EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 16.6.2021
JOIN(2021) 20 final
GEMEINSAME MITTEILUNG AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT
über die Beziehungen zwischen der EU und Russland – zurückdrängen, einschränken und zusammenarbeiten
1.Einleitung
Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 24./25. Mai 2021 eine erste strategische Aussprache über Russland geführt und die rechtswidrigen, provokativen und disruptiven russischen Aktivitäten gegen die EU, ihre Mitgliedstaaten und darüber hinaus verurteilt. Er bekräftigte die Einheit und Solidarität der EU gegenüber solchen Handlungen sowie ihre Unterstützung für die östlichen Partner. Der Europäische Rat bekräftigte sein Bekenntnis zu den fünf Grundsätzen der Politik der EU gegenüber Russland
und erklärte, dass die EU die Koordinierung mit gleichgesinnten Partnern fortsetzen wird. Er ersuchte den Hohen Vertreter und die Kommission, im Hinblick auf seine Tagung im Juni 2021 einen Bericht mit politischen Optionen für die Beziehungen zwischen der EU und Russland im Einklang mit den fünf Grundsätzen vorzulegen
. Mit der vorliegenden gemeinsamen Mitteilung wird dieser Aufforderung entsprochen.
2.Politischer Kontext
Russland ist der größte Nachbar der EU und bleibt eine Kraft, mit der in Europa und weltweit zu rechnen ist. Ausschlaggebend dafür sind vor allem seine Größe und geografische Reichweite, seine Entschlossenheit, international Macht auszuüben, sowie seine politischen, diplomatischen und starken militärischen Kapazitäten. Als geopolitischer Akteur strebt Russland danach, seine globale Stellung in einer machtpolitisch geprägten, multipolaren Welt, oft in enger Verbindung mit anderen Akteuren wie China, zu behaupten, statt eingebunden in ein stärker regelbasiertes multilaterales System zu handeln und seinen Beitrag zu leisten. Russland versucht, seinen eigenen geopolitischen Einflussbereich zu etablieren, meist gestützt auf eine Nullsummenlogik. Dabei hinterfragt und untergräbt die Regierung häufig das Völkerrecht sowie die zentralen Grundsätze der OSZE und des Europarates, die Sicherheit und Zusammenarbeit auf dem europäischen Kontinent strukturieren, und zu denen sie sich ebenfalls verpflichtet hat, einschließlich des Rechts jedes Landes, frei seine eigenen außen-, sicherheitspolitischen und innenpolitischen Entscheidungen zu treffen.
Die russische Führung nutzt eine Vielzahl von Instrumenten, um die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie die Länder des westlichen Balkans und der Östlichen Partnerschaft zu beeinflussen, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen, sie zu schwächen oder sogar sie zu destabilisieren. Im Rahmen dieser Bemühungen investiert sie weiterhin massiv in ihre Fähigkeit, den Informationsraum innerhalb und außerhalb der Grenzen Russlands zu kontrollieren und zu beeinflussen. So ist eine rasche Ausweitung der Finanzierung staatlich kontrollierter Medien zu verzeichnen, insbesondere von Nachrichtenmedien wie Russia Today, die sich ausschließlich an externe Zielgruppen richten. Russland inszeniert weiterhin immer ausgefeiltere Manipulationsversuche mit Cyberaktivitäten und Desinformationskampagnen aber auch chemische und andere Anschläge, unter anderem gegen die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), den Deutschen Bundestag, die Skripals in Salisbury sowie eine Explosion in der Tschechischen Republik. Es führt direkte militärische und hybride Maßnahmen in ungelösten Konflikten in der Ukraine, Georgien und Moldau sowie in der südlichen Nachbarschaft der EU, insbesondere in Syrien und Libyen, und darüber hinaus durch und befeuert sie damit weiter. Russland will auch die Kontrolle über das autoritäre Regime in Belarus behalten.
Die Gestaltung der Beziehungen zu Russland stellt daher eine zentrale strategische Herausforderung für die EU dar
. Die Beziehungen zwischen der EU und Russland haben sich seit 2014 infolge der rechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland und der Destabilisierung der Ostukraine zunehmend verschlechtert. Dazu gehören in jüngerer Zeit die militärische Aufrüstung Russlands entlang der ukrainischen Grenze, auf der Halbinsel Krim und im Schwarzen Meer, die nur teilweise wieder zurückgenommen wurde, und die andauernde Absperrung von Seegebieten im Schwarzen Meer. Darüber hinaus hat die Beteiligung russischer Nachrichtendienste an disruptiven Maßnahmen in den EU-Mitgliedstaaten eine weitere negative Dynamik ausgelöst. Dazu gehören die Ausweisung von Diplomaten, Reiseverbote und die Einführung der sogenannten Liste „unfreundlicher Staaten“ durch Russland sowie sich daraus ergebende Einschränkungen für diplomatische Vertretungen. Außerdem versucht die russische Regierung immer wieder, ihre bilateralen Beziehungen zu einzelnen Mitgliedstaaten ohne Rücksicht auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland voranzubringen.
Auch die innenpolitischen Entwicklungen in Russland, geprägt durch zunehmende politische Repressionen seitens der Regierung, die an der derzeitigen politischen und wirtschaftlichen Ordnung festhält, haben die Beziehungen zwischen der EU und Russland beeinträchtigt. Im Vorfeld der Wahlen zur Staatsduma im September 2021 hat sich die Lage der Zivilgesellschaft, der Menschenrechtsverteidiger und der unabhängigen Medien in Russland weiter verschlechtert, und auch deren Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit der EU eingeschränkt. Verfassungsänderungen und repressive Gesetze über sogenannte „ausländische Agenten“, „unerwünschte Organisationen“ und „Extremismus“ verstärken das systematische, drastische Vorgehen gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten, obwohl diese in der russischen Verfassung und in den internationalen Verpflichtungen des Landes verankert sind. Darüber initiieren die Behörden Desinformationskampagnen, um falsche Narrative über angebliche „ausländische Einmischung“ in innerrussische Angelegenheiten zu streuen und so eine echte Opposition abzuschrecken und die Zivilgesellschaft zu diskreditieren. Die politisch motivierte Verurteilung von Alexei Nawalny nach dem auf ihn verübten Mordanschlag mit einem chemischen Nervenkampfstoff, das Verbot der angeblich „extremistischen“ Aktivitäten seines politischen Netzwerks sowie die anhaltende Einschüchterung und Unterdrückung unabhängiger Medien und Journalisten sind nur einige Beispiele jüngeren Datums.
Gleichzeitig leidet Russland zunehmend unter massiven strukturellen Schwächen. Das real verfügbare Einkommen in Russland ist seit 2013 um 10 % gesunken. Das Land befindet sich in einer demografischen und sozioökonomischen Abwärtsspirale, verschärft durch sein auf fossile Brennstoffe ausgerichtetes Wirtschaftsmodell, einen unausgewogenen haushaltspolitischen Kurs und die derzeitigen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie.
Trotz dieser elementaren Unterschiede tragen die EU und Russland eine grundlegende gemeinsame Verantwortung für Frieden und Sicherheit auf dem europäischen Kontinent. Wir stehen vor gemeinsamen globalen Herausforderungen und sind in einigen spezifischen Wirtschaftsbereichen miteinander verknüpft. Wir sind zudem in internationalen Organisationen wie dem Europarat und der OSZE an dieselben Verpflichtungen gebunden, denen wir gerecht werden müssen.
Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Russland
·Russland ist der fünftgrößte Handelspartner der EU, auf den im Jahr 2020 4,8 % des gesamten Warenhandels der EU mit der Welt entfielen.
·Umgekehrt ist die EU der mit Abstand größte Handelspartner Russlands, mit einem Anteil von 37,3 % am gesamten Warenhandel des Landes.
·Die EU ist auch der bei weitem größte Investor in Russland. Im Jahr 2019 beliefen sich die ausländischen Direktinvestitionen (ADI) der EU auf 311,4 Mrd. EUR (75 % des ADI-Gesamtbestands in Russland).
·Der ADI-Bestand Russlands in der EU wurde auf 136 Mrd. EUR geschätzt (nur 1 % der ADI insgesamt).
Es offensichtlich, dass, sofern die politischen Bedingungen dies zulassen, eine Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland erhebliches Potenzial bietet. Die EU hat ein an Bedingungen geknüpftes Angebot zur Zusammenarbeit vorgelegt. Allerdings verfolgt die russische Regierung aktiv Ziele, die in die entgegengesetzte Richtung gehen: Die Schaffung eines Raums der Abhängigkeit in seiner Nachbarschaft, die Untergrabung eines politisch geeinten Europas, Zurückdrängen unserer Vision einer multilateralen, auf Regeln beruhenden Ordnung und das Herbeiführen von Situationen, die die Rolle der EU und ihrer Partner im internationalen Kontext begrenzen sollen.
3.Umsetzung der Minsker Vereinbarungen
Die EU hat das Normandie-Format, die trilaterale Kontaktgruppe und die OSZE, einschließlich der Bemühungen der Sonderbeobachtermission der OSZE, weiterhin uneingeschränkt unterstützt
. Die Wahl von Präsident Selenskyj lieferte zwar einen neuen Impuls für die Verhandlungen, doch die Schlussfolgerungen des Normandie-Gipfels vom Dezember 2019 müssen noch vollständig umgesetzt werden. Besorgniserregender ist, dass die russische Regierung zunehmend versucht, sich als Vermittler und nicht als Konfliktpartei zu präsentieren, und auf einen direkten Kontakt zwischen Kiew und den sogenannten „Republiken“ dringt, was dem Minsker Protokoll widerspricht. Außerdem hat sie im April 2021 ihre militärische Präsenz an der Ostgrenze der Ukraine und auf der Halbinsel Krim verstärkt. Der Zugang der Sonderbeobachtermission der OSZE zur Ostukraine wird weiterhin systematisch durch die sogenannten „Republiken“ behindert, und die Verstöße gegen den Waffenstillstand sind ähnlich zahlreich wie im Fall der Waffenruhe vor Juli 2020. Ohne konstruktiven Ansatz von russischer Seite wird sich dieser Trend wahrscheinlich fortsetzen.
Die EU unterstützt weiterhin bestehende Formate und Instrumente. Sie betont nach wie vor ihre Bereitschaft, eine führende Rolle beim Wiederaufbau der vom Konflikt betroffenen Regionen zu übernehmen, sobald die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind, unter anderem durch die Schaffung von Anreizen für die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarungen. Unterdessen wird sich die EU weiterhin nachdrücklich für die Abmilderung der humanitären Folgen des Konflikts einsetzen.
Die EU ist in der Krise in der Ostukraine einer der größten Geber humanitärer Hilfe. Seit Beginn der Krise hat die EU mehr als 190 Mio. EUR an Soforthilfe, davon 25,4 Mio. EUR im Jahr 2021, und über 1 Mrd. EUR gemeinsam mit den Mitgliedstaaten für humanitäre Hilfe und Soforthilfe zur Verfügung gestellt. Die Hilfe der EU kommt den auf Hilfe angewiesenen und bedürftigsten Menschen auf beiden Seiten der Kontaktlinie zugute. Außerdem leistet die EU über die Internationale Föderation des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds humanitäre Hilfe für ukrainische Flüchtlinge in Russland. Mit der seit 2017 für sie geleisteten Unterstützung, die sich auf insgesamt über 1 Mio. EUR beläuft, wird Folgendes bereitgestellt: Zugang zu Gesundheitsdiensten, Gutscheine für Nahrungsmittel, Bedarfsartikel und Existenzsicherung.
Die EU hat als Reaktion auf die rechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim und die anhaltende Destabilisierung der Ostukraine drei EU-Regelungen für restriktive Maßnahmen gegen Russland angenommen
. Sie zielen darauf ab, weitere Eskalationen oder negative Entwicklungen in der Ukraine zu verhindern, und zeigen nachdrücklich, dass die EU die Ukraine und ihre territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit unterstützt. Die klare Verknüpfung dieser Sanktionen mit der vollständigen Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk ist als Anreiz für die russische Regierung gedacht, zu einer Lösung des Konflikts beizutragen, während die Aussicht auf zusätzliche EU-Sanktionen Russland von einer weiteren Verschlechterung der Lage durch sein aggressives Verhalten abhalten soll. Mit der regelmäßigen, einstimmig beschlossenen Verlängerung der Sanktionen beweist die EU Geschlossenheit und Glaubwürdigkeit. Die Maßnahmen der EU haben Russlands Kosten für eine weitere Aggression erhöht und den weiteren Einsatz militärischer Fähigkeiten und die Expansion in der Ukraine eingeschränkt. Russland wird für jede Verschlechterung der Lage in den sogenannten „Republiken“ zur Verantwortung gezogen. Außerdem ist es von entscheidender Bedeutung, die bestehende Koordinierung und Geschlossenheit, auch in Bezug auf Sanktionen, mit gleichgesinnten Partnern wie der G7 aufrechtzuerhalten.
Um die Achtung der Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine und die uneingeschränkte Anwendung der EU-Vorschriften für Schengen-Visa in Russland und der Ukraine zu gewährleisten, hat die EU auch Leitlinien für die Nichtanerkennung bestimmter Kategorien gewöhnlicher russischer internationaler Reisepässe, die Bewohnern der Halbinsel Krim ausgestellt werden, und für die Bearbeitung von Visumanträgen von Einwohnern nicht von der Regierung kontrollierter Gebiete in den ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk vorgelegt.
4.Verstärkte Beziehungen zu den östlichen Partnern der EU und anderen Nachbarn
Die EU bietet ihren östlichen Partnern weiterhin engere Beziehungen an, um Wohlstand, gute Nachbarschaft und Reformen voranzubringen. Eine gut funktionierende Östliche Partnerschaft ist ein Instrument zur Stärkung von Stabilität, Sicherheit und Wohlstand in Europa. Im März 2020 haben der Hohe Vertreter und die Kommission die langfristigen politischen Ziele der Östlichen Partnerschaft in den Bereichen Wirtschaft, Regierungsführung, Umwelt und Klima, Digitales und Gesellschaft mit besonderem Schwerpunkt auf Resilienz vorgeschlagen. Auf dem 6. Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft im Dezember 2021 wird eine erneuerte Agenda für die Zeit nach 2020 angenommen.
Die EU lehnt den Anspruch Russlands auf einen privilegierten Einflussbereich entschieden ab. Die östlichen Partner haben ein uneingeschränktes, souveränes Recht, Umfang und Intensität ihrer Beziehungen zur EU und zu anderen internationalen Akteuren frei zu gestalten. Dennoch verfolgt die russische Regierung ihren politischen Konfrontationskurs weiter und bedient sich weicher und harter Politikinstrumente, um Druck auszuüben. Die Politik der EU ist daher weiterhin darauf ausgerichtet, die Widerstandsfähigkeit der östlichen Partner durch bilaterale Abkommen (einschließlich Assoziierungsabkommen/vertieften und umfassenden Freihandelszonen) und umfangreiche finanzielle Unterstützung zu stärken, wobei der Schwerpunkt in jüngster Zeit insbesondere auf notwendigen Reformen in den Bereichen Wirtschaft, Staatsführung und Rechtsstaatlichkeit, ökologischer und digitaler Wandel und inklusive Gesellschaften liegt. In den letzten sieben Jahren wurden Finanzhilfen in Höhe von fast 5 Mrd. EUR bereitgestellt, vorrangig für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen hybride Bedrohungen, Cyberbedrohungen und Desinformation sowie für die internationale Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung. Darüber hinaus stellte die EU im Jahr 2020 fast 1 Mrd. EUR bereit, um die Länder bei der Bewältigung der Folgen von COVID-19 zu unterstützen. Zusätzlich hat die EU drei östlichen Partnerländernumfangreiche Makrofinanzhilfen gewährt.
Die EU setzte sich auch weiterhin gegen die Versuche der russischen Regierung ein, sich als Vermittler darzustellen, obwohl sie an den Terrritorialkonflikten in der Ukraine, Georgien und der Republik Moldau beteiligt ist. Sie hielt an ihrer Politik der Nichtanerkennung der rechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim und der von Russland unterstützten „Unabhängigkeit“ der abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien fest.
Die EU erneuerte im Juni 2019 ihre Strategie für Zentralasien, um ihr Engagement zu verstärken und einen Beitrag zur Entwicklung der Region mit Schwerpunkt auf Resilienz, Wohlstand und regionaler Zusammenarbeit zu leisten. Sie hat den Ad-hoc-Dialog mit Russland über Zentralasien weitergeführt. Allerdings nimmt die russische Regierung gegenüber dem Engagement der EU in der Region weiterhin eine ablehnende Haltung ein, dies gilt auch für den Abschluss von vertieften Partnerschafts- und Kooperationsabkommen.
5.Stärkung der Resilienz der EU
In den letzten Jahren hat die EU erhebliche Fortschritte bei der Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber Herausforderungen erzielt, die vom Ausland ausgehen oder instrumentalisiert werden. Die Bewältigung und Beschleunigung des doppelten ökologischen und digitalen Wandels stärkt die Resilienz der EU, indem wir uns allmählich aus der Abhängigkeit von ausländischen Lieferungen und der Geopolitik im Energiebereich lösen und die fortgeschrittene „Hard- und Software“ unserer Volkswirtschaften widerstandsfähiger gegenüber ausländischer Einflussnahme machen. Auch im Rahmen der Überprüfung der Handelspolitik und der Aktualisierung der Industriestrategie von 2020 werden konkrete Maßnahmen zur Stärkung der offenen strategischen Autonomie der Union und Bewältigung strategischer Abhängigkeiten dargelegt. Generell verfügt die Union bereits über autonomere Instrumente wie den Überprüfungsmechanismus für ausländische Direktinvestitionen
, das 5G-Instrumentarium oder das neue Instrument für Subventionen aus Drittstaaten
.
Die EU verstärkt ihre Widerstandsfähigkeit und Energiesicherheit weiter, indem sie ihre internationalen Energiequellen und -lieferungen diversifiziert und einen EU-Energiebinnenmarkt schafft, insbesondere in Bezug auf Erdgas. Erreicht wurde dies durch bessere „Hardware“ (z. B. neue Infrastruktur einschließlich Verbindungsleitungen, Umkehrleitungen, mehr Speicheranlagen und Flüssiggas-Terminals) sowie durch klarere legislative „Software“, die unter anderem transparente, nichtdiskriminierende Bedingungen für Endkundenmärkte, die Entflechtung durch die Trennung von Erzeugung und Versorgung vom Netzbetrieb, die regulatorische Unabhängigkeit und Zusammenarbeit sowie die uneingeschränkte Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts vorsieht. Die energiepolitischen Beziehungen zwischen der EU und Russland sind durch ein hohes Maß an wechselseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet: Russland ist derzeit der wichtigste Energielieferant der EU, und die EU ist mit Abstand Russlands wichtigster Energieexportmarkt. Weitere Herausforderungen im Energiebereich sind die Cybersicherheit von EU-Energieanlagen und der Erwerb strategischer Vermögenswerte in der Union und den unmittelbaren Nachbarländern durch staatlich kontrollierte russische Akteure. Durch einen entschlossenen Übergang zur Dekarbonisierung wird unsere Energieunabhängigkeit jedoch zunehmen und die Abhängigkeit von russischen Lieferungen insgesamt nachlassen. Russlands Ausfuhren von Energieerzeugnissen in die EU werden innerhalb der nächsten 10-20 Jahre erheblich schrumpfen, was sich unweigerlich auch innerstaatlich auswirken wird.
Energiepolitische Beziehungen zwischen der EU und Russland
·Derzeit stammen 26 % der Erdöleinfuhren der EU und 40 % der EU-Gasimporte aus Russland.
·Allerdings ist auch Russland eindeutig von den tiefen, stabilen und lukrativen Energiemärkten der EU abhängig: Fast zwei Drittel der Erdölexporte Russlands, zwei Drittel seiner Gasausfuhren und etwa die Hälfte seiner Kohleausfuhren gehen in die EU, und nur 27 % seiner Erdölausfuhren und 2 % seiner Gasausfuhren nach China.
·Energieexporte sind auch für Russlands Wirtschaftssystem von entscheidender Bedeutung, da sie 60 % seiner Gesamtausfuhren, 40 % seiner Haushaltseinnahmen und 25 % seines BIP ausmachen.
Die Stärkung der Fähigkeit der EU, hybride Bedrohungen zu bewältigen, war in den letzten fünf Jahren ein wesentlicher Aspekt der EU-Sicherheitsagenda. Als Reaktion auf die Desinformationskampagne gegen die EU im Anschluss an die rechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim wurde 2016 der Gemeinsame Rahmen
– ein breiter politischer Rahmen der EU – geschaffen. Er wurde 2018 nach dem Nervengiftanschlag in Salisbury weiterentwickelt
, einschließlich einer neuen, spezifischen EU-Sanktionsregelung gegen den Einsatz chemischer Waffen
, und in der Folge auch im Rahmen der neuen Strategie für die Sicherheitsunion
.
Mit dem Instrumentarium zur Abwehr hybrider Bedrohungen der EU wird die gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit gegen Schocks verschiedene hybrider Angriffe in Bereichen, die den Schutz kritischer Infrastrukturen, Cybersicherheit, die Bekämpfung von Desinformation, Wahlintegrität und die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen betreffen, gestärkt.
Russische Akteure treten im Cyberraum selbstbewusster auf, indem sie böswillige Cyberaktivitäten ausführen und/oder zulassen, die ihre politischen Ziele voranbringen, offene westliche Gesellschaften und Volkswirtschaften bedrohen und gegen die Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoßen. Die EU verstärkt jedoch ihre Fähigkeit, Cyberangriffe zu verhindern, davon abzuschrecken und darauf zu reagieren. Zudem hat die EU im Juli 2020 erstmals Sanktionen als Reaktion auf Cyberangriffe verhängt. Sie richten sich unter anderem gegen russische Hacker, die an den Cyberangriffen Cloud Hopper, WannaCry und NotPetya beteiligt sind. Mit der neuen Cybersicherheitsstrategie der EU von 2020 wird die kollektive Widerstandsfähigkeit der EU in diesem Bereich weiter gestärkt, und das spezifische EU-Instrumentarium bietet eine Reihe robuster und umfassender Maßnahmen, um ein angemessenes Maß an Cybersicherheit von 5G-Netzen in der gesamten EU zu gewährleisten. Die Cyberabwehr ist einer der Bereiche, in denen die EU und die NATO ihre Zusammenarbeit intensivieren. Mit dem Strategischen Kompass, der 2022 angenommen werden soll, wird ein Rahmen geschaffen, der dazu beiträgt, die Anstrengungen der Mitgliedstaaten im Bereich Sicherheit und Verteidigung zu bündeln. Durch die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit und den Europäischen Verteidigungsfonds unterstützt die EU die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung ihrer Verteidigungskapazitäten unter Wahrung der Kohärenz mit den Bemühungen der NATO.
Russland setzt seine Informationsmanipulationen und Einmischungen fort und nutzt dafür verschiedene Taktiken, Techniken und Verfahren. Solche Desinformationskampagnen werden absichtlich und koordiniert durchgeführt mit dem Ziel, demokratische Prozesse und Institutionen in die Irre zu leiten, Misstrauen gegen sie zu schüren oder ihre Glaubwürdigkeit zu untergraben. Noch deutlicher wurde dies während der COVID-19-Pandemie, als Russland Desinformationsmaßnahmen unterstützt hat, mit dem Ziel, die Reaktion der EU auf die Pandemie zu untergraben.
Die EU hat eine Reihe von Strukturen und Maßnahmen eingerichtet, um gegen Informationsmanipulation und Einflussnahme aus dem Ausland vorzugehen. Sie setzt sich weiter für die Stärkung ihres Lagebewusstseins, ihrer Resilienz und der Wirksamkeit ihrer Gegenmaßnahmen ein. Die EU nutzt ihre Kapazitäten für strategische Kommunikation, insbesondere die East StratCom Task Force, um russische Desinformation zu erkennen, zu analysieren und offenzulegen. Sie baut weiterhin Kapazitäten auf und arbeitet proaktiv mit Zielgruppen innerhalb der EU, im Westbalkan und in der Nachbarschaft zusammen. Über das Schnellwarnsystem sind die EU-Organe mit den Mitgliedstaaten und gleichgesinnten Partnern wie der G7 und der NATO verbunden, um gemeinsame Reaktionen zu ermöglichen. Mit dem Verhaltenskodex hat die EU auch einen klaren Rahmen für Online-Plattformen geschaffen, um dieser Herausforderung zu begegnen. Die Umsetzung des Europäischen Aktionsplans für Demokratie
wird zur weiteren Verbesserung dieser Instrumente beitragen.
6.Mögliche selektive Zusammenarbeit mit Russland in Fragen, die für die EU von Interesse sind
Gemäß den fünf im März 2016 vereinbarten Grundsätzen ist die EU offen für eine selektive Zusammenarbeit mit Russland in Fragen, die für die EU von Interesse sind. Ein solches Interesse der EU besteht in einigen Punkten unserer grünen Agenda (Klima, Umwelt, Energie) sowie in einigen außenpolitischen Fragen. Die fortlaufende selektive Zusammenarbeit in Fragen wie Handel, Wirtschaft und Digitales, Inneres und öffentliche Gesundheit hat einige begrenzte konkrete Ergebnisse gebracht, während insbesondere in den Bereichen Handel und Verkehr größere Reibungspunkte bestehen.
Kurz nach dem Beitritt Russlands zum Übereinkommen von Paris und angesichts der ehrgeizigen Klimaziele der EU hat die EU die Klimagespräche hochrangiger Vertreter mit Russland schrittweise wieder aufgenommen, unter anderem im Rahmen der von der EU finanzierten Konferenz, die im Dezember 2020 in Moskau im Vorfeld der COP-26 in Glasgow stattfand. Russland arbeitet an einer langfristigen Strategie und hat seinen national festgelegten Beitrag leicht angepasst, lässt jedoch noch erheblichen Spielraum für einen weiteren Anstieg der Emissionen. Russland hat auch einige gesetzgeberische Schritte unternommen, um seine Klimapolitik anzupassen, doch könnten seine jüngsten Bemühungen falsche Erwartungen hervorrufen. Die russischen Behörden fordern zunehmend fachliche Beratungen mit der EU über die möglichen Auswirkungen der Klimapolitik der EU auf die russische Wirtschaft. Die EU hat thematische Gespräche angeboten, unter anderem über die Bepreisung von CO2-Emissionen, die Anpassung an den Klimawandel und möglicherweise das CO2-Grenzausgleichssystem.
Russland hat mehr als 2.000 Kilometer Grenze zur EU und steht vor einer Reihe von Umweltproblemen, die sich auf die EU und ihre Mitgliedstaaten auswirken. Eine vertiefte Zusammenarbeit könnte Themen wie Abfallbewirtschaftung, Verringerung der grenzüberschreitenden Luftverschmutzung, Kreislaufwirtschaft, nachhaltige Waldbewirtschaftung und Bekämpfung von Waldbränden umfassen. Dies würde sich auch positiv auf den Klimawandel auswirken, dessen Folgen, wie z. B. das Schmelzen von Permafrost, bereits in Russland spürbar sind. Auf kurze Sicht bietet die bevorstehende Konferenz der Vertragsparteien des Übereinkommens über die biologische Vielfalt die Gelegenheit für ein frühzeitiges Engagement.
Der Energiedialog zwischen der EU und Russland ist trotz einer Reihe dringender Fragen nach wie vor ausgesetzt. Die ordnungsgemäße Umsetzung des Abkommens über den Gastransit in der Ukraine muss überwacht werden. Die Synchronisierung der baltischen Staaten mit dem europäischen Netz und dem europäischen Stromhandel sollte abgeschlossen und gleichzeitig der sichere Betrieb des russischen und des belarussischen Netzes gewährleistet werden.
Was digitale Fragen anbelangt, so waren beim Austausch auf Arbeitsebene mit Russland keine konkreten Ergebnisse zu verzeichnen. Die Verfolgung der Interessen der EU, insbesondere der Koordinierung der Nutzung des 700-MHz-Bands und des Marktzugangs für EU-Unternehmen in Russland, ist nach wie vor wichtig. Weitere Themen wie Forschung und Innovation, Big Data, Datenschutz, Urheberrecht, Internet-Governance und autonome Fahrzeuge wurden erörtert, ohne substanzielle Folgemaßnahmen zu beschließen. Die EU sollte sich auch aktiv mit Russlands Importsubstitutionspolitik bei der öffentlichen Beschaffung von Software und Hardware befassen, um erhebliche Risiken und Schwierigkeiten für die Digitalwirtschaft der EU zu vermeiden.
Was außenpolitische Fragen betrifft, so bestehen anhaltende Spannungen in der Nachbarschaft der EU und eine wachsende Konkurrenz in anderen Regionen, in denen Russland strategisch seine Rolle zu behaupten sucht, wie auf dem westlichen Balkan und im südlichen Mittelmeerraum sowie auf dem afrikanischen Kontinent. Dennoch gibt es Bereiche, in denen die russische Regierung eine konstruktive Rolle gespielt hat, wie etwa bei der Aufrechterhaltung des Gemeinsamen umfassenden Aktionsplans (JCPOA) mit Iran und der Sicherstellung seiner vollständigen und wirksamen Umsetzung. Das Gleiche gilt für die laufenden diplomatischen Bemühungen in Wien, bei denen es darum geht, eine mögliche Rückkehr der USA zum JCPOA und die Wiederaufnahme seiner nuklearen Verpflichtungen durch den Iran zu erreichen. In Bezug auf Libyen besteht die Hauptpriorität der EU darin, die positive Haltung der russischen Regierung im laufenden politischen Prozess sicherzustellen und für einen raschen Abzug ihrer Truppen zu sorgen. Russlands Standpunkt zum Nahost-Friedensprozess ist im Prinzip dem der EU ähnlich geblieben.
Was Syrien anbelangt, so weichen die Standpunkte der EU und Russlands stark voneinander ab. Die russische Regierung unterstützt das derzeitige Assad-Regime, einschließlich der jüngsten Präsidentschaftswahlen vom 26. Mai 2021. Ihre militärische Intervention in Syrien mag zwar entscheidend dazu beigetragen haben, das Überleben des Regimes zu sichern, sie hat jedoch die Stabilität und Lebensfähigkeit des syrischen Staates weiter untergraben und zu einer regionalen humanitären Krise beigetragen. Für die EU ist der einzige Weg nach vorn eine echte politische Lösung auf der Grundlage der vollständigen Umsetzung der Resolution 2254 des VN-Sicherheitsrates, die auch den Weg für eine mögliche freiwillige und sichere Rückkehr in Würde von Flüchtlingen ebnen würde. In jedem Fall wird die EU weiterhin mit Russland zusammenarbeiten, um den humanitären Zugang zu hilfsbedürftigen Syrern sowie die Achtung des humanitären Völkerrechts in Syrien aufrechtzuerhalten.
Die EU arbeitet weiterhin mit Russland im Rahmen der Nördlichen Dimension und im Schwarzmeerraum zusammen. Die Zusammenarbeit im Rahmen der Verkehrs- und Logistikpartnerschaft der Nördlichen Dimension konzentriert sich auf den möglichen Austausch von Standpunkten und bewährten Verfahren zur Dekarbonisierung des Verkehrs. Auch über die Teilnahme Russlands an den Interreg-Programmen für das Schwarzmeerbecken und die Nördliche Peripherie und Arktis im Zeitraum 2021-2027, an denen es Interesse bekundet hat, wird derzeit diskutiert. Die russische Führung blockiert weiterhin den Antrag der EU auf einen Beobachterstatus im Arktischen Rat, den sie derzeit leitet, auch wenn dies die EU nicht daran gehindert hat, einen Beitrag zu dessen Arbeit zu leisten. Russland blockiert auch die Einrichtung von Meeresschutzgebieten im Südpolarmeer.
Die EU unterhält weiterhin technische Handelskontakte mit Russland, die sich in der Regel auf einen ergebnisarmen Austausch über die zahlreichen Reizthemen beschränken. Die meisten davon stehen in Zusammenhang mit der Importsubstitutionspolitik der russischen Regierung, die zunehmend mit angeblichen Sicherheitsgründen im Zusammenhang mit den Sanktionen begründet wird. Dies ist zusätzlich zu den bereits bestehenden, von der Regierung verursachten erheblichen Verzerrungen in der russischen Wirtschaft eine weitere Belastung. Infolgedessen verschlechtert sich das Geschäfts- und Investitionsklima im Land insgesamt weiter. In einem etwas positiveren Kontext haben sich die EU und Russland für eine WTO-Reform eingesetzt, unter anderem für die Wiederherstellung der Streitbeilegung.
Die russische Regierung hat die Einfuhr von etwa der Hälfte der landwirtschaftlichen Erzeugnisse aus EU-Mitgliedstaaten verboten, um die inländische Produktion zu steigern, und setzte den verbleibenden Handel mit Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, insbesondere Wein, Spirituosen und Heimtierfutter, durch verschiedene gesundheitspolizeiliche und pflanzenschutzrechtliche Beschränkungen unter Druck. Insbesondere die geografischen Angaben der EU werden weiterhin missbraucht. Der Agrar- und Lebensmittelsektor der EU ist jedoch bemerkenswert resilient. Angesichts einiger sektoraler und regionaler Unterschiede konnten im Allgemeinen alternative Märkte gefunden werden, sodass der Wert der EU-Ausfuhren insgesamt seit der Verhängung des Embargos erheblich gestiegen ist.
Einige Expertendialoge zum Thema Inneres werden in unterschiedlichem Abstand fortgesetzt. Der letzte Migrationsdialog EU-Russland und die letzten Sitzungen der Gemeinsamen Ausschüsse für Visaerleichterung und Rückübernahme fanden 2018-2019 statt. Obwohl die russische Regierung die Zusammenarbeit in diesen Bereichen für wichtig hält, kommt sie ihren Verpflichtungen nicht in vollem Umfang nach. Auch bei der Terrorismusbekämpfung und Cyberkriminalität stellt sie sich in internationalen Foren oft gegen die EU. Die letzten hochrangigen Gespräche über die Terrorismusbekämpfung zwischen der EU und Russland fanden im Oktober 2019 statt. Eine von Russland unterstützte UN-Resolution hat einen Prozess in Gang gesetzt, der eine große Herausforderung darstellt und möglicherweise die Budapester Konvention zur Cyberkriminalität in Frage stellt. Im Rahmen des Expertendialogs über Drogen werden jährlich relevante Informationen ausgetauscht.
Obwohl die Zusammenarbeit auf regionaler Ebene im Rahmen der Partnerschaft der Nördlichen Dimension im Bereich öffentliche Gesundheit und soziales Wohlergehen gut ist, gibt es keinen regelmäßigen fachlichen Austausch zwischen der EU und Russland über öffentliche Gesundheit. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat im März 2021 mit einer fortlaufenden Überprüfung des russischen COVID-19-Impfstoffs Sputnik V begonnen, um die Einhaltung der EU-Standards zu bewerten.
Es gibt eine Vielzahl weiterer Kontakte, die von der Zusammenarbeit im Zollwesen über Industrie- und Wettbewerbsfragen bis hin zum Verkehrswesen reichen. Diese Kontakte sind rein fachlich.
7.Kontakte zwischen den Menschen und Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft
Russland ist nach wie vor ein wichtiger Partner, wenn es um die Mobilität der Menschen geht. Es ist das Land, in dem die meisten Schengen-Visa weltweit ausgestellt werden: zwischen 3,1 und 3,8 Millionen im Zeitraum 2016-2018, 4,1 Millionen im Jahr 2019 (dies entspricht 27 % der insgesamt weltweit erteilten Schengen-Visa) und 635 000 im Jahr 2020 (26 %). Außerdem sind etwa vier von fünf Schengen-Visa, die seit 2016 in Russland ausgestellt wurden, für die mehrfache Einreise bestimmt.
Forschung und Innovation waren ein wichtiger Bereich der Zusammenarbeit, insbesondere durch die Beteiligung russischer Einrichtungen an den EU-Programmen. Im Rahmen von Horizont 2020 waren beispielsweise an den Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen 36 verschiedene russische Organisationen und etwa 520 russische Forscher beteiligt. Die Zusammenarbeit beruht auf dem Grundsatz der Kofinanzierung, wobei Russland seine eigenen Wissenschaftler bei gemeinsamen Projekten unterstützt oder einen angemessenen finanziellen und materiellen Beitrag leistet. Zu den Interessen der EU gehören der Zugang zu den führenden großen Forschungseinrichtungen Russlands, die Einbeziehung russischer wissenschaftlicher Expertise in die Forschung zu Themen im Zusammenhang mit politischen Prioritäten der EU und globalen Herausforderungen, die Erleichterung der Übernahme europäischer Lösungen in Russland und der Brückenschlag zur russischen akademischen Gemeinschaft. Beide Seiten haben ihre jeweiligen Verfahren zur Verlängerung des Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland um einen neuen Fünfjahreszeitraum abgeschlossen, die Verlängerung ist jedoch aufgrund eines Problems im Zusammenhang mit seinem räumlichen Geltungsbereich nach wie vor blockiert. Die Verlängerung würde einen stabilen langfristigen Rahmen für die Zusammenarbeit gewährleisten, derzeit finden die Sitzungen des Gemeinsamen Ausschusses für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit jährlich statt.
In den Bereichen Bildung, Jugend und Kultur unterstützt die EU über spezielle Programme die Kontaktaufnahme mit der russischen Gesellschaft, der akademischen und wissenschaftlichen Gemeinschaft sowie den Akteuren in den Bereichen Jugend und Kultur. Russland ist Vollmitglied des Europäischen Hochschulraums und des Bologna-Prozesses. Unter allen internationalen Partnerländern, die an Erasmus + International Credit Mobility 2014-2020 teilnehmen, steht Russland mit über 23 000 akademischen Austauschprogrammen für Studierende und Hochschulpersonal im Rahmen von Erasmus + an erster Stelle.
Im Kulturbereich kann Russland an der Plattform für kulturelle Beziehungen teilnehmen. Erasmus + 2021-2027 sieht die Fortsetzung der bestehenden Zusammenarbeit mit Russland in den Bereichen Hochschulbildung und Jugend sowie neue Finanzierungsmaßnahmen für die berufliche Aus- und Weiterbildung und den virtuellen Austausch vor. Im Rahmen von Horizont Europa 2021-2027 soll ein ausgewogeneres Verhältnis des Forschungsaustauschs zwischen Russland und der EU erreicht werden. Die kürzlich angenommenen Änderungen des Bildungsgesetzes könnten Auswirkungen auf die internationale Zusammenarbeit in Bildung und Forschung haben.
Russland nimmt derzeit an acht Interreg-Kooperationsprogrammen teil, die nach wie vor eines der wenigen EU-Instrumente sind, die über zentrale Behörden in Projekte in Russland investieren. Russland leistet einen engagierten Beitrag zu den Programmen.
Die EU spielt bei der Unterstützung der russischen Zivilgesellschaft und Menschenrechtsorganisationen eine führende Rolle. Die EU-Maßnahmen zugunsten der russischen Bürgerinnen und Bürger erstrecken sich auf ein breites Spektrum von Bereichen, darunter die Unterstützung für universelle Rechte, Medienkompetenz, Jugend, Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter, soziale Inklusion, ältere Menschen, Frauen und Kinder, Menschen mit Behinderungen, Migranten, Angehörige von Minderheiten, Opfer häuslicher Gewalt, Häftlinge und andere marginalisierte und gefährdete Gruppen. Die EU finanziert auch das Forum der Zivilgesellschaft EU-Russland. Die Maßnahmen der EU waren für die russischen zivilgesellschaftlichen Organisationen von entscheidender Bedeutung, um ihre Aktivitäten trotz eines sehr repressiven und sich weiter verschärfenden Umfelds fortzusetzen, das Bewusstsein zu schärfen und die Bereitstellung sachlich korrekter Informationen über die EU und wichtige Themen zu ermöglichen.
Wie oben dargelegt, stellen der restriktivere Rechtsrahmen, die Unterdrückung unabhängiger Stimmen und die Einschränkungen der Grundfreiheiten in Russland eine massive Behinderung für die Arbeit der Zivilgesellschaft dar. Eine Reihe unabhängiger Journalisten und Menschenrechtsaktivisten haben das Land verlassen. Die EU hat die Kontakte zwischen den Menschen und die Zivilgesellschaft weiterhin ungebrochen als Investition in die Zukunft unterstützt..
Schließlich verfügt die EU nun über spezifische Instrumente gegen diejenigen, die gegen Menschenrechte verstoßen. Die Verabschiedung der neuen globalen Sanktionsregelung der EU im Bereich der Menschenrechte und die ersten Benennungen in diesem Rahmen sind ein klares politisches Signal für unsere Bereitschaft, gegen diejenigen vorzugehen, die sie untergraben, auch in Russland.
8.Schlussfolgerungen und Aktionspunkte
In diesem Bericht wird der Stand der Beziehungen zwischen der EU und Russland in all ihrer Komplexität dargelegt, und die Herausforderungen und Chancen werden klar aufgezeigt. Russland ist nach wie vor unser größter Nachbar und ein wichtiger globaler Akteur. Wie dieser Bericht zeigt, haben die bewussten politischen Entscheidungen und aggressiven Maßnahmen der russischen Regierung in den letzten Jahren jedoch zu einer Abwärtsspirale geführt.
Um der strategischen Herausforderung durch die russische Führung zu begegnen, hat unsere kollektive Umsetzung der fünf Grundsätze der EU ein Ziel und einen grundsatzorientierten Ansatz für die Verteidigung unserer Interessen und die Förderung unserer Werte gegeben. Die EU und ihre Mitgliedstaaten werden weiterhin geschlossen und kohärent handeln und ihre Grundwerte, Grundsätze und Interessen verteidigen. Die bilaterale Zusammenarbeit sollte nicht auf Kosten der gemeinsamen Interessen und Ziele der EU erfolgen.
Geschichte, Geografie und Menschen verbinden die EU und Russland. Eine erneuerte Partnerschaft, die es uns ermöglicht, das Potenzial einer engen Zusammenarbeit voll auszuschöpfen, scheint jedoch in weiter Ferne zu liegen. Vor dem Hintergrund des schwierigen politischen Kontexts und angesichts der strategischen Entscheidungen Russlands muss sich die EU auf eine weitere Verschlechterung ihrer Beziehungen zu Russland als die vorerst realistischste Perspektive einstellen.
Unser Ziel sollte es sein, Wege zu erkunden, die dazu beitragen könnten, die derzeitige Dynamik schrittweise in eine berechenbarere und stabilere Beziehung umzuwandeln.
Um dies zu ermöglichen, wird die EU weiterhin offene Kommunikationskanäle mit Russland unterhalten. Wir erwarten, dass die russische Führung ein konstruktiveres Engagement und mehr politischen Willen zeigt und gegen die EU und ihre Mitgliedstaaten sowie gegen Drittländer gerichtete Handlungen einstellt. Dies ist unabdingbar, um die derzeitige unproduktive und potenziell gefährliche Entwicklung in dieser wichtigen Beziehung umzukehren.
Die EU wird Russland auf der Grundlage eines soliden gemeinsamen Verständnisses der Ziele Russlands, eines grundsatzorientierten Pragmatismus und im Einklang mit den fünf Grundsätzen gleichzeitig zurückdrängen, einschränken und zusammenarbeiten.
Die EU wird weiterhin gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen und sich für demokratische Werte einsetzen, auch in internationalen Foren, wobei sie klarstellt, dass es sich hierbei um Angelegenheiten handelt, die für alle Staaten der VN, der OSZE und des Europarats von unmittelbarem und berechtigtem Interesse sind und nicht ausschließlich zu den inneren Angelegenheiten eines Landes gehören. Die russische Regierung muss ihren internationalen Verpflichtungen und Zusagen nachkommen.
Die EU wird weiterhin die anhaltenden Verstöße Russlands gegen das Völkerrecht in der Ukraine, Georgien und anderswo deutlich zur Sprache bringen, auch durch Initiativen mit gleich gesinnten Partnern. Dazu gehört auch, Russland aufzufordern, seiner Verantwortung als Konfliktpartei gerecht zu werden und die Minsker Vereinbarungen vollständig umzusetzen. Die EU wird die falschen Narrative, mit denen Russland seine Maßnahmen rechtfertigen will, auf allen Ebenen aktiver bekämpfen. Wir werden (durch unsere Visapraktiken) Russlands Politik der „Passportisierung“ in der Ukraine weiterhin bekämpfen.
Die EU wird weiterhin in geeigneter Weise auf böswillige Handlungen der russischen Regierung, einschließlich hybrider Aktionen, reagieren. Dies könnte die Verschärfung und Ausweitung der verschiedenen bestehenden Sanktionsregelungen und/oder erforderlichenfalls die Ergreifung zusätzlicher restriktiver Maßnahmen umfassen.
Die EU wird sich bemühen, die Ressourcen, auf die die russische Regierung zurückgreifen kann, um ihre disruptive Außenpolitik umzusetzen, zu begrenzen. Wir werden auch die EU-Gesetze wirksamer durchsetzen, um gemeinsam mit gleich gesinnten Partnern gezielt gegen von Russland ausgehende kriminelle Aktivitäten (einschließlich Lösegeldforderungen) vorzugehen. Wir werden unsere Bekämpfung von Korruption und Geldwäsche intensivieren, unter anderem durch mehr Transparenz bei den Finanzströmen im Zusammenhang mit Russland. Die EU wird ihr Vorgehen gegen Zwangsmaßnahmen von Drittländern, einschließlich Russlands, verstärken, indem sie ein neues, eigenständiges Instrument entwickelt, das zur wirksamen Abschreckung und zum Ausgleich solcher Zwangsmaßnahmen eingesetzt werden kann.
Um Russlands Versuche, die Interessen der EU zu untergraben, abzuwehren, muss die Union selbst robuster und widerstandsfähiger werden.
Wir müssen Bedrohungen und böswilligen Handlungen systematischer und geschlossener entgegentreten und dabei die Koordination mit gleich gesinnten Partnern wie der NATO und der G7 sicherstellen. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Reaktionen auf Russlands Aktionen noch proaktiver koordinieren.
Wir sollten die Cybersicherheits- und Verteidigungskapazitäten der EU sowie ihre strategischen Kommunikationsfähigkeiten weiter ausbauen. Wir werden unseren Maßnahmen zur Bekämpfung und Unterbindung von Informationsmanipulation und Desinformation mehr Nachdruck verleihen, unter anderem durch die Stärkung des regulatorischen Rahmens für Plattformen der sozialen Medien. Die EU erwägt die Einführung neuer Instrumente, die es ermöglichen, den Tätern Kosten aufzuerlegen, unter anderem im Rahmen des Europäischen Aktionsplans für Demokratie.
Wir sollten unsere Fähigkeiten zur Abwehr hybrider Bedrohungen, einschließlich der EU-Analyseeinheit für hybride Bedrohungen des Europäischen Exzellenzzentrums für die Abwehr hybrider Bedrohungen in Helsinki, und unsere strukturierte Zusammenarbeit mit der NATO weiter stärken und gezielte Maßnahmen ergreifen, um die demokratischen Prozesse, Institutionen und Wahlinfrastrukturen der EU und der Mitgliedstaaten besser zu schützen.
Wir werden die Hebelwirkung der Energiewende besser nutzen und die EU-Energiemarktregeln vollständig umsetzen. Wir werden die Energieversorgungssicherheit unserer Nachbarn unterstützen, auch durch die korrekte Umsetzung des Abkommens über den Gastransit in der Ukraine. Die Vollendung der Synchronisierung der baltischen Staaten mit dem europäischen Stromnetz und der Stromhandel haben nach wie vor hohe Priorität.
Wir werden unsere östlichen Partner stärker unterstützen und daran arbeiten, das Potenzial der Östlichen Partnerschaft voll auszuschöpfen. Das bevorstehende Gipfeltreffen zur Östlichen Partnerschaft wird eine wichtige Gelegenheit sein, diese gemeinsame Agenda für die Zeit nach 2020 zu schmieden. Erfolgreiche politische und wirtschaftliche Reformen, insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Korruptionsbekämpfung und gute Regierungsführung, werden die Anfälligkeit unserer Partner verringern und als wichtiges Gegenmittel gegen Einmischung und Destabilisierungsversuche Russlands dienen. Unsere Agenda könnte Investitionen in Sicherheitspartnerschaften mit unseren Nachbarn umfassen, um deren Resilienz weiter zu erhöhen.
Zur Förderung ihrer eigenen Interessen sollte die EU Russland bei mehreren zentralen Herausforderungen einbinden.
Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass ein konstruktives Engagement im Bereich der öffentlichen Gesundheit, z. B. bei der Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren, einer besseren Vorsorge, der Arbeit im Bereich der Resistenz gegen antimikrobielle Wirkstoffe, der Konvergenz der Rechtsvorschriften und dem Zugang zu medizinischen Produkten, von gemeinsamem Interesse ist.
Angesichts unseres gemeinsamen Interesses an der Bekämpfung des Klimawandels und anderen Umweltfragen sollte die EU einen intensiveren Dialog mit Russland aufnehmen und dazu jetzt die Gelegenheit im Vorfeld der COP-26 in Glasgow und der COP-15 über die biologische Vielfalt in Kunming nutzen. Sie sollte auch die thematischen Beratungen in diesen Bereichen fortsetzen, unter anderem über die Bepreisung von CO2-Emissionen, erneuerbare Energien, Methanemissionen, die Anpassung an den Klimawandel und das künftige CO2-Grenzausgleichssystem der EU. Dies ist umso wichtiger für Russland angesichts der sich rasch wandelnden geopolitischen Energiepolitik und seines eigenen verzögerten Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft.
Es sollte mehr technische Zusammenarbeit mit der russischen Regierung in Bezug auf die zahlreichen wirtschaftlichen Probleme geben, z. B. in Bezug auf Importsubstitution, Handelshindernisse und Subventionskontrollen, um die Wettbewerbsvorteile der EU zu nutzen. Je nach Thema und strikt im Einklang mit den souveränen Entscheidungen anderer betroffener Länder würde dies auch die gezielte fachliche Zusammenarbeit mit der Eurasischen Wirtschaftsunion innerhalb deren Zuständigkeitsbereich umfassen.
Die EU wird die Kontakte zwischen den Menschen fördern. Dies könnte mehr Visaerleichterungen (z. B. Befreiung von der Visumgebühr) für Jugendliche, Programme für Arbeit und Reisen, akademische Zusammenarbeit, Wissenschaft und Bildung sowie Studentenaustausche umfassen.
Was die regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit anbelangt, so sollten wir die Programme mit Russland, die Zusammenarbeit im Rahmen der Nördlichen Dimension und die praktische Zusammenarbeit in regionalen zwischenstaatlichen Formaten fortsetzen, z. B. im Rat der Ostseeanrainerstaaten, im Euro-Arktischen Barents-Rat, im Schwarzmeerraum und in der Arktis.
Die EU wird ihre Unterstützung für die russische Zivilgesellschaft und russische Menschenrechtsverteidiger verstärken und flexiblere und kreativere Ansätze verfolgen. Wir werden unabhängige russischsprachige Medien stärker unterstützen, um größere Meinungsvielfalt zu fördern. Außerdem werden wir unsere Hilfsprogramme bei Bedarf anpassen, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten und Repressionen gegenüber unseren Partnern zu vermeiden.
Die EU wird auf Konfliktverhütung und bilaterale Konfliktlösungs- und Vertrauensbildungsmechanismen hinarbeiten. Wir werden in regionalen Fragen (wie dem JCPOA, dem Nahen Osten, Libyen und Afghanistan) und globalen Fragen (wie Terrorismusbekämpfung und nukleare Proliferation) auf der Grundlage der uneingeschränkten Achtung des Völkerrechts als Kernstück einer regelbasierten internationalen Ordnung zusammenarbeiten. Die EU wird weiterhin mit Russland in multilateralen Organisationen zusammenarbeiten.
Auf der Grundlage der allgemeinen Entwicklungen und Leitlinien des Europäischen Rates werden die Kommission und der Hohe Vertreter/Vizepräsident die vorstehend dargelegte Agenda umsetzen.