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Dokument 62022CJ0255
Judgment of the Court (Second Chamber) of 26 September 2024.#Orlen S.A., v European Commission.#Appeal – Competition – Gas markets of Central and Eastern Europe – Article 102 TFEU – Article 54 of the Agreement on the European Economic Area – Abuse of dominant position – Upstream gas supplies in Central and Eastern Europe – Regulation (EC) No 1/2003 – Article 9(1) – Decision of the European Commission to make binding the individual commitments proposed by an undertaking – Action for annulment – Adequacy of those commitments in the light of the competition concerns identified in the statement of objections – Nature of the EU Courts’ power of review – Commission decision not to require commitments in relation to some of the initial concerns – Principle of good administration – Principle of proportionality – Obligation to state reasons – Energy policy objectives of the European Union – Article 194 TFEU – Principle of energy solidarity.#Case C-255/22 P.
Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 26. September 2024.
Orlen S.A. gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Wettbewerb – Gasmärkte in Mittel- und Osteuropa – Art. 102 AEUV – Art. 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 9 Abs. 1 – Beschluss der Kommission, mit dem die von einem Unternehmen angebotenen individuellen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden – Nichtigkeitsklage – Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen angesichts der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken – Art der Kontrolle durch den Unionsrichter – Verzicht der Kommission, Verpflichtungszusagen in Bezug auf einige ursprüngliche Bedenken zu verlangen – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht – Ziele der Energiepolitik der Europäischen Union – Art. 194 AEUV – Grundsatz der Energiesolidarität.
Rechtssache C-255/22 P.
Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 26. September 2024.
Orlen S.A. gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Wettbewerb – Gasmärkte in Mittel- und Osteuropa – Art. 102 AEUV – Art. 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 9 Abs. 1 – Beschluss der Kommission, mit dem die von einem Unternehmen angebotenen individuellen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden – Nichtigkeitsklage – Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen angesichts der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken – Art der Kontrolle durch den Unionsrichter – Verzicht der Kommission, Verpflichtungszusagen in Bezug auf einige ursprüngliche Bedenken zu verlangen – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht – Ziele der Energiepolitik der Europäischen Union – Art. 194 AEUV – Grundsatz der Energiesolidarität.
Rechtssache C-255/22 P.
Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlichte Entscheidungen“
ECLI-Identifikator: ECLI:EU:C:2024:790
URTEIL DES GERICHTSHOFS (zweite Kammer)
26. September 2024 ( *1 )
„Rechtsmittel – Wettbewerb – Gasmärkte in Mittel- und Osteuropa – Art. 102 AEUV – Art. 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) – Missbrauch einer beherrschenden Stellung – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Art. 9 Abs. 1 – Beschluss der Kommission, mit dem die von einem Unternehmen angebotenen individuellen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden – Nichtigkeitsklage – Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen angesichts der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken – Art der Kontrolle durch den Unionsrichter – Verzicht der Kommission, Verpflichtungszusagen in Bezug auf einige ursprüngliche Bedenken zu verlangen – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht – Ziele der Energiepolitik der Europäischen Union – Art. 194 AEUV – Grundsatz der Energiesolidarität“
In der Rechtssache C‑255/22 P
betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 8. April 2022,
Orlen S.A., vormals Polski Koncern Naftowy Orlen S.A., Rechtsnachfolgerin der Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A. mit Sitz in Płock (Polen), Prozessbevollmächtigte: K. Karasiewicz, Radca prawny, T. Kaźmierczak, K. Kicun und P. Moskwa, Adwokaci,
Rechtsmittelführerin,
andere Parteien des Verfahrens:
Europäische Kommission, vertreten durch G. Meessen, I. Söderlund und J. Szczodrowski als Bevollmächtigte,
Beklagte im ersten Rechtszug,
Republik Litauen,
Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna, K. Rudzińska und S. Żyrek als Bevollmächtigte,
Gazprom PJSC mit Sitz in Moskau (Russland),
Gazprom export LLC mit Sitz in Sankt Petersburg (Russland),
Prozessbevollmächtigte: E. Borovikov und J. Venit, Avocats, Rechtsanwälte J. T. Hainz, J. Karenfort und W. Murzin sowie N. Tuominen, Avocată,
Overgas Inc. mit Sitz in Sofia (Bulgarien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Cappellari, S. Gröss und N. Jacobi sowie J. Sroczyński, Radca prawny,
Streithelferinnen im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwalt: A. Rantos,
Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Februar 2024,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Juni 2024
folgendes
Urteil
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1 |
Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Orlen S.A., vormals Polski Koncern Naftowy Orlen S.A., Rechtsnachfolgerin der Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo S.A., die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Februar 2022, Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo/Kommission (Verpflichtungszusagen von Gazprom) (T‑616/18, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2022:43), mit dem das Gericht die Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2018) 3106 final der Kommission vom 24. Mai 2018 in einem Verfahren nach Artikel 102 [AEUV] und Artikel 54 des EWR-Abkommens (Sache AT.39816 – Vorgelagerte Gasversorgungsmärkte in Mittel- und Osteuropa) abgewiesen hat (im Folgenden: streitiger Beschluss). |
I. Vorgeschichte des Rechtsstreits
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2 |
Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ist in den Rn. 1 bis 36 des angefochtenen Urteils wie folgt dargestellt worden: „I. Vorgeschichte des Rechtsstreits und Entwicklungen nach Klageerhebung
A. Zum Verwaltungsverfahren, das zum [streitigen Beschluss] geführt hat
B. Zum [streitigen Beschluss]
1. Zur vorläufigen Beurteilung der in Rede stehenden Praktiken
2. Zum Inhalt der endgültigen Verpflichtungszusagen
3. Zur Beurteilung und Umsetzung der endgültigen Verpflichtungszusagen
C. Zur Beschwerde
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II. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
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3 |
Mit Klageschrift, die am 15. Oktober 2018 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses. |
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4 |
Mit Schriftsatz, der am 26. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte Gazprom, als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen zu werden. Mit Schriftsätzen, die am 25. Februar, am 27. Februar bzw. am 28. Februar 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, beantragten die Overgas Inc., die Republik Litauen und die Republik Polen, als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo zugelassen zu werden. |
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5 |
Mit Beschluss vom 5. April 2019 ließ die Präsidentin der Ersten Kammer des Gerichts nach Anhörung der Hauptparteien die Republik Polen als Streithelferin zu. Mit Beschlüssen vom 17. Mai 2019 ließ sie nach Anhörung der Hauptparteien die Republik Litauen, Gazprom und Overgas als Streithelferinnen zu. |
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6 |
Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts wurde der Berichterstatter am 4. Oktober 2019 der Achten Kammer zugeteilt, der deshalb die Rechtssache T‑616/18 zugewiesen wurde. |
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7 |
Mit Schreiben der Kanzlei des Gerichts vom 17. Dezember 2019 wurde Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo im Rahmen prozessleitender Maßnahmen zur Vorlage mehrerer Dokumente aufgefordert, und die Kommission wurde aufgefordert, schriftlich auf eine Frage betreffend die Vertraulichkeit bestimmter Informationen in der vertraulichen Fassung der MB zu antworten. |
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8 |
Mit Beschluss vom selben Tag gab das Gericht der Kommission gemäß Art. 24 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 91 Buchst. b und Art. 92 Abs. 3 der Verfahrensordnung vorbehaltlich der Anwendung von Art. 103 der Verfahrensordnung auf, eine vollständige Kopie der vertraulichen Fassung der MB vorzulegen. |
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9 |
Die Parteien kamen den am 17. Dezember 2019 erlassenen prozessleitenden Maßnahmen sowie diesem Beschluss ordnungsgemäß und fristgerecht nach. |
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10 |
Am 8. Juni 2020 entschied das Gericht auf Vorschlag der Achten Kammer, die Rechtssache T‑616/18 an die Achte erweiterte Kammer zu verweisen. Da ein Mitglied dieser erweiterten Kammer an der weiteren Mitwirkung am Verfahren gehindert war, wurde der Präsident des Gerichts mit Beschluss vom 15. Juni 2020 dazu bestimmt, die Kammer zu ergänzen. |
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11 |
Was die von der Kommission vorgelegte vollständige Kopie der vertraulichen Fassung der MB anbelangt, entschied das Gericht, dieses Dokument den Vertretern von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo unter der Voraussetzung der vorherigen Unterzeichnung von Vertraulichkeitsverpflichtungen zur Kenntnis zu bringen, um hierzu Stellung nehmen zu können. Nachdem diese Vertreter unterzeichnete Vertraulichkeitsverpflichtungen eingereicht hatten, wurde ihnen das Dokument zugestellt, und Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo reichte am 8. Dezember 2020 ihre Stellungnahme ein. |
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12 |
Die Parteien verhandelten in der Sitzung vom 18. und 19. Mai 2021 mündlich und beantworteten Fragen des Gerichts. Bei dieser Gelegenheit hat das Gericht auch darauf hingewiesen, dass es die Stellungnahme der Kommission vom 27. April 2021 zum Sitzungsbericht zur Kenntnis genommen habe. |
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13 |
Außerdem änderte die Kommission im Rahmen von Fragen des Gerichts zur Zulässigkeit der Klage dazu ihren Standpunkt und trug vor, dass Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo ihr Rechtsschutzinteresse in der vorliegenden Rechtssache nicht nachgewiesen habe, so dass die Klage unzulässig sei. |
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14 |
Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo stellte Anträge auf vertrauliche Behandlung bestimmter Informationen in verschiedenen Verfahrensschriftstücken gegenüber der Republik Litauen, der Republik Polen, Gazprom und Overgas. Diese erhoben gegen die Anträge keine Einwände. |
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Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo stützte ihre Klage auf sechs Gründe, mit denen sie Folgendes geltend machte:
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Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht sämtliche Klagegründe zurück und die Klage daher in vollem Umfang ab. |
III. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien im Rahmen des Rechtsmittels und des Anschlussrechtsmittels
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Mit ihrem Rechtsmittel beantragt Orlen,
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Die Kommission beantragt,
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Gazprom beantragt,
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Overgas und die Republik Polen beantragen, dem Rechtsmittel stattzugeben. |
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Mit ihrem Anschlussrechtsmittel beantragt Overgas,
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Die Kommission beantragt,
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Gazprom beantragt,
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Orlen beantragt,
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IV. Rechtsmittel
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Orlen stützt ihr Rechtsmittel auf vier Gründe, mit denen sie erstens einen Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003, zweitens einen Verstoß gegen Art. 194 AEUV in Verbindung mit Art. 9 dieser Verordnung, drittens einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der Verordnung und viertens einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 der Verordnung rügt. |
A. Zulässigkeit
1. Vorbringen der Parteien
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26 |
Gazprom macht, ohne jedoch förmlich eine Einrede der Unzulässigkeit zu erheben, geltend, das Rechtsmittel sei unzulässig. |
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27 |
Orlen habe kein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Urteils, da ein solches Interesse keine zukünftige und hypothetische Situation betreffen könne. Die erwartete Aufhebung dieses Urteils sei jedoch nicht geeignet, ihr Genugtuung zu verschaffen, da sie Gazprom bereits im November 2019 darüber informiert habe, dass sie nicht beabsichtige, den langfristigen Gasliefervertrag über das Jahr 2022 hinaus zu verlängern. Sie habe die notwendigen Schritte unternommen, um die Geschäftsbeziehungen mit Gazprom vor Ende dieses Jahres zu beenden. Daher seien Orlen und die Republik Polen nicht mehr an der Lieferung von Gas durch Gazprom interessiert, so dass selbst der günstigste Ausgang des Rechtsmittels Orlen keine Genugtuung verschaffen könne. |
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28 |
Gazprom ist außerdem der Ansicht, dass der Gerichtshof die in den Rn. 154 und 161 der Rechtsmittelschrift dargelegten Rügen als unzulässig zurückweisen müsse, weil sie nicht klar genug seien. |
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29 |
Die Kommission macht ihrerseits geltend, der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes sei teilweise unzulässig, da Orlen darin die Rechtmäßigkeitskontrolle des Gerichts in Bezug auf komplexe wirtschaftliche Vorgänge beanstande, ohne jedoch offensichtliche Beurteilungsfehler angeführt zu haben, und der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes wegen mangelnder Klarheit der darin enthaltenen Behauptungen ebenfalls. |
2. Würdigung durch den Gerichtshof
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30 |
Als Erstes muss nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs jede natürliche oder juristische Person, die ein Rechtsmittel einlegt, ebenso wie im Fall der Erhebung einer Nichtigkeitsklage, ein Rechtsschutzinteresse haben, dessen Vorliegen im Hinblick zum einen auf den Gegenstand des Rechtsmittels oder der Klage und zum anderen auf den Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels oder der Klageerhebung zu beurteilen ist. Bei diesem wesentlichen Erfordernis handelt es sich um eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung, deren Einhaltung von den Unionsgerichten jederzeit von Amts wegen geprüft werden kann (Urteil vom 22. September 2022, IMG/Kommission, C‑619/20 P und C‑620/20 P, EU:C:2022:722, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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31 |
Zudem muss das Rechtsschutzinteresse ebenso wie der Gegenstand des Rechtsstreits selbst bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung fortbestehen. Der Wegfall des Rechtsschutzinteresses oder des Streitgegenstands im Lauf des Verfahrens kann daher die Unionsgerichte dazu veranlassen, den Rechtsstreit, gegebenenfalls von Amts wegen, für in der Hauptsache erledigt zu erklären (Urteil vom 22. September 2022, IMG/Kommission, C‑619/20 P und C‑620/20 P, EU:C:2022:722, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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32 |
Allgemein setzen sowohl die Existenz als auch der Fortbestand des Rechtsschutzinteresses voraus, dass der natürlichen oder juristischen Person die von ihr erhobene Klage oder das von ihr eingelegte Rechtsmittel im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann. Diese Frage ist stets anhand des konkreten Falles zu beurteilen (Urteil vom 22. September 2022, IMG/Kommission, C‑619/20 P und C‑620/20 P, EU:C:2022:722, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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33 |
Im vorliegenden Fall bestreitet Gazprom die Zulässigkeit des Rechtsmittels mit der Begründung, Orlen habe kein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Urteils, insbesondere wegen der Beendigung ihrer Vertragsbeziehungen zum 31. Dezember 2022. Insoweit steht fest, dass bis zu diesem Zeitpunkt, also auch nach Einlegung des Rechtsmittels am 8. April 2022, vertragliche Beziehungen zwischen Gazprom und Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo bestanden. |
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34 |
Da der streitige Beschluss in der Zeit vom 8. April 2022 bis zum 31. Dezember 2022 Rechtswirkungen auf dem polnischen Erdgas- und Erdölmarkt, auf dem Orlen tätig ist, entfaltete, da deren Rechtsvorgängerin ein Vertragspartner von Gazprom war, könnte sich Orlen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs auf die Folgen der von ihr geltend gemachten Rechtsverstöße und auf die Art des ihr angeblich entstandenen Schadens berufen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. September 2023, Versobank/EZB, C‑803/21 P, EU:C:2023:630, Rn. 160 und die dort angeführte Rechtsprechung), um Ersatz dieses Schadens zu erlangen. |
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35 |
Im Übrigen hat Orlen in ihrer Erwiderung unwidersprochen ausgeführt, dass mehrere Schiedsverfahren zwischen ihr und Gazprom im Zusammenhang mit der Umsetzung des Vertrags über die Jamal-Gasfernleitung, darunter zu Preisfragen, im Gange seien. Darüber hinaus sei nach Einlegung des Rechtsmittels ein Verfahren wegen der Unterbrechung der Gaslieferungen durch Gazprom seit dem 27. April 2022 eingeleitet worden. |
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36 |
Aus dem Vorstehenden folgt, dass Gazprom zu Unrecht das Vorliegen eines bestehenden und gegenwärtigen Interesses von Orlen an der Aufhebung des angefochtenen Urteils bestreitet. |
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37 |
Als Zweites geht aus Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV, Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie Art. 168 Abs. 1 Buchst. d und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs hervor, dass ein Rechtsmittel die beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente, die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen muss, andernfalls ist das Rechtsmittel oder der betreffende Rechtsmittelgrund unzulässig (Urteil vom 11. Januar 2024, Foz/Rat, C‑524/22 P, EU:C:2024:23, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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38 |
Im vorliegenden Fall bezeichnet das Rechtsmittel entgegen dem Vorbringen der Kommission zur unzureichenden Klarheit des zweiten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes und dem vergleichbaren Vorbringen von Gazprom, das sich auf die in den Rn. 154 und 161 dieses Rechtsmittels dargelegten Rügen bezieht, in jeder der fraglichen Passagen die beanstandeten Teile des angefochtenen Urteils hinreichend genau und legt die Gründe dar, weshalb sie auf eine Verkennung der Rechtsprechung zum Begriff des offensichtlichen Beurteilungsfehlers und auf einen Rechtsfehler in Bezug auf die Auslegung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 hindeuten könnten. |
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39 |
Diese Einreden der Unzulässigkeit sind daher zurückzuweisen. |
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40 |
Die von der Kommission geltend gemachte Unzulässigkeit des ersten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes, wonach sich Orlen nicht auf das Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers in Bezug auf komplexe wirtschaftliche Vorgänge berufen habe, ist zurückzuweisen. Orlen hat diesen ersten Teil nämlich im Rahmen eines Rechtsmittelgrundes geltend gemacht, mit dem ein Verstoß des Gerichts gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt wird. Darin machte sie, wenn auch knapp, geltend, das Gericht hätte prüfen müssen, ob die Kommission, als sie die Zusagen von Gazprom akzeptiert habe, diese ordnungsgemäß im Licht der MB geprüft habe, „d. h. ohne einen offensichtlichen Beurteilungsfehler zu begehen“. Somit hat Orlen den Gerichtshof durchaus in die Lage versetzt, die Tragweite des ersten Teils dieses ersten Rechtsmittelgrundes zu erkennen und sich zur Begründetheit der entsprechenden Analyse im angefochtenen Urteil zu äußern. |
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41 |
Nach alledem ist das Rechtsmittel zulässig. |
B. Begründetheit
1. Vorbemerkungen
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42 |
Beabsichtigt die Kommission, eine Entscheidung zur Abstellung einer Zuwiderhandlung zu erlassen, kann sie gemäß Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 die von den beteiligten Unternehmen angebotenen Verpflichtungszusagen für bindend erklären, wenn diese geeignet sind, die diesen Unternehmen in ihrer vorläufigen Beurteilung mitgeteilten Bedenken auszuräumen. |
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43 |
Dieser Artikel soll eine wirksame Anwendung der Wettbewerbsvorschriften des AEU-Vertrags durch Annahme von Entscheidungen sicherstellen, mit denen von den Parteien vorgeschlagene und von der Kommission als angemessen erachtete Verpflichtungszusagen für bindend erklärt werden, um nicht den Weg der förmlichen Feststellung einer Zuwiderhandlung zu beschreiten, sondern eine raschere Lösung für die von ihr identifizierten Wettbewerbsprobleme herbeizuführen. Art. 9 der Verordnung liegen vor allem Erwägungen der Verfahrensökonomie zugrunde. Die Bestimmung soll es den Unternehmen ermöglichen, sich dadurch in vollem Umfang an dem Verfahren zu beteiligen, dass sie die Lösungen vorschlagen, die ihnen am besten geeignet und am angemessensten erscheinen, um die Bedenken der Kommission auszuräumen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 35). |
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44 |
Zwar findet sich in Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003, anders als in Art. 7, keine ausdrückliche Bezugnahme auf den Begriff der Verhältnismäßigkeit. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aber als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts Maßstab für die Rechtmäßigkeit aller Handlungen der Organe der Europäischen Union, einschließlich der Entscheidungen der Kommission in ihrer Eigenschaft als Wettbewerbsbehörde (vgl. Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 36). |
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45 |
Wie der 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1/2003 bestätigt, sieht Art. 9 dieser Verordnung im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Artikel nur vor, dass die Kommission von der Verpflichtung freigestellt ist, eine Zuwiderhandlung zu benennen und festzustellen, da sich ihre Rolle darauf beschränkt, die von den beteiligten Unternehmen vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen gemäß den in ihrer vorläufigen Beurteilung festgestellten Bedenken und im Hinblick auf die von ihr verfolgten Ziele zu prüfen und gegebenenfalls zu akzeptieren. Die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durch die Kommission beschränkt sich im Zusammenhang mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 auf die Prüfung, ob die in Rede stehenden Verpflichtungszusagen die von der Kommission gegenüber den beteiligten Unternehmen mitgeteilten Bedenken ausräumen und diese Unternehmen keine weniger belastenden Verpflichtungszusagen angeboten haben, die den Bedenken ebenfalls in angemessener Weise gerecht würden (Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 40 und 41). |
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46 |
Dabei muss die Kommission allerdings die Interessen der Dritten berücksichtigen, wobei die Tatsache, dass die Einzelzusagen eines Unternehmens von der Kommission für bindend erklärt worden sind, nicht bedeutet, dass anderen Unternehmen die Möglichkeit genommen wird, ihre etwaigen Rechte im Rahmen der Beziehungen mit diesem Unternehmen zu schützen (Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 41 und 49). Wenn die Kommission die Verpflichtungszusagen nicht im Hinblick auf ihre Eignung, die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auszuräumen, sondern im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Interessen Dritter prüft, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass deren Rechte nicht ausgehöhlt werden (Urteil vom 9. Dezember 2020, Groupe Canal +/Kommission, C‑132/19 P, EU:C:2020:1007, Rn. 106). |
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47 |
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass zum einen, wie vom Generalanwalt in Nr. 39 seiner Schlussanträge ausgeführt, aufgrund der Eigenart von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 das geeignete Kriterium in Bezug auf die von der Kommission in ihrer vorläufigen Beurteilung geäußerten Bedenken die Frage ist, ob die Verpflichtungszusagen ausreichend sind, um diese Bedenken auf angemessene Weise auszuräumen, ohne dass die Kommission verpflichtet wäre, selbst nach weniger belastenden oder maßvolleren Lösungen als den ihr angebotenen Verpflichtungszusagen zu suchen, und zum anderen die gerichtliche Nachprüfung sich auf die Prüfung beschränkt, ob die Beurteilung, zu der die Kommission gelangt ist, offensichtlich fehlerhaft ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa, C‑441/07 P, EU:C:2010:377, Rn. 42). |
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48 |
Folglich zielt eine solche Nachprüfung, wie vom Generalanwalt in Nr. 97 seiner Schlussanträge ausgeführt, nicht so sehr darauf ab, dass die Analyse der Kommission frei von jeglicher Unregelmäßigkeit ist, da ihr ein gewisses Ermessen eingeräumt wurde, vorausgesetzt, die Schwelle des Offensichtlichen wird nicht überschritten. |
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49 |
Im Übrigen ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht hervorzuheben, dass Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 der Kommission die Festlegung der Form „ihrer vorläufigen Beurteilung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung freistellt. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat, entspricht diese Beurteilung in der Praxis häufig einer Mitteilung der Beschwerdepunkte an das Unternehmen, dem auf der Grundlage von Art. 7 dieser Verordnung gegen Art. 101 oder Art. 102 AEUV verstoßende Verhaltensweisen vorgeworfen werden. Ist dies, wie hier, der Fall, findet die zu derartigen Verfahrenshandlungen ergangene Rechtsprechung Anwendung, da keine Bestimmung dieser Verordnung es rechtfertigt, eine Mitteilung der Beschwerdepunkte anders zu behandeln, je nachdem, ob sie als Grundlage für eine nach Art. 7 oder eine nach Art. 9 dieser Verordnung erlassene Entscheidung dient, wobei der letztgenannte Artikel insbesondere nicht die Möglichkeit einer Überprüfung der vorläufigen Beurteilung vorsieht. |
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50 |
Insoweit ist nach ständiger Rechtsprechung die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine vorbereitende Verfahrenshandlung, die, um die wirksame Ausübung der Verteidigungsrechte zu ermöglichen, den Gegenstand des von der Kommission eingeleiteten Verwaltungsverfahrens festlegt und diese somit daran hindert, in ihrem das betreffende Verfahren abschließenden Beschluss andere Beschwerdepunkte in Betracht zu ziehen. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte hat daher vorläufigen Charakter und ist Änderungen anlässlich der späteren Beurteilung zugänglich, die die Kommission auf der Grundlage der von den Beteiligten vorgelegten Stellungnahme und weiterer Tatsachenfeststellungen vornimmt. Die Kommission muss nämlich die Ergebnisse des gesamten Verwaltungsverfahrens berücksichtigen, sei es, um bestimmte Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die nicht begründet sind, sei es, um ihre Argumente, auf die sie die aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte stützt, in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht neu zu ordnen oder zu ergänzen (Urteil vom 28. Januar 2021, Qualcomm und Qualcomm Europe/Kommission, C‑466/19 P, EU:C:2021:76, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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51 |
Die Kommission ist somit nicht verpflichtet, in einer nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Entscheidung die Gründe zu erläutern, weshalb sie einen oder mehrere Beschwerdepunkte fallen gelassen hat, die einigen ihrer ursprünglichen Bedenken entweder gegenüber dem Unternehmen, dessen Verpflichtungszusagen für bindend erklärt wurden, als einzigem Adressaten der Mitteilung der Beschwerdepunkte und allgemein der vorläufigen Beurteilung nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 oder gegenüber interessierten Dritten entsprachen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2021, Qualcomm und Qualcomm Europe/Kommission, C‑466/19 P, EU:C:2021:76, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung. |
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52 |
Dies hindert die Kommission natürlich nicht daran, von sich aus für ein besseres Verständnis dieser Entscheidung insoweit Hinweise zu geben. |
2. Antrag der Kommission auf Auswechslung von Gründen
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53 |
In Rn. 83 des angefochtenen Urteils hat das Gericht entschieden, dass „die Kommission nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 unter den Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere mangels einer überarbeiteten vorläufigen Beurteilung, entgegen ihrem Vorbringen verpflichtet [war], sich auf Gründe zu stützen, die das Fehlen einer Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, rechtfertigten“. Es hat in Rn. 85 des angefochtenen Urteils hinzugefügt, dass „[i]m vorliegenden Fall jedenfalls festzustellen [ist], dass die Kommission die Gründe dargelegt hat, weshalb sie keine Verpflichtungszusage, mit der den Jamal-Beschwerdepunkten entsprochen worden wäre, vorgeschrieben hat; diese Gründe sind die beiden im 138. Erwägungsgrund des [streitigen] Beschlusses angeführten Gründe“, nämlich die Zertifizierungsentscheidung und der zwischenstaatliche Charakter der Beziehungen im Gassektor in Polen. |
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54 |
In ihrer Rechtsmittelbeantwortung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass diese Analyse einen Rechtsfehler darstelle, der sich jedoch nicht auf den Tenor des angefochtenen Urteils auswirke und daher nicht zu dessen Aufhebung führen könne. Sie hat daher den Gerichtshof ersucht, insoweit die Begründung auszuwechseln. |
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55 |
Diesem Ersuchen ist stattzugeben und im Licht der Erwägungen in den Rn. 49 bis 52 des vorliegenden Urteils zu entscheiden, dass das Gericht zu Unrecht festgestellt hat, dass die Kommission bei einem Verzicht auf bestimmte Beschwerdepunkte in der MB, die als vorläufige Beurteilung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 fungierte, eine überarbeitete vorläufige Beurteilung hätte übermitteln müssen. |
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56 |
Gleichwohl wirkte sich dieser Fehler nicht auf den Tenor des angefochtenen Urteils aus, da das Gericht zu Recht festgestellt hat, dass, wie in Rn. 53 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Kommission den streitigen Beschluss in Bezug auf die Begründung des Verzichts auf die Jamal-Beschwerdepunkte gerechtfertigt habe, was ihr freistand. |
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57 |
Zudem wäre Orlen aufgrund des Verzichts auf diese Beschwerdepunkte nur insoweit berechtigt, die Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses wegen dieses Verzichts in Frage zu stellen, als Orlen nachweisen könnte, dass dieser Verzicht die von Gazprom übernommenen und von der Kommission gebilligten Verpflichtungszusagen offensichtlich unzulänglich gemacht hätte. |
3. Erster Rechtsmittelgrund
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58 |
Der erste Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt wird, besteht aus drei Teilen. |
a) Erster Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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59 |
Mit dem ersten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht Orlen geltend, das Gericht habe gegen Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, indem es festgestellt habe, dass die Kommission die Angemessenheit der von Gazprom angebotenen Verpflichtungszusagen zutreffend beurteilt habe, obwohl diese Verpflichtungszusagen nicht auf die von ihr in der MB geäußerten Bedenken eingegangen seien und nicht vorausschauend, d. h. ihrer Natur nach in der Lage gewesen seien, künftigen ähnlichen Verstößen vorzubeugen. Im vorliegenden Fall hätte das Gericht prüfen müssen, ob die Kommission die Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen im Licht der von ihr in der MB festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken geprüft habe. |
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60 |
Insbesondere habe das Gericht in den Rn. 208, 209 und 237 des angefochtenen Urteils die Angemessenheit dieser Verpflichtungszusagen geprüft und dabei die MB vollständig außer Acht gelassen. |
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61 |
Damit habe das Gericht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes verstoßen, d. h. das Vertrauen von Orlen, dass der Beschluss, der, auch wenn er nicht dieselbe Rechtsnatur wie ein nach Art. 7 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassener Beschluss aufweise, die betreffenden Verpflichtungszusagen für bindend erkläre, allen Bedenken der Kommission Rechnung trage und den Verstößen von Gazprom ein Ende bereite. |
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62 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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63 |
Dem Vorbringen von Orlen kann nicht gefolgt werden. |
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64 |
Erstens schließt Orlen mit ihrer Rüge, das Gericht habe bei der Beurteilung der Frage, ob die von Gazprom eingegangenen Verpflichtungszusagen ausreichend gewesen seien, die in der MB dargelegten Beschwerdepunkte nicht umfassend berücksichtigt, offensichtlich, zumindest implizit, die Jamal-Beschwerdepunkte ein, die die Kommission vor dem Erlass des streitigen Beschlusses, wie sich aus der in Rn. 2 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rn. 17 des angefochtenen Urteils ergibt, fallen gelassen hat. Dieses Vorbringen geht daher teilweise ins Leere. |
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65 |
Zweitens belegt Orlen, wie von der Kommission zu Recht geltend gemacht, im Rahmen des ersten Teils ihres ersten Rechtsmittelgrundes weder das Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers der Kommission bei der Prüfung der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen, die Gazprom vorgeschlagen hatte, um die von der Kommission in der MB geäußerten Bedenken auszuräumen, noch die fehlende Beanstandung eines solchen offensichtlichen Beurteilungsfehlers durch das Gericht. Orlen beschränkt sich insoweit auf bloße Behauptungen. Wie in den Rn. 47 und 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, betrifft die gerichtliche Nachprüfung einer nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Entscheidung aber nur die Frage, ob die Kommission einen solchen Fehler begangen hat, was von der Partei, die dies behauptet, konkret dargetan werden muss. |
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66 |
Drittens erlauben die Beanstandungen von Orlen in Bezug auf eine fehlende vorausschauende Analyse zur Beurteilung der Angemessenheit der von Gazprom angebotenen Verpflichtungszusagen zum einen nicht, das Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers in dieser Hinsicht festzustellen, und betreffen zum anderen Schlussfolgerungen, die das Gericht aus von Orlen nicht in Frage gestellten Tatsachenfeststellungen gezogen hat, nämlich dass zumindest bei einer Reihe der betreffenden Verträge nicht davon ausgegangen werden konnte, dass diese in den Preisfestsetzungs- oder Preisanpassungsklauseln Verweise auf wettbewerbsbestimmte und klar definierte Referenzpreise enthielten. Das Gericht hat daraus in freier Würdigung abgeleitet, dass das Fehlen eines klar definierten, wettbewerbsbestimmten und öffentlich verfügbaren Referenzpreises, wie beispielsweise die Preise auf wettbewerbsorientierten Gashandelsplattformen, in den Preisanpassungsklauseln einer der Hauptfaktoren gewesen sei, die zu unangemessenen Preisen in den fünf von der Preispolitik betroffenen MOEL hätten führen können. |
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67 |
Viertens beruht die Annahme, das Gericht habe die Entscheidung der Kommission, die spätere Berichtigung der angebotenen Verpflichtungszusagen zuzulassen, bestätigt, auf einem falschen Verständnis des angefochtenen Urteils wie des streitigen Beschlusses. Zunächst betrifft der bloße Hinweis in Rn. 423 dieses Urteils, die Organe der Union oder die nationalen Regulierungsbehörden im Gassektor könnten zur Änderung der Regelung in diesem Sektor oder gegebenenfalls zur Sicherstellung der Einhaltung dieser Regelung eingreifen, entgegen dem Vorbringen von Orlen, nicht die Möglichkeit einer Korrektur solcher Verpflichtungszusagen. Sodann bringt der bloße Hinweis der Kommission, die in Rede stehenden Verpflichtungszusagen könnten, wenn sie von dem betreffenden Unternehmen nicht eingehalten würden, zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 führen, nicht den Willen zum Ausdruck, diese Verpflichtungszusagen nachträglich zu ergänzen, sondern sicherzustellen, dass sie eingehalten werden. |
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68 |
Fünftens ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Vertrauensschutzes nach ständiger Rechtsprechung zu den tragenden Grundsätzen der Union gehört und dass die Möglichkeit, sich auf ihn zu berufen, jedem Wirtschaftsteilnehmer offensteht, bei dem ein Organ durch genaue Zusicherungen begründete Erwartungen geweckt hat (Urteil vom 12. Januar 2017, Timab Industries und CFPR/Kommission, C‑411/15 P, EU:C:2017:11, Rn. 134 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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69 |
Ein Wirtschaftsteilnehmer kann sich aber nicht auf den Inhalt einer Mitteilung der Beschwerdepunkte, auf deren vorbereitenden und vorläufigen Charakter in Rn. 50 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist, stützen, und zwar auch dann nicht, wenn sie an die Stelle einer vorläufigen Beurteilung tritt, deren Bezeichnung den nicht endgültigen Charakter widerspiegelt, um davon auszugehen, dass die Kommission ihm genaue Zusicherungen gegeben hat, dass alle in diesen Dokumenten enthaltenen Bedenken Verpflichtungszusagen entsprechen, die in der endgültigen Entscheidung enthalten sind (vgl. entsprechend Urteil vom 12. Januar 2017, Timab Industries und CFPR/Kommission, C‑411/15 P, EU:C:2017:11, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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70 |
Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher zurückzuweisen. |
b) Zweiter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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71 |
Mit dem zweiten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht Orlen geltend, das Gericht habe die Tatsachen mehrfach offensichtlich verfälscht, was es zu einer fehlerhaften Anwendung von Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 und zu der unzutreffenden Ansicht geführt habe, die Kommission habe hinsichtlich der Angemessenheit der von Gazprom angebotenen Verpflichtungszusagen keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen. |
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72 |
So sei das Gericht zunächst zu Unrecht davon ausgegangen, die Praxis von Gazprom habe im Wesentlichen in der Verhinderung von Gaseinfuhren bestanden, während deren Praktiken in Wirklichkeit, wie in der MB ausdrücklich beschrieben, hauptsächlich die Wiederausfuhr von Gas durch die Wirtschaftsteilnehmer der betroffenen MOEL hätten verhindern sollen, was unmittelbare Auswirkungen auf die Fluidität des Gasgroßhandelsmarkts gehabt habe. Damit gehe das Gericht am Kern der in der MB aufgeworfenen Frage der von Gazprom angewandten territorialen Beschränkungen vorbei, die nicht Einfuhren von Gas in die MOEL hätten verhindern sollen, sondern dessen Weiterverkauf durch diese Länder. Ohne eine solche Verfälschung hätte das Gericht anerkennen müssen, dass Gazprom nicht in angemessener Weise auf die in der MB enthaltenen Beschwerdepunkte betreffend die territorialen Beschränkungen eingegangen sei. |
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73 |
Sodann sei es zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Kommission in der MB vier Arten außervertraglicher Vorgehensweisen identifiziert und die Androhung von Vergeltungsmaßnahmen unterschiedlicher Art seitens Gazprom außer Acht gelassen habe, was es zu der unzutreffenden Ansicht geführt habe, dass die Verpflichtungszusage von Gazprom, die nicht alle in der MB dargelegten Bedenken der Kommission erfasse, gleichwohl angemessen sei. |
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74 |
Schließlich habe es zu Unrecht ausgeführt, der Umstand, dass nationale Gerichte einem Antrag auf Aufhebung eines Schiedsspruchs stattgeben könnten, wenn ein solcher Schiedsspruch nach ihrem Dafürhalten gegen Art. 102 AEUV oder eine Entscheidung nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoße, könne die Schiedsgerichte veranlassen, sich zu vergewissern, dass ihre Schiedssprüche die Bestimmungen des AEU-Vertrags achteten, obwohl eine solche Behauptung spekulativ und nicht belegt sei. |
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75 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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76 |
Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass das Ziel der Kommission bei Erlass einer Entscheidung nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, mit der die Verpflichtungszusagen eines Unternehmens für bindend erklärt werden, darin besteht, die von ihr geäußerten Bedenken hinsichtlich des Vorliegens wettbewerbswidriger Verhaltensweisen auszuräumen und aus Gründen der Verfahrensökonomie durch diese Verpflichtungszusagen rasch ein zufriedenstellendes Funktionieren des Wettbewerbs auf dem betreffenden Markt zu erreichen. Dies vorausgeschickt, ist im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen, dass die von der Kommission gebilligten objektiven Abhilfemaßnahmen, die auf dem polnischen Markt, auf dem Orlen tätig ist, vollständig wettbewerbsbestimmte Versorgungs- und Vertriebsbedingungen für Gas wiederherstellen sollten, nach dem Erlass des streitigen Beschlusses nicht von vornherein ihre Wirkungen entfalteten oder nicht den subjektiven Erwartungen eines bestimmten Wirtschaftsteilnehmers, im vorliegenden Fall von Orlen, entsprachen. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass dieser Beschluss mit offensichtlichen Beurteilungsfehlern behaftet wäre, die zu beanstanden das Gericht versäumt hätte. |
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77 |
Insbesondere hat das Gericht, wie die Kommission geltend macht, die Gaseinfuhren aus Deutschland nach Polen im Rahmen seiner Beurteilung der Verpflichtung, die Lieferstellen zu ändern, wie bereits im 170. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses erwähnt, zutreffend bewertet. So ist unstreitig, dass Polen seit dem Erlass der MB in erheblichem Umfang von der Verbesserung der grenzüberschreitenden Gastransportinfrastruktur profitiert hat, da die Einfuhren ohne Änderung der Lieferstelle möglich geworden sind. Daher hat das Gericht bei der Nachprüfung der Beurteilung der Frage der Gaseinfuhren nach Polen durch die Kommission im Zusammenhang mit der Beurteilung der Angemessenheit des Fehlens einer Verpflichtungszusage von Gazprom in Bezug auf die Einrichtung einer größeren Anzahl von Lieferstellen, die sich ändern können und Polen betreffen, keinen Rechtsfehler begangen. |
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78 |
Wenn Orlen geltend macht, das Gericht habe es versäumt, bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen von Gazprom Handlungen wie deren diverse Androhungen von Vergeltungsmaßnahmen zu berücksichtigen, ist ein solches Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht offensichtlich unzutreffend, da das Gericht solche Verhaltensweisen insbesondere in Rn. 95 des angefochtenen Urteils erwähnt hat. |
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79 |
Schließlich hat das Gericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Schiedsgerichte geneigt sind, sich zu vergewissern, dass ein erlassener Schiedsspruch Art. 102 AEUV achtet. Diese Erwägung kann keinesfalls zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. |
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80 |
Der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher zurückzuweisen. |
c) Dritter Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
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81 |
Mit dem dritten Teil ihres ersten Rechtsmittelgrundes macht Orlen geltend, das Gericht habe es versäumt, die Verpflichtung der Kommission zu berücksichtigen, im Rahmen der Ausübung ihrer gesetzlichen Befugnis zur Beurteilung komplexer wirtschaftlicher und technischer Fragen im Einklang mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags und den Grundprinzipien der Unionsrechtsordnung zu handeln. Der aus Art. 194 AEUV abgeleitete Grundsatz der Energiesolidarität, der den Status eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts habe, gehöre zu diesen Grundprinzipien. Das Ermessen, über das die Kommission in diesem Bereich verfüge, werde daher durch ihre Verpflichtung begrenzt, im Einklang mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts zu handeln. |
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82 |
Durch eine Beschränkung der Kriterien, die die Kommission bei der Prüfung der in Rede stehenden Verpflichtungszusagen leiten sollten, habe das Gericht gegen Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen, da die Kommission dadurch, dass sie sich auf eine zu enge Auslegung der Leitlinien gestützt habe, die sich aus den Urteilen vom 29. Juni 2010, Kommission/Alrosa (C‑441/07 P, EU:C:2010:377), und vom 15. September 2016, Morningstar/Kommission (T‑76/14, EU:T:2016:481), ergäben, nicht nur den Grundsatz der Energiesolidarität außer Acht gelassen, sondern auch übersehen habe, dass die Rechtssache ihrer Art nach zum Energiebereich gehöre. |
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83 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
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84 |
Der Gerichtshof hält es für angebracht, den dritten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes zusammen mit dem zweiten Rechtsmittelgrund zu prüfen. |
4. Zweiter Rechtsmittelgrund
a) Vorbringen der Parteien
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85 |
Der zweite Rechtsmittelgrund von Orlen betrifft einen Verstoß gegen Art. 194 AEUV in Verbindung mit Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003. Das Gericht habe insoweit bei der Auslegung von Art. 194 AEUV zahlreiche Fehler begangen. |
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86 |
Aus der jüngsten Rechtsprechung, die durch das Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Kommission (C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 43, 44, 47, 50 und 51), veranschaulicht werde, ergebe sich, dass der in diesem Artikel verankerte Grundsatz der Solidarität allen Zielen der Energiepolitik der Union zugrunde liege, indem er sie zusammenführe und ihnen Kohärenz verschaffe, und dass folglich die Handlungen der Unionsorgane, einschließlich derjenigen der Kommission im Rahmen dieser Politik, im Licht dieses Grundsatzes auszulegen seien und ihre Rechtmäßigkeit danach zu beurteilen sei, ohne dass seine Anwendbarkeit davon abhänge, ob in dem von der Kommission durchgeführten Verfahren Fragen aus dem Energiebereich aufgeworfen würden. Dieser Grundsatz könne nicht mit dem Erfordernis gleichgesetzt werden, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, oder sich darauf beschränken. |
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87 |
Die richtige Auslegung von Art. 194 AEUV lasse sich daher in einem dreistufigen Test zusammenfassen. Erstens sei zu prüfen, ob es sich um einen Rechtsakt im Energiebereich handele. Zweitens müssten die Unionsorgane unabhängig davon, ob die Parteien Fragen zu diesem Bereich aufgeworfen hätten, prüfen, ob der Erlass dieses Rechtsakts die Interessen der verschiedenen betroffenen Akteure beeinträchtigen würde. Drittens müsse beurteilt werden, ob die mit dem Erlass dieses Rechtsakts verbundenen Vorteile dessen negative Auswirkungen überwögen. |
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88 |
Im vorliegenden Fall sei unbestreitbar, dass der streitige Beschluss in den Energiebereich falle, da die Kommission Gazprom durch diesen Beschluss verpflichtet habe, ihre Modalitäten der Zusammenarbeit mit den betroffenen Kunden zu ändern, und dass dieser Beschluss daher nach seinem Erlass mindestens acht Jahre Auswirkungen auf den Gasmarkt der Union und die dort geltenden Bedingungen gehabt habe. Die Kommission habe im Übrigen das Verfahren, das zum Erlass dieses Beschlusses geführt habe, als wesentlichen Bestandteil der Maßnahmen zur Förderung eines offenen und integrierten Gasmarkts bezeichnet. Das Gericht habe jedoch ebenso wie die Kommission völlig außer Acht gelassen, dass der streitige Beschluss in den Energiebereich falle, und dabei insbesondere zu Unrecht angenommen, dass die Kommission im Rahmen der Beurteilung der Verpflichtungszusagen von Gazprom nicht an den Grundsatz der Energiesolidarität gebunden sei. Nichts lasse die Annahme zu, dass die Anwendung dieses Grundsatzes im Rahmen des auf die Verordnung Nr. 1/2003, einschließlich deren Art. 9, gestützten Vorgehens der Kommission ausgeschlossen oder beschränkt sei, wenn sich feststellen lasse, dass dieses Vorgehen dem Energiebereich zuzurechnen sei. |
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89 |
Nach Auffassung von Orlen würde der Ansatz des Gerichts Art. 194 AEUV jegliche praktische Wirksamkeit gegenüber dem Vorgehen der Kommission nehmen, das auf die Umsetzung sowohl der Ziele des Wettbewerbsrechts im weiteren Sinne als auch der Ziele im Zusammenhang mit dem Funktionieren des Energiemarkts der Union gerichtet sei. Die fehlende Analyse dieser Verpflichtungszusagen unter dem Blickwinkel dieses Grundsatzes nehme auch Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 seine praktische Wirksamkeit. |
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90 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
b) Würdigung durch den Gerichtshof
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91 |
Es ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nichts die Annahme zulässt, der Solidaritätsgrundsatz in Art. 194 Abs. 1 AEUV könnte als solcher keine verbindlichen Rechtswirkungen für die Mitgliedstaaten und die Unionsorgane erzeugen. Vielmehr liegt dieser Grundsatz, wie sich aus dem Wortlaut und dem Aufbau dieser Bestimmung ergibt, allen Zielen der Energiepolitik der Union zugrunde, die er zusammenführt und denen er Kohärenz verschafft (Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 43). |
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92 |
Daraus folgt insbesondere, dass die Handlungen der Unionsorgane, einschließlich der Handlungen der Kommission im Rahmen dieser Politik, im Licht des Grundsatzes der Energiesolidarität auszulegen sind und ihre Rechtmäßigkeit anhand dieses Grundsatzes zu beurteilen ist (Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 44). |
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93 |
Dieser Grundsatz stellt ebenso wie die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ein Kriterium für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der von den Unionsorganen erlassenen Maßnahmen dar (Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 45). |
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94 |
Der in Art. 194 AEUV verankerte Grundsatz der Energiesolidarität ist daher von den Unionsorganen und den Mitgliedstaaten im Rahmen der Verwirklichung oder des Funktionierens des Binnenmarkts und insbesondere des Erdgasmarkts zu berücksichtigen, indem sie dafür Sorge tragen, die Energieversorgungssicherheit in der Union zu gewährleisten, was nicht nur bedeutet, Notfallsituationen bei ihrem Eintreten zu bewältigen, sondern auch, Maßnahmen zur Vorbeugung von Krisensituationen zu erlassen. Hierzu ist es erforderlich, das Vorliegen von Risiken für die Energieinteressen der Mitgliedstaaten und der Union, insbesondere für die Energieversorgungssicherheit, zu beurteilen (Urteil vom 15. Juli 2021, Deutschland/Polen, C‑848/19 P, EU:C:2021:598, Rn. 69). |
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95 |
Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Rn. 420 des angefochtenen Urteils hervorgehoben, dass die im Anschluss an ein Verfahren nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 eingegangenen Verpflichtungszusagen nicht zu einem Ergebnis führen dürften, das zu den besonderen Bestimmungen der Verträge im Widerspruch stehe. Daraus folgt, dass das Gericht zu Recht zum einen festgestellt hat, dass die Kommission, wenn sie nach dieser Bestimmung handelte, gleichwohl ihrer Verpflichtung nachkommen musste, im Einklang mit den Bestimmungen des AEU-Vertrags und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts zu handeln, und zum anderen, dass sie zu prüfen hatte, ob die im Rahmen dieses Verfahrens angebotenen Verpflichtungszusagen als solche nicht gegen die Bestimmungen des AEU-Vertrags, einschließlich Art. 194 Abs. 1 AEUV, verstießen. |
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96 |
Diese Verpflichtungen bedeuten, dass die Kommission, wie der Generalanwalt in Nr. 58 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keine Verpflichtungszusagen annehmen könnte, die Art. 194 AEUV zuwiderlaufen und auf diese Weise die mit dem Grundsatz der Energiesolidarität oder der Energieversorgungssicherheit der Union verfolgten Ziele gefährden könnten, auch wenn diese Verpflichtungszusagen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken der Kommission auf dem betreffenden Markt ausräumen könnten. Gleichwohl bedeutet dies nicht, dass die Kommission, die im Rahmen des in der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehenen Verfahrens als Wettbewerbsbehörde tätig wird, befugt wäre, Maßnahmen aufzuerlegen, die von den Maßnahmen zur Behebung der bei ihrer Untersuchung festgestellten wettbewerbsrechtlichen Bedenken unabhängig sind und über sie hinausgehen, indem sie auf dieser Grundlage verbindlichere Verpflichtungszusagen verlangt. |
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97 |
Das Gericht hat es daher in Rn. 422 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei abgelehnt, die Anwendung des Grundsatzes der Energiesolidarität durch die Kommission damit gleichzusetzen, dass ihr positive Verpflichtungen auferlegt wären, die über den Rahmen der gegen Gazprom erhobenen Beschwerdepunkte hinausgingen, oder dass Gazprom verbindlichere Verpflichtungen träfen. |
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98 |
Im Übrigen gibt Orlen nicht an, inwiefern der streitige Beschluss die spezifischen Ziele der Energiepolitik der Union missachtet hätte. |
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99 |
Insoweit bedeutet der Umstand, dass die Kommission den Grundsatz der Energiesolidarität im streitigen Beschluss nicht ausdrücklich erwähnt hat, nicht, dass sie diesen Grundsatz nicht berücksichtigt hätte und dass er in diesem Beschluss nicht beachtet worden wäre. |
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100 |
Der streitige Beschluss enthält vielmehr Teile, aus denen klar hervorgeht, dass die Kommission zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses die Ziele der Energiepolitik der Union berücksichtigt hat, indem sie bei der Beurteilung der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen von Gazprom insbesondere darauf geachtet hat, den ungehinderten grenzüberschreitenden Gastransport sicherzustellen und den Verbrauchern der betroffenen MOEL alternative Versorgungsmöglichkeiten aus Nachbarländern zu verschaffen sowie sicherzustellen, dass die Preise nicht von den westeuropäischen Wettbewerbsindizes abweichen. |
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101 |
Daher sind der dritte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes und folglich der erste Rechtsmittelgrund insgesamt sowie der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen. |
5. Dritter Rechtsmittelgrund
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102 |
Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt wird, macht Orlen geltend, das Gericht habe den Begriff „offensichtlicher Beurteilungsfehler“ bei seiner Prüfung der Beurteilung der komplexen wirtschaftlichen und technischen Fragen im Zusammenhang mit der Analyse der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen von Gazprom durch die Kommission falsch ausgelegt. Dieser Begriff entspreche nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs vier Fallgestaltungen, nämlich dem Fehlen einer korrekten Beurteilung der relevanten Tatsachen, die der Analyse des Urhebers der Entscheidung zugrunde lägen, der Nichtberücksichtigung wesentlicher Gesichtspunkte durch den Urheber, der Tatsache, dass er seine Analyse auf einen irrelevanten Gesichtspunkt gestützt habe, und der Nichteinhaltung des Beweismaßes. Unter diesen Umständen müsse das Gericht insbesondere prüfen, ob die Beweismittel, auf die sich die Kommission gestützt habe, hinreichend genau, zuverlässig und kohärent seien, ob sie eine Gesamtheit relevanter Daten darstellten, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen seien, ob sie geeignet seien, die von der Kommission daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu stützen, und schließlich, ob sie aufgrund ihrer Qualität eine vorausschauende Analyse ermöglichten. |
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103 |
Dieser Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen. |
a) Erster Teil des dritten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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104 |
Mit dem ersten Teil seines dritten Rechtsmittelgrundes, der sich darauf bezieht, dass das Gericht die kumulative Wirkung der Fehler der Kommission auf ihre Gesamtanalyse der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen von Gazprom nicht berücksichtigt habe, macht Orlen insbesondere geltend, dass sich die Notwendigkeit, diese kumulative Wirkung zu berücksichtigen, aus der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte ergebe. Das Gericht sei jedoch im angefochtenen Urteil zu Unrecht davon ausgegangen, dass es diese Fehler unabhängig voneinander beurteilen, d. h. jede Maßnahme und jeden potenziellen Fehler der Kommission gesondert analysieren könne, und habe damit auf eine Gesamtwürdigung des Vorgehens der Kommission verzichtet. Auf der Grundlage solcher gesonderter Analysen sei das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein offensichtlicher Beurteilungsfehler vorliege, wohingegen es bei einer kumulativen Berücksichtigung dieser Fehler veranlasst gewesen wäre, das Vorliegen eines solchen offensichtlichen Fehlers anzuerkennen, da die verschiedenen Bestandteile der Verpflichtungszusagen von Gazprom weder isoliert gewesen seien noch gegenseitiger Auswirkungen entbehrt hätten. Die Verpflichtungszusagen von Gazprom betreffend die Preispolitik und die territorialen Beschränkungen seien nämlich komplexe Mechanismen, die aus weitgehend miteinander verflochtenen Elementen bestünden. |
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105 |
Eine solche fehlerhafte Anwendung der Kriterien für die Nachprüfung eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers liege insbesondere bei der Beurteilung des Verzichts der Kommission auf die Jamal-Beschwerdepunkte durch das Gericht vor. |
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106 |
Jedenfalls hätte das Gericht den streitigen Beschluss auch insoweit für nichtig erklären müssen, als er nicht allen von der Kommission geäußerten wettbewerbsrechtlichen Bedenken Rechnung trage. |
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107 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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108 |
Erstens ist das Vorbringen zum Verzicht auf die Jamal-Beschwerdepunkte und zum Fehlen einer Antwort auf alle ursprünglichen Bedenken der Kommission einschließlich dieser Rügen durch Verweis auf die Rn. 57 und 64 des vorliegenden Urteils zurückzuweisen. |
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109 |
Zweitens ist es Sache des Klägers, der die Nichtigerklärung eines von der Kommission nach Art. 9 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Beschlusses beantragt, darzutun, dass der Kommission ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen ist. Im vorliegenden Fall begnügt sich Orlen mit einer abstrakten Argumentation, die auf dem Gedanken einer Anhäufung von Fehlern beruht, ohne deren konkrete Relevanz aufzuzeigen. Die Kommission weist hierzu darauf hin, Orlen habe im Übrigen vor dem Gericht nicht geltend gemacht, dass eine Gesamtbeurteilung aller der Kommission unterstellten Fehler hätte erfolgen müssen. Tatsächlich geht aus Rn. 398 des angefochtenen Urteils hervor, dass nur Overgas ein solches Argument vorgetragen hatte, das vom Gericht geprüft und dann zu Recht zurückgewiesen wurde. |
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110 |
Drittens ergibt sich entgegen dem Vorbringen von Orlen weder aus dem streitigen Beschluss noch aus dem angefochtenen Urteil, dass die Kommission oder das Gericht auf eine Gesamtanalyse der von Gazprom eingegangenen Verpflichtungszusagen verzichtet hätten. |
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111 |
So wird, bezogen auf die Kommission, der globale Ansatz, den sie im Rahmen der Prüfung der Verpflichtungszusagen verfolgt hat, durch die Erwägungsgründe 160 bis 164 des streitigen Beschlusses belegt. Insoweit reicht die Entscheidung der Kommission, die Verhältnismäßigkeit jeder Verpflichtungszusage in Bezug auf die von ihr aufgezeigten Bedenken gesondert darzustellen, nicht aus, um diesen umfassenden Ansatz in Frage zu stellen. |
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112 |
Bezogen auf das Gericht geht aus den Rn. 195 bis 202 und 310 bis 319 des angefochtenen Urteils hervor, dass das Gericht eine Gesamtwürdigung sowohl der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik als auch der Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen vorgenommen hat. Die bereits in Rn. 109 des vorliegenden Urteils angeführte Rn. 398 des angefochtenen Urteils stellt ein weiteres Beispiel für eine Gesamtbeurteilung im Hinblick auf das mögliche Vorliegen eines offensichtlichen Beurteilungsfehlers dar. |
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113 |
Viertens ist die Behauptung von Orlen zurückzuweisen, das Gericht hätte feststellen müssen, dass sich im vorliegenden Fall ein offensichtlicher Beurteilungsfehler der Kommission aus der Anhäufung bloßer Fehler ergebe, die sie begangen habe. Dies könnte nur dann zutreffen, wenn das Gericht die Unangemessenheit mindestens einer der von der Kommission angenommenen Verpflichtungszusagen festgestellt hätte, wodurch auch andere Verpflichtungszusagen in Frage gestellt würden, und wenn nachgewiesen worden wäre, dass diese miteinander in Verbindung standen. Dies ist aber nicht der Fall. |
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114 |
Zwar hat das Gericht bei seiner Analyse der Angemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen auf bestimmte Unregelmäßigkeiten bei der Beurteilung dieser Verpflichtungszusagen durch die Kommission hingewiesen, doch war es nicht der Ansicht, dass diese Unregelmäßigkeiten irgendeine Auswirkung auf deren Wirksamkeit haben könnten. Wie der Generalanwalt in Nr. 96 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, beziehen sich die kritischen Erwägungen des Gerichts zur Beurteilung der Kommission eher auf den methodischen Ansatz, den sie bei ihrer Analyse gewählt hat, als auf die Unzulänglichkeit der Verpflichtungszusagen. |
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115 |
Ferner ist daran zu erinnern, dass, wie in Rn. 48 des vorliegenden Urteils hervorgehoben, ein offensichtlicher Beurteilungsfehler nicht schon dann vorliegt, wenn eine bloße Unregelmäßigkeit oder Unterlassung seitens der Kommission festgestellt wird. Vielmehr muss eine Erheblichkeitsschwelle überschritten sein, um die Richtigkeit der von der Kommission durchgeführten Analyse in Frage stellen zu können. |
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116 |
Der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist folglich zurückzuweisen. |
b) Zweiter Teil des dritten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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117 |
Mit dem zweiten Teil ihres dritten Rechtsmittelgrundes, mit dem gerügt wird, der vorausschauende Charakter der Verpflichtungszusagen von Gazprom sei im Rahmen der Prüfung der Angemessenheit der verschiedenen Bestandteile dieser Verpflichtungszusagen nicht berücksichtigt worden, macht Orlen geltend, dass die Kommission nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf die Verpflichtungszusagen zur Beseitigung wettbewerbsrechtlicher Bedenken (Beendigung der von der Kommission in der vorläufigen Beurteilung festgestellten wettbewerbswidrigen Praktiken, Wiederherstellung des Wettbewerbs auf dem Markt und Verhinderung einer Wiederholung der Zuwiderhandlungen) mit besonderer Vorsicht auf die Fälle eingehen müsse, die eine negative Entwicklung der Situation vorsähen. In diesem Zusammenhang müsse das Gericht prüfen, ob die Kommission diese Analyse korrekt durchgeführt habe, indem sie sich sowohl auf die „anwendbare historische Erfahrung“ als auch auf die „Überprüfung der Wahrscheinlichkeit, dass alle Voraussetzungen erfüllt sind, die kumulativ erfüllt sein müssen“, gestützt habe. |
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118 |
Im vorliegenden Fall sei die Analyse der Angemessenheit der Verpflichtung, eine Preisanpassungsklausel nur im Hinblick auf die Marktsituation zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses aufzunehmen und dabei den vorausschauenden Teil völlig außer Acht zu lassen, das erste Beispiel für einen Fehler des Gerichts. |
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119 |
Ein zweites Beispiel für eine mangelnde Nachprüfung des Vorliegens einer ausreichend vorausschauenden Analyse der Kommission durch das Gericht sei die fehlende Überprüfung der Anzahl kumulativer Voraussetzungen, die erfüllt sein müssten, um das im 135. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses genannte Ziel der Preisverpflichtung zu erreichen, das darin bestehe, den Gazprom-Kunden ein klares vertragliches Recht zu sichern, das gewährleiste, dass ihre Gaspreise in Zukunft fair und wettbewerbsfähig blieben. |
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120 |
Folglich habe das Gericht die seiner Analyse zugrunde liegenden relevanten Tatsachen nicht zutreffend gewürdigt, und jeder der oben genannten Fehler habe sich unmittelbar auf den streitigen Beschluss ausgewirkt. |
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121 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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122 |
Die Behauptungen von Orlen werden durch den Inhalt sowohl des streitigen Beschlusses als auch des angefochtenen Urteils widerlegt. |
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123 |
So haben entgegen dem Vorbringen von Orlen die Kommission und das Gericht, wie sich aus Rn. 158 des angefochtenen Urteils ergibt, eindeutig die potenzielle künftige Marktentwicklung berücksichtigt, weshalb es das Gericht in Rn. 155 dieses Urteils für ausreichend gehalten hat, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen eine Preisanpassungsklausel und keine sofortige Änderung der durch die bestehenden Klauseln vorgeschriebenen Preisformeln enthielten. |
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124 |
Orlen legt diese Randnummer des angefochtenen Urteils falsch aus, wenn sie geltend macht, das Gericht habe die Angemessenheit der von Gazprom vorgeschlagenen Preisanpassungsklausel nur im Hinblick auf die Marktlage zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses beurteilt. Das Gericht hat dort lediglich bestätigt, dass die Kommission bei ihrer Beurteilung auch die Situation des zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses bestehenden Marktes zutreffend berücksichtigt hatte. Im Übrigen geht aus den Rn. 156 bis 158 des angefochtenen Urteils klar hervor, dass das Gericht die vorausschauende Beurteilung der Kommission tatsächlich auf ihre Richtigkeit nachgeprüft hat. Insoweit musste der Umstand, dass die Preise zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses wettbewerbsbestimmt waren, im Zusammenhang mit der Gewährung einer Frist von zehn Wochen für die Änderung aller Verträge und der Aufnahme einer Preisanpassungsklausel für Gazprom gesehen werden. |
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125 |
Darüber hinaus hat das Gericht auch hinreichend beurteilt, wie dank der durch die Verpflichtungszusagen eingeführten Preisanpassungsklauseln die Wiederholung einer Situation, in der die Preise überhöht gewesen wären, verhindert werden konnte. |
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126 |
Folglich ist der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes und damit dieser Rechtsmittelgrund zurückzuweisen. |
6. Vierter Rechtsmittelgrund
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127 |
Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird ein Verstoß gegen Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt. |
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128 |
Dieser Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen. |
a) Erster Teil des vierten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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129 |
Mit dem ersten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes macht Orlen geltend, das Gericht habe die in Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, auf den Verstoß gegen eine Verpflichtungszusage gestützt, deren Inhalt von ihm anhand der Gründe des streitigen Beschlusses und nicht anhand seines verfügenden Teils ausgelegt worden sei. |
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130 |
Aus Art. 9 Abs. 2 Buchst. b ergebe sich eindeutig, dass die Kommission das Verfahren wieder aufnehmen dürfe, wenn das betreffende Unternehmen die von ihr angenommenen Verpflichtungszusagen nicht erfülle. Es sei daher von entscheidender Bedeutung, den Inhalt der in Rede stehenden Verpflichtungszusage eindeutig zu bestimmen. |
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131 |
Insoweit dürfe die Auslegung des verfügenden Teils des streitigen Beschlusses nicht darin bestehen, den Inhalt der in diesem verfügenden Teil enthaltenen Verpflichtungszusagen zu ergänzen, wie es das Gericht getan habe, sondern darin, diese Verpflichtungszusagen auszulegen, insbesondere bei Zweifeln an der wörtlichen Auslegung dieses verfügenden Teils. Dies werde durch die Rechtsprechung bestätigt, wonach eine Klage grundsätzlich gegen den verfügenden Teil eines Rechtsakts und nicht gegen dessen Gründe zu richten sei, es sei denn, der Inhalt dieser Gründe habe Einfluss auf den im verfügenden Teil dieses Rechtsakts enthaltenen Wesensgehalt des Beschlusses oder stelle dessen tragenden Grund dar. |
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132 |
Das Gericht habe aber nicht nur den Inhalt der Verpflichtungszusagen betreffend die Preispolitik, die dem verfügenden Teils des streitigen Beschlusses angehörten, im Licht der Gründe dieses Beschlusses ausgelegt, sondern es habe zum einen diesen Inhalt zu Unrecht erweitert, indem es Punkte einbezogen habe, die offensichtlich nicht in diesem verfügenden Teil enthalten gewesen seien, und zum anderen auf der Grundlage dieses so erweiterten Beschlusses die Möglichkeit erwähnt, das Verfahren wieder aufzunehmen, insbesondere wenn die Schiedsgerichte die Daten zu den „Preisen auf den Plattformen“ außer Acht ließen, die es ermöglichten, geänderte Preise festzulegen. Da die Kommission nicht klar bestimmt habe, was sie im Licht der Gründe für die Wiederaufnahme des Verfahrens unter der Nichterfüllung einer Verpflichtungszusage verstehe, habe das Gericht daraus kein Argument für die Angemessenheit der in Rede stehenden Verpflichtungszusage ableiten dürfen. |
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133 |
Im Übrigen sei die Kommission nicht verpflichtet, das Verfahren im Fall eines Verstoßes von Gazprom gegen ihre Verpflichtungszusagen wieder aufzunehmen, da sie insoweit über ein weites Ermessen verfüge. Daher sei das Argument, wonach die Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, über die die Kommission bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtungszusagen verfüge, deren Angemessenheit beweise, unbegründet. |
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134 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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135 |
Wie bereits in Rn. 67 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bringt der bloße Hinweis, dass die in Rede stehenden Verpflichtungszusagen, wenn sie von dem betreffenden Unternehmen nicht eingehalten werden, zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 führen können, nicht den Willen zum Ausdruck, diese Verpflichtungszusagen nicht nachträglich zu ergänzen, sondern, sicherzustellen, dass sie eingehalten werden. Im gleichen Sinne hat das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen, das Verfahren wieder aufzunehmen und eine Geldbuße nach Art. 23 Abs. 2 Buchst. c der Verordnung Nr. 1/2003 für den Fall zu verhängen, dass Gazprom ihre Verpflichtungszusagen nicht einhält. Es handelt sich lediglich um eine an Gazprom gerichtete Erinnerung, diesen Verpflichtungszusagen nachzukommen. |
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136 |
Im Übrigen ist es nur folgerichtig, dass das Gericht den Inhalt des verfügenden Teils des streitigen Beschlusses im Licht seiner Gründe ausgelegt hat. Die Berufung auf die Begründung dieses Beschlusses zur Stützung der richtigen Auslegung seines verfügenden Teils stellt keinen Rechtsfehler dar, sondern beruht auf einer üblichen Auslegungstechnik. Damit hat das Gericht diesen verfügenden Teil, entgegen der Behauptung von Orlen, nicht durch Teile ergänzt, die darin nicht enthalten waren, sondern ihn lediglich im Licht des Inhalts dieser Begründung ausgelegt. Insbesondere hat sich das Gericht in Erwiderung auf die Behauptungen von Orlen darauf beschränkt, zu erläutern, was unter der in Nr. 19 Ziff. iv der endgültigen Verpflichtungszusagen beschriebenen Verpflichtungszusage zu verstehen ist. Dabei hat es sich weder in Widerspruch zum Wortlaut dieser Ziffer gesetzt noch ist es darüber hinaus gegangen, sondern hat eine vernünftige Auslegung dieser Verpflichtungszusage auf der Grundlage ihres Inhalts und ihres Ziels vorgenommen. |
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137 |
Der erste Teil des vierten Rechtsmittelgrundes ist daher zurückzuweisen. |
b) Zweiter Teil des vierten Rechtsmittelgrundes
1) Vorbringen der Parteien
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138 |
Mit dem zweiten Teil ihres vierten Rechtsmittelgrundes macht Orlen geltend, das Gericht habe die in Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 vorgesehene Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, unter Hinweis auf Umstände begründet, die dem streitigen Beschluss nicht zugrunde lägen und in keinem Zusammenhang mit deren Gegenstand stünden. |
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139 |
Die zutreffende Auslegung dieser Bestimmung erlaube es der Kommission, das Verfahren wieder aufzunehmen, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für den betreffenden Beschluss wesentlichen Punkt geändert hätten. Die Bestimmung betreffe somit Verhältnisse, die zu dem Zeitpunkt bestanden hätten, als die Kommission ihren Beschluss erlassen habe, und die daher von ihr geprüft worden seien. Das Gericht habe diese Auslegung jedoch verkannt, indem es sie insbesondere auf zwei Fallgestaltungen angewandt habe. |
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140 |
Zum einen sei das Gericht davon ausgegangen, dass, selbst wenn die Konvergenz der Gas- und Erdölpreise eine Tatsache von kurzer Dauer gewesen sei, jede fehlende Konvergenz in der Zukunft eine Änderung der zum Zeitpunkt des Erlasses des streitigen Beschlusses bestehenden Umstände darstelle, die es der Kommission gestatten würde, nach dieser Bestimmung tätig zu werden. |
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141 |
Zum anderen sei das Gericht auch davon ausgegangen, dass das Fehlen bestimmter Umstände zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Beschlusses, wie die fehlende Funktionsfähigkeit der Gasfernleitung Nord Stream 2, das Fehlen von Beschränkungen der Gasversorgung durch Gazprom oder das Fehlen neuer von Gazprom auferlegter Bedingungen für die Lieferung von Gas, zu berücksichtigen sei, da solche Tatsachen, sollten sie in Zukunft eintreten, zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens durch die Kommission nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 führen könnten. |
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142 |
Folglich habe das Gericht die Auffassung vertreten, dass zukünftige, in Umfang und Charakter unbestimmte Ereignisse, die ihrer Natur nach keine dem streitigen Beschluss zugrunde liegenden Tatsachen darstellten, eine solche Wiederaufnahme rechtfertigten, was der zutreffenden Auslegung dieser Bestimmung widerspreche. |
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143 |
Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. |
2) Würdigung durch den Gerichtshof
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144 |
Wie die Kommission in ihrer Rechtsmittelbeantwortung ausgeführt hat, veranschaulicht Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003, dass die von der Kommission gebilligten Verpflichtungszusagen nur dann sinnvoll sind, wenn sich die Umstände, die zu ihrem Erlass geführt haben, nicht wesentlich ändern; andernfalls ist das Verfahren wieder aufzunehmen, um die betreffenden Verpflichtungszusagen an die neuen Umstände anzupassen. |
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145 |
Erstens hat sich das Gericht, entgegen der Behauptung von Orlen, in Rn. 426 des angefochtenen Urteils auf den Hinweis beschränkt, dass die Kommission gegebenenfalls von der in dieser Bestimmung vorgesehenen Möglichkeit, das Verfahren wieder aufzunehmen, Gebrauch machen könne, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für den betreffenden Beschluss wesentlichen Punkt, u. a. im Fall der Entwicklung der Gasmärkte, geändert hätten. |
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146 |
Zweitens hat es die in dieser Bestimmung enthaltene Wendung „wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt geändert haben“ rechtsfehlerfrei ausgelegt. Insbesondere hat es nicht erklärt, dass alle zukünftigen Ereignisse, auf die sich die Befürchtungen von Orlen bezogen, insbesondere hinsichtlich der Gasfernleitung Nord Stream 2, eine solche Änderung darstellten. |
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147 |
Das Gericht hat somit den Anwendungsbereich von Art. 9 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 1/2003 nicht übermäßig ausgedehnt. |
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148 |
Folglich ist der zweite Teil des vierten Rechtsmittelgrundes zurückzuweisen. |
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149 |
Nach alledem ist dieser Rechtsmittelgrund und damit das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen. |
V. Anschlussrechtsmittel
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150 |
Mit ihrem Anschlussrechtsmittel beantragt Overgas die Aufhebung des angefochtenen Urteils. |
A. Zulässigkeit des Anschlussrechtsmittels
1. Vorbringen der Parteien
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151 |
Gazprom macht geltend, Overgas habe kein Interesse an der Einlegung des Anschlussrechtsmittels. Außerdem sei sie von dem angefochtenen Urteil nicht unmittelbar betroffen. Folglich sei dieses Rechtsmittel unzulässig. |
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152 |
Zum einen beeinträchtigten die endgültigen Verpflichtungszusagen nicht die wirtschaftlichen oder rechtlichen Interessen von Overgas. Selbst wenn sie einräume, dass es wahrscheinlich bessere Verpflichtungszusagen hätte geben müssen, beweise dies nicht, dass die endgültigen Verpflichtungszusagen für sie nachteilig seien. |
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153 |
Zum anderen verschaffe die Ungültigerklärung der endgültigen Verpflichtungszusagen Overgas keinen Vorteil. Im Gegenteil wäre es, wenn diese für ungültig hätten erklärt werden müssen, nicht sicher gewesen, dass die Kommission strengere Verpflichtungszusagen für bindend erklärt hätte oder dass Gazprom zur Annahme solcher Verpflichtungszusagen bereit gewesen wäre. Die bloße hypothetische und theoretische Möglichkeit des Vorliegens angeblich „besserer“ Verpflichtungszusagen reiche für die Zulässigkeit des Anschlussrechtsmittels nicht aus. |
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154 |
In ihrer Erwiderung macht Overgas geltend, das Anschlussrechtsmittel sei zulässig, da sie von dem streitigen Beschluss im Sinne von Art. 56 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union unmittelbar betroffen sei. Es liege eindeutig in ihrem wirtschaftlichen Interesse, eine günstigere Entscheidung der Kommission in Form wirksamer rechtlicher Maßnahmen zu erreichen. Ein solches Ergebnis könne de iure nicht erreicht werden, solange der streitige Beschluss nicht für nichtig erklärt worden sei. |
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155 |
Orlen hält ebenfalls das Anschlussrechtsmittel für zulässig. |
2. Würdigung durch den Gerichtshof
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156 |
Es genügt festzustellen, dass das Interesse von Overgas an der Einlegung des Anschlussrechtsmittels erwiesen ist, auch wenn sie auf dem Gasmarkt in Bulgarien, der nicht unmittelbar Gegenstand der durch den streitigen Beschluss für bindend erklärten endgültigen Verpflichtungszusagen ist, tätig ist, da sie im ersten Rechtszug Streithelferin zur Unterstützung der Anträge von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo war und das Gericht mit dem angefochtenen Urteil die Klage von Overgas abgewiesen hat. |
B. Begründetheit
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157 |
Overgas stützt ihr Anschlussrechtsmittel auf zwei Gründe. |
1. Erster Rechtsmittelgrund
a) Vorbringen der Parteien
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158 |
Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund macht Overgas geltend, das Gericht habe gegen Art. 40 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 53 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union verstoßen, indem es festgestellt habe, dass die Argumente von Overgas in ihrem Streithilfeschriftsatz unzulässig seien, soweit sie das bulgarische Gassystem beträfen. |
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159 |
Das Gericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass diese Argumente über den Streitgegenstand hinausgingen. Es sei nicht Sache des Gerichts, sondern allein des Klägers, d. h. im vorliegenden Fall Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo, den Streitgegenstand im Rahmen einer Nichtigkeitsklage zu bestimmen. Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo habe den Streitgegenstand aber weit definiert, auch in Bezug auf die territorialen Beschränkungen. Daher würden sich die Verpflichtungszusagen betreffend Bulgarien darin einfügen. Außerdem sei die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Auffassung von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo, insbesondere in Bezug auf die potenziellen Beschränkungen des Streitgegenstands, teilweise widersprüchlich, in hohem Maße mehrdeutig und generell unvereinbar mit der in der Klageschrift dargelegten klaren Position von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo. |
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160 |
Zur Stützung dieser Analyse führt Overgas aus, die von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo im ersten Rechtszug geltend gemachten Klagegründe hätten eine Reihe von inhaltlichen Problemen und Fehlern des streitigen Beschlusses aufgezeigt, für die der polnische Markt, von dem Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo eine bessere Kenntnis gehabt habe, nur ein Beispiel unter anderen gewesen sei, ohne dass dadurch der bulgarische Gasmarkt vom Streitgegenstand ausgeschlossen werde. |
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161 |
Nach Ansicht von Orlen ist dem ersten Rechtsmittelgrund und dem Antrag von Overgas, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben, stattzugeben. |
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162 |
Die Kommission beantragt ihrerseits, den ersten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen. |
b) Würdigung durch den Gerichtshof
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163 |
Zunächst ist daran zu erinnern, dass Gazprom sich im Rahmen der Bulgarien betreffenden Verpflichtungszusage verpflichtet hat, die Gasliefer- und Gastransportverträge zu ändern, um die vertraglichen Hindernisse für den bulgarischen Fernleitungsnetzbetreiber zu beseitigen und damit dieses Netz mit den Anforderungen des abgeleiteten Unionsrechts in Einklang zu bringen. Diese Anforderungen betreffen insbesondere die Einrichtung eines Einspeise‑/Ausspeisesystems, den Abschluss von Verbundvereinbarungen zwischen Netzbetreibern aus Nachbarländern und die Regeln für die Aufteilung von Gasmengen zwischen mehreren Netznutzern an Kopplungspunkten. Diese Anforderungen erleichtern den grenzüberschreitenden Gashandel, fördern den Wettbewerb und gewährleisten die Integration des Binnenmarkts. |
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164 |
Sodann hat Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo in ihrer Klageschrift vor dem Gericht nur ein einziges Mal auf die Bulgarien betreffende Verpflichtungszusage Bezug genommen und keinen die Angemessenheit dieser Zusage betreffenden Klagegrund vorgebracht. Im Gegenteil, sie hat vielmehr geltend gemacht, Gazprom hätte eine Verpflichtungszusage wie die in Bezug auf Bulgarien für andere Gasmärkte in den MOEL, einschließlich Polen, vorschlagen und die Kommission hätte diese für bindend erklären müssen. Somit besteht kein Zweifel, dass die letztgenannte Verpflichtungszusage über den Gegenstand des bei dem Gericht anhängigen Rechtsstreits hinausging. |
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165 |
Schließlich ist das Gericht in Rn. 409 des angefochtenen Urteils zwar auf den Klagegrund von Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo zur Unangemessenheit der Verpflichtungszusagen betreffend die territorialen Beschränkungen in ihrer Gesamtheit eingegangen und hat insoweit festgestellt, dass die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe. Das Gericht hat jedoch bei seiner Beurteilung berücksichtigt, dass Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo die Angemessenheit der Bulgarien betreffenden Verpflichtungszusage in keiner Weise bestritten hatte. |
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166 |
Somit steht fest, dass die Bulgarien betreffende Verpflichtungszusage nicht Teil des Streitgegenstands war, wie er in der beim Gericht eingereichten Klageschrift abgesteckt wurde, so dass das Gericht zu Recht entschieden hat, dass die Argumente von Overgas in ihrem Streithilfeschriftsatz unzulässig seien, soweit sie das bulgarische Gassystem beträfen. |
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167 |
Demnach ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen. |
2. Zweiter Rechtsmittelgrund
a) Vorbringen der Parteien
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168 |
Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht Overgas geltend, das Gericht habe gegen die ihm nach Art. 36 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Verbindung mit deren Art. 53 Abs. 1 obliegende Begründungspflicht verstoßen. |
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169 |
Insbesondere habe das Gericht nicht angegeben, wie die vier Faktoren, die den Anwendungsbereich der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen begrenzten, zu berechnen seien, wie die kumulierten Auswirkungen dieser vier Faktoren zu messen seien, und welcher Bezugspunkt zu der Schlussfolgerung geführt habe, dass selbst diese kumulierten Auswirkungen keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission bei der Annahme dieser Verpflichtungszusagen belegten. Das Gericht habe keine Erklärung zu der Methode geliefert, die es insoweit angewandt habe, geschweige denn zu ihrer Anwendung auf die Umstände des vorliegenden Falles. |
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170 |
Orlen nimmt zu diesem zweiten Rechtsmittelgrund nicht Stellung. Die Kommission hält ihn für unzulässig, weil zu ungenau. |
b) Würdigung durch den Gerichtshof
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171 |
Es ist daran zu erinnern, dass die dem Gericht obliegende Begründungspflicht von ihm nur verlangt, die von ihm angestellten Überlegungen klar und eindeutig zum Ausdruck zu bringen, so dass die Betroffenen die Gründe für die Entscheidung des Gerichts erkennen können und der Gerichtshof seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (Urteil vom 26. Juli 2017, Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen/EUIPO, C‑471/16 P, EU:C:2017:602, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung), nicht aber, eine Begründung zu liefern, die erschöpfend auf alle von den Parteien des Rechtsstreits vorgebrachten Argumente eingeht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. März 2021, Liaño Reig/SRB, C‑947/19 P, EU:C:2021:172, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
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172 |
Im vorliegenden Fall ergibt sich insbesondere aus den Rn. 77 und 114 des vorliegenden Urteils, dass das Gericht die Beurteilung der Verpflichtungszusagen betreffend die Lieferstellen durch die Kommission nachgeprüft und seine Analyse begründet hat. Der Umstand, dass die betreffenden Passagen des angefochtenen Urteils nicht so detailliert sind, wie Overgas es gewünscht hätte, lässt nicht den Schluss zu, dass das Gericht dieses Urteil insoweit unzureichend begründet hat. |
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173 |
Daher ist der zweite Rechtsmittelgrund und damit das Anschlussrechtsmittel insgesamt zurückzuweisen. |
VI. Kosten
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174 |
Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. |
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175 |
Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. |
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176 |
Da im vorliegenden Fall Orlen mit dem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Kommission und von Gazprom neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die der Kommission und Gazprom im Rahmen dieses Rechtsmittels entstanden sind. Da Overgas mit ihrem Anschlussrechtsmittel unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen der Kommission und von Gazprom neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die der Kommission und Gazprom im Rahmen dieses Anschlussrechtsmittels entstanden sind. |
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177 |
Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Die Republik Polen, Streithelferin im ersten Rechtszug, trägt daher ihre eigenen Kosten. |
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Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt und entschieden: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.