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Document 52016PC0811

Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf die befristete generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf Lieferungen bestimmter Gegenstände und Dienstleistungen über einem bestimmten Schwellenwert

COM/2016/0811 final - 2016/0406 (CNS)

Brüssel, den 21.12.2016

COM(2016) 811 final

2016/0406(CNS)

Vorschlag für eine

RICHTLINIE DES RATES

zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf die befristete generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf Lieferungen bestimmter Gegenstände und Dienstleistungen über einem bestimmten Schwellenwert

{SWD(2016) 457 final}
{SWD(2016) 458 final}


BEGRÜNDUNG

1.KONTEXT DES VORSCHLAGS

Gründe und Ziele des Vorschlags

Am 7. April 2016 hat die Kommission einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer 1 angenommen, in dem die Ziele und die Maßnahmen zur Modernisierung des Mehrwertsteuersystems in der EU vorgestellt wurden. Der Aktionsplan baut auf den seit der Mitteilung über die Zukunft der Mehrwertsteuer 2 durchgeführten Arbeiten auf, die das Ergebnis eines von der Kommission mit ihrem Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer 3 initiierten umfangreichen Konsultationsprozesses war.

Die Schaffung eines robusten, einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraums ist eine der von der Kommission in ihrem Aktionsplan angekündigten Kernmaßnahmen. Sie erfordert die Einrichtung eines endgültigen Mehrwertsteuersystems für den grenzübergreifenden Handel zwischen Unternehmen (B2B) innerhalb der EU, durch das das bisherige als Übergangslösung konzipierte System ersetzt werden soll.

Das Europäische Parlament und der Rat haben sich darauf geeinigt, dass dieses endgültige Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz der Besteuerung im Bestimmungsland der Gegenstände (sogenanntes „Bestimmungslandprinzip“) beruht, wohingegen das bisherige System auf der Steuerbefreiung von Lieferungen von Gegenständen im Mitgliedstaat der Ausfuhr basiert. Die Kommission hat daher die Absicht bekundet, im Jahr 2017 einen Legislativvorschlag für das endgültige Mehrwertsteuersystem für den grenzübergreifenden Handel vorzulegen, der auf dieser Besteuerungsoption basiert.

Da jedoch die Ausarbeitung, Annahme und Umsetzung einer solchen großen Änderung einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte, hat die Kommission die Notwendigkeit anerkannt, parallel dazu andere Initiativen voranzubringen, insbesondere Sofortmaßnahmen zur Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs und der Mehrwertsteuerlücke, d. h. der Differenz zwischen den erwarteten und den tatsächlich von den Steuerbehörden erhobenen Mehrwertsteuereinnahmen. Diese Mehrwertsteuerlücke hat mit annähernd 160 Mrd. EUR 4 ein besorgniserregendes Ausmaß angenommen; Einnahmenverluste von jährlich rund 50 Mrd. EUR 5 gehen auf grenzübergreifende Betrugsfälle zurück.

Als eine mögliche Sofortmaßnahme hat die Kommission auf Ersuchen einiger Mitgliedstaaten die Möglichkeit geprüft, diesen Mitgliedstaaten die Anwendung einer befristeten generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) zu erlauben, das von einem der Grundsätze der Mehrwertsteuerrichtlinie 6 , der fraktionierten Zahlung, abweicht. Hierzu hat sich die Kommission bereit erklärt, die politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen einer solchen zeitweiligen generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft gründlich zu prüfen, bevor sie ihre Schlussfolgerungen vorlegt.

Diese eingehende technische Analyse einer zeitweiligen generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft mit einem Rechnungsschwellenwert von 10 000 EUR wurde durchgeführt und auf der Tagung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) vom 17. Juni 2016 vorgelegt. Im Zusammenhang mit einer politischen Einigung über die allgemeine Betrugsbekämpfungspolitik in der EU hat die Kommission folgende Erklärung im Protokoll der Tagung des Rates (Wirtschaft und Finanzen) abgegeben: „Die Kommission sagt zu, vor Ende des Jahres einen Gesetzgebungsvorschlag vorzulegen, der es einzelnen Mitgliedstaaten – unter Wahrung des Binnenmarkts – ermöglicht, vom gemeinsamen Mehrwertsteuersystem abzuweichen, um eine generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf inländische Lieferungen oberhalb eines festgelegten Schwellenwerts anzuwenden.“

Kohärenz mit den bestehenden Vorschriften in diesem Bereich

Der Legislativvorschlag ist zeitlich und hinsichtlich seines Anwendungsbereichs begrenzt und berührt nicht die Entwicklung des endgültigen Mehrwertsteuersystems, das auf der Besteuerung grenzübergreifender Lieferungen basiert.

2.RECHTSGRUNDLAGE, SUBSIDIARITÄT UND VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT

Rechtsgrundlage

Mit der Richtlinie wird die Mehrwertsteuerrichtlinie auf der Grundlage des Artikels 113 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union geändert.

Aufgrund der Abweichung vom Grundsatz der fraktionierten Zahlung ist eine konkrete Rechtsgrundlage für eine solche befristete Anwendung einer generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für Gegenstände und Dienstleistungen, die einen bestimmten Schwellenwert übersteigen, die beste Lösung, die auch mit dem Mehrwertsteueraktionsplan in Einklang steht.

Subsidiarität (bei nicht ausschließlicher Zuständigkeit)

Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip (Artikel 5 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union) wird die EU nur dann tätig, wenn die verfolgten Ziele auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der vorgeschlagenen Maßnahme besser auf Unionsebene zu verwirklichen sind.

Die Mitgliedstaaten könnten einzeln nicht tätig werden, da die Anwendung einer generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft durch einzelne Mitgliedstaaten nicht als normale Ausnahmeregelung im Sinne des Artikels 395 der Mehrwertsteuerrichtlinie angesehen werden kann, weil sie eine grundlegende Änderung des Mehrwertsteuersystems darstellt. Die Möglichkeit für einzelne Mitgliedstaaten, eine generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden, erfordert daher einen Vorschlag der Kommission zur Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie, um eine solche Ausnahmeregelung zu gestatten. Der Vorschlag belässt den Mitgliedstaaten ein hohes Maß an Subsidiarität, da die Anwendung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft freiwillig ist und jeder Mitgliedstaat entscheiden kann, ob er die Ausnahmeregelung in Anspruch nehmen will, falls er die entsprechenden Kriterien dafür erfüllt.

Verhältnismäßigkeit

Da die Maßnahme optional und befristet ist, steht sie in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel der Betrugsbekämpfung in bestimmten Mitgliedstaaten, die nicht über die für eine effektive Betrugsbekämpfung erforderliche Verwaltungskapazität verfügen oder mit einer starken Zunahme des Mehrwertsteuerbetrugs konfrontiert sind. Die Gewährung einer befristeten generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft ist an vordefinierte Kriterien geknüpft, die den Anwendungsbereich der Maßnahme auf Mitgliedstaaten begrenzen, die in besonderem Maß vom Karussellbetrug betroffen sind. In diesem Kontext werden eine Mehrwertsteuerlücke, die fünf Prozentpunkte über dem Medianwert der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerlücke liegt, und ein Anteil des Karussellbetrugs an der gesamten Mehrwertsteuerlücke eines Mitgliedstaats von mehr als 25 % als angemessene und repräsentative Kriterien angesehen, um festzustellen, welche Mitgliedstaaten überdurchschnittlich betroffen sind. Da nicht sicher ist, welche Auswirkungen die Maßnahme auf die Verlagerung von Betrugsfällen haben wird, sollten darüber hinaus Mitgliedstaaten, die eine gemeinsame Grenze mit dem Mitgliedstaat haben, der die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwendet, ebenfalls unter bestimmten Bedingungen die Umkehrung anwenden können.

Die Auswirkungen auf den Binnenmarkt sollten jedoch sorgfältig überwacht werden. Hierzu sollte die Kommission durch eine Schutzklausel ermächtigt werden, Ausnahmeregelungen ohne rückwirkende Kraft aufzuheben, wenn diese negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben.

Wahl des Instruments

Zur Änderung der Mehrwertsteuerrichtlinie wird eine Richtlinie vorgeschlagen.

3.ERGEBNISSE DER EX-POST-BEWERTUNG, DER KONSULTATION DER INTERESSENTRÄGER UND DER FOLGENABSCHÄTZUNG

Konsultation der Interessenträger

Es wurde keine spezielle Konsultation der Interessenträger durchgeführt.

Die öffentliche Konsultation zum „Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer – Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System“ (KOM(2010) 695), zu der rund 1700 Beiträge eingingen, vermittelte der Kommission ein klares Bild der Probleme und möglichen Lösungen, auch zu Aspekten der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft. Weitere Einzelheiten sind in Anhang 2 der Folgenabschätzung dargelegt.

Die Steuerverwaltungen und Unternehmensvertreter erörterten dieses Thema auf einer Sitzung der Gruppe zur Zukunft der Mehrwertsteuer und der Expertengruppe für Mehrwertsteuer im Februar 2016, auf der sich die Kommission einen umfassenden Überblick über die Meinungen und die mögliche Umsetzung und Anwendung eines solchen Systems verschaffte.

Einholung und Nutzung von Expertenwissen

Die Expertengruppe für Mehrwertsteuer, die die Europäische Kommission in Mehrwertsteuerfragen bei der Ausarbeitung von Rechtsakten und anderen politischen Initiativen unterstützt und berät, wurde wie bereits erwähnt im Februar 2016 angehört.

Die REFIT-Plattform forderte in ihrer Stellungnahme vom 28. Juni 2016 ein einfacheres und grundlegenderes Mehrwertsteuersystem und wies insbesondere auf die Hindernisse für den Binnenmarkt und den hohen Verwaltungsaufwand hin. 7

Berücksichtigt wurden auch zahlreiche Stellungnahmen von Unternehmensverbänden sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen.

Folgenabschätzung

Die Folgenabschätzung wurde dem Ausschuss für Regulierungskontrolle zuerst am 27. September 2016 vorgelegt; am 26. Oktober 2016 fand eine Sitzung statt. Auf der Grundlage der Stellungnahme des Ausschusses wurde dem Ausschuss ein neuer Entwurf vorgelegt, zu dem dieser am 28. November 2016 einen positive Stellungnahme mit Empfehlungen hauptsächlich zur Aufnahme eines Best-Case-Szenario und eines Worst-Case-Szenario 8 abgab (siehe auch Anhang 1 der Folgenabschätzung zu diesem Vorschlag).

In der Folgenabschätzung wird als bevorzugte Option eine Ausnahmegenehmigung zur Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft für bestimmte Mitgliedstaaten ermittelt, die vordefinierte Kriterien erfüllen, auf freiwilliger Basis und für alle Gegenstände und Dienstleistungen, die einen Rechnungsschwellenwert von 10 000 EUR übersteigen. Diese Option bietet vom Karussellbetrug besonders betroffenen Mitgliedstaaten eine kurzfristige Lösung. Die negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt sind begrenzt, da eine Verlagerung von Betrugsfällen zwischen Mitgliedstaaten eingeschränkt wird. Für den Fall negativer Auswirkungen auf den Binnenmarkt ist eine Schutzklausel vorgesehen.

4.WEITERE ANGABEN

Der Vorschlag enthält eine Verfallsklausel.

2016/0406 (CNS)

Vorschlag für eine

RICHTLINIE DES RATES

zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem im Hinblick auf die befristete generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf Lieferungen bestimmter Gegenstände und Dienstleistungen über einem bestimmten Schwellenwert

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 113,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,

gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)In ihrem Mehrwertsteueraktionsplan 9 hat die Kommission ihre Absicht bekundet, einen Vorschlag für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem für den grenzübergreifenden Handel zwischen Unternehmen der Mitgliedstaaten auf der Grundlage der Besteuerung der grenzübergreifenden Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen vorzulegen.

(2)Angesichts des derzeitigen Ausmaßes des Mehrwertsteuerbetrugs und der Tatsache, dass nicht alle Mitgliedstaaten gleichermaßen davon betroffen sind und es mehrere Jahre dauern wird, bevor das endgültige Mehrwertsteuersystem umgesetzt ist, könnten einige konkrete Sofortmaßnahmen notwendig sein.

(3)In diesem Zusammenhang haben einige Mitgliedstaaten darum ersucht, eine an einen bestimmten Schwellenwert je Rechnung geknüpfte, befristete generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, die von einem der allgemeinen Grundsätze des derzeitigen Mehrwertsteuersystems – der fraktionierten Zahlung – abweicht, anwenden zu dürfen, um gegen den weitverbreiteten Karussellbetrug vorzugehen. Der Karussellbetrug geht hauptsächlich auf die derzeitige Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen zurück, die ermöglicht, Gegenstände mehrwertsteuerfrei zu erhalten. Eine Reihe von Händlern begehen anschließend Steuerbetrug, indem sie die von ihren Kunden erhaltene Mehrwertsteuer nicht an die Steuerbehörden abführen. Ihre Kunden hingegen, die in Besitz von gültigen Rechnungen sind, sind weiterhin zum Vorsteuerabzug berechtigt. Dieselben Gegenstände können mehrmals verkauft werden, indem wiederum von der Mehrwertsteuer befreite innergemeinschaftliche Lieferungen einbezogen werden. Ein vergleichbarer Karussellbetrug ist auch mit Dienstleistungen möglich. Durch die Ausnahmeregelung wird der Empfänger der Lieferungen oder Dienstleistungen als Steuerschuldner bestimmt, sodass die Gelegenheit zu dieser Form der Steuerhinterziehung beseitigt würde.

(4)Um das Risiko der Betrugsverlagerung zwischen Mitgliedstaaten zu verringern, sollte allen Mitgliedstaaten, die bestimmte Kriterien hinsichtlich des Umfangs der Betrugsfälle, hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Karussellbetrug, erfüllen und nachweisen können, dass andere Kontrollmaßnahmen nicht ausreichen, um diese Art von Betrugsfällen zu bekämpfen, die Anwendung einer generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft erlaubt sein.

(5)Darüber hinaus sollten auch benachbarte Mitgliedstaaten, die aufgrund der Genehmigung der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in einem anderen Mitgliedstaat ein hohes Risiko der Betrugsverlagerung auf ihr Hoheitsgebiet haben, dieses Verfahren anwenden dürfen, falls andere Gegenmaßnahmen nicht ausreichend wären, um dieses Betrugsrisiko zu bekämpfen.

(6)Beschließt ein Mitgliedstaat die Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft, so sollte er diese auf alle Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen anwenden, die einen bestimmten Schwellenwert übersteigen. Die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft sollte nicht auf einen bestimmten Wirtschaftszweig beschränkt sein.

(7)Mitgliedstaaten, die beschließen, die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden, sollten spezielle elektronische Berichtspflichten für Steuerpflichtige einführen, damit die effiziente Funktion und Überwachung der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft gewährleistet sind. Dadurch sollten alle neuen Formen des Steuerbetrugs aufgedeckt und verhindert werden.

(8)Um die Auswirkungen der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf betrügerische Aktivitäten auf transparente Weise zu bewerten, sollten die betroffenen Mitgliedstaaten vorab Beurteilungskriterien festlegen, damit der Umfang der Betrugsfälle vor und nach der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft beurteilt werden kann.

(9)Zur Sicherstellung einheitlicher Umsetzungsbedingungen für diese Richtlinie sollten der Kommission Durchführungsbefugnisse übertragen werden, sodass sie die Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft durch den antragstellenden Mitgliedstaat genehmigen kann.

(10)Mitgliedstaaten, die sich für die Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft entscheiden, sollten bei der Kommission die Anwendung dieses Verfahrens beantragen und sachdienliche Informationen vorlegen, damit die Kommission den Antrag beurteilen kann. Gegebenenfalls sollte die Kommission weitere Informationen anfordern dürfen.

(11)Aufgrund der unerwarteten Auswirkungen, die eine solche generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf das Funktionieren des Binnenmarkts haben könnte, da die Betrugsfälle sich möglicherweise auf andere Mitgliedstaaten verlagern, die dieses Verfahren nicht anwenden, sollte die Kommission als Schutzmaßnahme alle Durchführungsbeschlüsse aufheben können, mit denen die Anwendung dieses Verfahrens genehmigt wurde.

(12)Da die Auswirkungen eines derartigen Verfahrens ungewiss sind, sollte seine Anwendung befristet sein.

(13)Um die Auswirkungen auf den Binnenmarkt eng zu überwachen, sollten alle Mitgliedstaaten, falls die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in mindestens einem Mitgliedstaat angewandt wird, der Kommission Berichte vorlegen, damit diese die Auswirkungen auf die Betrugsfälle, die Befolgungskosten für die Unternehmen und eine Verlagerung betrügerischer Aktivitäten infolge der Anwendung dieses Verfahrens beurteilen kann.

(14)Die Richtlinie 2006/112/EG sollte daher entsprechend geändert werden —

HAT FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

In die Richtlinie 2006/112/EG wird folgender Artikel 199c eingefügt:

„Artikel 199c

(1)Bis zum 30. Juni 2022 kann ein Mitgliedstaat im Rahmen einer generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft vorsehen, dass abweichend von Artikel 193 die Mehrwertsteuer von dem Steuerpflichtigen geschuldet wird, an den Gegenstände oder Dienstleistungen geliefert werden, die einen Schwellenwert von 10 000 EUR je Rechnung übersteigen.

Ein Mitgliedstaat, der die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft einführen möchte, muss folgende Bedingungen erfüllen:

(a)Seine Mehrwertsteuerlücke, ausgedrückt als Prozentsatz des Gesamtbetrags der geschuldeten Mehrwertsteuer, liegt mindestens fünf Prozentpunkte über dem Medianwert der gemeinschaftlichen Mehrwertsteuerlücke;

(b)der Anteil des Karussellbetrugs an seiner gesamten Mehrwertsteuerlücke beläuft sich auf mehr als 25 %;

(c)er hat festgestellt, dass andere Gegenmaßnahmen nicht ausreichen, um den Karussellbetrug auf seinem Hoheitsgebiet zu bekämpfen.

Der Mitgliedstaat fügt dem Antrag nach Absatz 4 die Berechnung der Mehrwertsteuerlücke gemäß der Methode und den Zahlen des letzten von der Kommission veröffentlichten Berichts zur Mehrwertsteuerlücke bei.

(2)Bis zum 30. Juni 2022 kann ein Mitgliedstaat festlegen, dass die Mehrwertsteuer von dem Steuerpflichtigen geschuldet wird, an den Gegenstände oder Dienstleistungen, die einen Schwellenwert von 10 000 EUR je Rechnung übersteigen, geliefert werden, sofern dieser Mitgliedstaat

(a)eine gemeinsame Grenze mit einem Mitgliedstaat hat, der die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwenden darf;

(b)nachweist, dass aufgrund der Genehmigung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in diesem benachbarten Mitgliedstaat ein ernsthaftes Risiko der Verlagerung von Betrugsfällen auf sein Hoheitsgebiet besteht;

(c)feststellt, dass andere Gegenmaßnahmen nicht ausreichen, um Betrugsfälle auf seinem Hoheitsgebiet zu bekämpfen.

(3)Mitgliedstaaten, die die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwenden, richten geeignete und effiziente elektronische Berichtspflichten für alle Steuerpflichtigen und insbesondere für Steuerpflichtige ein, die von dieser Umkehrung betroffene Gegenstände oder Dienstleistungen liefern oder erhalten.

(4)Mitgliedstaaten, die die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwenden möchten, richten einen Antrag mit folgenden Angaben an die Kommission:

(a)Ausführliche Begründung dafür, dass die Bedingungen gemäß den Absätzen 1 und 2 zutreffen;

(b)Beginn und Dauer der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft;

(c)Maßnahmen zur Unterrichtung der Steuerpflichtigen über die Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft;

(d)ausführliche Beschreibung der Begleitmaßnahmen nach Absatz 3.

Die Kommission kann innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags weitere Informationen anfordern, wenn sie der Meinung ist, dass ihr nicht alle notwendigen Informationen vorliegen. Der antragstellende Mitgliedstaat legt die verlangten Informationen innerhalb eines Monats nach Eingang der Anforderung vor.

(5)Die Kommission erlässt spätestens drei Monate nach Eingang aller notwendigen Informationen einen Durchführungsbeschluss, in dem bestätigt wird, dass der Antrag den Anforderungen des Absatzes 4 entspricht, und der antragstellende Mitgliedstaat ermächtigt wird, die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden. Falls die Anforderungen nicht erfüllt sind, erlässt sie einen Durchführungsbeschluss zur Ablehnung des Antrags.

(6)Bei beträchtlichen negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt hebt die Kommission alle Durchführungsbeschlüsse nach Absatz 5 auf, und zwar frühestens sechs Monate nach dem Inkrafttreten des ersten Durchführungsbeschlusses zur Ermächtigung eines Mitgliedstaats, die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anzuwenden.

Beträchtliche negative Auswirkungen gelten als nachgewiesen, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:

(a)Mehr als ein Mitgliedstaat, der keine generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nach den Absätzen 1 und 2 anwendet, informiert die Kommission über eine Zunahme des Mehrwertsteuerbetrugs in seinem Hoheitsgebiet aufgrund der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft.

(b)Die Kommission stellt u. a. anhand der von den in Buchstabe a genannten Mitgliedstaaten gelieferten Informationen fest, dass diese Zunahme direkt mit der Anwendung dieser Umkehrung in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zusammenhängt.

(7)Mitgliedstaaten, die die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwenden, legen der Kommission spätestens zwei Jahre nach Beginn der Anwendung einen Zwischenbericht vor. Dieser Bericht enthält eine detaillierte Bewertung der Wirksamkeit der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft.

Drei Monate nach dem Ende der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft legen die Mitgliedstaaten, die dieses Verfahren angewandt haben, einen Abschlussbericht über die allgemeinen Auswirkungen vor.

(8)Die Mitgliedstaaten, die das Verfahren nicht anwenden, legen der Kommission bis spätestens 30. Juni 2019 einen Zwischenbericht über die Auswirkungen der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft in anderen Mitgliedstaaten auf ihr Hoheitsgebiet vor, sofern die Umkehrung bis zu diesem Zeitpunkt in einem Mitgliedstaat mindestens ein Jahr lang angewandt wurde.

Wenn mindestens ein Mitgliedstaat die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwendet, legen die Mitgliedstaaten, die dieses Verfahren nicht anwenden, der Kommission bis spätestens 30. September 2022 einen Abschlussbericht über die Auswirkungen der Anwendung der Umkehrung in anderen Mitgliedstaaten auf ihr Hoheitsgebiet vor.

(9)In den Berichten nach Absatz 7 prüfen die Mitgliedstaaten die Auswirkungen der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf der Grundlage folgender Bewertungskriterien:

(a)Entwicklung der Mehrwertsteuerlücke;

(b)Entwicklung des Mehrwertsteuerbetrugs, insbesondere des Karussellbetrugs und des Betrugs auf Einzelhandelsebene;

(c)Entwicklung des Verwaltungsaufwands für die Steuerpflichtigen;

(d)Entwicklung der Verwaltungskosten für die Steuerbehörden.

(10)In den Berichten nach Absatz 8 prüfen die Mitgliedstaaten die Auswirkungen der Anwendung der generellen Umkehrung der Steuerschuldnerschaft auf der Grundlage folgender Beurteilungskriterien:

(a)Entwicklung der Mehrwertsteuerlücke;

(b)Entwicklung des Mehrwertsteuerbetrugs, insbesondere des Karussellbetrugs und des Betrugs auf Einzelhandelsebene;

(c)Verlagerung von Betrugsfällen aus Mitgliedstaaten, die die generelle Umkehrung der Steuerschuldnerschaft anwenden bzw. angewandt haben.“

Artikel 2

Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Sie gilt bis zum 30. September 2022.

Artikel 3

Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Brüssel am

   Im Namen des Rates

   Der Präsident

(1) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer – Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum: Zeit für Reformen (COM(2016) 148 final vom 7.4.2016).
(2) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss zur Zukunft der Mehrwertsteuer – Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System, das auf den Binnenmarkt zugeschnitten ist (KOM(2011) 851 vom 6.12.2011).
(3) Grünbuch über die Zukunft der Mehrwertsteuer – Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System (KOM(2010) 695 vom 1.12.2010).
(4) CASE, Study and Reports on the VAT Gap in the EU-28 Member States:2016 Final Report.
(5) Ernst & Young, Implementing the ‘destination principle’ to intra-EU B2B supplies of goods: 2015 Final Report.
(6) Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347 vom 11.12.2006, S. 1).
(7) http://ec.europa.eu/smart-regulation/refit/refit-platform/docs/recommendations/opinion_taxation_1a.pdf
(8) Die Zusammenfassung ist über folgenden Link abrufbar:
http://ec.europa.eu/smart-regulation/impact/ia_carried_out/cia_2016_en.htm
(9) Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer – Auf dem Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum: Zeit für Reformen (COM(2016) 148 final vom 7.4.2016).
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