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Document 62016CJ0060
Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 13. September 2017.
Mohammad Khir Amayry gegen Migrationsverket.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Art. 28 – Inhaftnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – Frist für die Überstellung – Höchstdauer der Inhaftnahme – Berechnung – Annahme des Aufnahmegesuchs vor der Inhaftnahme – Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung.
Rechtssache C-60/16.
Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 13. September 2017.
Mohammad Khir Amayry gegen Migrationsverket.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Art. 28 – Inhaftnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – Frist für die Überstellung – Höchstdauer der Inhaftnahme – Berechnung – Annahme des Aufnahmegesuchs vor der Inhaftnahme – Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung.
Rechtssache C-60/16.
Rechtssache C‑60/16
Mohammad Khir Amayry
gegen
Migrationsverket
(Vorabentscheidungsersuchen des Kammarrätt i Stockholm – Migrationsöverdomstolen)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EU) Nr. 604/2013 – Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist – Art. 28 – Inhaftnahme einer Person, die um internationalen Schutz nachsucht, zum Zwecke der Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat – Frist für die Überstellung – Höchstdauer der Inhaftnahme – Berechnung – Annahme des Aufnahmegesuchs vor der Inhaftnahme – Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 13. September 2017
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung–Asylpolitik–Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist–Verordnung Nr. 604/2013–Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung–Inhaftnahme nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs–Höchstdauer–Zwei Monate–Voraussetzungen–Prüfung durch den nationalen Richter
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 6; Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 28)
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung–Asylpolitik–Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist–Verordnung Nr. 604/2013–Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung–Inhaftnahme nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs und vor Wegfall der aufschiebenden Wirkung des gegen die Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelfs oder der Überprüfung dieser Entscheidung–Wegfall der aufschiebenden Wirkung–Frist für die Durchführung der Überstellung–Berechnung–Ausschluss der bereits verstrichenen Haftzeit
(Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 28, Abs. 3)
Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung–Asylpolitik–Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist–Verordnung Nr. 604/2013–Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung–Wegfall der aufschiebenden Wirkung des gegen die Überstellungsentscheidung eingelegten Rechtsbehelfs oder der Überprüfung dieser Entscheidung–Frist für die Durchführung der Überstellung–Nichtvorliegen eines vorherigen, von der betroffenen Person ausgehenden Antrags auf Aussetzung der Überstellungsentscheidung–Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 28, Abs. 3)
Art. 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ist im Licht von Art. 6 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen,
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dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die vorsieht, dass in einer Situation, in der die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, die Haft für höchstens zwei Monate aufrechterhalten werden darf, nicht entgegensteht, soweit zum einen die Haftdauer den für die Zwecke des Überstellungsverfahrens erforderlichen Zeitraum, der unter Berücksichtigung der konkreten Anforderungen dieses Verfahrens in jedem Einzelfall zu beurteilen ist, nicht übersteigt und zum anderen diese Haftdauer gegebenenfalls nicht länger ist als sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, und |
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dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die es in einer solchen Situation erlaubt, die Haft während drei bzw. zwölf Monaten aufrechtzuerhalten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, entgegensteht. |
Somit ist Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung dahin auszulegen, dass die nach dieser Bestimmung vorgesehene Höchstfrist von sechs Wochen, innerhalb deren die Überstellung einer in Haft genommenen Personen erfolgen muss, nur in dem Fall gilt, dass sich die betroffene Person bereits in Haft befindet, wenn eines der beiden in dieser Bestimmung angeführten Ereignisse eintritt. Folglich ist die Haftdauer, wenn die betroffene Person bis zu ihrer Überstellung in Haft genommen wird, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, gegebenenfalls erst von dem Zeitpunkt an durch eine der in Art. 28 Abs. 3 dieser Verordnung genau festgelegten Fristen begrenzt, zu dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 der Verordnung wegfällt.
Auch wenn in der Dublin‑III-Verordnung keine Höchstdauer für die Haft festgelegt ist, muss die Haft gleichwohl mit dem in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 1 dieser Verordnung festgelegten Grundsatz vereinbar sein, wonach die Haft so kurz wie möglich zu sein hat und nicht länger sein darf, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird. Außerdem kann die betroffene Person nicht für einen Zeitraum in Haft genommen werden, der die Dauer von sechs Wochen, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, erheblich überschreitet, da sich aus Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung ergibt, dass dieser Zeitraum – u. a. aufgrund dessen, dass es sich bei dem mit dieser Verordnung eingeführten Verfahren zur Überstellung zwischen den Mitgliedstaaten um ein vereinfachtes Verfahren handelt – grundsätzlich ausreichend ist, damit die zuständigen Behörden die Überstellung vornehmen können (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Juli 2015, Lanigan,C‑237/15 PPU, EU:C:2015:474, Rn. 60).
Da der Umstand, dass die Inhaftnahme einer um internationalen Schutz nachsuchenden Person erfolgt, nachdem der ersuchte Mitgliedstaat dem Aufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht dazu führen kann, dass die Überstellung dieser Person besonders schwierig wird, übersteigt somit eine Haftdauer von drei bzw. zwölf Monaten, in denen die Überstellung effektiv vorgenommen werden konnte, den Zeitraum, der bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung durchgeführt wird.
Hingegen kann in einer solchen Situation eine Haftdauer von zwei Monaten in Anbetracht des Beurteilungsspielraums, über den die Mitgliedstaaten beim Erlass von Maßnahmen zur Durchführung des Unionsrechts verfügen, nicht als zwangsläufig übermäßig lang angesehen werden, wobei die Angemessenheit dieser Dauer im Hinblick auf die Merkmale des Einzelfalls jedoch von der zuständigen Behörde unter der Kontrolle der nationalen Gerichte zu prüfen ist.
(vgl. Rn. 39-41, 45-47, 49, Tenor 1)
Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass auf die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, die Tage, während deren die betreffende Person bereits in Haft war, nachdem ein Mitgliedstaat dem Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch stattgegeben hat, nicht anzurechnen sind.
Der Umstand, dass die betroffene Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung weggefallen ist, bereits in Haft genommen worden war, ist als solcher nicht geeignet, die Überstellung merklich zu erleichtern, da die betroffenen Mitgliedstaaten die technischen Modalitäten der Überstellung nicht regeln können, wenn diese weder grundsätzlich feststeht noch gar deren Zeitpunkt bekannt ist.
Außerdem könnte in dem Fall, in dem die betroffene Person erst nach mehreren Wochen in Haft den Rechtsbehelf eingelegt oder die Überprüfung beantragt hat, eine mögliche Verkürzung der zweiten in Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 der Dublin‑III-Verordnung festgelegten Frist um die Tage, die die Person bereits in Haft war, der zuständigen Behörde in der Praxis jegliche Möglichkeit nehmen, die Überstellung durchzuführen, bevor sie die Haft beendet hat, und sie somit daran hindern, von der vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Möglichkeit, die betreffende Person zur Abwehr einer erheblichen Fluchtgefahr in Haft zu nehmen, wirksam Gebrauch zu machen.
(vgl. Rn. 57-59, Tenor 2)
Art. 28 Abs. 3 der Verordnung Nr. 604/2013 ist dahin auszulegen, dass die mit dieser Bestimmung eingeführte Frist von sechs Wochen von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung keine aufschiebende Wirkung mehr hat, auch dann gilt, wenn die Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung nicht ausdrücklich von der betreffenden Person beantragt worden ist.
Im Übrigen ist festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber auf den Wegfall der aufschiebenden Wirkung „gemäß Artikel 27 Absatz 3“ der Dublin‑III-Verordnung Bezug genommen hat, ohne eine Unterscheidung zwischen den Mitgliedstaaten vorzunehmen, die sich dazu entschieden haben, dem Rechtsbehelf oder der Überprüfung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. a und b dieser Verordnung von Rechts wegen aufschiebende Wirkung beizumessen, und den Mitgliedstaaten, die sich dazu entschieden haben, die Gewährung dieser aufschiebenden Wirkung nach Art. 27 Abs. 3 Buchst. c der genannten Verordnung vom Erlass einer dahin gehenden gerichtlichen Entscheidung auf Antrag der betroffenen Person abhängig zu machen.
Art. 28 Abs. 3 der Dublin‑III-Verordnung bezieht sich zwar nicht unmittelbar auf den in Art. 27 Abs. 4 dieser Verordnung vorgesehenen Fall, in dem die Aussetzung der Durchführung der Überstellung nicht kraft Gesetzes gilt oder auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht, sondern auf einer von der zuständigen Behörde erlassenen Entscheidung. Jedoch befindet sich die betroffene Person in diesem Fall in einer Situation, die in jeder Hinsicht mit der Situation einer Person vergleichbar ist, deren Rechtsbehelf oder von ihr beantragter Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 der genannten Verordnung aufschiebende Wirkung zukommt.
(vgl. Rn. 64, 67, 68, 73, Tenor 3)