).

64     Diese Rechtsprechung lässt sich auf die Auslegung von Artikel 26 der Verordnung übertragen.

65     Was das Verfahrensrecht anbelangt, ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof ausdrücklich den allgemeinen gemeinschaftlichen Rechtsgrundsatz anerkannt hat, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahren hat (Urteile vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C‑185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnrn. 20 und 21, vom 11. Januar 2000 in den Rechtssachen C‑174/98 P und C‑189/98 P, Niederlande und Van der Wal/Kommission, Slg. 2000, I‑1, Randnr. 17, und Krombach, Randnr. 26). Dieses Prinzip fußt auf den Grundrechten, die integraler Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind, deren Beachtung der Gerichtshof sichert, indem er sich an die gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und an die Hinweise anlehnt, die insbesondere die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten liefert.

66     Was im Besonderen das Recht auf Übermittlung der Verfahrensunterlagen und, allgemeiner, den Anspruch auf rechtliches Gehör betrifft, auf die sich die fünfte Frage des vorlegenden Gerichts bezieht, so ist zu betonen, dass diese in Organisation und Ablauf eines fairen Verfahrens einen herausragenden Platz einnehmen. Im Rahmen eines Insolvenzverfahrens hat der Anspruch der Gläubiger oder ihrer Vertreter auf Teilnahme am Verfahren unter Beachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit eine besondere Bedeutung. Wenn die konkreten Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör auch in Relation zu der möglicherweise gegebenen Eilbedürftigkeit einer Entscheidung variieren können, so muss doch jede Beschränkung der Ausübung dieses Anspruchs ordnungsgemäß gerechtfertigt werden und mit Verfahrensgarantien einhergehen, die für die von einem solchen Verfahren betroffenen Personen eine effektive Möglichkeit sicherstellen, getroffene Eilmaßnahmen anzufechten.

67     Im Licht dieser Erwägungen ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass Artikel 26 der Verordnung dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist.

68     Es ist gegebenenfalls Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob dies im Ausgangsverfahren in Bezug auf den Verlauf des Verfahrens vor dem Tribunale civile e penale Parma der Fall war. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass sich das Gericht nicht darauf beschränken kann, seine eigenen Vorstellungen von der Mündlichkeit des Verfahrens und von der fundamentalen Rolle, die diese in seiner Rechtsordnung spielt, zu übertragen, sondern anhand sämtlicher Umstände beurteilen muss, ob der vom High Court bestellte „provisional liquidator“ hinreichend die Möglichkeit hatte, gehört zu werden.

 Kosten

69     Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

1.      Wenn Schuldner eine Tochtergesellschaft ist, deren satzungsmäßiger Sitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt als der der Muttergesellschaft, kann die in Artikel 3 Absatz 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren aufgestellte Vermutung, wonach diese Tochtergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen in dem Mitgliedstaat hat, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nur widerlegt werden, sofern objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegen, dass in Wirklichkeit die Lage nicht derjenigen entspricht, die die Verortung am genannten satzungsmäßigen Sitz widerspiegeln soll. Dies könnte insbesondere bei einer Gesellschaft der Fall sein, die im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, keiner Tätigkeit nachgeht. Wenn jedoch eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz befindet, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden oder kontrolliert werden können, nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.

2.      Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass das von einem Gericht eines Mitgliedstaats eröffnete Hauptinsolvenzverfahren von den Gerichten der übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, ohne dass diese die Zuständigkeit des Gerichts des Eröffnungsstaats überprüfen können.

3.      Artikel 16 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass die von einem Gericht eines Mitgliedstaats auf einen entsprechenden, auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrag auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens hin erlassene Entscheidung eine Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne dieser Vorschrift darstellt, wenn sie den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Ein solcher Vermögensbeschlag bedeutet, dass der Schuldner die Befugnisse zur Verwaltung seines Vermögens verliert.

4.      Artikel 26 der Verordnung Nr. 1346/2000 ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist.

Unterschriften.


* Verfahrenssprache: Englisch.

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