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Document 52019DC0163

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte

COM/2019/163 final

Brüssel, den 3.4.2019

COM(2019) 163 final

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN EUROPÄISCHEN RAT UND DEN RAT

Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union







Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte


I.    EINLEITUNG

Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundwerte der Europäischen Union 1 und ein Ausdruck unserer gemeinsamen Identität und Verfassungstraditionen. Sie ist allen Mitgliedstaaten eigen und bildet die Grundlage jedweden demokratischen Systems. Ohne sie kann es keinen Grundrechteschutz geben. Die Rechtsstaatlichkeit ist auch für das Funktionieren der Europäischen Union – als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts sowie als Binnenmarkt – in der Gesetze wirksam und einheitlich angewandt und öffentliche Mittel ordnungsgemäß ausgegeben werden. Sie gewährleistet, dass Mitgliedstaaten und Bürgern im Geiste gegenseitigen Vertrauens zusammenarbeiten können. Zudem schafft sie Vertrauen in die öffentlichen Einrichtungen einschließlich der Justiz, und sie ist unabdingbar für ein reibungsloses Funktionieren demokratischer Gesellschaften. Ferner ist die Rechtsstaatlichkeit einer der Grundsätze, an denen die EU ihre Außenpolitik ausrichtet. 2 Insgesamt handelt es sich um einen etablierten, im Kern klar definierten und objektiv überprüfbaren Grundsatz, so dass Defizite einwandfrei und nachhaltig identifiziert werden können.

Was bedeutet Rechtsstaatlichkeit?

Die in Artikel 2 EUV verankerte Rechtsstaatlichkeit ist einer der Grundwerte der Europäischen Union. Sie bedeutet, dass jegliche öffentliche Gewalt in den Grenzen von Recht und Gesetz und im Einklang mit den Werten der Demokratie und den Grundrechten unter der Kontrolle unabhängiger und unparteiischer Richter ausgeübt wird. Der Rechtsstaatlichkeit wohnen unter anderem folgende Grundsätze inne: Rechtmäßigkeit , wozu transparente, rechenschaftspflichtige, demokratische und pluralistische Gesetzgebungsverfahren zählen, Rechtssicherheit, Verbot der willkürlichen Ausübung exekutiver Gewalt, wirksamer Rechts- und Grundrechtsschutz sowie gerichtliche Überprüfung exekutiver Maßnahmen 3 durch unabhängige und unparteiische Gerichte, Gewaltenteilung und die Gleichheit vor dem Gesetz. 4 Diese Grundsätze wurden vom Europäischen Gerichtshof und vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anerkannt. 5

Die Europäische Union selbst zählt die Rechtsstaatlichkeit zu ihren Fundamenten, und jede Maßnahme der EU gründet sich auf den EU-Vertrag, dem alle Mitgliedstaaten freiwillig und demokratisch zugestimmt haben. Angesichts ihrer Bedeutung für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Union und die Effektivität ihrer politischen Arbeit ist die Rechtsstaatlichkeit von zentraler Bedeutung für die Zukunft Europas. Die Anerkennung der zentralen Rolle der Rechtsstaatlichkeit in der Arbeit der EU hat zugenommen, und es gibt einen breiten Konsens, dass die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union besserer Instrumente bedarf. 6  Zudem hat die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union einen unverzichtbaren Beitrag zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips geleistet; es wurde bestätigt, dass die Union eine Wertegemeinschaft ist. 7 Mit dieser Mitteilung sollen die Debatte über die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Union bereichert und alle Beteiligten zur Reflexion und Stellungnahme eingeladen werden. Auf dieser Grundlage wird die Kommission im Juni ihre eigenen Schlussfolgerungen vorlegen.

Die europäische Integration hat auch von sich aus einen wichtigen und dauerhaften Beitrag zur rechtsstaatlichen Ordnung in Europa geleistet. Die Union hat schrittweise einen Raum der Freiheit, Zusammenarbeit und Stabilität aufgebaut, in dem Mitgliedstaaten, Bürger und Unternehmen sich auf einen Kanon an berechenbaren, ausgewogenen Rechtsvorschriften und ein System wirksamer Rechtsbehelfe verlassen können. Unter diesen Rahmenbedingungen wird der Frieden gewahrt, kann Demokratie gedeihen und können Unternehmen prosperieren. Dennoch hat sich in den jüngsten Jahren die Erkenntnis ausgebreitet, dass die Grundwerte und -sätze der Union einschließlich der Rechtsstaatlichkeit unter Druck sind und besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. Somit ist deutlich geworden, dass mehr für die Konsolidierung des Rechtsstaatsprinzips und seine Aufrechterhaltung in der gesamten Union getan werden muss.

Wenn der Rechtsstaat nicht in sämtlichen Mitgliedstaaten angemessen geschützt wird, beschädigt dies eine der Grundvoraussetzungen in der Union für Solidarität, Kohäsion und das für die gegenseitige Anerkennung einzelstaatlicher Beschlüsse notwendige Vertrauen sowie den Binnenmarkt insgesamt. Defizite auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit können auch die Wirtschaft beeinträchtigen, ebenso wie ein funktionierendes Justizwesen und solide Korruptionsbekämpfungsrahmen Grundvoraussetzungen für gedeihliche unternehmerische Rahmenbedingungen und solide öffentliche Haushalte sind. 8

Ein Rechtsstaatlichkeits-Problem in einem Mitgliedstaat beeinträchtigt die Union insgesamt. Auch wenn die nationalen Systeme von Kontrolle und Gegenkontrolle grundsätzlich das erste Gegenmittel darstellen sollten, ist auch die Mitwirkung der Union gefragt, wenn solche Probleme auftreten. Jüngste Rechtsstaatlichkeitsprobleme in einigen Mitgliedstaaten haben die Frage aufgeworfen, ob die Union für den Umgang mit solchen Situationen gewappnet ist. Das Vertrauen darauf, dass Mängel behoben werden können, könnte zu mehr Vertrauen der Mitgliedstaaten untereinander und zwischen ihnen und den EU-Organen beitragen.

Deshalb hat die EU eine Reihe von Instrumenten geschaffen, um zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit beizutragen. Diese gehen über Artikel 7 EUV, das wohl bekannteste, wenn auch selten in Anspruch genommene Instrument zum Schutz aller gemeinsamen Werte, hinaus. Seit 2014 gibt es einen Präventivrahmen. 9 Zu den weiteren Maßnahmen, die inzwischen im Gespräch sind, zählen der Vorschlag der Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der EU bei generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip 10 und die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft; sie sollen dazu beitragen, dass solchen Risiken in allen Mitgliedstaaten auf eine koordinierte Weise mit juristischen Schritten begegnet werden kann. 11  Alle diese Instrumente beruhen auf einer gemeinsamen Vorstellung davon, was unter Rechtsstaatlichkeit zu verstehen ist, was ihre wichtigsten Merkmale sind und wo Mängel entstehen können.

Kurzum: die Rechtsstaatlichkeit ist eine zentrale Säule unserer Vorstellung vom Europa der Zukunft. Im Zuge der Vorüberlegungen zum anstehenden informellen Europäischen Rat in Hermannstadt am 9. Mai 2019 und zur nächsten strategischen Agenda des Europäischen Rates bietet diese Mitteilung eine Bestandsaufnahme der Erfahrungen der letzten Jahre und zeigt mögliche Richtungen für weitere Überlegungen im Hinblick auf einschlägige Maßnahmen auf. Dabei stützt sich die Kommission auf die laufende Debatte über die Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union und fordert die EU-Organe wie die Mitgliedstaaten und sonstige Interessenträger auf, ihre Vorstellungen einzubringen, wie das Instrumentarium zur Förderung des Rechtsstaatsprinzip für die Zukunft weiterentwickelt werden könnte. 12

II.    DAS BESTEHENDE INSTRUMENTARIUM IN BEZUG AUF DIE RECHTSSTAATLICHKEIT

1.Artikel 7 EUV und der Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips.

Artikel 7 EUV stellt weiterhin ein – wenn auch das symbolträchtigste – Ausnahmeinstrument dar, auf das die EU bei schwerwiegenden Rechtsstaatsdefiziten in einem Mitgliedstaat zurückgreifen kann. 13 Das Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 EUV, mit dem eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung festgestellt werden kann, wurde bislang in zwei Fällen in Gang gebracht: im Dezember 2017 von der Europäischen Kommission in Bezug auf Polen 14 und im September 2018 vom Europäischen Parlament in Bezug auf Ungarn 15 . Zwar zieht das Verfahren nach Artikel 7 EUV ganz erhebliche Konsequenzen nach sich, und der Dialog mit dem betroffenen Mitgliedstaat im Rahmen dieses Artikels ist bereits für sich genommen von großem Wert, aber die Fortschritte, die der Rat in diesen beiden Fällen erzielt hat, hätten bedeutsamer sein können. Zur Anwendung dieses Artikels in der Praxis musste der Rat neue Verfahren einrichten, die ihre volle Wirksamkeit noch unter Beweis stellen müssen.

Der Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips war von der Kommission 2014 vorgestellt worden 16 , und seine Rolle wurde vom Gerichtshof anerkannt. 17 Dort ist ein stufenweiser Dialog mit einem Mitgliedstaaten vorgesehen, der durch Stellungnahmen und Empfehlungen der Kommission strukturiert wird. Mit diesem Rahmen sollen systembedingten Gefahren für die Rechtsstaatlichkeit, die den Rückgriff auf Artikel 7 EUV erforderlich machen könnte, vorgebeugt werden. Bislang kam dieser Rahmen erst einmal zum Einsatz, und zwar im Januar 2016 mit dem Beginn eines Dialogs mit Polen. 18 Der Dialog trug zwar zur Identifizierung der Probleme und zur Lenkung der Diskussion bei, löste aber nicht die festgestellten Mängel in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit, so dass die Kommission im Dezember 2017 das Verfahren nach Artikel 7 Absatz 1 EUV auslöste.

2.Vertragsverletzungs- und Vorabentscheidungsverfahren

Die Kommission hat mehrere Vertragsverletzungsverfahren im Zusammenhang mit schwerwiegenden Verstößen in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit eingeleitet, in denen es um Verstöße gegen Unionsrecht ging. Dieses Vorgehen hat sich dank der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zunehmend etabliert.

Ein wirksamer Rechtsschutz durch unabhängige Gerichte wird durch Artikel 19 Absatz 1 EUV vorgeschrieben – hier erfährt das Rechtsstaatsprinzip eine konkrete Ausgestaltung. Zahlreiche Vorabentscheidungsersuchen nationaler Gerichte und von der Kommission eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren basieren auf dieser Vorschrift. Bereits 2006 stellte der Gerichtshof fest, dass der Begriff der richterlichen Unabhängigkeit ein autonomes Konzept des EU-Rechts darstellt und impliziert, dass Richter vor äußeren Einflüssen, die ihr unabhängiges Urteil gefährden könnten, geschützt werden müssen. 19 2018 folgten eine Reihe weiterer wichtiger Urteile. So stellte der Gerichtshof fest, dass die Mitgliedstaaten nach dem Unionsrecht verpflichtet sind, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewähren, und dass die Unabhängigkeit der nationalen Gerichtsbarkeit zur Gewährleistung eines solchen Rechtsschutz unabdingbar ist. 20 In anderen Urteilen hat der Gerichtshof die Anforderungen an die Gewährleistung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit ausführlicher dargelegt und ihre entscheidende Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren der gerichtlichen Zusammenarbeit im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 267 AEUV und für die auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens beruhenden Sekundärrechts-Instrumente hervorgehoben. 21 Ferner hat der Gerichtshof einstweilige Maßnahmen erlassen, mit denen nationale Reformen ausgesetzt wurden, die die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigen könnten. 22 Weitere dem Gerichtshof von einzelstaatlichen Gerichten und von der Kommission vorgelegte Rechtssachen sind noch anhängig.

In der Entwicklung begriffen ist ferner die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Frage, inwieweit systembedingte Probleme im Zusammenhang mit der Rechtsstaatlichkeit spezifische Auswirkungen auf dem Gebiet der Unionsfinanzen haben müssen. 23

3.Andere Mechanismen und Rahmen

Eine Reihe anderer Mechanismen und Rahmen leistet ebenfalls einen Beitrag zum Umgang mit Rechtsstaatsproblemen in den Mitgliedstaaten, entweder umfassend mittels spezifischer Instrumente oder mittels anderer Schritte zur Kontrolle der Politik der Mitgliedstaaten oder der Anwendung des EU-Rechts. Diesen Instrumenten kommt eine wichtige Rolle bei der Früherkennung und Vorbeugung zu, da durch sie Rechtsstaatlichkeitsprobleme in den Mitgliedstaaten angegangen werden können, bevor auf das Verfahren nach Artikel 7 zurückgegriffen werden muss.

·Der Zyklus des Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik bietet Gelegenheit zu länderspezifischen Analysen und Empfehlungen für wachstumsfreundliche Strukturreformen. Diese Analysen erstrecken sich auch auf Korruptionsbekämpfung, die Leistungsfähigkeit des Justizwesens und die Reform der öffentlichen Verwaltung. Werden in den einzelnen Länderberichten schwerwiegende Mängel auf diesen Gebieten festgestellt, erlässt der Rat gezielte länderspezifische Empfehlungen.

·Das jährliche EU-Justizbarometer gründet sich auf vielfältige Indikatoren zur Messung der Unabhängigkeit, Qualität und Effizienz der nationalen Justizsysteme. Dieses vergleichende Instrument wird durch die in den Länderberichten enthaltenen länderspezifischen Bewertungen ergänzt, die eine tiefergehende Analyse auf der Grundlage des rechtlichen und institutionellen Kontexts auf nationaler Ebene ermöglicht.

·Das Kooperations- und Kontrollverfahren war als spezifisches Verfahren für Bulgarien und Rumänien anlässlich des Beitritts beider Länder zur Union 2007 eingerichtet worden, um die beiden Mitgliedstaaten bei der Bewältigung verbliebener Mängel in den Bereichen Justizreform, Korruptionsbekämpfung und (im Falle Bulgariens) organisierte Kriminalität zu unterstützen. 24 Das Verfahren wurde als Übergangsmaßnahme konzipiert und soll eingestellt werden, sobald die festgelegten Vorgaben in ausreichendem Maße erfüllt sind. Die dabei gewonnenen Erfahrungen sind nützlich beim Umgang mit Herausforderungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten.

·Der Dienst der Kommission zur Unterstützung von Strukturreformen bietet technische Unterstützung für Strukturreformen in den Mitgliedstaaten auch in für eine bessere Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips relevanten Bereichen wie Verwaltungen, Justizwesen und Korruptionsbekämpfung. Die Unterstützung wird auf Antrag eines Mitgliedstaats gewährt und ist auf die Erfüllung der Bedürfnisse im Zusammenhang mit vorab festgelegten Reformprioritäten zugeschnitten. 25

·Auch der Europäische Struktur- und Investitionsfonds und der Fonds zur Unterstützung der Justiz- und Sicherheitspolitik unterstützen die Mitgliedstaaten bei der Stärkung ihres Staatsapparats, ihrer Justiz und ihrer Korruptionsbekämpfungs-Kapazitäten. 26 Die Fonds haben schon im Finanzierungszeitraum 2014-2020 mittels Ex-Ante-Konditionalitäten zur Verbesserung der institutionellen Kapazitäten der Staatsorgane und zu einer leistungsfähigen Verwaltung beigetragen (im MFR 2021-2027 sollen sie durch sogenannte „Vorbedingungen“ ersetzt werden. 27 Dadurch wird der Rahmen zur Umsetzung des Rechtsstaatsprinzips gefestigt.

·Als Teil ihrer Vorschläge für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen hat die Kommission einen neuen Mechanismus zum Schutz des Unionshaushalts in Fällen vorgeschlagen, in denen generelle Mängel in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten den Haushalt beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen. 28 Die Einhaltung des Rechtsstaatsprinzips ist eine wesentliche Vorbedingung für die Einhaltung des Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit der Haushaltsführung und den Schutz des Unionshaushalts. Die vorgeschlagene Verordnung würde es der Union ermöglichen, solche Mängel mit geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen anzugehen.

·Das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) dient der Aufdeckung und Untersuchung von Betrug, Korruption und anderen Delikten zum Schaden der finanziellen Interessen der EU und gibt Empfehlungen ab, die den einzelstaatlichen Behörden die Einleitung von Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren ermöglichen. Die Einrichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) ist ein Meilenstein in der Entwicklung des institutionellen Rahmens auf EU-Ebene und bei der Bekämpfung von Delikten zu Lasten der finanziellen Interessen der EU. Die EUStA wird Ende 2020 einsatzfähig und mit der Befugnis ausgestattet sein, strafrechtliche Ermittlungen durchzuführen und Straftaten zu Lasten des EU-Haushalts zu verfolgen. Sie wird mit OLAF eng zusammenarbeiten.

·Als eine zentrale Facette der EU-Außenpolitik ist die Rechtsstaatlichkeit immer stärker in den Mittelpunkt des EU-Beitrittsprozesses und der Nachbarschaftspolitik gerückt. Die Stärkung wichtiger Organe wie der Justiz und die Verbesserung der Korruptionsbekämpfung haben sich zunehmend zu Schlüsselthemen bei der Förderung von Reformen, die die Erfüllung der Kopenhagener Beitrittskriterien ermöglichen sollen, durch die EU entwickelt. 29 Die Rechtsstaatlichkeit ist auch in den Beitrittsverhandlungen fest verankert; wie rasch die Verhandlungen insgesamt vorankommen, hängt von den Fortschritten auf diesem Gebiet ab. 30 In der Strategie für den westlichen Balkan vom Februar 2018 31 wird ein noch ausgeprägterer Wert auf Reformen in Richtung der Rechtsstaatlichkeit gelegt und die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit als einer wesentlichen Voraussetzung für einen Beitritt zur EU hervorgehoben.

III.    DIE UMFASSENDERE RECHTSSTAATLICHKEITS-DEBATTE

Die zunehmende Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit als eines gemeinsamen Anliegens spiegelt sich in den breiteren Debatten in den Organen und Einrichtungen der Union 32 und anderen Gremien 33 wider.

Im Oktober 2016 nahm das Europäische Parlament eine Entschließung zur Einrichtung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte an. 34 In der Entschließung wurde die Kommission aufgefordert, ein umfassendes Monitoring aller Mitgliedstaaten und EU-Organe einzurichten, mit jährlichen Berichten und Empfehlungen. Dieser Aufruf wurde 2018 erneuert. 35 Zudem hat das Europäische Parlament Entschließungen zur Rechtsstaatlichkeit in mehreren Mitgliedstaaten verabschiedet.

Zusätzlich zu seiner klar definierten institutionellen Rolle nach Artikel 7 EUV hat der Rat einen jährlichen Rechtsstaatlichkeits-„Dialog“ im Rat Allgemeine Angelegenheiten eingeführt, der jedes Jahr einem bestimmten Thema gewidmet ist. Im Herbst 2019 soll dieses Verfahren unter finnischem Vorsitz einer Überprüfung unterzogen werden.

Auch eine Reihe nationaler Parlamente hat mit Entschließungen und Debatten zur Reflexion über die Rechtsstaatlichkeitsproblematik beigetragen. 36

Neben der EU hat auch der Europarat eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung von Begriffsbestimmungen und Standards auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit eingenommen. In der Präambel der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten wird die Rechtsstaatlichkeit als Teil des gemeinsamen Erbes bezeichnet. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben erheblich zur begrifflichen Klärung, Förderung und Stärkung des Rechtsstaatsprinzips beigetragen und den engen Zusammenhang zwischen Rechtsstaatlichkeit und einer demokratischen Gesellschaft hervorgehoben. Die Venedig-Kommission des Europarats hat 2016 ein Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit („Rule of Law Checklist“) veröffentlicht. 37 Der Europarat hat diesen Ansatz auch in Einzelfällen in Bezug auf Mitgliedstaaten, durch den Aufbau einschlägigen Sachverstands in der Venedig-Kommission und die Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) sowie ein spezifisches Monitoring angewandt.

Europäische justizielle Netze, Sachverständigengruppen und Anwaltsverbände sowie Organisationen der Zivilgesellschaft haben ebenfalls zur Heranbildung eines gemeinsamen Verständnisses auf europäischer und nationaler Ebene beigetragen und spielen bei der Förderung gemeinsamer Standards und bewährter Praktiken eine wichtige Rolle.

IV.    BEWERTUNG DER BISHERIGEN ERFAHRUNGEN

Die bisher gesammelten Erfahrungen lassen gemeinsame Aspekte erkennen, die auf der Grundlage bestimmter Kernprinzipien als Anhaltspunkte für künftige Überlegungen dienen könnten. Erstens besteht ein berechtigtes Interesse der EU und anderer Mitgliedstaaten an einem ordnungsgemäßen Funktionieren des Rechtsstaats in allen Mitgliedstaaten. Zweitens muss die Hauptverantwortung für die Sicherstellung der Rechtsstaatlichkeit bei jedem einzelnen Mitgliedstaat liegen, und als allererstes sollte stets auf die nationalen Rechtsdurchsetzungsinstrumente zurückgegriffen werden, da nicht nur das EU-Recht, sondern auch die nationalen Rechtsordnungen eingehalten werden müssen. Drittens muss sich die EU in diesem Bereich objektiv verhalten, alle Mitgliedstaaten gleichbehandeln und sich auf die Beiträge stützen, die ihre Organe und Einrichtungen im Rahmen ihrer jeweiligen institutionellen Aufgaben leisten. Schließlich darf es nicht darum gehen, Sanktionen zu verhängen, sondern Ziel muss sein, eine Lösung zu finden, durch die die Rechtsstaatlichkeit geschützt wird und bei der die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung eine zentrale Rolle spielen.

Notwendige Förderung von Standards für die Rechtsstaatlichkeit

Im Fallrecht des Europäischen Gerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die wichtigsten EU-weit geltenden Anforderungen und Standards festgelegt, an die sich die EU und ihre Mitgliedstaaten halten müssen, um die Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Der Europarat hat zudem einschlägige Standards entwickelt und gibt Stellungnahmen und Empfehlungen ab, die maßgebliche Leitlinien für die Förderung und Wahrung der Rechtsstaatlichkeit bilden. 38 Diese Anforderungen und Standards sind das Fundament für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten ‑ und dies unabhängig von deren verfassungsrechtlicher Struktur.

Zentrale Grundsätze wie die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewaltenteilung sollten in der politischen Kultur der Mitgliedstaaten verankert sein. Immer dann, wenn ein allgemeiner EU-Standard zur Anwendung gebracht werden kann, kann dieser sowohl als Maßstab für die Bewertung eines möglichen Mangels als auch als Hilfe für die Lösungssuche herangezogen werden.

Die Erfahrung hat gleichwohl gezeigt, dass dieses Fallrecht sowie diese Grundsätze und Standards auf nationaler Ebene nicht immer hinlänglich bekannt sind. Standards, die nicht hinlänglich bekannt sind, können weder eine wichtige Informationsgrundlage für die nationale Politik darstellen noch einen hinreichenden Beitrag zu der Debatte über nationale Reformen leisten und werden möglicherweise im Dialog mit den EU-Organen infrage gestellt.

Erkennung von Warnzeichen

Wenn die Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit betreffende Warnzeichen frühzeitig erkannt werden, kann dies viele Vorteile haben. Wenn eine Entwicklung, die der EU zur Sorge gereichen könnte, frühzeitig erkannt und von dem betreffenden Mitgliedstaat als solche zur Kenntnis genommen werden kann, lässt sich diese Besorgnis auf EU-Ebene besser vermitteln. Dies kann bereits ausreichen, um nationale Kontrollen und Gegenkontrollen auszulösen, ohne dass formellere Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich werden. Dieses Frühwarnsystem funktioniert auf unterschiedliche Weise.

Bei wiederkehrenden Problemen ist es einfacher, diese rasch zu erkennen. Ein Kernpunkt der Rechtsstaatlichkeit ist die Notwendigkeit, dass jedwede öffentliche Gewalt jederzeit den festgelegten Werten, Vorschriften und Verfahren unterliegt. Wenn öffentliche Gewalten und gewählte Mehrheiten in einem Mitgliedstaat die geltenden Rechtsvorschriften oder Verfahren missachten, ist dies ein sehr deutliches Warnzeichen. Beispielsweise drehten sich zahlreiche Fälle, die in der jüngsten Vergangenheit Auswirkungen auf EU-Ebene hatten, um das zentrale Thema der Unabhängigkeit von Gerichtsverfahren. Die Justiz ist das Kernstück der Rechtsstaatlichkeit. Die Versuche von Politikern, die Unabhängigkeit und die Verbindlichkeit justizieller Entscheidungen durch Ausübung politischen oder sonstigen Drucks auf einzelne Richter zu untergraben, indem sie in spezifische Fälle eingreifen, Gerichtsurteile missachten oder bereits abgeschlossene Gerichtsverfahren neu aufrollen, sind nur allzu bekannt. Als weitere Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sind Maßnahmen zur Schwächung von Verfassungsgerichten oder von anderen Instanzen für die Kontrolle der vom Parlament erlassenen Gesetze oder der von der Regierung ergriffenen Maßnahmen sowie ein verstärkter Rückgriff auf Eilverordnungen zu nennen. Ein undurchsichtiger Rechtsetzungsprozess kann es politischen Mehrheiten einfacher machen, die Gewaltenteilung abzuschwächen oder zu umgehen. Wiederholte öffentliche Angriffe vonseiten einer Staatsgewalt gegen eine andere höhlen den fundamentalen Grundsatz der Gewaltenteilung aus. Derartige Vorfälle stellen somit Warnzeichen dar, die auf die mögliche Entstehung eines Problems auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit hinweisen und die Gelegenheit bieten können, in einen diesbezüglichen Dialog einzutreten und etwaige Abhilfemaßnahmen zu ergreifen.

Generell lässt sich sagen, dass Korruption und Amtsmissbrauch auf hoher Ebene häufig im Zusammenhang mit Situationen vorkommen, in denen politische Kräfte den Rechtsstaat auszuhebeln trachten. Zudem kann durch strukturelle Mängel ein Umfeld entstehen, in dem ein erhöhtes Risiko für Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit besteht. Strukturelle Mängel von Rechtssystemen (beispielsweise unzureichende Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz) führen zu einem erhöhten Risiko, dass auf die Justiz Druck ausgeübt werden kann. Ebenso können allgemeine Mängel des Staatsapparates die Ursache für willkürliche Entscheidungen, für mögliche Korruptionsdelikte und generell für Situationen bilden, in denen es Beamten schwerer fällt, etwaigem auf sie ausgeübtem Druck zu widerstehen. Derartige Fälle dienen als Indikatoren für mögliche Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit.

In der Regel äußern Akteure im betroffenen Mitgliedstaat als Erste Besorgnis über etwaige Rechtsstaatlichkeitsdefizite. Ebenso zählen die Meinungs- und die Informationsfreiheit wie auch die Medienfreiheit und –vielfalt zu den Grundwerten, auf denen die Europäische Union aufbaut. Die Zivilgesellschaft und die Medien sind wichtige Wächter jeder gesunden Demokratie und spielen somit eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Machthaber zur Rechenschaft zu ziehen, öffentliche Diskussionen in Gang zu bringen und staatliche Entscheidungen zu hinterfragen. Versuche, diese Akteure zu schwächen oder unter Druck zu setzen, stellen folglich ein weiteres Warnzeichen dar.

Vertiefung der länderspezifischen Kenntnisse

Das Bewusstsein für derartige Warnzeichen und somit die Fähigkeit der Union, rechtzeitig auf diese zu reagieren, hängt davon ab, wie gut der länderspezifische Wissensstand der Kommission, anderer Organe und anderer Mitgliedstaaten ist. Bestimmte Warnzeichen können nur erkannt werden, wenn eine durch einen Dialog mit Behörden und anderen Beteiligten vertiefte Kenntnis der unterschiedlichen Praktiken der Mitgliedstaaten besteht. Derartige länderspezifische Kenntnisse sind von wesentlicher Bedeutung für die Vorbeugung gegen mögliche Bedrohungen der Rechtsstaatlichkeit und erforderlichenfalls für wirksame Gegenmaßnahmen. Wichtig ist auch, dass sichergestellt wird, dass die von den Mitgliedstaaten durchgeführten Reformen in völliger Übereinstimmung mit den Anforderungen des EU-Rechts und den EU-Standards für die Rechtsstaatlichkeit stehen. Die Vertiefung der länderspezifischen Kenntnisse ist zudem notwendig, um ermitteln zu können, wie die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten optimal unter Einsatz von EU-Geldern und mit von der EU geleisteter technischer Unterstützung gefördert werden kann. Fairness, Objektivität und Gleichbehandlung müssen feste Bestandteile eines jeden Systems zur Aufrechterhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der Union sein. Technischer Sachverstand und Analysefähigkeiten auf Unionsebene sind tragende Elemente, die dazu beitragen, dass in den Bewertungen sowohl den nationalen Traditionen in vollem Umfang Rechnung getragen wird als auch deutlich aufgezeigt werden kann, wo die Probleme liegen.

Das Europäische Semester und das dieses ergänzende EU-Justizbarometer haben sich als ein guter Rahmen für die Vermittlung länderspezifischer Kenntnisse über die Rechtsstaatlichkeit erwiesen. Es sollten Überlegungen über die Frage angestellt werden, ob näher ausgelotet werden könnte, welche weiteren Möglichkeiten sie bieten.

Verbesserung der Reaktionsmöglichkeiten der EU auf Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit

Die Erfahrungen der vergangenen Jahre und der erweiterte Dialog zu diesem Thema haben deutlich gezeigt, dass die Fähigkeit der EU, auf ernsthafte Herausforderungen an die Rechtsstaatlichkeit zu reagieren, verbessert werden muss. Beispielsweise haben die Erfahrungen, die bei den laufenden Verfahren nach Artikel 7 EUV gesammelt worden sind, gezeigt, dass es erforderlich ist, weitere Überlegungen zu der Frage anzustellen, wie dieses Verfahren am besten auf wirksame Weise durchgeführt werden kann. Zudem sind, da es vielfältige Herausforderungen an die Rechtsstaatlichkeit gibt, auch vielfältige Lösungen auf EU-Ebene erforderlich.

Jede Reaktion der EU sollte daher differenziert sein. Schon ein frühzeitiger informeller Hinweis auf mögliche Schwierigkeiten kann nationale Behörden veranlassen, ihr Vorgehen zu überdenken, oder nationale Kontrollen und Gegenkontrollen auslösen.

Der Dialog spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wird er zusätzlich in einen strukturierten Prozess eingebettet, erhöht sich die Chance, dass das im Dialog beschlossene Vorgehen die erforderliche Fokussierung und Orientierung besitzt. Bei vielen Problemen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle: Je länger es dauert, sie zu lösen, desto größter ist die Gefahr, dass sich das Problem verschärft und die EU sowie der betroffene Mitgliedstaat Schaden nehmen. Daher ist es von Vorteil, bestimmte der Schwere des Problems angemessene Zwischenschritte zu ergreifen, die eine niedrigere Handlungsschwelle aufweisen als für Maßnahmen nach Artikel 7 VEU vorgesehen ist. Im Anschluss an derartige Schritte kann es zudem von Vorteil sein, einschlägige Überprüfungen oder eine geeignete Nachbegleitung durchzuführen, denn die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die Anwendung von Ex-ante-Konditionalitäten auf EU-Gelder offenbar wichtige Anreize bewirkt hat. Gleichwohl besteht das Risiko, dass es nach einem solchen einmaligen Anreiz wieder zu politischen oder strukturellen Rückschritten kommt.

Maßnahmen der EU haben auch mehr Gewicht, wenn sämtliche Organe dabei eine ihren jeweiligen Aufgaben entsprechende Mitverantwortung tragen. EU-Maßnahmen im Krisenfall sind ein politisch heikles Thema und werden stets schlagkräftiger sein, wenn sie auf einem gemeinsamen Konzept beruhen. Die Unterstützung vonseiten des Europäischen Parlaments und des Rates für das Vorgehen der Kommission und strengere interne Verfahrensvorschriften der Organe für den Umgang mit in Mitgliedstaaten bestehenden Problemen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit können ein handfestes Mittel sein, wenn es darum geht, einem Mitgliedstaat die Notwendigkeit geeigneter Gegenmaßnahmen klar zu machen und stärkere Impulse für die Suche nach Lösungen zu geben.

Langfristige Mängelbeseitigung durch Strukturreformen

Die EU spielt eine immer wichtiger werdende Rolle bei der Stärkung der Kapazitäten und der Funktionsfähigkeit der für die nationalen Kontrollen und Gegenkontrollen zuständigen Staatsorgane und sonstigen Einrichtungen.

Sie hat mit ihren Finanzhilfen wichtige Beiträge zum Auf- und Ausbau von zur Unterstützung der Rechtsstaatlichkeit dienenden Kapazitäten öffentlicher Einrichtungen geleistet. Im Programmplanungszeitraum 2014-2020 hat fast die Hälfte aller Mitgliedstaaten Strukturfondsmittel für die Unterstützung von Reformen genutzt, die auf die Stärkung der Justiz und der öffentlichen Verwaltung abstellen oder zur Korruptionsbekämpfung dienen. Dies mag verdeutlichen, dass die EU nicht nur Bedenken äußert, sondern auch praktische Abhilfemöglichkeiten schafft. Beispielsweise kann der kommissionseigene Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen im Rahmen des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen nationale Einrichtungen bei Reformmaßnahmen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit unterstützen. 

Die EU kann mit ihren Finanzmitteln und ihren Programmen noch wirksamer zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit beitragen, wenn dieses Vorgehen mit im Rahmen des Europäischen Semesters abgegebenen Empfehlungen für Strukturreformen einhergeht.

Allgemein kann die Unionspolitik in Bereichen wie der öffentlichen Auftragsvergabe, der besseren Rechtsetzung sowie der straf- und zivilrechtlichen Zusammenarbeit zu einer kohärenten Anwendung der Rechtsstaatlichkeitsstandards der EU beitragen.



V.    MÖGLICHKEITEN FÜR DAS WEITERE VORGEHEN

Die wirksame Durchsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips in der Union beruht auf drei Säulen, nämlich erstens auf der Förderung der Rechtsstaatlichkeit (was eine vertiefte Zusammenarbeit bei der Verbreitung von Kenntnissen über das Rechtsstaatsprinzip einschließt), zweitens auf der Vorbeugung gegen Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit, durch die ein frühzeitiges Eingreifen möglich und das Risiko einer Eskalation vermieden wird, und drittens auf der Fähigkeit zu einer wirksamen gemeinsamen Reaktion, wenn ein Problem von hinreichender Bedeutung erkannt wurde.

Förderung der Rechtsstaatlichkeit: Aufbau von Wissen und Schaffung einer gemeinsamen Kultur der Rechtsstaatlichkeit

Eine robuste politische und rechtliche Kultur, die die Rechtsstaatlichkeit in allen Mitgliedstaaten fördert, ist die beste Garantie für den Fortbestand des Rechtsstaats. Die Union respektiert die unterschiedlichen politischen und verfassungsrechtlichen Strukturen der einzelnen Mitgliedstaaten. Gleichwohl machen es die Pflichten, die die Mitgliedschaft in der Union mit sich bringt, und das demokratische Erbe Europas erforderlich, dass die nationalen Rechtsvorschriften und Strukturen die Rechtsstaatlichkeitsstandards und -normen der EU als gemeinsamen Wert der EU widerspiegeln und im Einklang mit den im Primär- und im Sekundärrecht der EU verankerten Garantien für die Rechtsstaatlichkeit stehen.

Auch kann es nützlich sein, das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit für die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie zu schärfen und Kommunikationsmaßnahmen zur diesbezüglichen Sensibilisierung der Bürger zu unterstützen.

Für die nachhaltige Vertiefung einer solchen politischen und rechtlichen Kultur in allen Mitgliedstaaten ist es wichtig, die Kenntnis der einschlägigen Gerichtsurteile und Rechtsstaatlichkeitsstandards zu fördern, damit beispielsweise Evaluierungen und Stellungnahmen zu diesem Thema, die von Gremien wie der Venedig-Kommission oder der GRECO erarbeitet werden, auf nationaler Ebene erörtert werden können. Dies kann dazu beitragen, dass sich alle Beteiligten darüber im Klaren sind, was von ihnen erwartet wird und wie die Institutionen und die Rechtsvorschriften den zentralen Grundsätzen Rechnung tragen können. Gemeinsame Konzepte für diese Bereiche können zur Förderung einer starken Rechtsstaatlichkeitskultur in allen wichtigen Institutionen und Berufskreisen beitragen.

Gleichwohl müssen gemeinsame Konzepte, Standards und Normen nicht auf ein und dieselbe Weise umgesetzt werden. Wenn jedoch ein klares gemeinsames Konzept besteht, ist es einfacher, einzelne nationale Systeme auf den Prüfstand zu stellen, um sicher zu sein, dass sie ihren Zweck erfüllen.

Dies ist besonders wichtig, weil der Fortbestand der Rechtsstaatlichkeit nicht nur von der Existenz von Rechtsvorschriften und institutionellen Strukturen abhängt, sondern auch von den einschlägigen institutionellen Praktiken. Die Venedig-Kommission hat beispielsweise darauf hingewiesen, wie wichtig eine loyale Zusammenarbeit zwischen den Institutionen (d.h. dass eine Staatsgewalt akzeptiert, dass die anderen Staatsgewalten legitime Aufgaben zu erfüllen haben, die es zu respektieren gilt) als Grundstein des Rechtsstaates ist. Diese loyale Zusammenarbeit kann sich, selbst wenn sie in Rechts- oder Verfassungsvorschriften geregelt ist, ihrerseits Belastungen ausgesetzt sehen. Durch den Austausch von Fachwissen unter Praktikern verschiedener Mitgliedstaaten (Richter, Staatsanwälte, Korruptionsbekämpfungsexperten usw.) kann dazu beigetragen werden, dass sich ein Gespür dafür entwickelt, was dies in der Praxis bedeutet. Ein weiterer zentraler Aspekt des Rechtsstaatlichkeitsprinzips und der verantwortungsvollen Staatsführung in der Praxis ist die transparente Politikgestaltung und Rechtsetzung. Dabei wird im Kern anerkannt, dass die Staatsgewalten Rechenschafts- und anderen Pflichten unterliegen, denen in einer demokratischen Gesellschaft nachgekommen werden muss.

Die EU bietet eine zentrale Plattform für die Sensibilisierung für Herausforderungen an die Rechtsstaatlichkeit. Wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen, könnte diese über die EU-Organe hinaus auf die nationalen Parlamente und andere Hauptakteure auf nationaler Ebene ausgeweitet werden. Der Zivilgesellschaft kommt dabei gerade auf regionaler und auf lokaler Ebene besondere Bedeutung zu. Die Kommission hat bereits vorgeschlagen, mehr Mittel und Unterstützung für die Entwicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft, die Förderung des Medienpluralismus und der Vernetzung wichtiger Akteure auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit sowie die Förderung unionsweiter Organisationen und Einrichtungen, die ein allgemeines europäisches Ziel auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit verfolgen, bereitzustellen. 39

Besonders wichtig für die Förderung der Rechtsstaatlichkeit ist die Beziehung der EU zum Europarat. Die EU-Organe und die Mitgliedstaaten könnten diese Beziehung weiterentwickeln, um eine gemeinsame europäische Rechtsstaatlichkeitskultur zu fördern.

Auch könnte die EU ausloten, wie die Arbeiten des Europarates zur Entwicklung gemeinsamer Rechtsstaatlichkeitsstandards optimal gefördert werden können. Die Förderung von Rechtsstaatlichkeitsstandards könnte, wie von einigen Mitgliedstaaten vorgeschlagen, auch im Wege von Peer-Reviews erfolgen.

Mögliche Fragen für weitere Überlegungen

·Wie kann die EU die in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit geltenden rechtlichen Anforderungen und Standards der EU ‑ insbesondere auf nationaler Ebene ‑ besser fördern?

·Wie kann die EU wichtigen Netzen, der Zivilgesellschaft und dem privaten Sektor optimale Anregungen für Basisdiskussionen über Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit (einschließlich der wirtschaftlichen Dimension dieser Frage) geben und die bestehenden Rechtsstaatlichkeitsstandards fördern?

·Können die Mitgliedstaaten mehr für die Förderung von Diskussionen über das Rechtsstaatsprinzip auf nationaler Ebene tun (beispielsweise durch Debatten in den nationalen Parlamenten und auf Berufs- oder öffentlichen Foren sowie durch Maßnahmen zur Sensibilisierung der breiten Öffentlichkeit)?

·Wie können die EU und ihre Mitgliedstaaten die Zusammenarbeit mit dem Europarat und anderen sich für die Rechtsstaatlichkeit einsetzenden internationalen Organisationen (unter anderem durch Unterstützung der Arbeiten des Europarates und in Bezug auf die Evaluierungen und Empfehlungen des Europarates) ausweiten?

·Wie kann die EU auf der Basis der vom Europarat geleisteten Arbeiten gemeinsame EU-Konzepte fördern? Können Peer-Reviews zwischen Mitgliedstaaten dabei helfen?

·Wie können die bestehenden Maßnahmen des Europäischen Parlaments und des Rates verbessert und weiterentwickelt werden? Können Fraktionen und nationale Parlamente stärker in diesen Prozess einbezogen werden?

Vorbeugung gegen Probleme auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit: Zusammenarbeit und Unterstützung bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit auf nationaler Ebene

Für die Einhaltung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips auf nationaler Ebene sind in erster Linie die einzelnen Mitgliedstaaten verantwortlich. Die Union kann den Mitgliedstaaten allerdings wichtige Unterstützung bei der Entwicklung eines langfristigen Ansatzes leisten, der dazu beiträgt, dass bestehende Herausforderungen dank geeigneter Kontrollen und Gegenkontrollen bewältigt werden können und letztendlich nicht die EU selber nach einer Lösung für eine Krise des Rechtsstaats in einem Mitgliedstaat suchen muss. Dabei geht es darum, die Belastbarkeit der zentralen Systeme und Einrichtungen zu stärken, damit diese für Zeiten politischen Drucks gewappnet sind.

Ein besseres Verständnis der Entwicklungen in den einzelnen Mitgliedstaaten würde es ermöglichen, diese Unterstützung gezielter einzusetzen und etwaige Risiken für die Rechtsstaatlichkeit frühzeitig zu erkennen. Hierfür in Frage kämen Bereiche wie die nationalen Kontrollen und Gegenkontrollen, die Unabhängigkeit der Justiz, die Qualität der Verwaltung, die Korruptionsbekämpfungsstrategien, die Transparenz des Legislativprozesses und die Verbesserung der Rechtsetzung. Die Erhebung einschlägiger Informationen könnte den allgemeinen Rahmen für eine regelmäßige Zusammenarbeit und einen regelmäßigen Dialog mit den Mitgliedstaaten sowie für die regelmäßige Unterrichtung des Europäischen Parlaments und des Rates bilden. Die Datenerhebung müsste sich auf sämtliche Mitgliedstaaten erstrecken, könnte jedoch in Mitgliedstaaten, bei denen Mängel oder spezifische Risiken ermittelt wurden, mit verstärkter Intensität betrieben werden. Dabei müsste in ausgewogener Weise der Notwendigkeit Rechnung getragen werden, unter Berücksichtigung der verfügbaren Finanz- und Humanressourcen ein ausreichendes Verständnis für die nationalen Eigenheiten zu schaffen. Ziel dabei wäre die Schaffung einer solideren Grundlage für den frühzeitigen Dialog über politische Initiativen mit Auswirkungen auf die Rechtsstaatlichkeit. Die Überlegungen sollten sich insbesondere mit der Frage befassen, ob die Nutzung bestehender Instrumente wie dem Europäische Semester und dem EU-Justizbarometer so weiterentwickelt werden kann, dass etwaigen Problemen auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit besser begegnet werden kann.

Eine zusätzliche Möglichkeit wäre, die Zusammenarbeit und die praktische Unterstützung zu verstärken, um einen möglichst konstruktiven Beitrag der Union zur frühzeitigen Lösung etwaiger Probleme zu gewährleisten und zur Ausarbeitung nachhaltiger Lösungen beizutragen, die in die laufenden Reformprozesse einfließen können. Derartige Initiativen könnten auf Ersuchen der Mitgliedstaaten erfolgen und geeignete Aktionspläne einschließen. Das Europäische Parlament und der Rat könnten in die Ausarbeitung und Förderung derartiger Initiativen eingebunden werden. Dabei könnte auch besonderes Gewicht auf die Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften zur Rechtsstaatlichkeit gelegt werden. Zudem könnte den Mitgliedstaaten im Rahmen des Programms zur Unterstützung von Strukturreformen technische Unterstützung geleistet werden.

Mögliche Fragen für weitere Überlegungen

·Wie kann die EU ihre Fähigkeit zur Schaffung einer Wissensbasis mit vertieften vergleichenden Informationen über die Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten verbessern, die Produktivität des einschlägigen Dialogs erhöhen und dafür sorgen, dass mögliche Probleme frühzeitig erkannt werden können? Wie können die vorhandenen Instrumente so weiterentwickelt werden, dass sie aktuelle Lagebewertungen in Sachen Rechtsstaatlichkeit ermöglichen?

·Wie ließe sich der Meinungsaustausch zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten über Fragen der Rechtsstaatlichkeit möglichst produktiv organisieren?

·Wie können der Sachverstand der EU und die von ihr geleistete Unterstützung am wirksamsten in die Mitgliedstaaten geleitet werden?

·Kann den vorbeugenden Maßnahmen durch einen stärker interinstitutionell geprägten Ansatz mehr Gewicht verliehen werden?

Reaktion: Durchsetzung auf Unionsebene, wenn nationale Mechanismen versagen

Der Europäische Gerichtshof wird immer häufiger im Rahmen von Vertragsverletzungs- oder Vorabentscheidungsverfahren mit Fragen der Rechtsstaatlichkeit befasst, die sich auf die Anwendung des Unionsrechts auswirken. Die Kommission möchte auf seinen unlängst ergangenen Entscheidungen (beispielsweise zur Unabhängigkeit der nationalen Gerichte und zum Thema Schutz der finanziellen Interessen der Union) aufbauen. Eine wirksame Durchsetzung des Unionsrechts durch unabhängige Behörden und nationale Gerichte trägt zudem generell zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten bei. In den Fällen, in denen es erforderlich ist, wird die Kommission daher auch künftig mithilfe von Vertragsverletzungsverfahren für die ordnungsgemäße Anwendung und Durchsetzung des Unionsrechts sorgen.

Wenn in einem Mitgliedstaat die nationalen Garantien für die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit offenbar ungeeignet für die Bekämpfung von Bedrohungen für die Rechtsstaatlichkeit sind, liegt es in der gemeinsamen Verantwortung der EU-Organe und der Mitgliedstaaten, geeignete Abhilfemaßnahmen zu ergreifen. Ebenso wie es eine gemeinsame Pflicht zur Verteidigung der Werte der EU gibt, besteht ein gemeinsames Interesse, Probleme wie Bedrohungen der Verfassungsgerichte oder der Unabhängigkeit der Justiz anzugehen, bevor sie die Umsetzung des Rechts und der Politik sowie den Umgang mit ihren Finanzmitteln beeinträchtigen können. Das diesbezügliche Vorgehen kann je nach den Umständen (wie beispielsweise dem Vorliegen einer Vertragsverletzung) oder der angestrebten Verhältnismäßigkeit unterschiedlich sein. Unterschiedliche Ansätze können zudem in bestimmten Politikbereichen wie in Bezug auf den Vorschlag der Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der EU im Falle allgemeiner Rechtsstaatlichkeitsdefizite angebracht sein.

Der EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips wurde von der Kommission im Jahr 2014 geschaffen, um reagieren zu können, wenn klare Anzeichen für systembedingte Risiken für die Rechtsstaatlichkeit in einem Mitgliedstaat bestehen, die ein klares Risiko einer ernsten Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und somit die Auslösung des Verfahrens nach Artikel 7 EUV nach sich ziehen könnten. Dieser Rahmen musste bisher erst einmal zur Anwendung gebracht werden und hat seine Funktion als Zwischenschritt erfüllt. Er hat zur Schaffung eines Dialogs beigetragen und zu detaillierten Tatsachenfeststellungen, zu Analysen und Empfehlungen sowie zur Einrichtung einer Wissensdatenbank geführt, die sich als nützlich für das weitere Vorgehen der Union erwiesen hat. Dennoch könnten bestimmte Verbesserungsmöglichkeiten ausgelotet werden. Beispielsweise könnten die frühzeitige Unterrichtung des Rates und des Europäischen Parlaments sowie die von diesen geleistete Unterstützung intensiviert werden. Eine weitere denkbare Option wäre die Flankierung von Dialog und Empfehlungen mit einschlägigen Aktionsplänen und technischer Unterstützung zur Abhilfeschaffung binnen eines gegebenen zeitlichen Rahmens oder eine deutlichere zeitliche Begrenzung der Dialogphase.

Bei derartigen Änderungen sollte das Ziel beibehalten werden, Lösungen für Krisensituationen zu finden und geeignete Abhilfemöglichkeiten zu ermitteln. Dafür bedarf es eines wirksamen Dialogs und effizienter Kommunikationskanäle. Ferner könnte geprüft werden, ob für Fälle, in denen ein Mitgliedstaat keine Abhilfe schaffen will, härtere Konsequenzen vorgesehen werden sollten. Dies könnte auch im Zuge einer genaueren Befassung mit den konkreten Auswirkungen, die in den Mitgliedstaaten bestehende Rechtsstaatlichkeitsdefizite auf das Funktionieren der EU haben, geschehen; dies wurde bereits im Vorschlag zum Schutz der finanziellen Interessen der EU im Falle allgemeiner Rechtsstaatlichkeitsdefizite angeregt.

Mögliche Fragen für weitere Überlegungen

·Wie kann das einschlägige Fallrecht des Gerichtshofs wirksam verbreitet und sein Potenzial in vollem Umfang genutzt werden?

·Wie können sich die Kommission, das Europäische Parlament und der Rat wirksamer absprechen, um in einer Krise des Rechtsstaats in einem Mitgliedstaat eine geeignete und zeitnahe Reaktion sicherzustellen?

·Wie könnte der EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips weiter ausgebaut werden? Sollte dazu insbesondere das gemeinsame Engagement mit anderen Organen und internationalen Partnern (Europarat bzw. Venedig-Kommission, Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa bzw. Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte usw.) verstärkt werden?

·Gibt es neben dem Schutz der finanziellen Interessen der EU andere Bereiche, für die die EU spezifische Mechanismen (einschließlich Konditionalitäten für den Bereich der Rechtsstaatlichkeit) zur Vermeidung oder Beseitigung spezifischer Risiken bei der Umsetzung des EU-Rechts oder der EU-Politik entwickeln sollte?

VI.    SCHLUSSBEMERKUNGEN

Die Kommission möchte das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat und die Mitgliedstaaten sowie die einschlägigen Interessenträger einschließlich der justiziellen Netze und der Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit einladen, Überlegungen über die in dieser Mitteilung angesprochenen Probleme und Fragen anzustellen. Die angesprochenen Fragen beziehen sich auf verschiedene Bereiche, in denen Verbesserungen vorgesehen werden könnten.

Derartige Überlegungen würden schon als solche zur Durchsetzung des Rechtsstaatlichkeitsprinzips beitragen, da sie zur Diskussion anregen und die kontinuierliche Befassung mit diesem Thema sicherstellen würden. Die Kommission ist überzeugt, dass eine stärkere Durchsetzung des Rechtsstaatsprinzips erheblich zur Zukunft der Union beitragen könnte. Sie würde zu mehr Klarheit und Konsistenz, zur Gleichbehandlung aller Mitgliedstaaten sowie zur wirksamen Anwendung des EU-Rechts in den Mitgliedstaaten und somit zum Schutz der gemeinsamen Interessen aller Beteiligten beitragen.

Die Kommission wird dieses Thema im Juni 2019 mit eigenen Schlussfolgerungen und Vorschlägen erneut aufgreifen. Letztere werden sich auf die Ergebnisse der laufenden Debatte zwischen den Organen und der breiten Öffentlichkeit sowie auf das kontinuierlich weiterentwickelte Fallrecht des Europäischen Gerichtshofes stützen und darauf abzielen, ein im Rahmen der geltenden Verträge verankertes Konzept für die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union zu formulieren.

(1)

     Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union.

(2)

     Artikel 21 des Vertrags über die Europäische Union.

(3)

     Artikel 19 EUV verpflichtet die Mitgliedstaaten zu wirksamem Rechtsschutz. Wie der Gerichtshof dargelegt hat, ist das Vorhandensein einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle „einem Rechtsstaat inhärent“, Rs. C-72/15 Rosneft.

(4)

     Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips, COM(2014) 158 final vom 11.3.2014.

(5)

     Anhang der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat, Ein neuer EU-Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips, COM(2014) 158 final vom 11.3.2014, sowie aus der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Rs. C-64/16, Associação Sindical dos Juízes Portugueses v. Tribunal de Contas;, Rs. C216/18 PPU, LM; Rs. C-619/18, Kommission/Polen (Beschluss vom 17. Dezember 2018). 

(6)

     In der laufenden Debatte über die Zukunft Europas haben verschiedene europäische politische Fraktionen und Parteien aus den Mitgliedstaaten die Rechtsstaatsthematik in wichtigen Beiträgen aufgegriffen.

(7)

     Rs. C-64/16, Associação Sindical dos Juízes Portugueses v. Tribunal de Contas; Rs. C284/16, Achmea; Rs. C216/18 PPU, LM; Rs. C- 621/18, Wightman; Rs. C-619/18, Kommission/Polen Beschluss vom 17. Dezember 2018.

(8)

     Leistungsstarke öffentliche Einrichtungen tragen zu höherem Wachstum bei und sind Voraussetzung für den Erfolg weiterer Reformen. Empirische Analysen zeigen, dass hochwertige Institutionen generell eine höhere Produktivität zur Folge haben, siehe Jahreswachstumsbericht 2019, COM(2018) 770 final.

(9)

   Siehe oben Fußnote 4.

(10)

     Vorschlag für eine Verordnung über den Schutz des Haushalts der Union im Falle von generellen Mängeln in Bezug auf das Rechtsstaatsprinzip in den Mitgliedstaaten – COM(2018) 324.

(11)

      https://ec.europa.eu/info/law/cross-border-cases/judicial-cooperation/networks-and-bodies-supporting-judicial-cooperation/european-public-prosecutors-office_de .

(12)

     Im Zentrum dieser Initiative steht die Stärkung des Rechtsstaatsprinzips; umfassendere Themen wie Demokratie oder Grundrechte werden nicht thematisiert. Das ändert jedoch nichts am grundsätzlichen Zusammenhang zwischen diesen drei Bereichen. Auch wenn es bei der Rechtsstaatlichkeits-Thematik vor allem um die Begrenzung und unabhängige Kontrolle der Ausübung von Staatsgewalt geht, trägt sie grundsätzlich dadurch, dass sie die Ausübung von Staatsgewalt rechenschaftspflichtig macht, zur Förderung der Demokratie bei, und für den Grundrechtsschutz ist sie unabdingbar.

(13)

     Siehe auch die Mitteilung der Kommission vom 15. Oktober 2003, Wahrung und Förderung der Grundwerte der Europäischen Union, COM(2003) 606 endg.

(14)

     Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Feststellung der eindeutigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch die Republik Polen, (COM(2017) 835 final, 20.12.2017).

(15)

     Entschließung des Europäischen Parlaments vom 12. September 2018, mit der der Rat aufgefordert wird, im Einklang mit Artikel 7 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union festzustellen, dass die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Grundwerte der Europäischen Union durch Ungarn besteht (2017/2131(INL)).

(16)

     Siehe oben Fußnote 4.

(17)

     Siehe Rs. C-619/18, Kommission/Polen Beschluss vom 17. Dezember 2018.

(18)

   Der Dialog fand von Januar 2016 bis Dezember 2017 statt. Die Kommission nahm eine Stellungnahme und vier Empfehlungen an.

(19)

     Rs. C-506/04, Wilson.

(20)

     Rs. C-64/16, Associação Sindical dos Juízes Portugueses; Rs. C-49/18, Escribano Vindel.

(21)

Was die Zusammensetzung von Richtergremien und die Ernennung, Amtszeit und Gründe für eine Stimmenthaltung, Abweisung oder Amtsenthebung von Richtern sowie die Disziplinarvorschriften für Richter anbelangt, siehe Rs. C-216/18 PPU Irland /LM und Case C-8/19 PPU, RH.

(22)

     Rs. C-619/18 R, Kommission/Polen Beschluss vom 17. Dezember 2018.

(23)

     Dazu zählen Vorabentscheidungsverfahren zur Notwendigkeit der Wirksamkeit von Untersuchungen von Steuerbetrug oder Betrug mit Unionsmitteln (siehe z. B. Rs. C-617/10, Åkerberg Fransson; C-105/14, Taricco; C-42/17 M.A.S.; und C-612/15 Kolev).

(24)

      https://ec.europa.eu/info/strategy/justice-and-fundamental-rights/effective-justice/rule-law/assistance-bulgaria-and-romania-under-cvm/reports-progress-bulgaria-and-romania_en .

(25)

     Das Programm für Strukturreformen wurde mit Verordnung (EU) 2017/825 vom 17. Mai 2017 eingerichtet; für den Zeitraum 2017-2020 stehen 142,8 Mio. EUR zur Verfügung. Mit Verordnung (EU) 2018/1671 vom 23. Oktober 2018 wurde die Verordnung (EU) 2017/825 geändert; dabei wurden die Programm-Mittel auf 222,8 Mio. EUR aufgestockt und das allgemeine Ziel aktualisiert. Im Zuge ihrer MFR-Vorschläge für 2021-2027 hat die Kommission vorgeschlagen, 840 Mio. EUR für technische Unterstützung bereitzustellen und das Instrument für technische Unterstützung in den Vorschlag für ein Reformunterstützungs-Programm einzubeziehen, das auch ein Reformumsetzungsinstrument und eine Konvergenzfazilität erhalten soll.

(26)

     Mit der Überarbeitung ihrer Betrugsbekämpfungsstrategie möchte die Kommission ihre analytischen Fähigkeiten zur Beurteilung der Betrugsbekämpfungskapazitäten der Mitgliedstaaten verbessern und ihre Unterstützung für die Mitgliedstaaten wirksamer und effektiver gestalten. Zudem bietet sie den Mitgliedstaaten im Interesse eines besseren Schutzes der EU-Finanzinstrumente Orientierungshilfen für die Konzipierung ihrer eigenen Betrugsbekämpfungsstrategien, indem aufgezeigt wird, wo in den nationalen Systemen Schwächen bestehen und wie sie behoben werden könnten. Schließlich bezweckt sie eine intensivere Abstimmung der nationalen Einrichtungen untereinander und mit den EU-Stellen einschließlich des OLAF.

(27)

     Vorschlag für eine Verordnung mit gemeinsamen Bestimmungen (Dachverordnung) , COM(2018) 375, Artikel 11.

(28)

     Siehe oben Fußnote 9.

(29)

     Siehe https://ec.europa.eu/neighbourhood-enlargement/policy/glossary/terms/accession-criteria_en .

(30)

     Insbesondere Kapitel 23 über Justiz und Grundrechte und Kapitel 24 über Recht, Freiheit und Sicherheit.

(31)

     COM/2018/65 final

(32)

     Wie dem Ausschuss der Regionen.

(33)

Wie der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa/Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte.

(34)

     Entschließung des Parlaments vom 25. Oktober 2016 mit Empfehlungen an die Kommission zur Einrichtung eines EU-Mechanismus für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte (2015/2254(INL)).

(35)

   Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. November 2018 zu der Notwendigkeit eines umfassenden EU-Mechanismus zum Schutz der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte (2018/2886(INL)).

(36)

   Beispielsweise die Entschließung des französischen Parlaments zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der Europäischen Union, die Debatte vom 14. Februar 2019 im EU-Ausschuss des niederländischen Parlaments, oder die Debatte vom 12. März 2019 im außenpolitischen Ausschuss des belgischen Repräsentantenhauses. Das Interesse der nationalen Parlamente spiegelte sich auch in der Konferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union wider.

(37)

     Rule of Law Checklist, European Commission For Democracy through Law (Venice Commission), CDL-AD(2016)007.

(38)

     Siehe beispielsweise die Empfehlung CM/Rec(2010)12 zur Unabhängigkeit, Effizienz und Zuständigkeit von Richtern, das Verzeichnis der Kriterien zur Bewertung der Rechtsstaatlichkeit („Rule of Law Checklist“) der Venedig-Kommission (CDL-AD(2016)007), den Aktionsplan des Europarats zur Stärkung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz sowie die Stellungnahmen der Venedig-Kommission und die Evaluierungen der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO).

(39)

     Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das Programm Kreatives Europa (2021 bis 2027) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1295/2013 (COM(2018) 366 final vom 30.5.2018); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms „Rechte und Werte“ (COM(2018) 383 final vom 30.5.2018); Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Aufstellung des Programms „Justiz“ (COM(2018) 384 final vom 30.5.2018). Im Rahmen des neuen Programms „Kreatives Europa“ werden zudem Maßnahmen gefördert werden, die darauf abzielen, den europäischen Nachrichtenmediensektor und die journalistische Freiheit zu stärken sowie die Vielfalt und den Pluralismus journalistischer Inhalte und ‑ durch Förderung der Medienkompetenz - den kritischen Umgang mit Medieninhalten zu unterstützen.

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