EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 28.1.2019
COM(2019) 17 final
BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT
DURCHSETZUNG DES WETTBEWERBSRECHTS
IM ARZNEIMITTELSEKTOR (2009-2017)
Europäische Wettbewerbsbehörden arbeiten zusammen
für erschwingliche und innovative Arzneimittel
BERICHT DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT
DURCHSETZUNG DES WETTBEWERBSRECHTS
IM ARZNEIMITTELSEKTOR (2009-2017)
Europäische Wettbewerbsbehörden arbeiten zusammen
für erschwingliche und innovative Arzneimittel
Zusammenfassung
Seit der im Jahr 2009 von der Europäischen Kommission abgeschlossenen Untersuchung des Arzneimittelsektors wird der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und der Marktüberwachung in diesem Bereich in der gesamten EU hohe Priorität eingeräumt. Dieser Bericht bietet einen Überblick über die Durchsetzung der kartell- und fusionskontrollrechtlichen Vorschriften der EU im Arzneimittelsektor durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden der 28 Mitgliedstaaten (im Folgenden „europäische Wettbewerbsbehörden“) im Zeitraum 2009-2017. Er trägt den Bedenken des Rates und des Europäischen Parlaments Rechnung, dass wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Pharmaunternehmen den Zugang von Patienten zu erschwinglichen und innovativen unentbehrlichen Arzneimitteln gefährden können.
Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten eng zusammen, um einen wirksamen Wettbewerb auf den Arzneimittelmärkten zu gewährleisten. Seit 2009 haben die Behörden insgesamt 29 kartellrechtliche Beschlüsse gegen Pharmaunternehmen erlassen. Mit diesen Beschlüssen wurden Sanktionen (Geldbußen von insgesamt mehr als 1 Mrd. EUR) verhängt oder Verpflichtungszusagen zur Abstellung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen für rechtsverbindlich erklärt. Insbesondere betrafen einige dieser Beschlüsse wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die zuvor noch nicht nach dem EU-Wettbewerbsrecht untersucht worden waren. Diese Präzedenzfälle geben den Akteuren der Branche umfassendere Orientierungshilfen an die Hand, wie sie sicherstellen können, dass sie die geltenden Rechtsvorschriften einhalten.
Im Zeitraum 2009-2017 haben die europäischen Wettbewerbsbehörden mehr als 100 weitere Fälle untersucht, und zudem werden mehr als 20 mögliche Zuwiderhandlungen gegen das Kartellrecht derzeit geprüft. Um eine übermäßige Konzentration der Arzneimittelmärkte infolge von Zusammenschlüssen zu verhindern, hat die Kommission mehr als 80 Transaktionen geprüft. In 19 dieser Fusionskontrollsachen äußerte die Kommission wettbewerbsrechtliche Bedenken und genehmigte die Vorhaben erst, nachdem die Unternehmen zugesagt hatten, die Bedenken auszuräumen und Änderungen an den Zusammenschlussvorhaben vorzunehmen.
Im Arzneimittelsektor muss die Einhaltung des Wettbewerbsrechts sorgfältig überwacht werden; die in diesem Bericht erfassten Kartell- und Fusionskontrollsachen zeigen beispielhaft, wie die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften konkret dazu beiträgt, in der EU den Zugang von Patienten zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln sicherzustellen.
Zugang zu günstigeren Arzneimitteln
Hohe Arzneimittelpreise stellen für die nationalen Gesundheitssysteme, in denen Arzneimittel ohnehin einen erheblichen Teil der Ausgaben ausmachen, eine hohe Belastung dar.
Ein wirksamer Wettbewerb durch Generika und seit einiger Zeit auch durch Biosimilars ist in der Regel eine wichtige Triebfeder für den Preiswettbewerb auf den Arzneimittelmärkten und sorgt für deutlich niedrigere Preise (bei Generika im Durchschnitt um 50 %). Dies führt nicht nur dazu, dass ältere Therapien leichter zugänglich sind, sondern macht es darüber hinaus möglich, die eingesparten Mittel teilweise für neuere, innovative Arzneimittel aufzuwenden. Das Inverkehrbringen von Generika führt dazu, dass die Einnahmen aus kommerziell erfolgreichen Arzneimitteln drastisch sinken; um dem zu begegnen, verfolgen die Hersteller der Originalpräparate häufig Strategien, um die wirtschaftliche „Lebensdauer“ ihrer älteren Arzneimittel zu verlängern. Einige dieser Strategien und andere Verhaltensweisen, die sich auf den Preiswettbewerb auswirken können, waren Gegenstand kartellrechtlicher Untersuchungen.
Die europäischen Wettbewerbsbehörden haben Verhaltensweisen, die höhere Preise nach sich ziehen, konsequent geprüft und Verstöße geahndet. Mit einer Reihe von auf der Sektoruntersuchung der Kommission aus dem Jahr 2009 aufbauenden Beschlüssen sind die Behörden gegen Verhaltensweisen vorgegangen, die den Markteintritt oder -ausbreitung von Generika behindern. Bahnbrechend waren Beschlüsse sowohl der Kommission (Sachen Lundbeck, Fentanyl und Servier) als auch der Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs (Sache Paroxetin) in Bezug auf „Pay-for-delay“-Vereinbarungen. Bei solchen Vereinbarungen bezahlt der etablierte Hersteller des Originalpräparats den Hersteller des Generikums dafür, dass er seine Pläne für einen Markteintritt aufgibt oder verzögert. Auf diese Weise erhält der Generikahersteller „ein Stück vom Kuchen [des Originalpräparateherstellers]“, der sich aus den künstlich hohen Preisen ergibt (wie von einem der geprüften Unternehmen in einem der Kommission vorliegenden internen Dokument erläutert wurde).
Die französische Wettbewerbsbehörde hat mehrere wegweisende Beschlüsse erlassen, mit denen es etablierten Herstellern untersagt wurde, durch Verunglimpfung die Akzeptanz neu in Verkehr gebrachter Generika zu verhindern. Andere Behörden haben Sanktionen gegen etablierte Unternehmen verhängt, die Generika durch die missbräuchliche Ausnutzung der regulatorischen Verfahren vom Markt ferngehalten haben.
Darüber hinaus wurden in jüngerer Zeit mehrere Untersuchungen in Bezug auf die Preisgestaltung für bestimmte patentfreie Arzneimittel durchgeführt (in einem Fall war der Preis um 2000 % gestiegen). Behörden in Italien (Sache Aspen), dem Vereinigten Königreich (Sache Pfizer/Flynn) und Dänemark (Sache CD Pharma) haben festgestellt, dass bestimmte Preispraktiken unangemessen waren und den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellten. Des Weiteren gingen die Wettbewerbsbehörden auch eher herkömmlichen Formen von Fehlverhalten nach, wie etwa Angebotsabsprachen (bid rigging) oder Marktabschottungsstrategien, die den Zugang von Wettbewerbern zu wichtigen Produktionsmitteln oder zu Kunden unterbinden.
Höhere Preise können auch das Ergebnis von Zusammenschlüssen von Pharmaunternehmen sein, durch die das fusionierte Unternehmen eine größere Preissetzungsmacht erhält. Die Kommission griff bei einer Reihe von Zusammenschlüssen ein, die zu Preiserhöhungen insbesondere bei Generika (z. B. Sache Teva/Allergan) oder Biosimilars (z. B. Sache Pfizer/Hospira) hätten führen können. Sie genehmigte diese Vorhaben erst, nachdem die Unternehmen zugesagt hatten, Teile ihres Geschäfts an geeignete Käufer zu veräußern, um den bisherigen Preiswettbewerb aufrechtzuerhalten.
Zugang zu innovativen Arzneimitteln
Im Pharmasektor ist Innovation von entscheidender Bedeutung, und Arzneimittelhersteller sind bei Investitionen in Forschung und Entwicklung (FuE) führend. Mitunter kann jedoch das Verhalten der Marktteilnehmer die Innovationsanreize untergraben (Patentierungen, Interventionen bei den Behörden, Übernahmen konkurrierender Technologien usw.). Damit können sie unter Umständen gegen das Wettbewerbsrecht verstoßen.
Im Rahmen der Fusionskontrolle hat die Kommission Vorhaben verhindert, die geeignet waren, FuE-Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen neuer Arzneimittel oder der Ausweitung der therapeutischen Verwendung vorhandener Präparate einzuschränken. Die Kommission schritt in mehreren Fällen ein, in denen sie den Innovationswettbewerb gefährdet sah, weil beispielsweise bereits fortgeschrittene FuE-Projekte im Zusammenhang mit lebensrettenden Krebspräparaten (Novartis/GlaxoSmithKline Oncology) oder sich noch in einer frühen Entwicklungsphase befindlichen Arzneimitteln gegen Schlaflosigkeit (Johnson & Johnson/Actelion) drohten behindert zu werden. In der Sache Pfizer/Hospira hatte die Kommission Bedenken, dass infolge des Zusammenschlusses eines von zwei parallelen Projekten zur Entwicklung konkurrierender Biosimilars aufgegeben würde. Die Kommission genehmigte alle diese Vorhaben, jedoch erst nachdem die Unternehmen Abhilfemaßnahmen zugesagt hatten, um sicherzustellen, dass die Pipeline-Projekte nicht fallengelassen, sondern von einem anderen Marktteilnehmer weitergeführt würden.
Die Wettbewerbsregeln lassen zu, dass Unternehmen zusammenarbeiten, um Innovationen zu fördern. Jedoch versuchen Unternehmen bisweilen, die Innovationsbemühungen ihrer Wettbewerber zu behindern oder den Wettbewerbsdruck zu reduzieren, der sie zwingt, in Innovationen zu investieren. So tragen beispielsweise Interventionen gegen Praktiken, die den Markteintritt von Generika unrechtmäßig verzögern, dazu bei, dass die Marktexklusivität des Originalpräparats zum vorgesehenen Zeitpunkt endet, was einen Anreiz für neue Innovationen der Originalpräparatehersteller schafft. Neben dem Schutz von Innovationen dient die Durchsetzung des Kartellrechts auch der Förderung der Auswahlmöglichkeiten der Patienten. In diesem Zusammenhang wurde etwa gegen Behinderungsmissbräuche vorgegangen, wie beispielsweise Rabattsysteme, mit denen Wettbewerber von Ausschreibungen von Krankenhäusern ferngehalten werden sollten, oder gegen die Verbreitung irreführender Informationen über die Sicherheit eines Arzneimittels, wenn dieses zur Behandlung von Erkrankungen eingesetzt wird, die in der Zulassung nicht genannt sind (zulassungsüberschreitende – off-label – Anwendung).
Raum für weitere Durchsetzungstätigkeit
Die in diesem Bericht angeführten Beispiele zeigen, dass die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften ein sehr wirksames Instrument darstellen kann, soweit ihr Anwendungsbereich betroffen ist, also soweit es um wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung und Zusammenschlüsse geht. Das Wettbewerbsrecht hat jedoch seine Grenzen, und es bedarf kontinuierlicher Anstrengungen aller Akteure, um der gesellschaftlichen Herausforderung gerecht zu werden, nachhaltigen Zugang zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln sicherzustellen.
Die bisherigen, in diesem Bericht geschilderten Durchsetzungsmaßnahmen bieten den Wettbewerbsbehörden eine gute Grundlage, um ihre Anstrengungen bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts zielgerichtet fortzusetzen. Die wirksame Durchsetzung der EU-Wettbewerbsvorschriften im Arzneimittelsektor genießt nach wie vor hohe Priorität, und die Wettbewerbsbehörden werden mögliche wettbewerbswidrige Verhaltensweisen auch weiterhin sorgfältig überwachen und proaktiv untersuchen.
Inhalt
Zusammenfassung
1.Einleitung
2.Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Pharmasektor
2.1.Durchsetzung der Kartellvorschriften
2.2.Fusionskontrolle im Pharmasektor
2.3.Marktüberwachung und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens im Pharmasektor und im Gesundheitswesen
3.Berücksichtigung der Besonderheiten des Pharmasektors bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts
3.1.Spezifische Angebots- und Nachfragestruktur auf den Arzneimittelmärkten
3.2.Der Rechts- und Regulierungsrahmen bestimmt die Wettbewerbsdynamik
4.Wettbewerb fördert den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln
4.1.Die Durchsetzung des Kartellrechts unterstützt das reibungslose Inverkehrbringen günstigerer Generika
4.2.Durchsetzungsmaßnahmen gegen Unternehmen in beherrschender Stellung, die unangemessen hohe Preise (überhöhte Preise) verlangen
4.3.Andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die zu Preiserhöhungen führen können
4.4.Fusionskontrolle und erschwingliche Arzneimittel
5.Wettbewerb fördert Innovation und erhöht die Auswahl an Medikamenten
5.1.Die Durchsetzung der Kartellvorschriften fördert Innovation und Auswahl
5.2.Schutz des Innovationswettbewerbs bei Arzneimitteln durch die Fusionskontrolle
6.Schlussfolgerung
1.Einleitung
Der Rat hat die Kommission um die Erarbeitung eines „Berichts über die jüngsten wettbewerbsrechtlichen Fälle nach der Untersuchung des Arzneimittelsektors von 2008/2009“ ersucht. Er zeigte sich besorgt, dass der Zugang von Patienten zu erschwinglichen und innovativen unentbehrlichen Arzneimitteln durch a) sehr hohe und unzumutbare Preise, b) die Rücknahme von Arzneimitteln vom Markt oder andere Geschäftsstrategien der Pharmaunternehmen und c) die begrenzte Verhandlungsmacht der Mitgliedstaaten gegenüber diesen Unternehmen beeinträchtigt sein kann. Ähnliche Bedenken äußerte das Europäische Parlament in seiner Entschließung zu den Optionen der EU, den Zugang zu Arzneimitteln zu verbessern. Der vorliegende Bericht ist daher an den Rat und das Europäische Parlament gerichtet.
Der Arzneimittelsektor und der Gesundheitssektor im Allgemeinen sind von besonderer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung. Gesundheit und Zugang zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln ist für die Bürger von großer Bedeutung. Die Wirtschaftskrise von 2008 und ihre Folgen, die demografische Entwicklung und die Veränderungen im Hinblick auf die Arten der Erkrankungen, von denen die europäischen Bürger betroffen sind, stellen eine erhebliche Belastung für die öffentlichen Gesundheitshaushalte dar. In den letzten Jahrzehnten sind die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen insgesamt in den EU-Ländern auf 5,7 % bis 11,3 % des jeweiligen BIP gestiegen und dürften auch weiterhin zunehmen. Die Ausgaben für Arzneimittel machen einen erheblichen Teil dieser staatlichen Ausgaben aus. Vor diesem Hintergrund können hohe Arzneimittelpreise für die nationalen Gesundheitssysteme eine große Belastung darstellen.
Darüber hinaus sind kontinuierliche Anstrengungen im Hinblick auf Innovationen und FuE-Investitionen entscheidend für die Entwicklung neuer oder verbesserter Behandlungsformen, die Patienten und Ärzten eine Auswahl an modernsten Arzneimitteln bieten. Jedoch können Innovationsanreize durch Zusammenschlüsse und wettbewerbswidrige Verhaltensweisen auch zunichtegemacht werden.
Dieser Bericht zeigt, wie die Durchsetzung der Wettbewerbsvorschriften, d. h. sowohl der EU-Kartellrechtsvorschriften als auch der EU-Fusionskontrollvorschriften, dazu beitragen kann, den Zugang von Patienten in der EU zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln zu gewährleisten. Der Bericht wurde in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Wettbewerbsbehörden der 28 EU-Mitgliedstaaten erarbeitet (Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden werden im Folgenden gemeinsam als „europäische Wettbewerbsbehörden“ bezeichnet).
Die europäischen Wettbewerbsbehörden arbeiten bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts und der kontinuierlichen Überwachung der Arzneimittelmärkte eng zusammen. Anhand konkreter Beispiele wird in diesem Bericht dargelegt, wie die Verbote von missbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung und von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen durchgesetzt wurden, um zu gewährleisten, dass a) der Preiswettbewerb bei Arzneimitteln nicht künstlich beschränkt oder ausgeschaltet wird und dass b) Innovationen in diesem Sektor nicht durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen eingeschränkt werden. Bei der Prüfung von Zusammenschlüssen von Pharmaunternehmen auf mögliche negative Auswirkungen auf den Wettbewerb werden diese beiden Gesichtspunkte gleichermaßen berücksichtigt. Dieser Bericht erläutert, wie die Anwendung der EU-Fusionskontrollvorschriften durch die Kommission in konkreten Fällen zu dem Ziel erschwinglicher und innovativer Arzneimittel beigetragen hat. Dieser Bericht hat ausschließlich Humanarzneimittel zum Gegenstand.
Kartellrechtliche Untersuchungen sind komplex und erfordern erhebliche Ressourcen. Aus diesem Grund konzentrieren sich die europäischen Wettbewerbsbehörden bei ihren Untersuchungen auf die wichtigsten Fälle, insbesondere solcher, die den Marktteilnehmern Orientierungshilfen bieten, um ähnliche Verhaltensweisen zu vermeiden. Eine „eingehende wettbewerbsrechtliche Prüfung“
trägt somit nicht nur mit Blick auf den konkreten untersuchten Fall, sondern auch im weiteren Sinne zu einer Verbesserung des Wettbewerbs auf den Arzneimittelmärkten bei, indem sie das künftige Verhalten der Branche beeinflusst. In den vergangenen Jahren haben die europäischen Wettbewerbsbehörden eine Reihe bahnbrechender Präzedenzfälle geschaffen, in denen die Anwendung des EU-Wettbewerbsrechts auf neue Fallkonstellationen in Arzneimittelmärkten geklärt wurde. Diese wegweisenden Beschlüsse basierten oftmals auf umfassenden Untersuchungen des gesamten Sektors. Die europäischen Wettbewerbsbehörden setzen sich auch weiterhin dafür ein, dass die Wettbewerbsvorschriften auf den Arzneimittelmärkten wirksam und zügig durchgesetzt werden.
Dieser Bericht bezieht sich auf den Zeitraum 2009-2017. Er bietet
-einen Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts durch die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden im Arzneimittelsektor (Kapitel 2);
-eine Beschreibung der wichtigsten Merkmale des Pharmasektors, die für die wettbewerbsrechtliche Prüfung von Bedeutung sind (Kapitel 3); sowie
-eine Veranschaulichung, wie die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts zu erschwinglichen Arzneimitteln (Kapitel 4) sowie zu Innovation und Wahlmöglichkeiten bei Arzneimitteln und Behandlungen (Kapitel 5) beiträgt.
2.Überblick über die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor
Zwar leistet die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts (Kartellrecht und Fusionskontrolle) einen Beitrag dazu, dass Patienten und Gesundheitssysteme Zugang zu innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln haben. Sie ersetzt jedoch nicht (und beeinträchtigt auch nicht) die verschiedenen Rechtsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen, mit denen sichergestellt werden soll, dass den Patienten in der EU moderne und erschwingliche Arzneimittel und Gesundheitsdienste zur Verfügung stehen. Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts stellt eine Ergänzung der unterschiedlichen Regulierungssysteme dar, bei der in erster Linie in Einzelfällen gegen bestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen am Markt vorgegangen wird. Gelegentlich schlagen die Wettbewerbsbehörden allerdings staatlichen oder privaten Entscheidungsträgern auch wettbewerbsfördernde Lösungen für systemische Fälle von Marktversagen vor.
Dieses Kapitel enthält eine Einführung in die einschlägigen Vorschriften und Mechanismen des Wettbewerbsrechts sowie einen Überblick über einige Fakten und Zahlen zu den Durchsetzungsmaßnahmen der europäischen Wettbewerbsbehörden. Abschnitt 2.1 hat die Durchsetzung der Kartellrechtsvorschriften zum Gegenstand, d. h. die Verbote wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch Pharmaunternehmen. In Abschnitt 2.2 wird auf die Prüfung von Fusionen und Übernahmen eingegangen, mit der Zusammenschlüsse verhindert werden sollen, die den wirksamen Wettbewerb erheblich beeinträchtigen könnten. In Abschnitt 2.3 wird über die von den europäischen Wettbewerbsbehörden ergriffenen Maßnahmen zur Marktüberwachung und zur Förderung des Wettbewerbsgedankens berichtet.
2.1.Durchsetzung der Kartellrechtsvorschriften
2.1.1.Was sind die Kartellrechtsvorschriften (Antitrust)?
Nach Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (im Folgenden „AEUV“) sind Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche eine Einschränkung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, verboten. Artikel 102 AEUV verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf einem bestimmten Markt. Nach der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 sind sowohl die Kommission als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden befugt, die im AEUV verankerten Verbote auf wettbewerbswidrige Verhaltensweisen anzuwenden.
Die Unternehmen müssen selbst beurteilen, ob ihr Verhalten den kartellrechtlichen Vorschriften entspricht. Um die Rechtssicherheit bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu gewährleisten, hat die Kommission jedoch einige Verordnungen erlassen, die festlegen, wann bestimmte Arten von Vereinbarungen (wie etwa Lizenzvereinbarungen) unter eine Gruppenfreistellung fallen, und Leitlinien herausgegeben, die diese Verordnungen und die Anwendung der Kartellrechtsvorschriften allgemein durch die Kommission erläutern.
2.1.2.Wer setzt die Kartellrechtsvorschriften durch?
Für die Durchsetzung sind die Kommission und die 28 nationalen Wettbewerbsbehörden zuständig. Die nationalen Wettbewerbsbehörden sind uneingeschränkt zur Anwendung der Artikel 101 und 102 AEUV befugt. Die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden arbeiten im Rahmen des Europäischen Wettbewerbsnetzes eng zusammen. Ein Fall kann daher von einer einzelnen nationalen Wettbewerbsbehörde, der Kommission oder von mehreren Behörden gleichzeitig bearbeitet werden.
Wenn ein bestimmtes Verhalten den grenzüberschreitenden Handel nicht beeinträchtigt, wenden die nationalen Wettbewerbsbehörden lediglich ihre nationalen Kartellgesetze an, die allerdings häufig den EU-Rechtsvorschriften entsprechen.
Neben den europäischen Wettbewerbsbehörden sind auch die Gerichte der Mitgliedstaaten uneingeschränkt befugt und verpflichtet, die Artikel 101 und 102 AEUV anzuwenden. Dies geschieht zum einen im Rahmen von Rechtsmittelverfahren gegen Beschlüsse der nationalen Wettbewerbsbehörden und zum anderen bei Rechtsstreitigkeiten zwischen privaten Parteien. Die nationalen Gerichte und die Wettbewerbsbehörden (nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission) arbeiten ebenfalls zusammen: Die Gerichte können bei den Behörden Stellungnahmen zur Anwendung der EU-Kartellrechtsvorschriften einholen, und die Behörden können sich an Gerichtsverfahren beteiligen, indem sie aus eigener Initiative Stellungnahmen einreichen.
2.1.3.Welche Instrumente und Verfahren stehen zur Verfügung?
Die europäischen Wettbewerbsbehörden können Beschlüsse erlassen, in denen sie feststellen, dass bestimmte Vereinbarungen oder einseitige Verhaltensweisen einen Verstoß gegen Artikel 101 und/oder Artikel 102 AEUV darstellen. In diesen Fällen ordnet die betreffende Behörde die Abstellung und Unterlassung der Zuwiderhandlung durch die Unternehmen an und kann eine unter Umständen erhebliche Geldbuße verhängen. Zudem können Abhilfemaßnahmen auferlegt werden. Die Kommission und die meisten nationalen Wettbewerbsbehörden können darüber hinaus durch förmlichen Beschluss etwaige von den untersuchten Unternehmen vorgelegte Verpflichtungszusagen für rechtsverbindlich erklären, um dadurch die beanstandeten Verhaltensweisen abzustellen. Mit solchen Verpflichtungsbeschlüssen wird weder eine Zuwiderhandlung festgestellt noch eine Geldbuße gegen die Unternehmen verhängt; sie können jedoch von entscheidender Bedeutung sein, um den Wettbewerb auf einem Markt wiederherzustellen.
Zu den wichtigsten Untersuchungsinstrumenten der europäischen Wettbewerbsbehörden zählen unangekündigte Nachprüfungen vor Ort, Auskunftsverlangen und Befragungen. Auskunftsverlangen können mächtige Untersuchungsinstrumente darstellen, da die Unternehmen gezwungen sind, vollständige und korrekte Angaben zu machen, weil ihnen andernfalls Geldbußen drohen.
Kasten 1: Was sind Nachprüfungen vor Ort?
Sowohl die Kommission als auch die nationalen Wettbewerbsbehörden können unangekündigte Nachprüfungen (mitunter als „Dawn Raids“ bezeichnet) vornehmen und die Räumlichkeiten von Unternehmen durchsuchen, um Beweise für ein mutmaßliches wettbewerbswidriges Verhalten zu erheben. Wenn ein Unternehmen eine Nachprüfung nicht duldet oder sie behindert, indem es beispielsweise ein entsprechendes Siegel der Kommission bricht, kann dies hohe Geldbußen nach sich ziehen. Mit der Richtlinie ECN+ wird unter anderem sichergestellt, dass alle nationalen Wettbewerbsbehörden über die wesentlichen Befugnisse und Instrumente für Nachprüfungen verfügen, so auch über wirksamere Untersuchungsbefugnisse (beispielsweise das Recht auf Durchsuchung der auf Geräten wie Smartphones, Tablets usw. gespeicherten Informationen).
In ihren Verfahren wahren die europäischen Wettbewerbsbehörden die Verteidigungsrechte der von der Untersuchung betroffenen Parteien. Erhebt die Kommission beispielsweise im Zuge ihres Verwaltungsverfahrens Einwände gegen das Verhalten der von der Untersuchung betroffenen Parteien, erhalten diese eine umfassende Mitteilung der Beschwerdepunkte und Zugang zur gesamten Fallakte der Kommission. Anschließend haben sie die Möglichkeit, sich schriftlich sowie in einer mündlichen Anhörung zu den Beschwerdepunkten zu äußern, bevor die Kommission einen endgültigen Beschluss erlässt.
Die Beschlüsse der europäischen Wettbewerbsbehörden unterliegen einer vollständigen und sorgfältigen Prüfung durch die Gerichte, in der diese prüfen, ob die Beschlüsse sachlich fundiert sind und alle Verfahrensrechte der Parteien gewahrt wurden.
Kartellrechtliche Untersuchungen sind im Allgemeinen komplex und umfangreich, weil sie eine gründliche Ermittlung breitgefächerter Sachverhalte sowie deren umfassende rechtliche und wirtschaftliche Analyse erfordern. Daher nehmen die Untersuchungen erhebliche Ressourcen und bisweilen mehrere Jahre in Anspruch, bis ein endgültiger Beschluss ergehen kann. Um eine wirksame Ressourcennutzung zu gewährleisten, müssen die Wettbewerbsbehörden Prioritäten setzen und sich zum Beispiel auf solche Fälle konzentrieren, in denen die Verhaltensweisen besonderes gravierendere Auswirkungen auf den Markt haben können oder in denen der Beschluss einen hilfreichen Präzedenzfall für den gesamten Arzneimittelsektor oder sogar darüber hinaus darstellen kann.
Kasten 2: Können die Opfer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen Schadensersatz verlangen?
Die Opfer von Kartellrechtsverstößen haben Anspruch auf Schadensersatz. Eine EU-Richtlinie stellt sicher, dass die nationalen Rechtsvorschriften wirksame Schadensersatzklagen zulassen. Ergänzend zu den Durchsetzungsmaßnahmen der Wettbewerbsbehörden können somit jene, denen durch wettbewerbswidrige Verhaltensweisen ein Schaden entstanden ist, Schadensersatzklage vor den nationalen Gerichten erheben. Beispielsweise verhängte die britische Wettbewerbsbehörde im Jahr 2010 gegen Reckitt Benckiser eine Geldbuße in Höhe von 10,2 Mio. GBP wegen der missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, weil das Unternehmen den Wettbewerb durch Generika für sein patentfreies Präparat gegen Sodbrennen (Gaviscon Original Liquid) verzögert hatte. Nach diesem Beschluss reichten Gesundheitsbehörden in England, Wales, Schottland und Nordirland zivile Schadensersatzklagen gegen das Unternehmen ein. Die Behörden machten geltend, dass der Staat Schadensersatz erhalten sollte, da er aufgrund des rechtswidrigen Verhaltens des Unternehmens einen zu hohen Preis für das Medikament gezahlt hätte. Bis 2014 wurden die Rechtsstreitigkeiten gegen Zahlung eines nicht veröffentlichten Betrags im Vergleichswege beigelegt.
In einem ähnlichen Fall reichten die Gesundheitsbehörden des Vereinigten Königreichs gegen Les Laboratoires Servier Klagen wegen des Schadens ein, der ihnen (teilweise) aufgrund der von der Kommission in ihrem Beschluss in der Sache Servier festgestellten Zuwiderhandlungen im Zusammenhang mit der Verzögerung des Inverkehrbringens von Generika entstanden war. Diese Klagen auf Schadensersatz in Höhe von mehr als 200 Mio. GBP sind gegenwärtig noch vor Gerichten des Vereinigten Königreichs anhängig.
2.1.4.Überblick über die Maßnahmen zur Durchsetzung des Kartellrechts im Arzneimittelsektor
Im Zeitraum 2009-2017 erließen 13 nationale Wettbewerbsbehörden und die Kommission im Rahmen von kartellrechtlichen Untersuchungen zu Humanarzneimitteln insgesamt 29 Beschlüsse, mit denen Zuwiderhandlungen festgestellt oder Verpflichtungszusagen für rechtsverbindlich erklärt wurden. Die vollständige Liste der 29 Fälle kann auf der Website der GD Wettbewerb abgerufen werden.
Darüber hinaus führten die europäischen Wettbewerbsbehörden in mehr als 100 Fällen (in denen die Behörden am Ende nicht durch Beschluss interveniert haben) umfassende Untersuchungen im Zusammenhang mit wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch. Gegenwärtig werden mehr als 20 Fälle untersucht, die Arzneimittel zum Gegenstand haben. Zudem wurden in 17 Fällen, die medizinische Geräte betrafen, und in 23 Fällen im Zusammenhang mit anderen Bereichen des Gesundheitswesens Beschlüsse zur Feststellung einer Zuwiderhandlung bzw. zur Verbindlicherklärung von Verpflichtungszusagen erlassen.
Abbildung 1: Kartellrechtliche Untersuchungen europäischer Wettbewerbsbehörden im Arzneimittelsektor (2009-2017)
Interventionen und Sanktionen der Wettbewerbsbehörden
Von den 29 Interventionsfällen, die Arzneimittel zum Gegenstand hatten, wurden 24 mit einem Verbotsbeschluss abgeschlossen, in dem eine Zuwiderhandlung gegen das EU-Wettbewerbsrecht festgestellt wurde. In 21 Fällen (das entspricht 87 % aller Beschlüsse zur Feststellung einer Zuwiderhandlung) wurden im Berichtszeitraum Geldbußen in Höhe von insgesamt mehr als 1 Mrd. EUR verhängt (siehe Abbildung 2). In fünf Fällen konnte die Untersuchung ohne Feststellung einer Zuwiderhandlung oder die Verhängung einer Geldbuße abgeschlossen werden, weil die wettbewerbsrechtlichen Bedenken durch die Verpflichtungszusagen der von der Untersuchung betroffenen Unternehmen hinreichend ausgeräumt wurden. Diese Verpflichtungszusagen wurden mit einem Beschluss der Wettbewerbsbehörde für rechtsverbindlich erklärt.
Abbildung 2: Von den europäischen Wettbewerbsbehörden in Arzneimittelfällen verhängte Geldbußen in Höhe von insgesamt 1,07 Mrd. EUR (2009-2017)
Um Beweismittel zu erheben, wurden bei etwa 62 % der Untersuchungen, die mit einem Interventionsbeschluss abgeschlossen wurden, unangekündigte Nachprüfungen durchgeführt. In nahezu allen Fällen (90 %) ergingen Auskunftsverlangen. In 45 % der Fälle wurden Befragungen durchgeführt.
Die meisten (17) der mit einem Interventionsbeschluss abgeschlossenen Untersuchungen gingen auf Beschwerden zurück, während acht von Amts wegen und vier aus anderen Gründen (z. B. aufgrund von im Zuge einer Sektoruntersuchung ermittelten Indizien) eingeleitet wurden. Die Untersuchungen betrafen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Arzneimittelherstellern (11 Fälle), Großhändlern (5 Fälle) und Einzelhändlern (2 Fälle); mehrere Fälle hatten Verhaltensweisen zum Gegenstand, an denen sowohl Hersteller als auch Händler beteiligt waren. Die Untersuchungen bezogen sich auf ein breites Spektrum von Arzneimitteln, wie beispielsweise Krebspräparate für die Chemotherapie, Antidepressiva, starke Schmerzmittel, Arzneimittel gegen Herzinsuffizienz oder Impfstoffe.
Wie aus Abbildung 3 hervorgeht, betrafen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken, aufgrund derer Interventionsbeschlüsse ergingen, in den meisten Fällen die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung (45 % der Fälle), gefolgt von unterschiedlichen Formen wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen zwischen Unternehmen. Zu den Letzteren zählen a) wettbewerbsbeschränkende horizontale Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern, wie etwa „Pay-for-delay“-Vereinbarungen (31 %), b) echte Kartelle (wie Angebotsabsprachen [bid rigging]) und c) vertikale Vereinbarungen (beispielsweise Klauseln, die es Händlern untersagen, Produkte konkurrierender Hersteller zu bewerben oder zu verkaufen), auf die jeweils 17 % der Fälle entfielen.
Abbildung 3: Art der wettbewerbsrechtlichen Bedenken, aufgrund derer es zu einem Eingriff der europäischen Wettbewerbsbehörden gekommen ist
Durch die Durchführung von Untersuchungen fördern die Wettbewerbsbehörden die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften
Neben den Fällen, die mit einem Interventionsbeschluss abgeschlossen wurden, führten die europäischen Wettbewerbsbehörden in mehr als 100 Fällen umfangreiche Untersuchungen aufgrund wettbewerbsrechtlicher Bedenken durch, die aus unterschiedlichen Gründen (insbesondere weil das Vorprüfverfahren keine hinreichenden Beweise ergab) im Ergebnis eingestellt wurden. Zwar wurden in diesen Fällen keine Sanktionen verhängt und keine Verpflichtungszusagen entgegengenommen, jedoch fanden im Rahmen dieser Untersuchungen enge Kontakte zu unterschiedlichen Akteuren der Arzneimittelmärkte statt, die in vielen Fällen Klarstellungen bezüglich der Wettbewerbsvorschriften und ihrer Anwendung im Arzneimittelsektor ermöglichten. In etwa einem Drittel dieser Fälle betrafen die untersuchten wettbewerbsrechtlichen Sachverhalte mutmaßliche Kollusionen zwischen Unternehmen, ein weiteres Drittel bezog sich auf die mutmaßliche Verweigerung oder Beschränkung der Belieferung mit Arzneimitteln, während etwa 13 % mit mutmaßlichen Beschränkungen des Markteintritt von Generika oder Biosimilars und etwa 9 % mit mutmaßlichen Beschränkungen des Parallelhandels in Zusammenhang standen.
Gegenwärtig untersuchen die europäischen Wettbewerbsbehörden mehr als 20 Fälle im Arzneimittelsektor.
2.2.Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor
2.2.1.Was sind die EU-Fusionskontrollvorschriften?
Unter Pharmaunternehmen kommt es regelmäßig zu Fusionen und Übernahmen (im Folgenden „Zusammenschlüsse“). Einige dieser Zusammenschlüsse zielen darauf ab, Größenvorteile zu erzielen, die Forschung und Entwicklung auf neue therapeutische Bereiche auszuweiten, höhere Gewinnziele zu erreichen usw.
Eine Konsolidierung, die sich auf die Marktstruktur auswirkt, kann jedoch auch den Wettbewerb behindern. Beispielsweise ist es möglich, dass das zusammengeschlossene Unternehmen aufgrund seiner Marktmacht in der Lage ist, die Preise für seine Arzneimittel zu erhöhen oder die Entwicklung vielversprechender neuer Behandlungen aufzugeben. Die Fusionskontrolle durch die Kommission soll sicherstellen, dass eine Konsolidierung den wirksamen Wettbewerb im Arzneimittelsektor nicht erheblich beeinträchtigt.
Die Kommission hat die Aufgabe, Zusammenschlüsse zu prüfen, die von unionsweiter Bedeutung sind, d. h. bei denen der Gesamtumsatz der beteiligten Unternehmen die in der EU-Fusionskontrollverordnung festgelegten Schwellenwerte überschreitet. Werden diese Schwellenwerte nicht erreicht, kann ein Zusammenschluss in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen und von einer oder mehreren nationalen Wettbewerbsbehörden geprüft werden. Die Fusionskontrollverordnung sieht ein System für die Verweisung der Prüfung von Zusammenschlüssen von den nationalen Wettbewerbsbehörden an die Kommission und umgekehrt vor, um sicherzustellen, dass stets die am besten geeignete Behörde für die Prüfung eines Vorhabens zuständig ist. Dieser Bericht hat ausschließlich jene Fusionskontrollverfahren zum Gegenstand, bei denen die EU-Fusionskontrollvorschriften zur Anwendung kommen, d. h. Zusammenschlüsse, die von der Kommission untersucht wurden.
Der Rechtsrahmen für die Prüfung von Zusammenschlüssen durch die Kommission umfasst die EU-Fusionskontrollverordnung und die entsprechende Durchführungsverordnung. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Mitteilungen, Bekanntmachungen und Leitlinien, in denen dargelegt wird, wie die Kommission Zusammenschlüsse unter unterschiedlichen Bedingungen prüft.
Im Zuge der Prüfung eines Zusammenschlusses nimmt die Kommission eine vorausschauende Analyse der Frage vor, ob durch das Vorhaben der wirksame Wettbewerb in der EU – insbesondere durch die Begründung oder Stärkung einer beherrschenden Stellung – erheblich behindert würde. Bei ihrer Prüfung berücksichtigt die Kommission im Einzelnen, a) wie sich das zusammengeschlossene Unternehmen nach dem Zusammenschluss verhalten könnte („unilaterale Effekte“), b) ob für andere Unternehmen weiterhin Wettbewerbsanreize bestehen würden oder diese stattdessen ihre Geschäftsstrategie an die des zusammengeschlossenen Unternehmens anpassen würden („koordinierte Effekte“) und c) ob der Zugang zu Lieferanten oder Kunden verhindert werden könnte („vertikale und konglomerate Effekte“).
Eine Prüfung eines Zusammenschlusses wird eingeleitet, wenn die Kommission von den beteiligten Unternehmen über den beabsichtigten Zusammenschluss in Kenntnis gesetzt wird; dies geschieht häufig bereits im Vorfeld einer förmlichen Anmeldung. Der Zusammenschluss darf erst dann vollzogen werden, wenn die Kommission ihre Genehmigung erteilt hat.
2.2.2.Welche Möglichkeiten hat die Kommission im Falle eines problematischen Zusammenschlusses?
Wirft ein Vorhaben wettbewerbsrechtliche Bedenken auf, weil beispielsweise die Gefahr einer Erhöhung der Arzneimittelpreise oder einer Beeinträchtigung von Innovationen besteht, und schlagen die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen keine geeigneten Änderungen vor, kann die Kommission den Zusammenschluss verbieten.
Um dies zu vermeiden, können Unternehmen vorschlagen, das Zusammenschlussvorhaben abzuändern, um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen. Diese Änderungen werden gemeinhin als Abhilfemaßnahmen oder Verpflichtungszusagen bezeichnet. Wenn ihr die vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen zweckmäßig erscheinen, führt die Kommission einen sogenannten Markttest durch, indem sie insbesondere Wettbewerber und Kunden auffordert, sich dazu zu äußern, ob die Verpflichtungszusagen die wettbewerbsrechtlichen Bedenken wirksam ausräumen würden. Auf dieser Grundlage entscheidet die Kommission, ob sie die Genehmigung des Vorhabens an bestimmte Bedingungen und Auflagen knüpft; diese Abhilfemaßnahmen müssen je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls entweder vor oder nach dem Zusammenschluss der Unternehmen umgesetzt werden.
Nach Auffassung der Kommission sind in Fusionskontrollverfahren strukturelle Abhilfemaßnahmen, insbesondere Veräußerungen, das Mittel der Wahl, um wettbewerbsrechtliche Bedenken hinreichend auszuräumen. Dementsprechend betreffen die Abhilfemaßnahmen im Pharmasektor häufig die Veräußerung der Zulassung der fraglichen Moleküle in dem betreffenden Mitgliedstaat. In der Regel geht dies mit einem Transfer von geistigem Eigentum und Technologie im Zusammenhang mit Herstellungs- und Vertriebs-Know-how sowie mit befristeten Liefer- oder anderen Vereinbarungen und gegebenenfalls der Übertragung von Produktionsanlagen und Personal einher.
2.2.3.Die Fusionskontrolle der Kommission im Arzneimittelsektor in Zahlen
Im Zeitraum 2009-2017 prüfte die Kommission mehr als 80 Zusammenschlüsse im Arzneimittelsektor. Davon waren 19 aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch. Die ermittelten potenziellen wettbewerbsrechtlichen Bedenken betrafen in erster Linie die Gefahr, dass a) die Preise für bestimmte Arzneimittel in einem oder mehreren Mitgliedstaaten steigen, b) den Patienten und Gesundheitssystemen bestimmte Arzneimittel vorenthalten werden und c) Innovationen im Zusammenhang mit bestimmten auf europäischer oder sogar globaler Ebene entwickelten Behandlungsformen eingeschränkt werden. Die von der Kommission ermittelten Probleme erstreckten sich in der Regel auf eine geringe Anzahl von Arzneimitteln, die nur einen kleinen Teil des gesamten Portfolios der involvierten Unternehmen ausmachten.
Angesichts der von den beteiligten Unternehmen angebotenen Abhilfemaßnahmen konnte die Kommission alle Zusammenschlüsse, die solche spezifischen Bedenken aufgeworfen hatten, genehmigen, sodass die Transaktionen beim gleichzeitigem Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher in Europa vollzogen werden konnten.
Damit belief sich die Interventionsquote im Arzneimittelsektor auf etwa 22 %. Im Vergleich dazu lag die Interventionsquote in allen Sektoren in diesem Zeitraum bei 6 %.
2.3.Marktüberwachung und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens im Arzneimittelsektor und im Gesundheitswesen
Neben ihren unmittelbaren Durchsetzungsmaßnahmen – Beschlüsse und Untersuchungen zu (potenziellen) wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen im Pharmasektor und im Gesundheitswesen – unternahmen die Wettbewerbsbehörden im Zeitraum 2009-2017 auch mehr als 100 Maßnahmen zur Marktüberwachung und zur Förderung des Wettbewerbsgedankens (Advocacy). Zu den verschiedenen Überwachungstätigkeiten zählen Sektoruntersuchungen, Marktstudien und empirische Erhebungen zur Ermittlung von Hindernissen für das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbs in einem bestimmten Sektor. Advocacy-Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens sind ebenfalls ein wichtiger (wenn auch manchmal weniger sichtbarer) Teil der Arbeit der Wettbewerbsbehörden. Sie umfassen beratende Stellungnahmen, Ad-hoc-Empfehlungen und andere Maßnahmen, in deren Rahmen – unter anderem gegenüber gesetzgebenden Körperschaften und mit Regulierung betraute Einrichtungen – Konzepte und Lösungen empfohlen werden, die einen wirksamen und fairen Wettbewerb in einem bestimmten Sektor oder auf einem bestimmten Markt fördern. Im Arzneimittelsektor sind solche Initiativen angesichts der spezifischen Herausforderungen für den Wettbewerb in diesem Bereich von besonderer Bedeutung (siehe Kapitel 3).
Die Wettbewerbsbehörden können Untersuchungen zur Marktüberwachung durchführen, wenn beispielsweise „Preisstarrheiten oder andere Umstände vermuten [lassen], dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist“. Sektoruntersuchungen und andere Überwachungstätigkeiten bieten den Marktteilnehmern in der Regel auch Orientierungshilfen und können in der Folge zu kartellrechtlichen Durchsetzungsmaßnahmen führen. Einige nationale Wettbewerbsbehörden sind mit weiter reichenden Befugnissen ausgestattet, die es ihnen beispielsweise erlauben, Untersuchungen durchzuführen, auf deren Grundlage sie Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben oder anderen Regulierungsmaßnahmen erarbeiten können, wenn sich diese auf die Wettbewerbsbedingungen in einem bestimmten Sektor auswirken könnten.
Etwa ein Drittel der 30 durchgeführten Sektoruntersuchungen und Marktstudien hatte den Einzelhandelsvertrieb von Arzneimitteln und den Wettbewerb zwischen Apotheken zum Gegenstand. Ein weiteres Schwerpunktthema war der Großhandelsvertrieb von Arzneimitteln, einschließlich spezifischer Wettbewerbsfragen in Zusammenhang mit dem Parallelhandel oder der Preisgestaltung. Einen dritten Schwerpunkt der Überwachungstätigkeiten bildete die Marktdurchdringung von Generika. Diese stand etwa im Mittelpunkt der von der Kommission vorgenommenen Untersuchung im Arzneimittelsektor, deren Abschlussbericht im Jahr 2009 angenommen wurde, gefolgt von acht jährlichen Überwachungsberichten.
Mehr als 70 Advocacy-Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens betrafen vorwiegend Stellungnahmen zu Gesetzgebungsvorschlägen und Empfehlungen, die darauf abzielten, Wettbewerbsverfälschungen im Arzneimittelsektor und im Gesundheitswesen zu verhindern. Diese zur Förderung des Wettbewerbsgedankens vorgelegten Berichte hatten eine breite Themenpalette zum Gegenstand, darunter a) die Beseitigung von Hindernissen für den Markteintritt von innovativen Arzneimitteln, b) die Deregulierung von Apotheken und des Online-Handels mit Arzneimitteln, c) den verbesserten Zugang zu Gesundheitsdiensten sowie Wettbewerbsfragen im Zusammenhang mit Medizinprodukten und d) die Beseitigung von Hindernissen für den Wettbewerb zwischen Herstellern von Originalpräparaten und Biosimilars. Viele dieser Advocacy-Maßnahmen haben zur Schaffung oder Wiederherstellung geeigneter Bedingungen für einen wirksamen und fairen Wettbewerb sowie zu einem besseren Zugang der Patienten zu Arzneimitteln oder medizinischer Versorgung beigetragen.
Eine vollständige Aufstellung der von den europäischen Wettbewerbsbehörden im Zeitraum 2009-2017 durchgeführten Überwachungstätigkeiten und Maßnahmen zur Förderung des Wettbewerbsgedankens ist auf der Website der GD Wettbewerb verfügbar.
3.Besonderheiten des Arzneimittelsektors beeinflussen die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts
Damit die Wettbewerbspolitik und die diesbezüglichen Durchsetzungsmaßnahmen im Arzneimittelsektor Wirkung entfalten, müssen sie die Besonderheiten und die daraus resultierende Wettbewerbsdynamik dieses Sektors berücksichtigen. Zu diesen Besonderheiten zählen beispielsweise die eine Vielzahl von Interessenträgern umfassende spezifische Angebots- und Nachfragestruktur (Abschnitt 3.1) und der umfassende Rechts- und Regulierungsrahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten (Abschnitt 3.2).
3.1.Spezifische Angebots- und Nachfragestruktur auf den Arzneimittelmärkten
Bei der Analyse der Funktionsweise eines Marktes und der wettbewerbsrechtlichen Prüfung von Verhaltensweisen muss die betreffende Angebots- und Nachfragestruktur berücksichtigt werden. Auf den Arzneimittelmärkten ist eine Vielzahl von Interessenträgern vertreten, die unterschiedliche Interessen verfolgen. Die Nachfrageseite umfasst Verbraucher (Patienten), Verordner, Apotheken und Krankenkassen:
-Die Patienten sind die Endverbraucher der Arzneimittel. In der Regel bezahlen sie – wenn überhaupt – nur einen geringen Teil des Preises der ihnen verordneten Arzneimittel, während der verbleibende Teil vom Gesundheitssystem getragen wird.
-Die Verordner, in der Regel Ärzte, entscheiden darüber, welche verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Patient einnimmt. Zudem können sie Empfehlungen für rezeptfreie Arzneimittel aussprechen. Sie tragen jedoch nicht die Kosten der von ihnen verordneten Behandlungen.
-Apotheken können ebenfalls Einfluss auf die Nachfrage nach Arzneimitteln nehmen, wenn beispielsweise für Apotheker Anreize bestehen, die günstigste verfügbare Version eines bestimmten Arzneimittels (wie etwa eine generische Version oder ein Parallelimport-Arzneimittel) abzugeben. Zudem erfolgt die Beratung der Patienten über rezeptfreie Medikamente häufig in erster Linie durch Apotheker.
-Die privaten und öffentlichen Krankenversicherungssysteme werden von ihren Mitgliedern (und/oder vom Staat) finanziert und übernehmen die Behandlungskosten der Patienten. Das in einem Land gültige Erstattungssystem für Arzneimittel wirkt sich auf die Nachfrage und das Verhalten von Verordnern und Apothekern aus.
Auf der Angebotsseite stehen Hersteller mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen (Anbieter von Originalpräparaten, Anbieter von Generika oder, in zunehmendem Maße, von beiden Produktarten), Großhändler sowie unterschiedliche Arten von Apotheken (Online-Apotheken, Versandapotheken, herkömmliche stationäre Apotheken und Krankenhausapotheken):
-Die Originalpräparatehersteller sind in der Erforschung, Entwicklung, Herstellung, Vermarktung und Lieferung innovativer Arzneimittel tätig. In der Regel konkurrieren sie „um den Markt“, indem sie versuchen, neue Arzneimittel als Erste zu entdecken, zu patentieren und in Verkehr zu bringen; unter Umständen konkurrieren sie aber auch „auf dem Markt“, wenn unterschiedliche Arzneimittel für ähnliche Indikationen relativ austauschbar sind.
-Die Hersteller von Generika bieten nicht-innovative, generische Versionen des Originalpräparats an, nachdem die Originalpräparatehersteller ihre Exklusivrechte verloren haben, wobei sie in der Regel deutlich niedrigere Preise verlangen. Generika haben dieselbe qualitative und quantitative Zusammensetzung an Wirkstoffen und dieselbe Darreichungsform (z. B. Tabletten, injizierbare Präparate) wie die bereits zugelassenen entsprechenden Originalpräparate (im Folgenden „Referenzarzneimittel“), wobei ihre Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel in Studien nachgewiesen werden muss. Generika werden in der Regel zur Behandlung derselben Erkrankung eingesetzt wie das Referenzarzneimittel. Die Hersteller von Generika konkurrieren also mit den Originalpräparateherstellern (und den Herstellern anderer, bereits in Verkehr gebrachter Generika) um Marktanteile.
-Einige Hersteller bieten sowohl Originalpräparate als auch Generika an. Diese Unternehmen entwickeln für die einzelnen Produktarten unterschiedliche Geschäftsstrategien.
-Großhändler organisieren den Vertrieb von Arzneimitteln, indem sie diese bei den Herstellern erwerben und an Apotheken und Krankenhäuser verkaufen.
-Die unterschiedlichen Apotheken nehmen zwei Funktionen wahr: Sie beraten die Patienten und geben die benötigten Arzneimittel an sie ab.
Die Mitgliedstaaten schließlich spielen in diesem stark regulierten Sektor ebenfalls eine wichtige Rolle, da unterschiedliche Behörden und Einrichtungen die Bewerbung, Preisgestaltung, Beschaffung und Kostenerstattung von Arzneimitteln regeln. Beim Erlass von Vorschriften verfolgen die Regierungen mehrere Zielsetzungen, wie beispielsweise a) die Gewährleistung einer hohen Qualität, Sicherheit, Wirksamkeit und Effizienz der Arzneimittel, b) die Sicherstellung der Erschwinglichkeit von Arzneimitteln für alle Bürger durch die Aushandlung von Preisen und die Schaffung von Krankenversicherungssystemen, c) die Förderung von Innovationen und medizinischer Forschung usw.
Wie aus Abbildung 4 hervorgeht, wird somit die Nachfrageseite der Arzneimittelmärkte nicht von einem einzelnen Marktteilnehmer bestimmt, sondern ist durch eine Vielzahl von Akteuren geprägt, die nicht zwangsläufig dieselben Interessen verfolgen: Patienten mit ihren medizinischen Bedürfnissen, Ärzte, die für eine wirksame Behandlung der Patienten, nicht aber für die Kosten verantwortlich sind, sowie Kostenerstattungsstellen und Versicherer, welche zum Wohle aller Patienten die Nachhaltigkeit der Arzneimittelausgaben gewährleisten müssen.
Abbildung 4: Angebot und Nachfrage auf den Arzneimittelmärkten
3.2.Der Rechts- und Regulierungsrahmen bestimmt die Wettbewerbsdynamik
Für den Wettbewerb auf den Arzneimittelmärkten spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle, darunter die FuE-Tätigkeit, die Zulassungsanforderungen, der Zugang zu Kapital, Rechte des geistigen Eigentums, Preisregulierung, Verkaufsförderung, wirtschaftliche Risiken usw. Ein gründliches Verständnis dieser Faktoren ist in der Regel notwendig, um festzustellen, ob ein bestimmtes Verhalten oder eine konkrete Transaktion wettbewerbswidrig ist. Zudem ist es von entscheidender Bedeutung, um zu verstehen, was den relevanten Markt – ein Schlüsselbegriff der wettbewerbsrechtlichen Prüfung – ausmacht.
Kasten 3: Definition der relevanten Arzneimittelmärkte
Die Definition des relevanten Marktes dient dazu, die Quellen des Wettbewerbsdrucks zu ermitteln, dem die von der Untersuchung betroffenen Parteien ausgesetzt sind. Der relevante Markt umfasst sowohl den sachlich relevanten Markt (d. h. die Produkte, die einen signifikanten Wettbewerbsdruck auf das untersuchte Produkt erzeugen) als auch den räumlich relevanten Markt (ein hinreichend homogenes Gebiet, von dem ein signifikanter Wettbewerbsdruck ausgeht). Um zu verstehen, welche Arzneimittel ein bestimmter Markt umfasst, müssen die Behörden sowohl die Austauschbarkeit aus Nachfragersicht (z. B. ob Verordner und Patienten bereit wären, zu einem anderen Produkt zu wechseln) als auch die Angebotssubstituierbarkeit (d. h. die Frage, ob es Anbieter gibt, die ebenfalls mit der Herstellung eines bestimmten Arzneimittels beginnen könnten) beurteilen.
Die Marktdefinition, d. h. die Ermittlung der Quellen, die Wettbewerbsdruck erzeugen, unterstützt die Wettbewerbsbehörden bei der Beurteilung der Fragen, ob das von der Untersuchung betroffene Unternehmen Marktmacht oder sogar eine marktbeherrschende Stellung innehat und ob das untersuchte Verhalten geeignet ist, den Wettbewerb zu behindern, oder voraussichtlich eher durch das Angebot der übrigen Wettbewerber ausgeglichen wird.
Im Hinblick auf den sachlich relevanten Markt stellt die Feststellung, welche anderen Erzeugnisse therapeutisch austauschbar sind, einen notwendigen ersten Schritt bei der Ermittlung der relevanten konkurrierenden Arzneimittel dar. Entscheidend ist jedoch, ob die relevanten Arzneimittel auch aus wirtschaftlicher Sicht wirksam substituiert werden können. Nur Arzneimittel, die tatsächlich geeignet sind, das untersuchte Produkt aufgrund veränderter Marktbedingungen zu ersetzen, können als demselben Produktmarkt zugehörig betrachtet werden. Zielt beispielsweise die Positionierung eines Arzneimittels (Preis, Qualität, Innovationstätigkeit, Absatzförderung) darauf ab, Verschreibungen eines anderen Arzneimittels mit einem anderen Molekül zu verhindern, legt dies den Schluss nahe, dass die auf zwei unterschiedlichen Molekülen basierenden Erzeugnisse demselben Markt angehören. Droht jedoch der größte Wettbewerbsdruck von generischen Versionen, die dasselbe Molekül beinhalten, und ist der von Arzneimitteln mit anderen Molekülen ausgehende Druck deutlich schwächer, kann dies darauf hindeuten, dass der Markt kleiner und auf das untersuchte Molekül beschränkt ist. Der auf ein Arzneimittel ausgeübte Wettbewerbsdruck kann sich im Laufe der Zeit ändern und ist nicht ausschließlich von der Verfügbarkeit substituierbarer Arzneimittel abhängig, sondern kann auch von den Preis- und Erstattungsregelungen beeinflusst werden.
3.2.1.Produktlebenszyklus und regulierungsbedingter stetiger Wandel des Wettbewerbs
Der Schwerpunkt der wettbewerbsrechtlichen Prüfung, sei es bei der Fusionskontrolle oder in kartellrechtlichen Untersuchungen, richtet sich nach der jeweiligen Phase des Lebenszyklus des Arzneimittels. Dieser Lebenszyklus ist relativ lang und umfasst die in Abbildung 5 dargestellten drei Phasen.
Abbildung 5: Produktlebenszyklus von Arzneimitteln
Der Lebenszyklus eines neuen Arzneimittels beginnt mit einer neuen chemischen Verbindung, die in der Regel im Rahmen der häufig mit öffentlichen Mitteln unterstützten Grundlagenforschung der Originalpräparatehersteller oder unabhängiger Forschungseinrichtungen (Universitäten, spezialisierte Laboratorien) entdeckt wird. Anschließend untersuchen Originalpräparatehersteller, ob ein pharmazeutisches Erzeugnis, das die betreffende chemische Verbindung enthält, sicher und wirksam wäre. In der Entwicklungsphase werden die Arzneimittelkandidaten zunächst in Laborversuchen (unter anderem auch an Tieren) getestet; auf diese sogenannte präklinische Phase folgen die klinischen Versuche (an Menschen), die wiederum drei Phasen umfassen.
Wurde die Wirksamkeit und Sicherheit eines neuen Arzneimittels in Studien nachgewiesen, beantragt das Unternehmen bei der Regulierungsbehörde eine Zulassung. Dieser Antrag kann entweder bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) oder bei einer nationalen Behörde gestellt werden.
Die Entwicklungszyklen innovativer Arzneimittel sind in der Regel risikobehaftet, langwierig und mit hohen Entwicklungskosten verbunden. Darüber hinaus kommen nur die allerwenigsten Molekülkandidaten über die Entwicklungsphase hinaus und gelangen letztlich auf den Markt.
Bereits vor dem Markteintritt – d. h. während der präklinischen Phase und der klinischen Phase – kann von der Entwicklung neuer Arzneimittel ein Wettbewerbsdruck auf vorhandene Arzneimittel sowie auf andere in Entwicklung befindliche Arzneimittel ausgehen. Sobald neue Arzneimittel auf dem Markt sind, bemühen sich die Hersteller um ihre Verschreibung, indem sie entweder die Nachfrage von anderen Arzneimitteln umlenken oder die Nachfrage am Markt erhöhen. In dieser Phase geht der Wettbewerbsdruck in erster Linie von ähnlichen Arzneimitteln aus. Kurz bevor das Originalpräparat seine Marktexklusivität verliert (weil beispielsweise sein Patentschutz ausläuft), beginnt sich ein Wettbewerbsdruck durch generische Versionen desselben Arzneimittels aufzubauen. Nach dem Markteintritt des Generikums verzeichnet der Originalpräparatehersteller in der Regel erhebliche Absatzeinbußen, und die durchschnittlichen Marktpreise sinken drastisch.
Entwicklung neuer Arzneimittel – Innovationswettbewerb
In der EU und weltweit ist die Pharmabranche einer der FuE-intensivsten Wirtschaftszweige. Die wichtigsten Triebkräfte für Innovationen sind die Nachfrage nach neuen, wirksameren und/oder sichereren Behandlungen für die Patienten, die Lebenszyklen der Arzneimittel und der drohende Wettbewerb, insbesondere der nach dem Verlust der Marktexklusivität von Generika ausgehende Wettbewerbsdruck. Wenn die Patienten sukzessive auf neuere, alternative Behandlungen oder günstigere generische Versionen umgestellt werden, können die Originalpräparatehersteller nicht unbegrenzt Gewinne aus ehemals innovativen Erzeugnissen erzielen, sondern müssen in neue innovative Produkte investieren, um nicht durch Innovationen ihrer Wettbewerber überrundet zu werden. Die kontinuierliche Investition in Forschung und Entwicklung, für die der Wettbewerb einen erheblichen Anreiz bietet, führt somit zur Entdeckung neuer oder verbesserter Arzneimittel zum Wohle der Patienten und der Gesellschaft insgesamt.
Zeitliche Begrenzung der Marktexklusivität neuer Arzneimittel
Angesichts der hohen Entwicklungskosten und der Tatsache, dass es nach der Entwicklung eines neuen Arzneimittels für Wettbewerber relativ einfach ist, dieses zu kopieren, gewähren die Rechtsvorschriften den Originalpräparateherstellern verschiedene Exklusivitätsrechte, die ihnen Anreize bieten sollen, in neue FuE-Projekte zu investieren. Allen diesen Exklusivitätsrechten ist jedoch gemeinsam, dass sie zeitlich begrenzt sind und es somit nach ihrem Auslaufen möglich ist, Generika auf den Markt zu bringen.
Der Wirkstoff eines Originalpräparates kann patentiert werden; diese Patente werden häufig als „Wirkstoff-“ oder „Primärpatente“ bezeichnet. Wurde ein solches Patentrecht erworben, darf kein Wettbewerber ein Arzneimittel verkaufen, das den patentierten Wirkstoff enthält. Der Patentschutz kann durch ergänzende Schutzzertifikate (SPC) verlängert werden; diese Zertifikate wurden eingeführt, um dem Hersteller einen Ausgleich für den Zeitraum zu bieten, um den die Laufzeit seines Exklusivitätsrechts aufgrund der langwierigen Zulassungsverfahren für das patentierte Arzneimittel verkürzt wurde. Daneben gibt es weitere Schutzinstrumente, die Exklusivitätsrechte gewähren (siehe Kasten 4).
Auch wenn Arzneimittel bereits auf dem Markt sind, nehmen die Hersteller in aller Regel weiterhin Verbesserungen an den Herstellungsverfahren, Darreichungsformen und/oder Zusammensetzungen (unterschiedliche Salze, Ester, Kristallstrukturen usw.) vor. Diese Verbesserungen können das Ergebnis patentierbarer Innovationen sein. Solche Patente werden häufig als „Sekundärpatente“ bezeichnet und erschweren unter Umständen den zügigen Markteintritt von Generika, auch wenn der Patentschutz für den grundlegenden Wirkstoff bereits ausgelaufen ist und dieser für die Herstellung von Generika verwendet werden darf.
Kasten 4: Patente und andere Exklusivitätsrechte bieten für einen bestimmten Zeitraum Schutz vor Generika
Patente gewähren dem Hersteller des ursprünglichen Arzneimittels (Originalpräparatehersteller) ein Exklusivrecht auf die kommerzielle Nutzung der Erfindung für einen Zeitraum von 20 Jahren ab der Patentanmeldung. In der Regel beantragt der Hersteller das Patent bereits in einer sehr frühen Phase des Entwicklungsprozesses, um zu verhindern, dass andere Forscher ein Patent für dieselbe Erfindung anmelden oder diese veröffentlichen. Das bedeutet, dass der 20-jährige Patentschutz bereits lange vor dem Inverkehrbringen des Arzneimittels beginnt. Ergänzende Schutzzertifikate können die Laufzeit des Patentschutzes um bis zu fünf Jahre verlängern.
Für Originalpräparate gelten zudem weitere Exklusivitätsrechte, insbesondere Markt- und Datenexklusivität. Der Originalpräparatehersteller genießt für einen Zeitraum von acht Jahren das ausschließliche Recht an den Daten aus den präklinischen und klinischen Studien, die für den Erhalt der Zulassung vorgelegt wurden. Während der Laufzeit der Datenexklusivität dürfen andere Unternehmen – in der Regel die Hersteller von Generika – für das betreffende Arzneimittel keine Zulassung im Wege eines verkürzten Zulassungsverfahrens beantragen, das teilweise auf den für das Originalpräparat vorgelegten Daten beruht.
Marktexklusivität bedeutet, dass Generika frühestens zehn Jahre ab dem Tag der Zulassung des Originalpräparats in Verkehr gebracht werden und mit diesem konkurrieren dürfen. Bei Orphan-Arzneimitteln (d. h. Arzneimitteln für seltene Leiden) erstreckt sich das zehnjährige Marktexklusivitätsrecht auch auf das Inverkehrbringen ähnlicher Arzneimittel zur Behandlung derselben Erkrankung (d. h. sowohl auf Generika als auch auf Originalpräparate). Werden Arzneimittel für Erwachsene an die medizinischen Bedürfnisse von Kindern angepasst, kann hierfür ebenfalls eine Verlängerung der Exklusivitätsfrist gewährt werden (ergänzende Schutzzertifikate, Daten- oder Marktexklusivität).
Verlust des Schutzes und Wettbewerb durch Generika
Die zeitliche Begrenzung aller Schutzinstrumente ist von grundlegender Bedeutung für einen dynamischen Wettbewerb, da sie einen Ausgleich zwischen den mit der Marktexklusivität verbundenen Anreizen für Innovationen und dem anschließend drohenden Wettbewerb durch Generika aufgrund des verbesserten Zugangs zu günstigeren Arzneimitteln nach dem Auslaufen der Exklusivitätsrechte schafft. Von Generika kann ein vollkommen anderer und wesentlich stärkerer Wettbewerbsdruck ausgehen als von anderen Originalpräparaten. Im Gegensatz zu auf anderen Molekülen basierenden Arzneimitteln enthalten Generika denselben Wirkstoff, werden in denselben Dosierungen vermarktet und zur Behandlung derselben Indikationen eingesetzt wie das Originalpräparat. Dies bedeutet, dass im Falle von Generika der Wettbewerb zwischen homogenen Produkten stattfindet. In den meisten Mitgliedstaaten gibt es Regulierungsmechanismen, um die Verschreibung und/oder Abgabe von Generika statt des teureren Originalpräparats zu fördern.
Wird ein Generikum in Verkehr gebracht, führen diese Mechanismen zu einem stärkeren Preiswettbewerb durch das Generikum und zu bedeutenden Verschiebungen der Verkaufsmengen vom Originalpräparat zum Generikum, wodurch möglicherweise die gesamte Patientennachfrage nach dem Originalpräparat gefährdet wird. Der Markteintritt günstigerer Generika bewirkt daher in der Regel nicht nur einen drastischen Rückgang der Umsätze des Originalpräparateherstellers, sondern auch der durchschnittlichen Preise, und ist somit eine zentrale Triebfeder für Kosteneinsparungen in den Gesundheitssystemen und einen verbesserten Zugang der Patienten zu Arzneimitteln.
Der Wettbewerb zwischen biologischen Arzneimitteln und Biosimilars folgt zwar einer ähnlichen Dynamik wie der zwischen Originalpräparaten und Generika, jedoch weisen biologische Arzneimittel einige abweichende Merkmale auf.
Kasten 5: Biologische Arzneimittel und Biosimilars
Biologische Arzneimittel beinhalten Wirkstoffe, die aus einer biologischen Quelle, wie etwa lebenden Zellen oder Organismen (menschliche oder tierische Zellen sowie Mikroorganismen wie Bakterien oder Hefe) gewonnen werden. Für ihre Herstellung werden häufig mordernste Technologien eingesetzt. Biologische Arzneimittel sind in der Regel deutlich schwieriger herzustellen als chemisch synthetisierte Arzneimittel.
Der größte Teil der derzeit für die klinische Anwendung zugelassenen biologischen Arzneimittel beinhaltet aus Proteinen gewonnene Wirkstoffe. Diese unterscheiden sich in ihrer Größe und strukturellen Komplexität und reichen von einfachen Proteinen wie Insulin oder Wachstumshormonen bis hin zu komplexeren Proteinen wie Gerinnungsfaktoren oder monoklonalen Antikörpern. Biologische Arzneimittel bieten Behandlungsmöglichkeiten für Patienten mit chronischen und häufig einschränkenden Erkrankungen wie Diabetes, Autoimmunerkrankungen und Krebs.
Ein Biosimilar ist ein biologisches Arzneimittel, das einem anderen, bereits zugelassenen biologischen Arzneimittel (dem Referenzarzneimittel) sehr ähnlich ist (bioäquivalent). Anders als die Moleküle klassischer Arzneimittel, die kleiner sind und chemisch synthetisiert werden, werden die wesentlich komplexeren Biosimilars unter Bedingungen, die keine vollständige Replikation des Referenzprodukts erlauben (z. B. weil unterschiedliche Zellkulturen verwendet werden oder das Prozess-Know-how geheim ist), aus biologischen Quellen extrahiert oder synthetisiert. Biosimilars sind daher keine exakten Kopien der Referenzarzneimittel und erfüllen nicht die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Generika.
Biologische Arzneimittel zählen zu den teuersten Behandlungsformen, und ihr Einsatz nimmt stetig zu. Da der Patentschutz für einige wichtige biologische Arzneimittel demnächst ausläuft, dürfte somit der zunehmende Einsatz von Biosimilars Kosteneinsparungen der nationalen Gesundheitssysteme nach sich ziehen. Aus verschiedenen Gründen – wie beispielsweise dem im Vergleich zu Generika geringeren Substitutionsgrad – sind diese Kosteneinsparungen jedoch offenbar mittels der herkömmlichen Wettbewerbsmechanismen schwerer zu erzielen.
Aufgrund der inhärenten Unterschiede zwischen allen biologischen Arzneimitteln besteht zwischen verschiedenen Biosimilars desselben Moleküls zudem Spielraum für Differenzierungsstrategien und Wettbewerb auf anderer Ebene als dem Preis. Die Komplexität der biologischen Arzneimittel hat darüber hinaus zur Folge, dass für den Markteintritt von Biosimilars größere Hindernisse bestehen als bei klassischen Generika.
Der Markteintritt von Generika und Biosimilars führt nicht nur zu einem verstärkten Preiswettbewerb, sondern bietet auch Anreize für Innovationen. Zum einen kann das hinter einer Innovation stehende Wissen (das in Patentanmeldungen und den Marktzulassungsunterlagen offengelegt wird) nach dem Auslaufen des Schutzes von anderen Originalpräparateherstellern frei genutzt werden, um darauf aufbauend ähnliche oder vollkommen andere neue Erzeugnisse zu entwickeln. Zum anderen führt der Markteintritt kostengünstigerer Generika oder Biosimilars dazu, dass die Originalpräparatehersteller nicht länger aufgrund ihrer Marktexklusivität hohe Einnahmen erzielen, und stellt somit für diese einen Anreiz dar, weitere FuE-Investitionen in sich in der Entwicklung befindliche Produkte zu tätigen, um künftige Einnahmequellen zu erschließen. Der von Generika/Biosimilars ausgehende Wettbewerbsdruck führt somit nicht nur zu niedrigeren Preisen für ältere Arzneimittel, sondern hat auch einen disziplinierenden Einfluss auf die Innovationstätigkeit der Originalpräparatehersteller.
Gelegentlich versuchen Unternehmen, das Regulierungssystem zu missbrauchen, das ihnen Patentschutz oder Exklusivitätsrechte gewährt, um den Schutzzeitraum zu verlängern. Ergänzend zu der gerichtlichen und behördlichen Kontrolle sind die Wettbewerbsbehörden gehalten zu gewährleisten, dass die Innovationsanreize nicht verzerrt werden und die Gesundheitssysteme nicht schlechter gestellt sind, weil Unternehmen ihre exklusive Marktposition unrechtmäßig verlängern. Transparenz in Bezug auf Patente und andere Exklusivitätsrechte zum Schutz eines Arzneimittels kann eine wichtige Rolle dabei spielen, den rentablen und wettbewerbsfördernden Markteintritt von Generika oder Biosimilars zu erleichtern.
Die Kommission führt gegenwärtig eine Evaluierung der Anreizsysteme für Arzneimittel in der EU durch und hat in diesem Zusammenhang auch eine externe Studie in Auftrag gegeben, in deren Rahmen die Auswirkungen der im Pharmasektor vorhandenen Anreize auf die Innovationstätigkeit sowie die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Arzneimitteln untersucht wurden; diese Studie wurde mittlerweile abgeschlossen und veröffentlicht. Dies ist unter anderem eine Reaktion auf die bereits erwähnten Schlussfolgerungen des Rates. Im Rahmen der Evaluierung soll beurteilt werden, ob die vorhandenen Systeme ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Anreizen für Originalpräparatehersteller, dem Interesse an weiteren FuE-Investitionen und der Bedeutung einer verbesserten Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von Arzneimitteln herstellen.
3.2.2.Preis- und Erstattungsregeln haben großen Einfluss auf den Wettbewerb zwischen Arzneimitteln
In den meisten Mitgliedstaaten müssen die Hersteller Preis- und Erstattungsverfahren durchlaufen, bevor sie verschreibungspflichtige Arzneimittel auf den Markt bringen können. Die Preis- und Erstattungspolitik sowie die diesbezügliche Regelungen liegen nach wie vor in der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Regulierung, die Vergabe öffentlicher Aufträge und die damit verbundenen Verhandlungen wirken sich auf den Preis eines Arzneimittels aus. Dies gilt sowohl für Originalpräparate als auch für Generika.
Die Mitgliedstaaten haben unterschiedliche Preisfindungsmechanismen eingeführt, die in der Regel auf Verhandlungen zwischen Gesundheitseinrichtungen der Mitgliedstaaten und Herstellern beruhen. Bei diesen Verhandlungen können a) Angaben zum Preis eines Arzneimittels in anderen Mitgliedstaaten, b) der im Rahmen einer Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA) ermittelte Zusatznutzen eines Arzneimittels oder c) eine Kombination aus den beiden vorgenannten Faktoren berücksichtigt werden. Selbst wenn die Arzneimittelpreise selbst keinen spezifischen Mechanismen unterliegen, werden die Kosten für ein bestimmtes Arzneimittel in der Regel nur bis zu einem bestimmten (verhandelten) Betrag erstattet.
Um das Potenzial für Kosteneinsparungen auszuschöpfen, ergreifen die meisten Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Förderung des Preiswettbewerbs zwischen gleichwertigen Arzneimitteln. So kann beispielsweise die Abgabe von günstigeren Generika oder Biosimilars durch Regelungen gefördert werden, denen zufolge Ärzte generische Verschreibungen ausstellen müssen (d. h. es wird ein bestimmtes Molekül verschrieben, nicht aber eine bestimmte Marke) und/oder die es Apothekern gestatten, die jeweils günstigste (generische) Version eines Arzneimittels abzugeben. Auf Märkten, auf denen Generika angeboten werden, können Krankenkassen unter Umständen auch Ausschreibungen organisieren, um den günstigsten Anbieter eines bestimmten Arzneimittels auszuwählen.
Der Gesetzgeber oder die Regulierungsbehörde kann auch den Preiswettbewerb zwischen therapeutisch substituierbaren Arzneimitteln fördern, indem beispielsweise lediglich die Kosten für das günstigste Produkt einer therapeutischen Klasse (d. h. der Arzneimittel, die unterschiedliche Wirkstoffe haben, aber zur Behandlung derselben Erkrankungen eingesetzt werden) erstattet werden, und so eine höhere wirtschaftliche Substitution in Gang setzen. Solche regulatorischen Maßnahmen können unter Umständen tiefgreifende Veränderungen in Art und Intensität des Wettbewerbs bei alternativen Arzneimitteln auslösen, da die Anbieter nicht länger vor Preiswettbewerb geschützt sind.
4.Wettbewerb fördert den Zugang zu erschwinglichen Arzneimitteln
Kartellrechtliche Maßnahmen, die einen Beitrag zu den andauernden Bemühungen leisten, um erschwingliche Arzneimittel für die europäischen Patienten und Gesundheitssysteme bereitzustellen, umfassen insbesondere Maßnahmen gegen Verhaltensweisen, die den Markteintritt von Generika und den daraus resultierenden Preiswettbewerb verhindern oder verzögern (Abschnitt 4.1), sowie Maßnahmen gegen Preishöhenmissbrauch von Arzneimitteln, die aus einer missbräuchlichen Ausnutzung einer beherrschenden Stellung durch ein Pharmaunternehmen resultieren („unangemessene“ Preise) (Abschnitt 4.2). Darüber hinaus gehen die europäischen Wettbewerbsbehörden gegen eine Reihe weiterer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vor (z. B. Angebotsabsprachen (bid rigging) bei Ausschreibungen von Krankenhäusern, Marktaufteilungsvereinbarungen zwischen Apotheken, Beschränkungen des Parallelhandels usw.), die unmittelbar oder mittelbar höhere Arzneimittelpreise nach sich ziehen (Abschnitt 4.3). Ein weiterer Schwerpunkt der Fusionskontrolle der Kommission im Arzneimittelsektor liegt schließlich auf der Förderung und dem Schutz des Markteintritts von Generika und Biosimilars, in erster Linie durch Abhilfemaßnahmen (Abschnitt 4.4).
4.1.Die Durchsetzung des Kartellrechts unterstützt den reibungslosen Markteintritt günstigerer Generika
Ein wirksamer Wettbewerb durch Generika ist in aller Regel eine der wichtigsten, wenn nicht gar die wichtigste Quelle des Preiswettbewerbs auf den Arzneimittelmärkten und bewirkt einen deutlichen Rückgang der Preise. So wurde beispielsweise in einer kürzlich für die Kommission durchgeführten Studie festgestellt, dass die Preise von Originalpräparaten nach dem Markteintritt ihrer Generika durchschnittlich um 40 % sinken. Darüber hinaus wurde aufgezeigt, dass Generika mit einem Preis in den Markt eintreten, der im Durchschnitt um 50 % unter dem Einführungspreis des entsprechenden Originalpräparats liegt.
Beispiele aus der Durchsetzungspraxis der Kommission belegen, dass die Preissenkungen bei Blockbuster-Arzneimitteln sogar noch drastischer ausfallen können. So stellte die Kommission beispielsweise in der Sache Lundbeck fest, dass die Preise für generisches Citalopram im Vereinigten Königreich innerhalb der ersten 13 Monate nach dem breiten Markteintritt der Generika im Durchschnitt um 90 % gegenüber dem vorherigen Preisniveau von Lundbeck gefallen waren.
Die Verfügbarkeit günstigerer Generika führt unmittelbar zu erheblichen Kosteneinsparungen bei den Patienten und den nationalen Gesundheitssystemen.
Der Markteintritt von Generika ist somit einerseits mit Vorteilen für die Patienten und die nationalen Gesundheitssysteme verbunden, während es andererseits die Gewinne der Originalpräparatehersteller aus den nicht länger durch Patente geschützten Produkten erheblich schmälert. Um die Auswirkungen des Markteintritts von Generika abzuschwächen, entwickeln und verfolgen Originalpräparatehersteller häufig eine Vielzahl von Strategien, um die wirtschaftliche Lebensdauer ihrer Originalpräparate zu verlängern (z. B. Patentanmeldungsstrategien, Patentstreitigkeiten und Widersprüche, Vereinbarungen zur Streitbeilegung, Interventionen bei den zuständigen Behörden und Lebenszyklusstrategien für Folgeprodukte). Diese Verhaltensweisen sind zwar an sich nicht rechtswidrig, sie werden aber dennoch in bestimmten Fällen von den Wettbewerbsbehörden geprüft.
4.1.1.„Pay-for-delay“-Vereinbarungen
„Pay-for-delay“-Vereinbarungen umfassen eine Vielzahl von Vereinbarungen zwischen den Herstellern von Originalpräparaten und Generika, wobei sich der Generikahersteller zu einer Einschränkung oder Verzögerung seines unabhängigen Markteintritts verpflichtet und im Gegenzug vom Originalpräparatehersteller Vorteile zugesichert bekommt. Mit anderen Worten bezahlt der Originalpräparatehersteller seinen Wettbewerber, den Generikahersteller, dafür, sich für einen kürzeren oder längeren Zeitraum vom Markt fernzuhalten.
Eine „Pay-for-delay“-Vereinbarung kann sowohl für den Originalpräparatehersteller, der aufgrund der verlängerten Marktexklusivität zusätzliche Gewinne erzielt, als auch für den Generikahersteller von Vorteil sein, der vom Hersteller des Originalpräparats einen unverhofften Gewinn erhält. Ist der vom Originalpräparatehersteller an den Generikahersteller weitergegebene Gewinn deutlich geringer als der Verlust, der dem Originalpräparatehersteller im Falle eines unabhängigen Markteintritts des Generikums entstanden wäre, kann er es sich leisten, ein oder mehrere Generikahersteller auszuzahlen, um ihren Markteintritt zu verhindern. Auch für den Generikahersteller kann eine „Pay-for-delay“-Vereinbarung attraktiv sein, da er erhebliche Einnahmen erzielen kann, ohne überhaupt in den Markt eintreten zu müssen, indem er einen Teil der Gewinne abschöpft, die dem Originalpräparatehersteller aus der Exklusivität entstehen.
Diese beiden Akteure (der Originalpräparatehersteller und der Generikahersteller als potenzieller neuer Marktteilnehmer) profitieren auf Kosten der Gesundheitssysteme und der Steuerzahler. Patienten und Gesundheitssystemen entstehen Nachteile aus „Pay-for-delay“-Vereinbarungen, da ihnen die Einsparungen entgehen, die mit einem zügigen und unabhängigen Markteintritts des Generikums verbunden wären, und sie stattdessen einen zusätzlichen Gewinn der Originalpräparate- und Generikahersteller finanzieren. Angesichts des Ausmaßes der mit dem Markteintritt von Generika einhergehenden Preissenkungen können selbst kurze Verzögerungen erheblich nachteilige Auswirkungen auf den Wettbewerb haben.
Da „Pay-for-delay“-Vereinbarungen Absprachen zwischen Wettbewerbern beinhalten, fallen sie unter Artikel 101 AEUV (und die entsprechenden Bestimmungen der einzelstaatlichen Wettbewerbsvorschriften). Der wettbewerbswidrige Charakter von „Pay-for-Delay“-Vereinbarungen ist nicht davon abhängig, in welcher Form sie abgeschlossen werden. Häufig werden solche Vereinbarungen im Zusammenhang mit Patentstreitigkeiten zwischen Originalpräparate- und Generikaherstellern abgeschlossen. Sie können aber auch in Form jeder anderen Geschäftsvereinbarung abgeschlossen werden. So vereinbarten beispielsweise in der Sache Fentanyl die Unternehmen Johnson & Johnson und Novartis (über ihre niederländischen Tochtergesellschaften), den Markteintritts des generischen Schmerzmittels Fentanyl – gegen Bezahlung – zu verzögern, indem sie eine Vereinbarung über die gemeinsame Verkaufsförderung schlossen.
Kasten 6: Die Sache Fentanyl
Fentanyl ist ein starkes Schmerzmittel, das speziell bei Krebspatienten eingesetzt wird; es wurde von Johnson & Johnson entwickelt und wird in unterschiedlichen Formen, darunter auch als Pflaster, vermarktet. Als im Jahr 2005 der in den Niederlanden für das Fentanyl-Pflaster von Johnson & Johnson geltende Patentschutz auslief, stand die Novartis-Tochter Sandoz kurz vor der Markteinführung ihres generischen Fentanyl-Pflasters.
Statt jedoch sein Generikum auf den Markt zu bringen, schloss Sandoz im Juli 2005 eine „Vereinbarung über die gemeinsame Verkaufsförderung“ mit einer Tochtergesellschaft von Johnson & Johnson. Die Vereinbarung sah vor, dass Sandoz gegen monatliche Zahlungen, die höher waren als die Gewinne, die sich Sandoz vom Verkauf seines generischen Produkts versprach, auf einen Eintritt in den niederländischen Markt verzichten sollte. Die Vereinbarung wurde im Dezember 2006 beendet, als andere Generika auf den Markt gebracht wurden.
Den aus dieser Zeit stammenden internen Dokumenten, die der Kommission vorliegen, ist zu entnehmen, dass Sandoz bereit war auf einen Markteintritt zu verzichten für „ein Stück vom Kuchen“, d. h. für einen Teil der Gewinne, die dem Hersteller des Originalpräparats aufgrund seiner Exklusivitätsrechte entstanden sind und vom Generika Wettbewerb abgeschirmt haben. Statt miteinander in den Wettbewerb zu treten, vereinbarten die beiden Wettbewerber eine Zusammenarbeit, um „durch den Verzicht auf die Markteinführung eines Depot-Generikums den hohen derzeitigen Preis halten zu können“.
Durch die Vereinbarung wurde der Markteintritt eines günstigeren Generikums um 17 Monate verzögert und der Preis für Fentanyl in den Niederlanden künstlich hoch gehalten – zum Nachteil der Patienten und des niederländischen Gesundheitssystems. Die Kommission gelangte zu dem Schluss, dass mit dieser Vereinbarung unter Verstoß gegen Artikel 101 AEUV eine Beschränkung des Wettbewerbs bezweckt worden war, und verhängte Geldbußen in Höhe von 10,8 Mio. EUR gegen Johnson & Johnson sowie von 5,5 Mio. EUR gegen Novartis. Die Parteien legten keine Rechtsmittel gegen den Beschluss der Kommission ein.
„Pay-for-delay“-Vereinbarungen wurden zudem in mehreren anderen Fällen für wettbewerbswidrig befunden. In ihrem Beschluss in der Sache Lundbeck aus dem Jahr 2013 verhängte die Kommission eine Geldbuße von 93,8 Mio. EUR gegen das dänische Pharmaunternehmen Lundbeck sowie Geldbußen in Höhe von insgesamt 52,2 Mio. EUR gegen vier Generikahersteller wegen Vereinbarungen, durch die der Markteintritt von generischem Citalopram verzögert wurde. Dieses Blockbuster-Antidepressivum war zum damaligen Zeitpunkt das verkaufsstärkste Produkt von Lundbeck. Im Rahmen dieser Vereinbarungen verpflichteten sich die Generikahersteller, nicht mit Lundbeck in Wettbewerb zu treten; im Gegenzug zahlte Lundbeck erhebliche Geldsummen an die Generikahersteller, kaufte deren Generikabestände einzig zu dem Zweck auf, diese zu vernichten, und sicherte im Rahmen einer Vertriebsvereinbarung Gewinngarantien zu. In internen Dokumenten wird auf die Gründung eines „Clubs“ und „einen Haufen $$$“ verwiesen, der auf die beteiligten Unternehmen verteilt werden sollte. Das Gericht bekräftigte in seinem Urteil, mit dem der Beschluss der Kommission bestätigt wurde, dass „Pay-for-delay“-Vereinbarungen stark Vereinbarungen zur Aufteilung von Märkten ähneln, die eine schwere Zuwiderhandlung gegen Artikel 101 AEUV darstellen (bezweckte Wettbewerbsbeschränkung).
Gegen das Urteil des Gerichts ist ein Rechtsmittel beim Gerichtshof anhängig.
„Pay-for-delay“-Vereinbarungen können nicht nur gegen Artikel 101 AEUV, sondern auch gegen Artikel 102 AEUV verstoßen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der Originalpräparatehersteller eine beherrschende Stellung innehat und die Vereinbarungen Teil einer Strategie sind, um das Inverkehrbringen von Generika zu verzögern. Im Jahr 2014 verhängte die Kommission Geldbußen in Höhe von insgesamt 427,7 Mio. EUR gegen das französische Pharmaunternehmen Servier und fünf Hersteller von Generika (Niche/Unichem, Matrix/Mylan, Teva, Krka und Lupin) wegen einer Reihe von Vereinbarungen, die darauf abzielten, das verkaufsstärkste Blutdruckmedikament von Servier, Perindopril, in der EU vor dem Preiswettbewerb durch Generika zu schützen. Servier zahlte Zigmillionen Euro an die Generikahersteller, um sie aus dem Perindopril-Markt „herauszukaufen“. Die Strategie von Servier für die Verzögerung des Inverkehrbringens von Generika sah auch vor, eine konkurrierende Technologie zu übernehmen und sukzessive Patentvergleichsvereinbarungen abzuschließen. Am 12. Dezember 2018 bestätigte das Gericht die von der Kommission auf der Grundlage des Artikels 101 getroffenen Feststellungen (mit Ausnahme der Krka-Vereinbarung); hingegen wies es die von der Kommission vorgenommene Marktabgrenzung zurück und hob daher die Schlussfolgerung, dass das Verhalten von Servier auch gegen Artikel 102 AEUV verstieß, auf.
Infolgedessen setzte das Gericht die Gesamthöhe der Geldbußen auf 315 Mio. EUR herab. Die Verfahrensparteien und die Kommission können gegen das Urteil Rechtsmittel einlegen.
Analog dazu stellte die britische Wettbewerbsbehörde in ihrem Beschluss in der Sache Paroxetin vom Februar 2016
unter anderem fest, dass GlaxoSmithKline mit dem Abschluss von „Pay-for-Delay“-Vereinbarungen mit Generikaherstellern seine beherrschende Stellung missbraucht hat. Die nationale Wettbewerbsbehörde befand, dass GlaxoSmithKline drei potenzielle Wettbewerber (IVAX, Generics (UK) und Alpharma) durch Zahlungen und andere Zusagen veranlasst hatte, ihren möglichen unabhängigen Eintritt in den Paroxetin-Markt im Vereinigten Königreich zu verzögern. Die Vereinbarung von GlaxoSmithKline mit Generics (UK) wurde als Verstoß gegen Artikel 101 AEUV und die Vereinbarung mit Alpharma als Verstoß gegen das britische Äquivalent von Artikel 101 AEUV angesehen. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte Geldbußen in Höhe von insgesamt 44,99 Mio. GBP (etwa 56,3 Mio. EUR) gegen die an diesen Zuwiderhandlungen beteiligten Unternehmen. Gegen alle diese Feststellungen wurden Rechtsmittel beim Berufungsgericht für Wettbewerbssachen (Competition Appeal Tribunal) eingelegt, das dem Gerichtshof Fragen in einem Vorabentscheidungsverfahren vorgelegt hat.
4.1.2.Weitere Verhaltensweisen zur Verhinderung des Markteintritts von Generika
Neben den oben beschriebenen „Pay-for-delay“-Vereinbarungen haben die europäischen Wettbewerbsbehörden eine Reihe weiterer wettbewerbswidriger Verhaltensweisen von Originalpräparateherstellern ermittelt und verfolgt, die auf eine Verhinderung oder Verzögerung des Markteintritts von Generika abzielten. Mit allen diesen Verhaltensweisen wurden die mit einem Markteintritt von Generika verbundenen Preissenkungen verhindert und somit Patienten und Gesundheitssysteme unmittelbar geschädigt.
Missbrauch des Regulierungsrahmens
In ihren wegweisenden Urteilen in der Sache AstraZeneca
stellten das Gericht (2010) und der Gerichtshof (2012) fest, dass die Irreführung von Behörden und der Missbrauch der regulatorischen Verfahren im Rahmen einer Geschäftsstrategie für den Markteintritt eines Folgeprodukts unter bestimmten Umständen eine missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung darstellen können.
Mit diesen Urteilen wurde die Feststellung der Kommission, dass AstraZeneca seine marktbeherrschende Stellung missbraucht hat, indem es das Inverkehrbringen generischer Versionen von Losec, einem Arzneimittel zur Behandlung von Magen-Darm-Erkrankungen, verhindert oder verzögert hat, weitgehend bestätigt. Die Kommission hatte festgestellt, dass AstraZeneca irreführende Darstellungen bei den Patentämtern eingereicht hatte, um den Patentschutz für Losec zu verlängern. Darüber hinaus hatte AstraZeneca die Regelungen und Verfahren der nationalen Arzneimittelbehörden durch den selektiven Widerruf der Marktzulassung von Losec in Kapselform missbräuchlich ausgenutzt. Zum damaligen Zeitpunkt konnten Generika und parallel eingeführte Arzneimittel in einem Mitgliedstaat nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn die Marktzulassung des Originalpräparats noch in Kraft war. Der strategische Widerruf der Marktzulassung von Losec durch AstraZeneca machte es daher konkurrierenden Generikaherstellern und Parallelimporteuren unmöglich, mit AstraZeneca in Wettbewerb zu treten. Die Kommission verhängte eine Geldbuße von 60 Mio. EUR gegen AstraZeneca (das Gericht hob die Entscheidung der Kommission mit Blick auf das zweite missbräuchliche Verhalten teilweise auf, sodass die Geldbuße von 60 Mio. EUR auf 52,5 Mio. EUR gesenkt wurde).
In einem ähnlichen Fall stellte die britische Wettbewerbsbehörde im April 2011 fest, dass Reckitt Benckiser seine beherrschende Stellung missbraucht hat, indem es das Arzneimittel Gaviscon Original Liquid aus der vom National Health Service (NHS) geführten Liste verschreibungspflichtiger Arzneimittel zurückgezogen hat.
Kasten 7: Die Sache Gaviscon
Gaviscon-Produkte sind alginatbasierte Verbindungen, die zur Behandlung von saurem Reflux (Sodbrennen), gastroösophagealer Refluxkrankheit (GÖRK) und Dyspepsie eingesetzt werden.
Die Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs stellte fest, dass Reckitt Benckiser das Arzneimittel Gaviscon Original Liquid zurückgezogen hatte, um die Auswahl der Apotheken zu begrenzen und den Wettbewerb durch Generikaanbieter zu beschränken. Das Arzneimittel wurde zurückgezogen, nachdem der Patentschutz für Gaviscon Original Liquid abgelaufen war, aber noch bevor ein generischer Name veröffentlicht wurde. Infolgedessen war es den verschreibenden Ärzten nicht möglich, das Arzneimittel unter seinem generischen Namen zu verschreiben, und die Apotheken konnten das Originalprodukt nicht durch seine günstigeren generischen Versionen ersetzen.
In internen Dokumenten erläuterte Reckitt Benckiser, dass es sein „Ziel [war] ..., die Einführung einer generischen Bezeichnung möglichst lange hinauszuzögern“. Nachdem das Arzneimittel zurückgezogen worden war, wurde zumeist Gaviscon Advance Liquid verschrieben, eine weitere Version des Arzneimittels, die noch immer patentrechtlich geschützt war und für die es somit keine Generika gab.
Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die Zurückziehung geeignet war, die Entwicklung eines uneingeschränkten Wettbewerbs durch Generika zu behindern, und verhängte eine Geldbuße von 10,2 Mio. GBP (etwa 11,8 Mio. EUR) gegen das Unternehmen. Die Geldbuße war Gegenstand einer zuvor getroffenen Vereinbarung, in deren Rahmen das Unternehmen einräumte, dass sein Verhalten eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht des Vereinigten Königreichs und der EU darstellte, und sich bereiterklärte, mit der nationalen Wettbewerbsbehörde zusammenzuarbeiten.
Des Weiteren verhängte die italienische Wettbewerbsbehörde im Januar 2011 gegen Pfizer eine Geldbuße von 10,7 Mio. EUR, weil das Unternehmen eine komplexe rechtliche Strategie für die Anmeldung und Erlangung von Rechten des geistigen Eigentums verfolgt hatte (Teilpatente, ergänzende Schutzzertifikate und Verlängerung für pädiatrische Zwecke). Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass diese Strategie die Verzögerung des Markteintritts von Generika zum Ziel hatte.
Pfizer legte Rechtsmittel gegen den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde ein, und das Berufungsverfahren wurde schließlich mit einem rechtsgültigen Urteil des italienischen Staatsrates
abgeschlossen, in dem der Beschluss der Behörde bestätigt wurde.
Verunglimpfung und andere Verhaltensweisen zur Dämpfung der Nachfrage nach Generika
Eine weitere Verhaltensweise, durch die der Wettbewerb durch Generika beeinträchtigt wird, ist die von einigen marktbeherrschenden Unternehmen verfolgte Strategie, ein in Verkehr gebrachtes Generikum zu verunglimpfen (verleumden), um die Akzeptanz günstigerer Generika einzuschränken.
Der Gerichtshof hat sich kürzlich dazu geäußert, in welchen Fällen die Verbreitung von Informationen an Behörden, Angehörige der Heilberufe und die Öffentlichkeit nach den EU-Vorschriften wettbewerbsrechtliche Bedenken aufwirft. Der Gerichtshof stellte klar, dass Unternehmen in einem Kontext, der durch einen ungesicherten wissenschaftlichen Kenntnisstand gekennzeichnet ist, keine irreführenden Informationen zu den Nebenwirkungen der zulassungsüberschreitenden (off-label) Anwendung eines Arzneimittels verbreiten dürfen, um den Wettbewerbsdruck auf ein anderes Produkt zu verringern.
Die französische Wettbewerbsbehörde erließ eine Reihe von Beschlüssen gegen Unternehmen, die auf Verunglimpfungspraktiken zurückgegriffen, d. h. unvollständige und irreführende Informationen erstellt und (an Ärzte, Behörden und die Öffentlichkeit) verbreitet haben, um den Markteintritt oder die Ausweitung der Vermarktung konkurrierender Produkte zu verhindern.
In ihrem Beschluss
in der Sache Plavix vom Mai 2013 stellte die französische Wettbewerbsbehörde fest, dass Sanofi-Aventis seine beherrschende Stellung auf dem französischen Markt für Clopidogrel (den Wirkstoff seines führenden Arzneimittels Plavix, das zur vorbeugenden Behandlung von Herzerkrankungen eingesetzt wird) missbraucht hat. Sanofi-Aventis verfolgte eine umfassende Kommunikationsstrategie, die darauf abzielte, Ärzte und Apotheker irrezuführen und so die Substitution seines Arzneimittels durch Generika zu unterbinden. Im Rahmen seiner Verunglimpfungsstrategie förderte das Unternehmen den Absatz seiner Arzneimittel (sowohl von Plavix als Originalpräparat als auch von Clopidogrel Winthrop, Sanofis eigener generischer Version von Plavix) und beschränkte den Markteintritt konkurrierender Generika. Insbesondere stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass die Handelsvertreter des Unternehmens Ärzte und Apotheker über die Qualität und Sicherheit konkurrierender Generika irregeführt und versucht hatten, sie davon zu überzeugen, mit Ausnahme von Sanofis eigenem Generikum, Clopidogrel Winthrop, keine generischen Versionen von Plavix zu verschreiben bzw. abzugeben. Die französische Wettbewerbsbehörde verhängte eine Geldbuße von 40,6 Mio. EUR gegen Sanofi. Der Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde wurde durch das Pariser Berufungsgericht
und den Obersten Gerichtshof
bestätigt.
Ganz ähnlich wie „Pay-for-delay“-Vereinbarungen sind auch Verunglimpfungspraktiken oft nur Teil einer umfassenderen Strategie zur Behinderung des Wettbewerbs durch Generika. Im Dezember 2013 verhängte die französische Wettbewerbsbehörde gegen Schering-Plough eine Geldbuße in Höhe von 15,3 Mio. EUR, weil das Unternehmen den Markteintritt generischer Versionen von Buprenorphin (einem Opioid zur Suchtbehandlung, das von Schering-Plough unter der Bezeichnung Subutex vertrieben wird) missbräuchlich behindert hatte.
Das missbräuchliche Verhalten umfasste i) die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile (insbesondere Rabatte) an Drogerien für deren Markentreue und ii) die Verunglimpfung der konkurrierenden Generika. So organisierte Schering-Plough beispielsweise Seminare und Telefonkonferenzen, bei denen seine Vertriebsteams und Pharmavertreter darin unterwiesen wurden, unter Ärzten und Apothekern alarmierende Botschaften über die Risiken einer Verschreibung oder Abgabe des generischen Produkts von Arrow Generique zu verbreiten. Dies geschah, ohne dass Schering-Plough über spezifische medizinische Studien verfügte, die seine Argumente hätten rechtfertigen können. Darüber hinaus verhängte die nationale Wettbewerbsbehörde gegen die Muttergesellschaft von Schering-Plough, Merck & Co, eine Geldbuße (414 000 EUR) wegen einer Vereinbarung, die darauf abzielte, die missbräuchliche Strategie auch bei deren Zulieferer Reckitt Benckiser zu etablieren, gegen den ebenfalls eine Geldbuße (318 000 EUR) verhängt wurde. Der Beschluss der französischen Wettbewerbsbehörde wurde durch das Pariser Berufungsgericht
und den Obersten Gerichtshof
bestätigt.
Ein weiteres Beispiel für Durchsetzungsmaßnahmen gegen Verunglimpfungspraktiken ist die Sache Durogesic, in der ebenfalls die französische Wettbewerbsbehörde einen Beschluss erließ.
Kasten 8: Die Sache Durogesic in Frankreich
Nach einer Beschwerde des Unternehmens Ratiopharm France (Teva Santé) erließ die französische Wettbewerbsbehörde einen Beschluss, mit dem sie gegen Janssen-Cilag und dessen Muttergesellschaft Johnson & Johnson eine Geldbuße von 25 Mio. EUR verhängte, weil die Unternehmen den Markteintritt einer generischen Version von Durogesic verzögert und anschließend die Ausweitung der Vermarktung dieses Generikums blockiert hatten. Durogesic ist ein starkes Opioid-Analgetikum mit dem Wirkstoff Fentanyl.
Nach Auffassung der nationalen Wettbewerbsbehörde war Janssen-Cilag an zwei wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen beteiligt:
-wiederholtes ungerechtfertigtes Herantreten an die französische Arzneimittelbehörde, um diese zu veranlassen, konkurrierenden Arzneimitteln auf nationaler Ebene den Status von Generika zu verweigern, obwohl dieser Status auf EU-Ebene bereits erlangt worden war,
-eine groß angelegte Kampagne zur Verunglimpfung der generischen Versionen von Durogesic bei niedergelassenen und in Krankenhäusern tätigen Angehörigen der Gesundheitsberufe (Ärzte und Apotheker). Janssen-Cilag nutzte irreführende Formulierungen, um Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Generika zu säen. Unter anderem verschickte das Unternehmen zahlreiche Rundbriefe an Ärzte, äußerte sich gegenüber der Presse und führte Schulungen für Expertenteams aus 300 Handelsvertretern, die sogenannten „Commandos“ durch. Diese Vertreter wurden instruiert, nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass generische Alternativen weder dieselbe Zusammensetzung noch dieselbe Menge des Wirkstoffes Fentanyl aufweisen wie das Durogesic-Pflaster von Janssen-Cilag und bei bestimmten Patienten mit dem Risiko von Nebenwirkungen oder eines erneuten Auftretens von Schmerzen verbunden seien.
Diese Praktiken verzögerten den Markteintritt von Generika um mehrere Monate und diskreditierten die generischen Versionen von Durogesic. Die von Janssen-Cilag verfolgte Strategie hatte weitreichende Auswirkungen und zielte auf alle Fachleute der Gesundheitsbranche ab, bei denen die Wahrscheinlichkeit bestand, dass sie Durogesic verschreiben oder abgeben würden. Gegen den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde sind gegenwärtig Rechtsmittel beim Pariser Berufungsgericht anhängig.
Schließlich kann die Nachfrage nach Generika auch durch andere Marktteilnehmer unrechtmäßig eingeschränkt werden, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Im März 2009 ging die spanische Wettbewerbsbehörde gegen mehrere Apothekerverbände vor, die Empfehlungen gegen die generischen Arzneimittel von Laboratorios Davur ausgesprochen hatten.
Als Reaktion auf den Markteintritt und die Vermarktung günstigerer Generika durch Laboratorios Davur riefen die Verbände zu einem kollektiven Boykott der Produkte dieses Unternehmens durch die Apotheker auf. Ein Apotheker erklärte sogar offen gegenüber Laboratorios Davur, dass „mir durch die Niedrigpreisstrategie [von Laboratorios Davur] ein massiver wirtschaftlicher Schaden entsteht oder entstehen kann, weil ich als Apotheker einen Anteil der Endverkaufspreise erhalte“, und dass „in [seiner] Apotheke künftig keine anderen Produkte von Laboratorios Davur mehr abgegeben werden“ (Original auf Spanisch). Mit dem Beschluss wurden gegen mehrere Verbände Geldbußen in Höhe von insgesamt 1 Mio. EUR verhängt. Der Beschluss wurde angefochten und von den Gerichten für drei der vier mit Geldbußen belegten Verbände bestätigt; allerdings wurde die Höhe der Geldbußen herabgesetzt.
4.2.Durchsetzungsmaßnahmen gegen marktbeherrschende Unternehmen, die unangemessen hohe Preise (überhöhte Preise) verlangen
Eine unangemessene Preisgestaltung betrifft im Wesentlichen die Durchsetzung überhöhter Preise für Patienten und Gesundheitssysteme durch die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung.
4.2.1.Das Verbot einer unangemessenen Preisgestaltung durch marktbeherrschende Unternehmen und seine Grenzen
Ausbeutungsmissbrauch durch eine unangemessene Preisgestaltung (d. h. die Festsetzung sogenannter „überhöhter Preise“) ist nach den EU-Wettbewerbsvorschriften (Artikel 102 Buchstabe a AEUV) verboten. Der Gerichtshof hat eine Reihe von Voraussetzungen benannt, unter denen die Preise eines marktbeherrschenden Unternehmens als unangemessen gelten und somit gegen Artikel 102 AEUV verstoßen, der den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verbietet.
Bei der Untersuchung potenziell unangemessener Preise wägen die Wettbewerbsbehörden die Notwendigkeit der Belohnung von dynamischer Effizienz und Innovation sorgfältig gegen den Schaden ab, der den Verbrauchern und der Gesellschaft durch solche Preise entsteht. Darüber hinaus prüfen sie, ob Preise und Gewinne durch Exzellenz, Risikobereitschaft und Innovation bedingt sind und ob sie durch Marktkräfte, d. h. durch die „Gefahr“ eines Markteintritts oder einer Expansion von Wettbewerbern infolge der hohen Preise, in Grenzen gehalten werden können.
Wettbewerbsbehörden zögern jedoch nicht, bei Bedarf einzugreifen, um einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten. Die in jüngster Zeit in der EU durchgeführten Untersuchungen zeigen, dass bezüglich der Preisgestaltungspraktiken im Arzneimittelsektor eine erhöhte wettbewerbsrechtliche Wachsamkeit angezeigt ist.
4.2.2.Beispiele für Fälle im Zusammenhang mit unangemessenen Preisen
Die europäischen Wettbewerbsbehörden haben im Arzneimittelsektor eine Reihe von Fällen untersucht, die unangemessene Preise für patentfreie Arzneimittel zum Gegenstand hatten.
Kasten 9: Der Fall Aspen in Italien
Im September 2016 verhängte die italienische Wettbewerbsbehörde eine Geldbuße von 5,2 Mio. EUR gegen das Pharmaunternehmen Aspen, weil dieses in Italien unter missbräuchlicher Ausnutzung seiner marktbeherrschenden Stellung unangemessene Preise für wichtige Arzneimittel festgesetzt hatte.
Zu diesen patentfreien Arzneimitteln zählten Leukeran, Alkeran, Purinethol und Tioguanin, die zur Behandlung von Krebs eingesetzt werden. Die Präparate waren Teil eines größeren Pakets von Arzneimitteln, für das Aspen im Jahr 2009 die Vermarktungsrechte vom Originalpräparatehersteller GlaxoSmithKline erworben hatte. Die italienische Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass Aspen seine marktbeherrschende Stellung in Italien missbraucht hat, indem es Preiserhöhungen zwischen 300 % und 1500 % durchgesetzt und sich bei den Verhandlungen über diese Preise gegenüber der italienischen Arzneimittelbehörde besonders aggressiver Taktiken bedient hat. Aspen drohte sogar, „einen Lieferstopp zu veranlassen“, d. h. die Arzneimittel zurückzuziehen, wenn die Behörde die verlangten höheren Preise nicht akzeptieren würde. Nachdem die Preiserhöhungen akzeptiert worden waren, stellte der Berater von Aspen abschließend fest: „Ich hätte keinen so günstigen Ausgang der Verhandlungen erwartet, aber ich erinnere mich daran, dass Sie mir in Rom erzählt haben, dass es überall zu Anfang nach einer Art ‚mission impossible‘ aussah und dann die Preiserhöhung immer genehmigt wurde ... Das müssen wir feiern!“
Die nationale Wettbewerbsbehörde wies Aspen zudem an, Maßnahmen zu ergreifen, die unter anderem auf die Berechnung angemessener Preise für die betreffenden Arzneimittel abzielten. Im Anschluss an diese Anweisung der nationalen Wettbewerbsbehörde erzielte Aspen nach längeren Verhandlungen mit der italienischen Arzneimittelbehörde eine Vereinbarung über die Preise. Am 13. Juni 2018 stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass Aspen ihrer Anweisung nachgekommen war und die geschlossene Vereinbarung dem nationalen Gesundheitsdienst Italiens jährliche Einsparungen in Höhe von schätzungsweise 8 Mio. EUR ermöglichen würde.
Der Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde wurde vom regionalen Verwaltungsgericht
bestätigt. Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel beim italienischen Staatsrat anhängig.
Im Mai 2017 leitete die Kommission zudem ein förmliches Prüfverfahren gegen Aspen Pharma ein, weil sie Bedenken hatte, dass das Unternehmen auch in den übrigen Ländern des EWR (alle mit Ausnahme Italiens) unangemessene Preise für die oben genannten Krebspräparate festgelegt haben könnte.
Im Dezember 2016 stellte die britische Wettbewerbsbehörde fest, dass Pfizer und Flynn ihre jeweilige beherrschende Stellung missbraucht hatten, indem sie unangemessene Preise für die im Vereinigten Königreich von Pfizer hergestellten Phenytoin-Natrium-Kapseln (ein Epilepsiepräparat) durchgesetzt hatten.
In einem internen Dokument erklärte Pfizer zum damaligen Zeitpunkt: „Wir müssen herausfinden, wie wir das Patienten und Ärzten als ‚keine Änderung‘ und gleichzeitig dem DH [dem Gesundheitsministerium des VK] und den Zahlern als ‚Änderung‘ verkaufen können, ohne der Heuchelei beschuldigt zu werden; dafür müssen wir eine Vertrauensstrategie verfolgen und zugleich die Chance nutzen, den NHS [National Health Service] während [einer] Finanzierungskrise zu schröpfen.“
Im Jahr 2012 hatten Pfizer und Flynn Vereinbarungen getroffen, in deren Rahmen Pfizer seine Marktzulassungen für Phenytoin-Natrium (verkauft unter dem Markennamen Epanutin) auf Flynn übertrug, das Produkt aber weiterhin herstellte und für den Vertrieb im Vereinigten Königreich an Flynn lieferte. Die Flynn in Rechnung gestellten Lieferpreise waren jedoch um 780 % bis 1600 % höher als die Preise, die Pfizer zuvor von Händlern verlangt hatte. Nach der Übertragung begann Flynn, das Arzneimittel unter seiner generischen Bezeichnung Phenytoin-Natrium und ohne den Markennamen zu verkaufen, und nutzte eine Gesetzeslücke, aufgrund derer Generika (im Gegensatz zu Markenarzneimitteln) zum damaligen Zeitpunkt keinerlei Preisbeschränkungen unterlagen. Flynn erhöhte die von den Händlern zu zahlenden Preise gegenüber den Preisen, die zuvor für das unter seinem Markennamen vertriebene Arzneimittel verlangt worden waren, um bis zu 2600 %. Die nationale Wettbewerbsbehörde verhängte gegen Pfizer und Flynn jeweils Geldbußen in Höhe von 84,2 Mio. GBP (103 Mio. EUR) bzw. 5,16 Mio. GBP (6,32 Mio. EUR). Am 7. Juni 2018 erließ das Competition Appeal Tribunal des Vereinigten Königreichs ein Urteil, in dem es einige Feststellungen der Competition and Markets Authority bestätigte (u. a. die enge Marktdefinition und die Feststellung, dass sowohl Pfizer als auch Fynn eine beherrschende Stellung innehatten). Das Gericht kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die Schlussfolgerungen der Competition and Markets Authority in Bezug auf den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung fehlerhaft waren und entschied letztlich, die Sache zur weiteren Prüfung an die Competition and Markets Authority zurückzuverweisen. Die nationale Wettbewerbsbehörde hat die Zulassung eines Rechtsmittels gegen das Urteil des Competition Appeal Tribunal beantragt.
Mit ihrem Beschluss vom Januar 2018 stellte die dänische Wettbewerbsbehörde fest, dass der Pharmahändler CD Pharma seine marktbeherrschende Stellung in Dänemark missbraucht hat, indem er Amgros (einem Großhandels-Einkäufer für öffentliche Krankenhäuser) unangemessene Preise für Syntocinon in Rechnung stellte. Dieses Arzneimittel enthält den Wirkstoff Oxytocin, der Frauen während der Entbindung verabreicht wird. Zwischen April 2014 und Oktober 2014 erhöhte CD Pharma den Preis für Syntocinon um 2000 % von 45 DKK (6 EUR) auf 945 DKK (127 EUR). Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die Differenz zwischen den tatsächlich entstandenen Kosten und dem von CD Pharma verlangten Preis übermäßig hoch war. Darüber hinaus verglich die nationale Wettbewerbsbehörde den von CD Pharma in Rechnung gestellten Preis mit dem wirtschaftlichen Wert von Syntocinon, den historischen Syntocinon-Preisen, den von den Wettbewerbern von CD Pharma verlangten Preisen und den außerhalb Dänemarks geltenden Preisen. Im Zuge dessen stellte die nationale Wettbewerbsbehörde fest, dass die Preise für Syntocinon unangemessen waren und CD Pharma somit seine beherrschende Stellung missbraucht hatte. Am 29. November 2018
bestätigte das dänische Berufungsgericht den Beschluss der dänischen nationalen Wettbewerbsbehörde.
4.3.Andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen, die zu höheren Preisen führen können
Ebenso wie gegen Verhaltensweisen, durch die der Markteintritt von Generika verzögert wird oder unangemessene Arzneimittelpreise durchgesetzt werden, sind die europäischen Wettbewerbsbehörden gegen verschiedene andere wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vorgegangen, durch die Arzneimittelpreise erhöht oder hoch gehalten werden. Einige dieser Verhaltensweisen sind spezifisch für den Pharmasektor und werden durch seine wirtschaftlichen und regulatorischen Merkmale bestimmt, während andere auch aus anderen Sektoren bekannt sind, aber dennoch erhebliche Auswirkungen auf die Arzneimittelpreise haben können.
In einigen Fällen haben Unternehmen den Wettbewerbsdruck, der ihre Preissetzungsmacht normalerweise einschränkt, künstlich verringert. Die betreffenden Verhaltensweisen reichen von Kartellen oder kartellähnlichen Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht (z. B. Angebotsabsprachen (bid rigging), Preisabsprachen und Marktaufteilungsvereinbarungen) bis hin zur missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschen Stellung und Wettbewerbsbeschränkungen Im Verhältnis zwischen Anbietern und Kunden. Allen unten anhand von Beispielen erläuterten Verhaltensweisen ist gemein, dass sie sich unmittelbar auf die von den europäischen Patienten und Gesundheitssystemen entrichteten Arzneimittelpreise auswirken.
4.3.1.Koordinierung als Instrument zur Erzielung höherer Preise
Angebotsabsprachen, Preisabsprachen und andere Formen der Koordinierung zwischen Wettbewerbern zählen zu den bekanntesten und zugleich zu den schädlichsten Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht.
Im Jahr 2014 stellte die italienische Wettbewerbsbehörde fest, dass Hoffmann-La Roche und Novartis eine wettbewerbswidrige Vereinbarung getroffen hatten, um die zulassungsüberschreitende Verwendung des von Hoffmann-La Roche hergestellten Onkologiepräparats Avastin zur Behandlung von altersbedingter Makuladegeneration (AMD) zu verhindern und einzuschränken. In den Industrieländern ist AMD die Hauptursache für alterstbedingte Blindheit. Die Arzneimittel Avastin (zugelassen für die Behandlung von Tumorerkrankungen) und Lucentis (zugelassen für die Behandlung von Augenerkrankungen) wurden von Genentech entwickelt, einem Unternehmen der Hoffmann-La Roche-Gruppe. Genentech hat die Novartis-Gruppe im Wege einer Lizenzvereinbarung mit der geschäftlichen Verwertung von Lucentis beauftragt, während Hoffmann-La Roche Avastin für die Krebsbehandlung vermarktet. Da jedoch beide Arzneimittel einen ähnlichen (wenn auch in unterschiedlichen Verfahren entwickelten) Wirkstoff enthalten, wurde Avastin aufgrund seines deutlich niedrigeren Preises häufig im Rahmen einer zulassungsüberschreitenden Anwendung statt Lucentis für die Behandlung von Augenerkrankungen eingesetzt.
Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass Novartis und Hoffmann-La Roche eine Vereinbarung getroffen hatten, die darauf abzielte, eine künstliche Unterscheidung zwischen Avastin und Lucentis zu treffen, obwohl die beiden Arzneimittel den Erkenntnissen der nationalen Wettbewerbsbehörde zufolge mit Blick auf die Behandlung von Augenerkrankungen in jeder Hinsicht gleichwertig sind. Die Vereinbarung hatte die Verbreitung von Informationen zum Gegenstand, die Zweifel an der Sicherheit des Einsatzes von Avastin in der Augenheilkunde säen sollten, um eine Verschiebung der Nachfrage auf das teurere Lucentis zu bewirken. In einer internen Präsentation von Novartis heißt es: „Wirksamer Einsatz von Sicherheitsdaten und Aussagen der Regulierungsbehörden gegen die nicht lizenzierte intraokulare Verwendung von Bevacizumab bei feuchter AMD, um die Abwanderung in eine zulassungsüberschreitende Verwendung zu verhindern.“ Der nationalen Wettbewerbsbehörde zufolge war diese rechtswidrige Kollusion geeignet, den Zugang zahlreicher Patienten zu einer Behandlung zu behindern, und verursachte dem italienischen Gesundheitssystem alleine im Jahr 2012 Mehrausgaben in Höhe von schätzungsweise 45 Mio. EUR. Gegen Hoffmann-La Roche und Novartis wurden Geldbußen in Höhe von 90,6 Mio. EUR bzw. 92 Mio. EUR verhängt.
Im zweitinstanzlichen Berufungsverfahren gegen den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde richtete der italienische Staatsrat ein Vorabentscheidungsersuchen zu mehreren Fragen bezüglich der Auslegung von Artikel 101 AEUV an den Gerichtshof der Europäischen Union. In seinen Antworten stellte der Gerichtshof unter anderem klar, dass i) ein Arzneimittel, das im Rahmen einer nicht von der Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckten (zulassungsüberschreitenden) Behandlung bei denselben therapeutischen Indikationen eingesetzt wird wie ein anderes, genehmigungsgemäß eingesetztes Arzneimittel, grundsätzlich demselben Produktmarkt zuzurechnen ist und ii) die Verbreitung irreführender Informationen über die Sicherheit eines zulassungsüberschreitend verwendeten Arzneimittels an Behörden, Angehörige der Heilberufe und die Öffentlichkeit eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung darstellen kann.
In einem anderen Fall stellte die spanische Wettbewerbsbehörde fest, dass eine Vereinbarung zwischen einem Apothekerverband in Kastilien-La Mancha und dem Gesundheitsdienst dieser Region eine Marktaufteilung darstellte, da sie für die Apotheken eine Lieferung von Arzneimitteln an die Gesundheitszentren nach dem Rotationsprinzip vorsah.
Das Berufungsgericht
und das Oberste Gericht
bestätigten den Beschluss der nationalen Wettbewerbsbehörde in seiner Gesamtheit.
Weitere Beispiele für Interventionen gegen kollusive Verhaltensweisen sind unter anderem die Beschlüsse der ungarischen Wettbewerbsbehörde aus dem Jahr 2015 (Angebotsabsprachen bei Ausschreibungen von Krankenhäusern)
, der slowenischen Wettbewerbsbehörde aus dem Jahr 2013 (Angebotsabsprachen, Preisabsprachen zwischen Großhändlern und Händlern, Marktaufteilung und Informationsaustausch über Preise und Umsätze)
, der dänischen Wettbewerbsbehörde aus dem Jahr 2014 (Koordinierung zwischen Großhändlern bezüglich Gebühren und anderer Handelskonditionen)
und der deutschen Wettbewerbsbehörde aus dem Jahr 2017 (Austausch sensibler Informationen zwischen Großhändlern über ein gemeinsames IT-System). Im Jahr 2015 erließ die italienische Wettbewerbsbehörde einen Verpflichtungsbeschluss, dem zufolge Novartis und Italfarmaco ihr Marktverhalten anpassen und Änderungen an ihrer Vereinbarung über die gemeinsame Vermarktung vornehmen mussten.
Die verbindlichen Verpflichtungszusagen räumten die Bedenken der nationalen Wettbewerbsbehörde bezüglich des Austauschs sensibler Informationen und der Zusammenarbeit bei Angeboten im Rahmen regionaler Beschaffungsverfahren aus.
In einem Verpflichtungsbeschluss aus dem Jahr 2011 ging die litauische Wettbewerbsbehörde gegen mögliche vertikale Preisabsprachen in Vereinbarungen zwischen Herstellern und Großhändlern vor. Diese Vereinbarungen umfassten eine Bestimmung, der zufolge die Großhändler und Hersteller die Einzelhandelspreise für Arzneimittel absprechen mussten, was möglicherweise zu höheren Arzneimittelpreisen für die Patienten geführt hat. Die akzeptierten Verpflichtungszusagen sahen die Streichung derartiger Bestimmungen vor.
4.3.2.Behinderung der Wettbewerbsfähigkeit von Konkurrenten
Mit einer Reihe von Beschlüssen ahndeten die europäischen Wettbewerbsbehörden Verhaltensweisen, die darauf abzielten, Wettbewerber auszuschließen oder ihre Wettbewerbsfähigkeit einzuschränken, und die in der Regel darin bestanden, den Zugang von Pharmaunternehmen zu Kunden oder Produktionsmitteln zu unterbinden, sodass sie langfristig nicht in der Lage waren, günstigere Arzneimittel zu verkaufen.
So stellte beispielsweise die zyprische Wettbewerbsbehörde im Jahr 2013 fest, dass der Händler Phadisco und Wyeth Hellas (das später von Pfizer Hellas übernommen wurde) ihre beherrschende Stellung auf dem Markt für Pneumokokkenimpfstoffe missbraucht haben, indem sie Ärzten und Apothekern Rabatte angeboten und damit den Wettbewerb durch ihre Konkurrenten beschränkt haben.
Im Jahr 2015 akzeptierte die italienische Wettbewerbsbehörde Verpflichtungszusagen von ICE (Industria Chimica Emiliana) im Zusammenhang mit der Lieferung von Cholsäure (diese wird für die Herstellung eines bei Lebererkrankungen eingesetzten Arzneimittels verwendet). Die nationale Wettbewerbsbehörde hatte den Verdacht, dass ICE seine beherrschende Stellung durch Verdrängungspraktiken missbraucht hat, indem es unter anderem Hindernisse für die Lieferung von Rindergalle (des für die Herstellung von Cholsäure erforderlichen Rohstoffes) errichtet und damit einen wirksamen Wettbewerb zum Wohle der Patienten und des italienischen Gesundheitssystems verhindert hat. Um diese Bedenken auszuräumen, verpflichtete sich ICE, den Markt mit bestimmten Mengen von Rindergalle zu Preisen zu versorgen, die es anderen Herstellern ermöglichten, mit dem Unternehmen in Wettbewerb zu treten.
Im Jahr 2011 erließ die rumänische Wettbewerbsbehörde drei Beschlüsse gegen mehrere Unternehmen, die den Parallelhandel mit Arzneimitteln eingeschränkt und es damit den Händlern eines Landes (Rumänien) erschwert hatten, im Wettbewerb auf den Märkten anderer Länder zu bestehen. Die von der Untersuchung betroffenen Unternehmen hatten unter anderem Vertragsklauseln verwendet, die i) die Ausfuhr von Arzneimitteln verboten oder begrenzten, ii) die Überwachung der Einhaltung des Ausfuhrverbots durch die Händler ermöglichten und iii) Sanktionen für Verstöße gegen das Verbot vorsahen. Die rumänische Wettbewerbsbehörde verhängte in diesen drei Fällen Geldbußen in Höhe von insgesamt 59,4 Mio. RON (etwa 12,75 Mio. EUR). Mehrere andere nationale Wettbewerbsbehörden (beispielsweise in Spanien und Griechenland) befassten sich ebenfalls mit unterschiedlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit Beschränkungen des Parallelhandels.
4.4.Fusionskontrolle und erschwingliche Arzneimittel
Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in Fällen von Missbrauch einer beherrschenden Stellung und wettbewerbswidriger Koordinierung wird ergänzt durch die Prüfung von Zusammenschlüssen, in deren Folge Marktstrukturen entstehen, die Unternehmen von jeglichem Wettbewerbsdruck befreien, und die somit zu höheren Arzneimittelpreisen führen können.
4.4.1.Wie wirken sich Zusammenschlüsse auf die Arzneimittelpreise aus?
Zusammenschlüsse von Pharmaunternehmen können dazu führen, dass das zusammengeschlossene Unternehmen Marktmacht erhält oder seine Marktmacht ausbaut, indem der Wettbewerbsdruck zwischen den beteiligten Unternehmen aufgehoben und der Wettbewerbsdruck am Markt verringert wird. Je mehr Marktmacht durch einen Zusammenschluss entsteht, desto wahrscheinlicher ist es, dass dieser höhere Preise und Nachteile für Patienten und Gesundheitssysteme nach sich zieht.
Ein wesentliches Ziel der Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor besteht darin zu gewährleisten, dass die durch einen Zusammenschluss bewirkten Veränderungen der Marktstruktur nicht zu höheren Preisen führen. In diesem Zusammenhang werden Zusammenschlüsse geprüft, die den Wettbewerb zwischen Originalpräparaten, Generika oder Biosimilars berühren. Beispielsweise kann ein Zusammenschluss zwischen einem Originalpräparatehersteller und einem Generikahersteller den Preiswettbewerb zwischen den Produkten des Originalpräparateherstellers und ihren günstigeren generischen Versionen erheblich beeinträchtigen. Generika sind für gewöhnlich ein vollwertiger Ersatz für das Originalpräparat, und der Wettbewerb erfolgt in erster Linie über den Preis.
Zusammenschlüsse können erhebliche negative Preiseffekte nach sich ziehen. Der verringerte Wettbewerbsdruck kann das zusammengeschlossene Unternehmen unter Umständen in die Lage versetzen, seine eigenen Preise zu erhöhen (unmittelbar oder durch die Reduzierung von Rabatten und Skonti, die Aushandlung neuer, erhöhter Preise mit den nationalen Gesundheitsbehörden, die Verzögerung des Inverkehrbringens eines günstigeren Generikums usw.), aber auch einen Anstieg der Preise am Markt insgesamt bewirken.
4.4.2.Wie werden Preiserhöhungen infolge von Zusammenschlüssen durch die Fusionskontrolle verhindert?
Nach den EU-Fusionskontrollvorschriften hat die Kommission den Auftrag einzuschreiten, wenn ein Zusammenschluss geeignet ist, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Ein anschauliches Beispiel ist die Sache Teva/Allergan, in der die Übernahme von Allergan durch Teva, den weltweit führenden Generikahersteller, den Wettbewerb durch seinen engsten Wettbewerber auf mehreren Märkten weitgehend auszuschalten drohte.
Kasten 10: Die Sache Teva/Allergan
Im März 2016 stellte die Kommission fest, dass der Zusammenschluss den Preiswettbewerb auf mehreren Märkten schwächen würde, und genehmigte die Übernahme des Generikageschäfts von Allergan Generics durch Teva Pharmaceutical Industries erst, nachdem sich Teva verpflichtet hatte, relevante Teile des übernommenen Geschäfts an unabhängige Käufer zu veräußern.
Teva war bereits vor dem Zusammenschluss der weltweit größte und Allergan der weltweit viertgrößte Generikahersteller. Das Vorhaben betraf Hunderte von bereits vermarkteten oder noch in Entwicklung befindlichen Generika und stellte mit Blick auf seinen Umfang und die Zahl der Märkte, auf denen die Generika der Unternehmen miteinander im Wettbewerb standen, im Arzneimittelsektor einen Präzedenzfall dar.
Die Marktuntersuchung der Kommission ergab, dass zwischen allen Versionen eines bestimmten patentfreien Moleküls (d. h. den Generika und dem patentfreien Originalpräparat) ein direkter Preiswettbewerb herrschte und der Zusammenschluss den Wettbewerb für mehrere Produkte schwächen würde. Daher äußerte die Kommission potenzielle Wettbewerbsbedenken bezüglich einer ganzen Reihe von Arzneimitteln in der gesamten EU.
Im Zuge der Prüfung der Marktstellung der beteiligten Generikaanbieter auf nationaler Ebene kam die Kommission darüber hinaus zu dem Schluss, dass die Parteien in einigen Mitgliedstaaten zu den größten Generikaherstellern gehörten und die engsten Wettbewerber voneinander waren. Daher prüfte die Kommission die möglichen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Preise nicht nur für bestimmte Produkte, sondern auch auf Ebene des gesamten Generika-Portfolios der Parteien.
Beispielsweise waren Teva und Allergan im Vereinigten Königreich, wo die Generikapreise frei festgelegt werden, die einzigen Generikahersteller, die in der Lage waren, ihr Arzneimittel-Portfolio über Treueprogramme direkt (ohne Zwischenhändler) an Apotheken zu verkaufen. Alle übrigen Hersteller mussten ihre Produkte über Großhändler vertreiben. Aufgrund dieses besonderen Marktmerkmals kam die Kommission zu dem Schluss, dass Teva und Allergan im Hinblick auf ihre Kontakte zu Apotheken einen einzigartigen preislichen Wettbewerbsdruck aufeinander ausübten. Dieser Wettbewerbsdruck wäre durch den Zusammenschluss ausgeschaltet worden, was sich wiederum auf die Verbraucherpreise ausgewirkt hätte.
Um die Bedenken der Kommission unter anderem bezüglich der drohenden Preiserhöhungen auszuräumen, boten die Unternehmen Abhilfemaßnahmen an. Insbesondere sagten sie zu, den größten Teil des Generikageschäfts von Allergan Generics in Irland und im Vereinigten Königreich, darunter auch eine Produktionsstätte und die gesamte Vertriebsorganisation, an einen unabhängigen Käufer zu veräußern.
Im Falle eines unter Auflagen genehmigten Zusammenschlusses endet die Zuständigkeit der Kommission nicht mit der Beschlussfassung. Die Kommission bleibt weiterhin tätig, um sicherzustellen, dass die Abhilfemaßnahmen ordnungsgemäß in die Praxis umgesetzt werden. Insbesondere überprüft die Kommission mithilfe von Überwachungstreuhändern das Verfahren für die Auswahl eines geeigneten Käufers für das zu veräußernde Geschäft und stellt sicher, dass die Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit des zu veräußernden Geschäfts in seiner Gesamtheit bis zu seiner Übertragung auf den Käufer nicht beeinträchtigt werden. Zudem kann die Kommission nach der Veräußerung des Geschäfts an den Käufer die Übergangsvereinbarungen überwachen, bis das Geschäft vollkommen unabhängig von dem zusammengeschlossenen Unternehmen ist (d. h. bis die Übertragung der Zulassungen, die Produktionsverlagerung in das eigene Werk des Käufers usw. abgeschlossen sind).
Die Sache Teva/Allergan betraf zwar einen der größten jemals vollzogenen Zusammenschlüsse im Arzneimittelsektor, war jedoch nur eines von mehreren Vorhaben, bei denen die Untersuchung der Kommission Anlass zu Bedenken bezüglich möglicher Preiserhöhungen gab, die durch angebotene Veräußerungen ausgeräumt werden konnten; durch diese Veräußerungen wurde eine Konzentration verhindert, die sich nachteilig auf die Preise hätte auswirken können. Die Kommission intervenierte bei Zusammenschlüssen zwischen Originalpräparate- und Generikaherstellern (z. B. Sanofi/Zentiva, Teva/Cephalon), bei Zusammenschlüssen zwischen Generikaherstellern (Teva/Ratiopharm, Teva/Barr, Mylan/Abbott EPD-DM) und bei Zusammenschlüssen zwischen Originalpräparateherstellern (GSK/Novartis im Zusammenhang mit Humanimpfstoffen).
4.4.3.Beitrag der Fusionskontrolle zur Wahrung des Preisdrucks durch Biosimilars
Die Wahrung des Preiswettbewerbs steht nicht nur bei der Prüfung von Zusammenschlüssen im Zusammenhang mit synthetischen Arzneimitteln durch die Kommission im Mittelpunkt, sondern auch bei der Prüfung von Zusammenschlüssen, die biologische Arzneimittel betreffen. Biologische Arzneimittel zählen zu den teuersten Behandlungsformen, und ihr Einsatz nimmt stetig zu; der weltweit mit diesen Arzneimitteln erzielte Jahresumsatz beläuft sich mittlerweile auf mehrere Milliarden Euro. Mit jedem weiteren Biosimilar, das in Verkehr gebracht wird, wird der Preiswettbewerb verstärkt und das Preisniveau weiter gesenkt. Infolgedessen kann der Wettbewerb durch Biosimilars erhebliche Einsparungen in den Gesundheitssystemen ermöglichen und zugleich dafür sorgen, dass mehr Patienten günstigere biologische Therapien in Anspruch nehmen können. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das Eingreifen der Kommission bei der Übernahme von Hospira durch Pfizer.
Kasten 11: Die Sache Pfizer/Hospira
Im Jahr 2015 genehmigte die Kommission die Übernahme von Hospira durch Pfizer unter Auflagen, die sicherstellten, dass der Preiswettbewerb zwischen Biosimilars nicht beeinträchtigt wird, da Pfizer infolge des Zusammenschlusses Eigentümer zweier konkurrierender Biosimilars von Infliximab geworden wäre (Hospiras Inflectra und Pfizers in Entwicklung befindliches Biosimilar).
Infliximab ist ein Tumornekrosefaktor-Antikörper, der zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen (wie beispielsweise rheumatoider Arthritis) eingesetzt wird. Das Originalpräparat, Remicade, wurde von Johnson & Johnson entwickelt und in Europa von Merck Sharp & Dohme vertrieben. Vor dem Zusammenschluss war nur ein Biosimilar von Infliximab in Verkehr gebracht worden, das Celltrion (das das Biosimilar entwickelt hatte und unter dem Namen „Remsima“ vermarktete) und Hospira (unter dem Markennamen „Inflectra“) unabhängig voneinander vertrieben.
Hospiras Inflectra und Celltrions Remsima waren identisch und somit Ärzten und Käufern als vollkommen austauschbar bekannt. Infolgedessen standen sie ausschließlich über den Preis miteinander im Wettbewerb. Aufgrund der Zurückhaltung bezüglich der Umstellung stabiler Patienten von Remicade auf die Biosimilars ging jedoch von den Infliximab-Biosimilars lediglich ein begrenzter Wettbewerbsdruck auf das Originalpräparat Remicade aus.
Mit dem Zusammenschluss wäre Hospiras Inflectra in das Produktportfolio von Pfizer übergegangen; dieses umfasste bereits Pfizers eigenes Infliximab-Biosimilar, das sich noch in der Entwicklung befand und noch nicht in Verkehr gebracht worden war. Daher war das Vorhaben geeignet, die Wettbewerbsanreize für Pfizer einzuschränken, wobei zwei alternative Szenarien denkbar waren. Im ersten Szenario würde Pfizer die Entwicklung seines eigenen Biosimilars verzögern oder einstellen und sich auf das erworbene Produkt von Hospira konzentrieren. Zusätzlich zu den Auswirkungen, die dies auf die Innovation hätte
, würde es den künftigen Preiswettbewerb zwischen Biosimilars schwächen, da neue Marktteilnehmer eine aggressive Preispolitik betreiben müssten, um Marktanteile von den etablierten Anbietern zu übernehmen. Im zweiten Szenario würde Pfizer der Entwicklung seines eigenen Biosimilars Vorrang einräumen und Hospiras Produkt an Celltrion zurückübertragen, wodurch der vorhandene intensive Preiswettbewerb zwischen Hospiras Inflectra und Celltrions Remsima ausgeschaltet würde, der den erheblichen Preisrückgang gegenüber dem Originalpräparat, Remicade, bewirkt hatte.
Um dies zu verhindern und sicherzustellen, dass eine hinreichende Zahl von Biosimilars in Verkehr gebracht wird und Preisdruck auf das teure biologische Referenzprodukt ausübt, boten die Unternehmen an, die Entwicklung von Pfizers Infliximab an einen geeigneten Verkäufer zu veräußern. Dies wurde von der Kommission akzeptiert. Im Februar 2016 gab Novartis bekannt, dass es das zu veräußernde Geschäft erworben hatte.
5.Wettbewerb fördert Innovation und erhöht die Auswahl an Medikamenten
Wie in Abschnitt 3.2.1 erläutert, ist Innovation im Arzneimittelsektor von entscheidender Bedeutung, wobei sich die wichtigsten gesundheitlichen Vorteile aus der Forschung und Entwicklung im Bereich neuartiger Behandlungsformen ergeben. Aus dieser Forschung und Entwicklung können neue Arzneimittel für bislang nicht behandelbare Erkrankungen, für eine wirksamere Behandlung bestimmter Erkrankungen und/oder für Therapien mit weniger Nebenwirkungen hervorgehen. Darüber hinaus kann sie zu der Entdeckung führen, dass ein vorhandenes Arzneimittel für die Behandlung anderer Erkrankungen eingesetzt werden kann, für die es zuvor nicht verschrieben wurde.
Zudem kann Innovation die Behandlungskosten senken, wenn beispielsweise Herstellungsverfahren entwickelt werden, die eine kommerzielle Herstellung günstigerer Arzneimittel rentabel machen. Innovation kann ferner die Entwicklung neuer, effizienterer Technologien ermöglichen, dank derer qualitativ hochwertigere Arzneimittel hergestellt werden können. Obgleich Innovation im Arzneimittelsektor nach wie vor eine besonders wichtige Wettbewerbskraft darstellt, machen sich die auf diesen Märkten tätigen Unternehmen mitunter verschiedene Praktiken zunutze, um den kontinuierlichen Innovationsdruck zu dämpfen (z. B. defensive Patentstrategien, die darauf abzielen, ein konkurrierendes FuE-Projekt zu behindern). Diese Praktiken können unter bestimmten Umständen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen darstellen und für Patienten und die nationalen Gesundheitssysteme erhebliche Nachteile mit sich bringen.
5.1.Die Durchsetzung der Kartellrechtsvorschriften fördert Innovation und Auswahl
In diesem Abschnitt 5.1 wird erläutert, wie die Durchsetzung der Kartellrechtsvorschriften zu einer größeren Auswahl für die Patienten und zu einer Verbesserung ihres Zugangs zu innovativen Arzneimitteln beiträgt, indem immer dann interveniert wird, wenn Unternehmen einseitig oder gemeinsam den Wettbewerbsdruck dämpfen, der sie zu weiteren Innovationen zwingt, oder andere Unternehmen von Innovationen abhalten. Anschließend wird in Abschnitt 5.2 dargestellt, wie die Kommission nach den Fusionskontrollvorschriften Zusammenschlüsse, die geeignet sind, Innovationen einzuschränken oder zu behindern, verhindern und im Zuge ihrer Prüfung mögliche positive Auswirkungen von Zusammenschlüssen auf die Innovation berücksichtigen kann.
5.1.1.Durchsetzungsmaßnahmen gegen Verhaltensweisen, die Innovationen verhindern oder die Wahlmöglichkeiten der Patienten einschränken
Die Marktteilnehmer stehen Innovationen nicht immer positiv gegenüber. Diese können ihre Märkte stören oder sogar vollständig aushöhlen. Viel können sie in der Regel nicht tun, um die Innovationstätigkeit ihrer Wettbewerber zum Stillstand zu bringen. Sie haben aber die Möglichkeit, den Verkauf innovativer Produkte an die Verbraucher zu erschweren. Die Durchsetzung der Kartellrechtsvorschriften kann dazu beitragen zu verhindern, dass Unternehmen ihre Macht missbrauchen oder Vereinbarungen schließen, die Innovationen entgegenstehen.
So konnte die Kommission beispielsweise im Jahr 2011 eine kartellrechtliche Untersuchung in Bezug auf Vorwürfe abschließen, denen zufolge das deutsche Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim ungerechtfertigte Patente für neue Behandlungsformen der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) eingereicht hatte. Die Untersuchung der Kommission betraf den mutmaßlichen Missbrauch des Patentsystems durch Boehringer im Zusammenhang mit Kombinationen aus drei breiten Wirkstoffkategorien zur Behandlung von COPD und einem neuen, von dem spanischen Pharmaunternehmen Almirall entdeckten Wirkstoff. Almirall hatte Bedenken geäußert, dass die von Boehringer eingereichten Patentanmeldungen das Inverkehrbringen der konkurrierenden Arzneimittel von Almirall blockieren oder erheblich verzögern könnten.
Im Jahr 2011 schlossen die Unternehmen eine Vergleichsvereinbarung, mit der die Bedenken der Kommission ausgeräumt wurden: Die mutmaßliche Blockadeposition wurde aufgehoben, sodass die Hindernisse für das Inverkehrbringen konkurrierender Produkte durch Almirall (den Beschwerdeführer in dieser Sache) beseitigt wurden und die Kommission der Sache nicht länger nachgehen musste.
Wie das Gericht in der Sache AstraZeneca anerkannt hat, verringern Beschränkungen des Inverkehrbringens von Generika die Anreize für Pharmaunternehmen, Innovationen voranzutreiben, da das Inverkehrbringen von Generika effektiv das Ende ihrer Marktexklusivität herbeiführt. Vor diesem Hintergrund tragen Durchsetzungsmaßnahmen, deren Schwerpunkt auf der Beseitigung von Hindernissen für das Inverkehrbringen von Generika liegt, unmittelbar zur Innovation im Arzneimittelsektor bei.
Kann sich ein etabliertes Unternehmen länger auf die Exklusivität eines älteren Produkts verlassen als es ihm nach der geltenden Rechtsordnung zusteht, hat es möglicherweise einen geringeren Anreiz, ein Innovationsrisiko auf sich zu nehmen.
In der oben angeführten Sache Servier verfolgte das Unternehmen eine Strategie zur Verzögerung des Inverkehrbringens von Generika seines Blockbuster-Arzneimittels Perindopril (Coversyl), indem es insbesondere eine Reihe von Wettbewerbern ausschaltete, die kurz davor standen, eine generische Version von Perindopril auf den Markt zu bringen. Die Verzögerung des Inverkehrbringens von Generika verschaffte Servier nicht nur zusätzliche Zeit, um mit Coversyl (das von Servier als sein „Goldesel“ bezeichnet wurde) große Gewinne zu erzielen, sondern ermöglichte es ihm auch, seinen Patientenstamm auf das Folgeprodukt Bio-Coversyl umzustellen, das gegenüber dem Vorgängerprodukt keine klinischen Vorteile aufwies. Als ein Sekundärpatent, das den Eckpfeiler von Serviers Strategie gegen Generika darstellte und das Servier mit illegalen „Pay-for-delay“-Vereinbarungen und durch den Erwerb von Technologien zu schützen suchte, schließlich aufgehoben wurde, wurde dies von Servier wie folgt kommentiert: „Vier Jahre gewonnen – ein großartiger Erfolg“, wobei das Unternehmen auf den Zeitraum Bezug nahm, der seit dem Auslaufen des Grundpatents für den Wirkstoff Perindopril verstrichen war.
Die Durchsetzung des Kartellrechts kann zudem die Wahlmöglichkeiten der Patienten verbessern, indem es ihren Zugang zu erschwinglichen Therapien schützt. Beispielsweise stellte die portugiesische Wettbewerbsbehörde im April 2012 fest, dass Roche Farmacêutica Química (im Folgenden „Roche“) seine beherrschende Stellung missbraucht hat, indem es bei Ausschreibungen von Krankenhäusern Bündel- oder Paketrabatte anbot, und verhängte gegen das Unternehmen eine Geldbuße in Höhe von 900 000 EUR.
Roche machte die Rabatte vom gebündelten Erwerb anderer Arzneimittel abhängig und nutzte damit seine beherrschende Stellung auf dem Markt für einige der ausgeschriebenen Produkte, um Wettbewerber von anderen Produktmärkten auszuschließen. So begünstigte die Rabattregelung beispielsweise den Verkauf des von Roche angebotenen biologischen Arzneimittels NeoRecormon (Epoetin beta zur Behandlung von Anämie) zum Nachteil des von Amgen (dem Beschwerdeführer in dieser Sache) vertriebenen Konkurrenzprodukts Aranesp(R). Die nationale Wettbewerbsbehörde stellte fest, dass die wettbewerbswidrige Rabattregelung von Roche die erfolgreiche Teilnahme von Wettbewerbern an den Ausschreibungen von Krankenhäusern verhinderte und so ihre Fähigkeit und die für sie bestehenden Anreize, in den Markt einzutreten oder auf diesem zu expandieren, beeinträchtigte. Dieses Verhalten war geeignet, letztlich die Arzneimittelauswahl für Krankenhausärzte und Patienten einzuschränken. Gegen den Beschluss wurden keine Rechtsmittel eingelegt.
Der Beschluss der italienischen Wettbewerbsbehörde in der oben bereits erwähnten Sache Hoffmann La Roche trug ebenfalls zu einer Verbesserung der Wahlmöglichkeiten der Patienten bei, indem er ihren Zugang zu Avastin (einem onkologischen Arzneimittel) zur Behandlung einer bestimmten Augenerkrankung (AMD) gewährleistete. Wie der Gerichtshof kürzlich klarstellte, stellt eine solche zulassungsüberschreitende Verwendung von Arzneimitteln (d. h. ihr Einsatz für andere als die in der Zulassung genannten Behandlungen unter der Verantwortung eines verschreibenden Arztes) grundsätzlich keine Zuwiderhandlung gegen das EU-Recht dar.
5.1.2.Unterstützung der wettbewerbsfördernden Zusammenarbeit bei Innovationen durch die Wettbewerbsvorschriften
Die Wettbewerbsbehörden müssen nicht nur die potenziellen negativen Auswirkungen einer untersuchten Verhaltensweise auf den Markt berücksichtigen, sondern auch die möglichen positiven Auswirkungen, die im Wege der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts geschützt und idealerweise verstärkt werden sollten. In zahlreichen Wettbewerbsvorschriften wird anerkannt, dass das Verhalten der Unternehmen Synergien nach sich ziehen kann, die der Innovation förderlich sein können (beispielsweise durch die Kombination notwendiger, einander ergänzender Vermögenswerte für die Forschung und Entwicklung oder die Lizenzierung von Technologien). Zudem unterstützen diese Vorschriften Unternehmen dabei, ihre Kooperationsprojekte so zu gestalten, dass diese dem Wettbewerbsrecht entsprechen, und Durchsetzungsmaßnahmen der Wettbewerbsbehörden zu vermeiden. Beispielsweise bietet die EU-Gruppenfreistellungsverordnung für FuE-Vereinbarungen einen umfassenden geschützten Bereich, in dem solche Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern von der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts ausgenommen sind (sofern bestimmte Voraussetzungen im Zusammenhang mit den Marktanteilen der Unternehmen erfüllt sind und die betreffende Vereinbarung keine Kernbeschränkungen enthält). Die Gruppenfreistellungsverordnung wird in den begleitenden Leitlinien für die horizontale Zusammenarbeit weiter erläutert.
5.2.Schutz des Innovationswettbewerbs bei Arzneimitteln durch die Fusionskontrolle
Die Fusionskontrolle im Arzneimittelsektor durch die Kommission stellt nicht nur die Wahrung eines gesunden Preiswettbewerbs zum Wohle der Patienten und der nationalen Gesundheitssysteme sicher, sondern sorgt auch dafür, dass FuE-Tätigkeiten für das Inverkehrbringen neuer Arzneimittel oder die Ausweitung der therapeutischen Verwendung vorhandener Arzneimittel nicht durch Zusammenschlüsse beeinträchtigt werden.
Bei mehreren in jüngster Zeit von der Kommission untersuchten Zusammenschlüssen im Arzneimittelsektor wurde deutlich, wie sich Zusammenschlüsse auf die für Pharmaunternehmen bestehenden Anreize für die Fortführung der Entwicklung paralleler FuE-Programme nach einer solchen Transaktion auswirken können. In einigen dieser Fälle machte die Kommission die Genehmigung eines geplanten Zusammenschlusses, der andernfalls die Entwicklung eines vielversprechenden neuen Arzneimittels hätte zum Stillstand bringen oder behindern können, von geeigneten Abhilfemaßnahmen abhängig.
5.2.1.Wie können Zusammenschlüsse die Innovation im Arzneimittelsektor beeinträchtigen?
Konsolidierung kann in einer Branche wettbewerbsfördernd wirken, wenn dadurch die einander ergänzenden Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen zusammengeführt und infolgedessen sowohl die Fähigkeit als auch die Anreize, Innovationen auf den Markt zu bringen, gestärkt werden.
Umgekehrt können Zusammenschlüsse aber auch den Umfang und die Reichweite von Innovationen beeinträchtigen und somit die den Patienten und Ärzten künftig zur Verfügung stehende Auswahl an innovativen Behandlungen einschränken. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein in Entwicklung befindliches Produkt eines der an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen mit einem von einem anderen beteiligten Unternehmen vermarkteten Produkt in Wettbewerb stehen würde und somit geeignet wäre, in erheblichem Maße Erträge von dem konkurrierenden Produkt des andern Unternehmens abzuziehen. In einem solchen Fall könnte das zusammengeschlossene Unternehmen geneigt sein, das konkurrierende Pipeline-Projekt zu verzögern oder umzulenken, um die Gewinne des zusammengeschlossenen Unternehmens zu steigern. Ebenso ist es möglich, dass die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen an konkurrierenden FuE-Programmen arbeiten, die ohne einen Zusammenschluss dazu führen würden, dass sie einander künftig gewinnbringende Umsätze streitig machen. Werden zwei konkurrierende Unternehmen eigentumsrechtlich zusammengeführt, kann dieser Zusammenschluss zur Folge haben, dass für sie weniger Anreize für parallele FuE-Tätigkeiten bestehen.
Die Einschränkung des Innovationswettbewerbs führt dazu, dass Patienten und Gesundheitssystemen künftige Vorteile aus innovativen und erschwinglichen Arzneimitteln vorenthalten werden. Zu den möglichen negativen Auswirkungen zählen der Verlust potenziell besserer Behandlungen, eine geringere künftige Vielfalt von Arzneimitteln auf dem Markt sowie ein verzögerter und teurerer Zugang zu den für die Behandlung von Erkrankungen erforderlichen Arzneimitteln. Wenn die Kommission auf solche Szenarien trifft, teilt sie den an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen ihre Bedenken bezüglich des Vorhabens mit und kann dieses blockieren, wenn keine geeigneten Abhilfemaßnahmen angeboten werden.
5.2.2.Wie kann die Fusionskontrolle zur Sicherung der Voraussetzungen für Innovationen beitragen?
Mit der Fusionskontrolle soll verhindert werden, dass ein Vorhaben den Wettbewerb, einschließlich des Innovationswettbewerbs, in erheblichem Maße behindert und letztendlich zu höheren Preisen oder einer geringeren Auswahl für die Patienten führt. Werden Bedenken hinsichtlich des Innovationswettbewerbs aufgeworfen, kann die Kommission den Zusammenschluss verbieten, sofern die Unternehmen keine geeigneten Abhilfemaßnahmen anbieten, mit denen die Innovationsfähigkeit und die diesbezüglichen Anreize zu bewahrt werden können und ein wirksamer Innovationswettbewerb widerhergestellt werden kann. Zu diesen möglichen Abhilfemaßnahmen zählen beispielsweise die Veräußerung von Pipeline-Projekten oder der entsprechenden FuE-Kapazitäten.
Innovative Arzneimittel standen im Mittelpunkt mehrerer Untersuchungen von Zusammenschlüssen, bei denen die Bemühungen der Kommission um die Wahrung der Innovation im Zusammenhang mit chemischen Originalpräparaten, biologischen Arzneimitteln und Biosimilars deutlich wurden. In einigen Fällen wurde die Kommission tätig, um den Wettbewerb durch Arzneimittel zu schützen, die sich noch in der Anfangsphase der Produktentwicklung befanden.
Die Kommission greift ein, wenn ein Zusammenschluss zwischen zwei Originalpräparateherstellern den Innovationswettbewerb und die Anreize für das Inverkehrbringen neuer oder verbesserter Behandlungen einschränken würde. Ein gutes Beispiel ist die Sache Novartis/GlaxoSmithKline Oncology, in der die Kommission Bedenken hatte, dass der Zusammenschluss die Anreize für das übernehmende Unternehmen schmälern könnte, seine Forschung und Entwicklung im Bereich lebensrettender Krebsarzneimittel fortzusetzen.
Kasten 12: Die Sache Novartis/GSK Oncology
Im Jahr 2015 stellte die Kommission fest, dass der Zusammenschluss eine Gefahr für die Entwicklung bestimmter in der Entwicklung befindlicher Arzneimittel zur Krebsbehandlung darstellte, genehmigte das Vorhaben jedoch unter der Auflage, bestimmte Geschäfte zu veräußern und so von dem Zusammenschluss auszunehmen.
Durch den Zusammenschluss hätte Novartis unter anderem zwei zur Behandlung von Hautkrebs vermarktete Krebspräparate von GSK übernommen, die mit Blick auf ihren Einsatz zur Behandlung von Eierstockkrebs und anderen Krebserkrankungen erforscht wurden. Die beiden Arzneimittel standen in direktem Wettbewerb mit eigenen Pipeline-Entwicklungsprojekten von Novartis, sodass es zu einer Dopplung der klinischen Programme kam. Die Kommission hatte Bedenken, dass Novartis in beiden Fällen jeweils eines der parallelen FuE-Programme einstellen würde, da diese langwierig und kostenintensiv gewesen wären. Im Zuge ihrer Prüfung berücksichtigte die Kommission die zu erwartenden Vorteile dieser beiden in Entwicklung befindlichen innovativen Arzneimittel für die Patienten und die Gesundheitssysteme bei der Behandlung der Krebserkrankungen, für welche die Arzneimittel getestet wurden.
Um die notwendigen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Innovationstätigkeit im Rahmen dieser Pipeline-Projekte wiederherzustellen, bot Novartis Abhilfemaßnahmen an und sagte zu, die Rechte an einem der Arzneimittel wieder auf dessen Eigentümer und Lizenzgeber, Array BioPharma Inc. (im Folgenden „Array“), zu übertragen und das andere Arzneimittel an Array zu veräußern. Darüber hinaus verpflichtete sich Novartis, einen geeigneten Partner zu finden, der mit Array zusammenarbeiten und die Nachfolge von Novartis bei der Weiterentwicklung und Vermarktung der beiden Arzneimittel im EWR antreten könne. Die Kommission genehmigte Pierre Fabre als geeigneten Partner von Array.
Die Kommission überwacht die Umsetzung der Verpflichtungszusagen weiterhin, da die klinischen Studien für die beiden von Novartis veräußerten Arzneimittel noch nicht abgeschlossen sind. Im Rahmen der jüngsten Entwicklungen bei den fortgeschrittenen klinischen Studien wurden für beide Produkte vielversprechende Ergebnisse erzielt, sodass diese voraussichtlich in naher Zukunft in Verkehr gebracht werden können.
Ohne die Abhilfemaßnahmen wäre die Entwicklung dieser beiden Arzneimittel wahrscheinlich eingestellt worden. Es ist also davon auszugehen, dass die Abhilfemaßnahmen einen Beitrag zum Erhalt der Innovationstätigkeit geleistet und den Wettbewerb im Bereich der Behandlung von Hautkrebs und anderen Tumoren gefördert haben. Dies hatte wiederum eine breitere Auswahl an innovativen Behandlungen und eine bessere Versorgung der Patienten zu Folge.
Bei einigen Zusammenschlüssen zwischen Originalpräparateherstellern hat sich die Kommission um die Ausräumung wettbewerbsrechtlicher Bedenken im Zusammenhang mit in einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase befindlichen Arzneimitteln bemüht. In anderen Fällen äußerte sie wettbewerbsrechtliche Bedenken, weil der betreffende Zusammenschluss die Innovationsanreize für in einer frühen Entwicklungsphase befindliche Arzneimittel (wie etwa den ersten Phasen der klinischen Studien) beeinträchtigt hätte.
Dies war beispielsweise bei ihrem Beschluss in der Sache Novartis/GSK Oncology der Fall, in dem die Kommission Bedenken hinsichtlich der Innovation im Zusammenhang mit Arzneimitteln äußerte, die sich in frühen bzw. späten Entwicklungsphasen befanden. Dieser Ansatz ist auch in der Sache Johnson & Johnson/Actelion erkennbar, in der zwei in der Entwicklung befindliche konkurrierende Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit, die beide in Phase II der klinischen Studien waren, wettbewerbsrechtliche Bedenken aufwarfen, die ausgeräumt werden mussten.
Kasten 13: Die Sache Johnson & Johnson/Actelion
In ihrem Beschluss vom Juni 2017 stellte die Kommission fest, dass eines der beiden parallelen Projekte zur Entwicklung neuer Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit nach dem Zusammenschluss aufgegeben werden könnte, genehmigte jedoch die Übernahme von Actelion durch Johnson & Johnson (im Folgenden „J&J“) aufgrund der von dem Unternehmen angebotenen Abhilfemaßnahmen.
Die beiden Unternehmen übten weitgehend komplementäre Tätigkeiten aus, entwickelten aber unabhängig voneinander innovative Arzneimittel zur Behandlung von Schlaflosigkeit – Actelion alleine und J&J gemeinsam mit seinem Partner Minerva.
Beide Arzneimittel basierten auf dem neuartigen Wirkmechanismus der sogenannten Orexin-Antagonisten, für die bereits nachgewiesen worden war, dass sie möglicherweise weniger Nebenwirkungen und ein geringeres Abhängigkeitsrisiko als die vorhandenen Arzneimittel gegen Schlaflosigkeit aufweisen. Da es nur wenige konkurrierende Pipeline-Programme gab, hatte die Kommission Bedenken, dass die Aufgabe eines der parallelen Entwicklungsprojekte den Innovationswettbewerb einschränken könnte.
J&J bot Abhilfemaßnahmen an, um sicherzustellen, dass die Schlafmittel-Forschungsprogramme durch das Vorhaben nicht beeinträchtigt und die klinischen Studien für beide Produkte fortgesetzt würden. Insbesondere umfassten die Abhilfemaßnahmen zwei Pakete einander ergänzender Verpflichtungszusagen:
-J&J verpflichtete sich, auf keine der strategischen Entscheidungen bezüglich der Entwicklung der Arzneimittel von Actelion gegen Schlaflosigkeit Einfluss zu nehmen. Zu diesem Zweck sagte J&J zu, seine Investitionen auf eine begrenzte Minderheitsbeteiligung an dem Unternehmen zu beschränken, das diese Pipeline-Projekte entwickeln wird,
in diesem Unternehmen keine Vorstandsmitglieder zu benennen und keine Informationen über das in Entwicklung befindliche Schlafmittel zu erhalten.
-Bezüglich seines eigenen in Entwicklung befindlichen Produkts sagte J&J seinem Partner Minerva die vollständige Kontrolle über dessen weltweite Entwicklung zu und verpflichtete sich, das Projekt weiterhin zu finanzieren, um zu gewährleisten, dass das Programm unabhängig weitergeführt wird.
Die Kommission kam zu dem Schluss, dass diese Abhilfemaßnahmen ausreichten, um die wettbewerbsrechtlichen Bedenken auszuräumen und zu gewährleisten, dass Patienten und Gesundheitssystemen durch den Zusammenschluss kein Nachteil in Form einer geringeren Produktvielfalt oder eines infolge des Zusammenschlusses eingeschränkten Produktwettbewerbs entsteht. Auf dieser Grundlage genehmigte die Kommission das Vorhaben.
In der oben genannten Fusionskontrollsache Pfizer/Hospira bezogen sich die Bedenken der Kommission nicht nur darauf, dass die Übernahme des konkurrierenden Projekts von Hospira zur Entwicklung des Infliximab-Biosimilars durch Pfizer höhere Preise nach sich ziehen würde, sondern auch darauf, dass die Einstellung eines der beiden parallelen Entwicklungsprojekte Nachteile für die Innovation und die Auswahl der Patienten hätte. Biosimilars haben zwar dieselbe therapeutische Funktionsweise wie das biologische Originalpräparat und sind diesem klinisch gleichwertig, sie sind jedoch keine exakten Kopien. Infolgedessen besteht ein gewisser Spielraum für eine Produktdifferenzierung und einen nichtpreislichen Wettbewerb zwischen verschiedenen Biosimilars desselben Moleküls. Mit der Abhilfemaßnahme, die die Veräußerung des Infliximab-Projekts von Pfizer an Novartis vorsah, stellte die Kommission die künftige Innovationstätigkeit im Bereich der Biosimilars und den Verbleib des wichtigen Entwicklungsprojekts in der Wettbewerbslandschaft sicher.
6.Schlussfolgerung
Dieser Überblick und die zahlreichen konkreten Beispiele für Wettbewerbsfälle, in denen die europäischen Wettbewerbsbehörden seit 2009 Untersuchungen durchgeführt und Beschlüsse erlassen haben, zeigen, dass die Durchsetzung der Kartell- und Fusionskontrollvorschriften einen erheblichen Beitrag dazu leistet, den Zugang der Patienten und Gesundheitssysteme zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln und Behandlungsformen zu gewährleisten. Zwar müssen die Behörden den wichtigsten Fällen Vorrang einräumen, jedoch zeigen die angeführten Durchsetzungsfälle deutlich die Entschlossenheit der Behörden, Untersuchungen durchzuführen.
Die im Jahr 2009 von der Kommission vorgenommene umfassende Untersuchung der Hindernisse für das reibungslose Funktionieren des Wettbewerbs im Pharmasektor ebnete den Weg für eine Reihe von Durchsetzungsmaßnahmen der europäischen Wettbewerbsbehörden. Seitdem haben die europäischen Wettbewerbsbehörden nicht nur die Zahl ihrer Durchsetzungsmaßnahmen erhöht. Sie sind auch im Interesse der Patienten und Gesundheitssysteme gegen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen vorgegangen, die bislang nicht Gegenstand wettbewerbsrechtlicher Beschlüsse gewesen waren. Diese Beschlüsse (und die diesbezüglichen Gerichtsurteile) bieten den Marktteilnehmern wertvolle Orientierungshilfen und beugen künftigen Zuwiderhandlungen vor.
Die europäischen Wettbewerbsbehörden sind entschlossen, wirksame Maßnahmen gegen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Unternehmen zu ergreifen und schädliche Zusammenschlüsse zu verhindern. Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts leistet einen bedeutenden Beitrag zur Verbesserung des Preis- und Innovationswettbewerbs, indem sie Orientierungshilfen bietet und abschreckende Präzedenzfälle schafft, jedoch stellt sie lediglich eine Ergänzung der einschlägigen Rechtsetzungs- und Regulierungsmaßnahmen dar.
Die bislang ergriffenen Durchsetzungsmaßnahmen bieten eine solide Grundlage, auf der die Wettbewerbsbehörden aufbauen und ihr Engagement für eine konsequente Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor auch künftig fortsetzen können. Die Behörden müssen wachsam bleiben und proaktiv potenziell wettbewerbswidrige Sachverhalte untersuchen, wobei sie auch neue Verhaltensweisen von Unternehmen und neue Branchentrends im Auge behalten müssen, wie etwa die zunehmende Relevanz von Biosimilars. Für die Kommission stellt es eine Priorität dar zu gewährleisten, dass die wirksame Durchsetzung des Wettbewerbsrechts den Patienten und Gesundheitssystemen den Zugang zu erschwinglichen und innovativen Arzneimitteln erleichtert.