EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 16.1.2018
COM(2018) 35 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
über die Auswirkungen der Verwendung von oxo-abbaubarem Kunststoff, einschließlich oxo-abbaubarer Kunststofftragetaschen, auf die Umwelt
1.Einführung
Am 29. April 2015 verabschiedeten das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie (EU) 2015/720 zur Änderung der Richtlinie 94/62/EG betreffend die Verringerung des Verbrauchs von leichten Kunststofftragetaschen.
Hauptziel dieser Richtlinie ist es, den Verbrauch an leichten Kunststofftragetaschen zu verringern, damit weniger dieser Taschen weggeworfen werden und sich in der Umwelt ansammeln, wo sie das weitverbreitete Problem von Kunststoffabfällen in der Umwelt und vor allem die Meeresverschmutzung verschärfen.
Gemäß Artikel 20a Absatz 2 der Verpackungsrichtlinie muss die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht übermitteln, in dem die Umweltauswirkungen der Verwendung von oxo-abbaubaren Kunststofftragetaschen untersucht werden, und gegebenenfalls einen Gesetzgebungsvorschlag vorlegen.
Der vorliegende Bericht soll das Europäische Parlament und den Rat darüber unterrichten, wie die Kommission ihrem Auftrag nachgekommen ist.
Die Kommission untersuchte die Umweltauswirkungen von sogenanntem oxo-abbaubarem Kunststoff allgemein, nicht nur von Kunststofftragetaschen; diese Untersuchung untermauerte sie mit einer im April 2017 veröffentlichen Studie, die sich mit den folgenden drei wesentlichen Punkten befasste:
·biologische Abbaubarkeit von oxo-abbaubarem Kunststoff in unterschiedlichen Umgebungen;
·Umweltauswirkungen von Kunststoffabfällen in der Umwelt („Littering“);
·Fragen im Zusammenhang mit Recycling.
In diesen Bereichen wurden mehrere unterschiedliche Hypothesen aufgestellt, die sich auf die Behauptungen und Prämissen der oxo-abbaubaren Kunststoff herstellenden Industrie zu dem Material beziehen. Die Hypothesen wurden auf der Grundlage der dazu gesammelten Belege analysiert, um festzustellen, ob sie bestätigt oder widerlegt werden können.
Die Studie beruht auf einer Auswertung von Literatur, einschließlich wissenschaftlicher Berichte, und auf Informationen von Interessenträgern und technischen Sachverständigen.
2.Biologischer Abbau, Kompostierung und Oxo-Abbau
Zum besseren Verständnis der hier erörterten Aspekte müssen die Prozesse des biologischen Abbaus, der Kompostierung und des Oxo-Abbaus definiert und erläutert werden.
„Biologischer Abbau“ ist ein Prozess, bei dem Stoffe zerfallen und von Mikroorganismen in Bestandteile zersetzt werden, die in der Natur vorkommen, wie CO2, Wasser und Biomasse. Der biologische Abbau kann in einem sauerstoffreichen Milieu (aerober biologischer Abbau) oder in einem sauerstoffarmen Milieu (anaerober biologischer Abbau) stattfinden.
„Kompostierung“ ist ein verbesserter biologischer Abbau unter kontrollierten Bedingungen, der vor allem durch gesteuerte Belüftung und natürliche Wärmebildung infolge der in dem Material ablaufenden biologischen Aktivität gekennzeichnet ist. Das entstandene Endprodukt, der Kompost, enthält wertvolle Nährstoffe und kann zur Bodenmelioration verwendet werden.
Theoretisch dürften alle Stoffe letztendlich biologisch abgebaut werden, auch in der freien Natur, dies kann jedoch mitunter Hunderte oder Tausende von Jahren dauern. Die Betrachtung des biologischen Abbaus von Kunststoffen als Mittel zur Vermeidung von Umweltverschmutzung ist in der Praxis nur dann sinnvoll, wenn dabei auf einen „vertretbaren“ Zeitrahmen Bezug genommen wird. Bei dieser Betrachtung sollten auch besondere Bedingungen und/oder Umgebungen wie die Meeresumwelt berücksichtigt werden, wo der biologische Anbau auf besondere Schwierigkeiten stößt.
Biopolymere werden sowohl unter kontrollierten Bedingungen als auch in der freien Natur schnell biologisch abgebaut.
Der biologische Abbau von künstlich synthetisierten Stoffen (z. B. konventionelle Kunststoffe) ist theoretisch möglich, wenn der Stoff in kleinere Teile aufgespalten wird und seine Molekülmasse so weit verringert wird, dass ein biologischer Abbau möglich ist. Faktoren wie Licht, Feuchtigkeit, Sauerstoff und Temperatur bestimmen die Abbaugeschwindigkeit. In der freien Natur kann der biologische Abbau von konventionellem Kunststoff langwierig sein und manchmal Hunderte von Jahren dauern. Als „biologisch abbaubar“ gekennzeichnete Kunststoffe werden dann biologisch abgebaut, wenn besondere Umweltbedingungen herrschen. Der biologische Abbau hängt nicht von der Ressourcengrundlage eines Stoffs ab: Biologisch abbaubarer Kunststoff kann (wie konventioneller Kunststoff) auf fossilen oder auf biologischen Ressourcen basieren.
Bei den sogenannten „Oxo-Kunststoffen“ oder „oxo-abbaubaren“ Kunststoffen handelt es sich um konventionelle Kunststoffe, die Zusätze enthalten, die die durch UV-Strahlung oder Wärmeexposition ausgelöste Fragmentierung des Stoffs in sehr kleine Teile beschleunigen. Diese Zusätze bewirken mit der Zeit die Fragmentierung des Kunststoffs in Kunststoffpartikel und schließlich Mikroplastik, das ähnliche Eigenschaften aufweist wie Mikroplastik aus der Fragmentierung konventioneller Kunststoffe.
Diese beschleunigte Fragmentierung soll auch den biologischen Abbau beschleunigen. Einige Interessenträger stellen den „Oxo-Bio-Abbau“ als die Lösung für die Umweltauswirkungen von Kunststoff in der freien Natur dar. Sie führen an, dass oxo-abbaubarer Kunststoff, selbst wenn er die Umwelt verschmutzt, in der freien Natur in Fragmente zerfällt und biologisch abgebaut wird, ohne dass toxische Rückstände oder Kunststofffragmente zurückbleiben.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob die Kunststofffragmente unter nicht kontrollierten Bedingungen in der freien Natur, in Deponien oder in der Meeresumwelt innerhalb eines vertretbaren Zeitraums vollständig biologisch abgebaut werden. Ist dies nicht der Fall, trägt oxo-abbaubarer Kunststoff weiteres Mikroplastik in die (Meeres-)Umwelt ein, während die Verbraucher getäuscht werden. Jüngsten Forschungsarbeiten zufolge gelangt Mikroplastik, das in die Meeresumwelt eingetragen wurde, in die Nahrungskette und wird letztendlich über die Nahrung vom Menschen aufgenommen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob der angebliche biologische Abbau von oxo-abbaubarem Kunststoff möglicherweise das Wegwerfverhalten der Verbraucher beeinflusst.
Auch zum Recycling ergeben sich Fragen, da die inhärente und sogar programmierte Fragmentierung durch Oxidationsmittel das Kunststoffrecycling in den Kunststoff-Abfallströmen beinträchtigen kann.
3.Fragen in Bezug auf die biologische Abbaubarkeit von oxo-abbaubarem Kunststoff, einschliesslich Kunststofftragetaschen
3.1Fragmentierung und biologischer Abbau in der freien Natur
Zahlreiche Studien haben aufgezeigt, dass oxo-abbaubarer Kunststoff, wenn er im Freien über längere Zeit Wärme und/oder UV-Licht ausgesetzt ist, in der Tat so stark oxidiert, dass der Kunststoff brüchig wird und in Fragmente zerfällt.
Dieser erste Abbauschritt bereitet den oxo-abbaubaren Kunststoff auf den biologischen Abbau vor, indem er die Molekularmasse des Kunststoffs so weit reduziert, dass dieser von biologischen Organismen aufgenommen werden kann.
Oxidationsmittel beschleunigen im Freien zwar die Fragmentierung von traditionellen Polymeren, doch ist das Tempo der Fragmentierung je nach der herrschenden Temperatur, Lichtintensität und Feuchtigkeit sehr unterschiedlich. Oxo-abbaubare Kunststoffe werden eindeutig nicht abgebaut, wenn sie nicht zuerst UV-Strahlung und – bis zu einem gewissen Maß – Wärme ausgesetzt wurden. Da sich diese Bedingungen von Tag zu Tag ändern und von den lokalen Gegebenheiten abhängen, ist es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, die Zeitspannen anzugeben, in denen beispielsweise eine oxo-abbaubare Kunststofftragetasche im Freien in Fragmente zerfällt. Es gibt daher keine schlüssigen Belege für das Maß der Fragmentierung, das zu einer hinreichend geringen Molekularmasse des Kunststoffs führt und somit den biologischen Abbau ermöglicht.
Ein wichtiges Problem oxo-abbaubarer Kunststoffe ist der Kompromiss zwischen der vorgesehenen Nutzungsdauer und dem Zeitraum, der für den Abbau im Freien erforderlich sein kann. Selbst wenn der biologische Abbau durch die sorgfältige Zusammenstellung der zugesetzten Chemikalien möglicherweise erleichtert wird, kann mangels Belegen nicht endgültig geschlossen werden, dass dies unter realen Gegebenheiten auch tatsächlich geschieht. Sind die Voraussetzungen für eine Fragmentierung nicht oder nicht hinreichend gegeben, findet kein biologischer Abbau statt.
3.2Kompostierung
Zur Kompostierung sind Stoffe erforderlich, die nicht nur biologisch abgebaut, sondern Teil von nutzbarem Kompost werden und den Boden mit Nährstoffen versorgen. Es gibt Hinweise darauf, dass oxo-abbaubarer Kunststoff für keine Form der Kompostierung oder anaeroben Vergärung geeignet ist und den derzeit in der EU geltenden Normen für durch Kompostierung verwertbare Verpackungen nicht genügt. Die zurückbleibenden Kunststofffragmente und das möglicherweise entstandene Mikroplastik könnten die Qualität des Komposts negativ beeinflussen.
3.3Fragmentierung und biologischer Abbau in Deponien
Für die Fragmentierung von oxo-abbaubarem Kunststoff ist Sauerstoff erforderlich. In den meisten Deponieteilen, vor allem im Deponieinneren, ist kaum Sauerstoff vorhanden. Inzwischen gibt es Hinweise darauf, dass oxo-abbaubarer Kunststoff in den tieferen Deponieschichten (in denen zu wenig Luft an das Material gelangt und deswegen nur ein anaerober Abbau möglich ist) kaum oder gar nicht biologisch abgebaut wird. In den äußeren Deponieschichten, wo Luft an das Material gelangt, ist ein aerober Abbau möglich.
Unter dem Gesichtspunkt des Umweltschutzes besteht der wichtigste Unterschied darin, dass bei einem aeroben Abbau CO2 entsteht, beim anaeroben Abbau hingegen Methan, das (unter Betrachtung eines Zeitraums von 100 Jahren) ein 25-mal schädlicheres Treibhausgas ist als CO2.
Selbst wenn also oxo-abbaubarer Kunststoff in den tieferen Schichten einer Deponie in gewissem Umfang biologisch abgebaut werden sollte, wäre er unter dem Aspekt der Treibhauswirkung marginal schädlicher als konventioneller Kunststoff, weil konventioneller Kunststoff unter solchen Bedingungen nicht biologisch abgebaut wird.
3.4Fragmentierung und biologischer Abbau in der Meeresumwelt
Derzeit fehlen hinreichende Belege, um zu garantieren, dass oxo-abbaubarer Kunststoff, wie u. a. Kunststofftragetaschen, in der Meeresumwelt in einem vertretbaren Zeitraum biologisch abgebaut wird.
Es wurden nur wenige Versuche durchgeführt und derzeit gibt es keinen anerkannten Standard, der als Richtwert herangezogen werden und eine Zertifizierung ermöglichen könnte.
Selbst unter der Annahme, dass oxo-abbaubarer Kunststoff in der Meeresumwelt so stark fragmentiert, dass ein biologischer Abbau möglich würde, verliefe ein biologischer Abbau in der Meeresumwelt wegen des niedrigeren Sauerstoffgehalts und der geringeren Konzentration von Bakterien voraussichtlich deutlich langsamer als an Land. Darüber hinaus kann eine Kunststofftragetasche das Meeresökosystem und die Meeresfauna (z. B. Schildkröten, Seevögel oder Wale) erheblich schädigen, bevor sie in Fragmente zerfällt.
Es gibt weder schlüssige Beweise für die Zeit, innerhalb deren oxo-abbaubarer Kunststoff in der Meeresumwelt in Fragmente zerfällt, noch für das Maß der Fragmentierung. Darüber hinaus besteht wie bei allen anderen Kunststoffabfällen, die in die Meeresumwelt gelangen, die Gefahr, dass die Kunststofffragmente für lange Zeit dort verbleiben und erhebliche Umwelt– und potenzielle Gesundheitsschäden hervorrufen.
3.5Schlussfolgerungen zum biologischen Abbau und zur Kompostierung von oxo-abbaubarem Kunststoff, einschließlich Kunststofftragetaschen, unter nicht kontrollierten Bedingungen in unterschiedlichen Umgebungen
In Wissenschaftskreisen und in der Industrie besteht allgemeines Einvernehmen darüber, dass Oxidationszusätze die Fragmentierung von traditionellen Polymeren in Umgebungen im Freien beschleunigen.
Für keine dieser Umgebungen wurde jedoch ein vollständiger biologischer Abbau nachgewiesen. Die meisten Versuche hatten eine zu kurze Laufzeit, um den vollständigen biologischen Abbau belegen zu können, und die Ergebnisse der in der Anfangsphase gemessenen Verringerung der Molekularmasse wurden nach bestimmten Modellen extrapoliert. Daher liegen derzeit keine schlüssigen Beweise dafür vor, dass die Fragmentierung hinreichend schnell erfolgt und zu einer geringeren Molekularmasse führt, die im Anschluss den biologischen Abbau in einem vertretbaren zeitlichen Rahmen gestattet.
Außerdem legen die Ergebnisse nahe, dass sich oxo-abbaubarer Kunststoff für keine Form der Kompostierung oder anaeroben Vergärung eignet.
4.Fragen im Zusammenhang mit der Verschmutzung der Umwelt durch Kunststoffabfälle (Littering)
4.1Potenziell toxische Wirkungen der oxidierenden Zusätze
Die potenziell toxischen Wirkungen von Rückständen der Zusätze aus oxo-abbaubarem Kunststoff wurden als bedenklich eingestuft.
Gültige Schlussfolgerungen für alle oxidierenden Zusätze konnten jedoch nicht gezogen werden, da verschiedene oxidierende Zusätze in unterschiedlichen Konzentrationen verwendet werden.
Den verfügbaren Daten zufolge ist die oxo-abbaubare Kunststoffe herstellende Industrie in der Lage, Kunststoffe mit minimaler toxischer Wirkung für Flora und Fauna zu erzeugen; dass diese keinerlei negativen Auswirkungen haben, wurde jedoch nicht schlüssig belegt.
Einige wenige Prüfstandards für oxo-abbaubaren Kunststoff sehen bestimmte Formen von Toxizitätsprüfungen vor, doch sind diese Standards für Erzeugnisse auf dem EU-Markt nicht verbindlich; darüber hinaus enthalten einige Standards Checklisten, in denen für die toxikologischen Prüfergebnisse keine Ausschlusskriterien festgelegt sind.
Solange es in der EU keine geeigneten Standards gibt, ist nicht garantiert, dass alle auf dem Markt befindlichen oxo-abbaubaren Kunststoffe frei von negativen toxischen Wirkungen sind, und die Unsicherheit in Bezug auf die realen toxikologischen Auswirkungen bleibt bestehen.
4.2Potenzielle Zunahme der Umweltverschmutzung durch Kunststoffabfälle
Auch wenn derzeit weder zur Entsorgung bzw. zum Wegwerfen von Kunststoffen stichhaltige, nach Kunststoffarten aufgeschlüsselte Daten noch Daten dazu vorliegen, wie die Vermarktung von oxo-abbaubarem Kunststoff das Wegwerfverhalten der Verbraucher beeinflusst, ist es doch denkbar, dass das Wegwerfverhalten dadurch beeinflusst wird, dass oxo-abbaubarer Kunststoff als die Lösung für Kunststoffabfälle in der Umwelt dargestellt wird, weil dadurch die Wahrscheinlichkeit steigt, dass solcher Kunststoff in ungeeigneter Weise entsorgt wird. Bei bestimmten oxo-abbaubaren Erzeugnissen, wie Mulchfolien für die Landwirtschaft, ist die Umweltverschmutzung durch Kunststoffabfälle ein Fakt, denn diese Erzeugnisse werden den Landwirten mit der Absicht verkauft, sie nach Gebrauch nicht wieder einzusammeln (vgl. Rücknahmeregelungen für konventionellen Kunststoff), sondern sie an Ort und Stelle zu belassen.
4.3Kunststoffabfälle im Meer
In der Meeresumwelt könnten Kunststoffabfälle, einschließlich Kunststofffragmente und Mikroplastik, den größten Schaden anrichten, gleichzeitig ist die Wahrscheinlichkeit dort am geringsten, dass Kunststoffabfälle später eingesammelt oder zurückgewonnen werden.
Da oxo-abbaubarer Kunststoff darauf ausgelegt ist, schneller zu fragmentieren als konventioneller Kunststoff, ist es weniger wahrscheinlich, dass er bei Säuberungsaktionen zurückgewonnen wird und die Wahrscheinlichkeit, dass er von Wind und Wasser weggetragen wird, ist höher. Da diese Faktoren möglicherweise dazu beitragen, dass oxo-abbaubarer Kunststoff eher in die Meeresumwelt eingetragen wird als konventioneller Kunststoff, kann angeführt werden, dass oxo-abbaubarer Kunststoff zur Verschmutzung durch Mikroplastik beiträgt und somit mit höheren Umweltrisiken einhergeht.
Es gibt keinen schlüssigen Beleg dafür, dass oxo-abbaubarer Kunststoff in der Meeresumwelt innerhalb eines angemessenen Zeitraums vollständig biologisch abgebaut wird.
Auch kann wegen mangelnder Belege nicht der Schluss gezogen werden, ob oxo-abbaubarer Kunststoff die absolute Menge Kunststoff in der Meeresumwelt erhöhen oder verringern würde. Bei Annahme eines vollständigen biologischen Abbaus an Land wäre die Menge, die ansonsten in die Meeresumwelt gelangen würde, geringer. Der vollständige biologische Abbau an Land wurde jedoch nicht nachgewiesen. Deswegen besteht die Gefahr, dass das Fragmentierungsverhalten von oxo-abbaubarem Kunststoff die von Mikroplastik in der Meeresumwelt verursachten Probleme noch verschärft.
Darüber hinaus bewirkt eine rasche Fragmentierung möglicherweise, dass sich weniger Tiere in Kunststoff verwickeln, gleichzeitig aber steigt die Gefahr, dass Meerestiere Mikroplastik verschlucken.
Da oxo-abbaubarer Kunststoff wahrscheinlich schneller fragmentiert als konventioneller Kunststoff, konzentrieren sich die negativen Auswirkungen infolge von Mikroplastik in der Meeresumwelt auf einen kürzeren Zeitraum. Dies könnte letztendlich schädlicher sein, als wenn sich die Auswirkungen über einen längeren Zeitraum verteilen, da einzelne Tiere, Arten und Lebensräume proportional stärker beeinträchtigt und Einzelwesen stärker belastet werden.
5.Fragen im Zusammenhang mit dem Recyclingprozess
5.1Erkennen von oxo-abbaubarem Kunststoff
Die inhärente, programmierte Fragmentierung, die durch die oxidierenden Zusätze erreicht werden soll, ist bei vielen Erzeugnissen, die aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden, nicht erwünscht. Oxo-abbaubarer Kunststoff sollte daher erkennbar sein und von anderem zum Recycling gesammeltem Kunststoff getrennt werden.
Die derzeit verfügbaren Technologien bieten den Wiederaufbereitungsbetrieben jedoch nicht die Möglichkeit, oxo-abbaubaren Kunststoff zu erkennen und gesondert zu sortieren. Infolgedessen wird oxo-abbaubarer Kunststoff mit konventionellem Kunststoff vermischt recycelt.
5.2Qualitätsprobleme und Vermarktbarkeit von Rezyklaten
Die Recyclingindustrie hegt erhebliche Bedenken, dass oxo-abbaubarer Kunststoff die Qualität von recyceltem Kunststoff negativ beeinflusst. In Tests wurde nachgewiesen, dass oxo-abbaubarer Kunststoff in einem Recyclingsystem für konventionellen Kunststoff zu einem minderwertigen Rezyklat führen kann. Selbst wenn darüber hinaus offenbar die Möglichkeit besteht, ein hochwertiges Rezyklat zu gewinnen, ist nicht garantiert, dass sich der oxo-abbaubare Kunststoff nicht negativ auf das Rezyklat auswirkt.
Es gibt Hinweise darauf, dass sich die Auswirkungen von oxo-abbaubarem Kunststoff auf Rezyklate unter bestimmten Bedingungen durch die Zugabe von Stabilisatoren vermeiden lassen. Die geeignete Menge und Zusammensetzung des Stabilisators hinge von der Konzentration und der Art der oxidierenden Zusätze im Ausgangsmaterial ab. Da in realen Situationen aber die Konzentration von oxo-abbaubarem Kunststoff im Rezyklat nicht bekannt ist, ist es schwierig, die Stabilisatoren korrekt zu dosieren.
Ein wichtiges Problem besteht außerdem darin, dass sich nicht vollständig steuern lässt, in welchem Maße oxo-abbaubarer Kunststoff bereits während der Nutzungsphase des Produkts altert, also bevor dieses Abfall wird und in Recyclingverfahren gelangt.
Die Existenz von oxo-abbaubarem Kunststoff und die weltumspannende Dimension der Märkte für Sekundärrohstoffe bilden ein Risiko für die breitere Verwendung von verwertetem Kunststoff in langlebigen Produkten. Die Ungewissheit, ob das Rezyklat möglicherweise oxo-abbaubaren Kunststoff enthält und wie stark dieser vor der Verwertung oxidiert und abgebaut wurde, schränkt die endgültige Verwendung des Rezyklats ein, drückt den Rezyklatpreis nach unten und schadet der Wettbewerbsstellung der Kunststoff-Recyclingindustrie.
6.Fazit
Bei Betrachtung der wichtigsten Ergebnisse der Studie und anderer verfügbarer Berichte gibt es zu einer Reihe wichtiger Fragen im Zusammenhang mit den vorteilhaften Auswirkungen von oxo-abbaubarem Kunststoff auf die Umwelt keine schlüssigen Beweise.
Es steht außer Zweifel, dass oxo-abbaubarer Kunststoff, auch Kunststofftragetaschen, in der freien Natur schneller abgebaut werden als konventioneller Kunststoff. Es gibt aber keine Belege dafür, dass oxo-abbaubarer Kunststoff anschließend in der freien Natur, in Deponien oder in der Meeresumwelt innerhalb eines vertretbaren Zeitraums vollständig biologisch abgebaut wird. Besonders in Deponien und in der Meeresumwelt konnte ein hinreichend schneller biologischer Abbau nicht nachgewiesen werden.
Ein breites Spektrum von Wissenschaftlern, internationalen und staatlichen Einrichtungen, Testlabors, Handelsverbänden von Kunststoffherstellern, Recyclingunternehmen und anderen Sachverständigen sind deswegen zu dem Schluss gekommen, dass oxo-abbaubare Kunststoffe keine Lösung für die Umwelt bieten und sich nicht für die langfristige Nutzung, für Recycling und für die Kompostierung eignen.
Die Gefahr ist groß, dass fragmentierte Kunststoffe nicht vollständig biologisch abgebaut werden, was wiederum mit dem Risiko einhergeht, dass Mikroplastik immer schneller und in immer größeren Mengen in die Umwelt und besonders die Meeresumwelt gelangt. Die Problematik von Mikroplastik wird seit Langem als globales Problem gesehen, bei dem dringender Handlungsbedarf besteht, und zwar nicht nur in Form der Abfallbeseitigung, sondern auch in Form der Prävention der Umweltverschmutzung durch Kunststoff.
Es gibt keinerlei Belege für die Behauptung, oxo-abbaubarer Kunststoff biete für die Umweltverschmutzung durch Kunststoffabfälle eine „oxo-biologische“ Lösung, die sich nicht negativ auf die Umwelt auswirkt, da sie insbesondere keine Kunststofffragmente oder Rückstände hinterlässt.
Solange es keine schlüssigen Belege für eine vorteilhafte Umweltwirkung, sondern sogar Hinweise auf das Gegenteil gibt, und angesichts der irreführenden Behauptungen gegenüber den Verbrauchern in diesem Zusammenhang und des Risikos einer dadurch hervorgerufenen stärkeren Vermüllung sollten EU-weite Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Im Rahmen der Kunststoffstrategie der EU wird daher ein Prozess eingeleitet, um die Verwendung von Oxo-Kunststoffen in der EU einzuschränken.