EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 26.4.2023
COM(2023) 190 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN
Reform des Arzneimittelrechts und Maßnahmen zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen
1.Einleitung
Seit über 50 Jahren sorgen die EU-Arzneimittelvorschriften dafür, dass nur Mittel zugelassen werden, die höchsten Qualitäts-, Sicherheits- und Wirksamkeitsstandards entsprechen, und fördern damit auch das Funktionieren des Binnenmarkts und eine wettbewerbsfähige Arzneimittelindustrie. Der kontinuierliche Wandel sowie die Lehren aus der COVID-19-Pandemie und der brutalen Invasion der Ukraine durch Russland machen jedoch entschlossene Maßnahmen zur Modernisierung des EU-Rechtsrahmens für Arzneimittel erforderlich, damit dieser widerstandsfähiger, fairer und wettbewerbsfähiger wird.
Die heute in der EU zugelassenen Arzneimittel erreichen Patientinnen und Patienten nicht schnell genug und sind für diese nicht in allen Mitgliedstaaten gleichermaßen zugänglich. Ungedeckte medizinische Bedarfe, seltene Krankheiten und die Entwicklung neuer antimikrobieller Mittel zur Bewältigung des zunehmenden Problems antimikrobieller Resistenzen (im Folgenden „AM-Resistenzen) – dies alles sind Bereiche, in denen noch viel zu tun ist. Darüber hinaus ist es aufgrund der hohen Preise innovativer Behandlungen nicht einfach, einen zeitnahen und erschwinglichen Zugang dazu zu gewährleisten. Auch Medikamentenengpässe, die schwerwiegende Folgen für Patientinnen und Patienten haben können, bereiten zunehmend Sorge.
Damit sie ihre Attraktivität als Investitionsstandort wahren und in der Entwicklung von Arzneimitteln weltweit führend bleiben kann, muss die EU ihr Regulierungssystem an veränderte Gegebenheiten wie den digitalen Wandel und neue Technologien zur Arzneimittelverabreichung anpassen. Soll die Wettbewerbsfähigkeit der EU gefördert werden, gilt es, den Verwaltungsaufwand zu verringern und die Verfahren zu straffen. Will man die Umweltwirkungen von Arzneimitteln angehen, ist dies mit den Zielen des Grünen Deals und der Ökologisierung der Wirtschaft in Einklang zu bringen.
Im November 2020 legte die Kommission eine Arzneimittelstrategie für Europa
vor, mit der ein zukunftssicherer und patientenorientierter Arzneimittelmarkt geschaffen werden soll, auf dem die EU-Industrie innovieren, florieren und weltweit führend bleiben kann. Ein EU-Arzneimittel-Ökosystem, das krisenfest und sowohl den heutigen Gegebenheiten als auch den künftigen Herausforderungen gewachsen ist, bildet eine der zentralen Säulen einer starken europäischen Gesundheitsunion im Dienste der Bürgerinnen und Bürger. Ein solches System wird andere wichtige Initiativen ergänzen, darunter die Stärkung des EU-Rahmens für Gesundheitssicherheit durch die neuen Rechtsvorschriften über grenzüberschreitende Gesundheitsgefahren und durch solidere Mandate für EU-Gesundheitsagenturen, der Aufbau der Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) sowie Europas Plan gegen den Krebs und der europäische Raum für Gesundheitsdaten.
Als zentrales Element einer umfassenden Reaktion der EU auf diese Herausforderungen schlägt die Kommission eine ambitionierte Überarbeitung der EU-Arzneimittelvorschriften vor, um fünf Hauptziele zu erreichen:
1.Es soll sichergestellt werden, dass alle Patientinnen und Patienten in der gesamten EU einen zeitnahen und gerechten Zugang zu sicheren, wirksamen und erschwinglichen Arzneimitteln haben.
2.Die Versorgungssicherheit soll gestärkt und es soll gewährleistet werden, dass Arzneimittel für Patientinnen und Patienten unabhängig von ihrem Wohnort in der EU ständig verfügbar sind.
3.Europa soll ein attraktives, innovations- und wettbewerbsfreundliches Umfeld für Forschung, Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln bieten.
4.Arzneimittel sollen umweltverträglicher werden.
5.Das Problem der AM-Resistenzen soll im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ (menschliche Gesundheit, Tiergesundheit und Umwelt) angegangen werden.
Um diese Ziele zu erreichen, schlägt die Kommission vor, das Arzneimittelrecht zu reformieren; hierzu gehören ein Vorschlag für eine neue Richtlinie und ein Vorschlag für eine neue Verordnung, durch die folgende bestehende Rechtsvorschriften modernisiert, vereinfacht bzw. ersetzt werden sollen: die Richtlinie 2001/83/EG
und die Verordnung (EG) Nr. 726/2004
(als „allgemeines Arzneimittelrecht“ bezeichnet), die Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 über Kinderarzneimittel („pädiatrische Verordnung“)
und die Verordnung (EG) Nr. 141/2000 über Arzneimittel für seltene Leiden („Orphan-Verordnung“)
. Darüber hinaus schlägt die Kommission zur Ergänzung und Stärkung der Reaktion der EU auf AM-Resistenzen eine Empfehlung des Rates vor.
Die Reform des Arzneimittelrechts bietet die Gelegenheit, einen patientenorientierten, zukunftsgerichteten und nachhaltigen Rahmen zu schaffen, der den Patientinnen und Patienten, unserer Gesellschaft und den Gesundheitssystemen in Europa Vorteile bringt und gleichzeitig dafür sorgt, dass die EU-Industrie weltweit wettbewerbsfähig bleibt. Damit ein Wandel zum Positiven hin herbeigeführt werden kann, müssen die verschiedenen Interessenträger zusammenarbeiten. Der Industrie kommt eine grundlegende Rolle zu, wenn es darum geht, sowohl den Bedarfen der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden als auch Innovation und Wettbewerbsfähigkeit anzukurbeln, und zwar in einem Bereich, in dem die EU ihre weltweite Führungsrolle wahren und ihre Widerstandsfähigkeit stärken muss. Die vorgeschlagene Reform stützt sich auf umfassende Konsultationen aller relevanten Interessenträger.
Diese Mitteilung gibt einen Überblick über die wichtigsten Elemente der vorgeschlagenen Reform des Arzneimittelrechts und der vorgeschlagenen Empfehlung des Rates zu antimikrobiellen Resistenzen.
2.Reformieren, um Zugänglichkeit und Erschwinglichkeit von Arzneimitteln für Patientinnen und Patienten in der gesamten EU zu verbessern
Einen zeitnahen und gerechten Zugang der Patientenschaft zu Arzneimitteln fördern
Ein zentrales Ziel der Reform besteht darin, sicherzustellen, dass alle Patientinnen und Patienten in der gesamten EU einen zeitnahen und gerechten Zugang zu sicheren und wirksamen Arzneimitteln haben. Heute ist dies nicht immer der Fall, insbesondere bei innovativen Arzneimitteln, da der Zugang dazu je nach Wohnmitgliedstaat unterschiedlich ist.
Damit Arzneimittel die Patientinnen und Patienten erreichen können, müssen sie zugelassen und von dem Unternehmen, das Inhaber der Zulassung ist, in Verkehr gebracht werden. Die meisten innovativen Arzneimittel erhalten in der EU eine zentrale Zulassung, die es ihnen ermöglicht, gleichzeitig in allen Mitgliedstaaten auf dem Markt zu sein. Die Entscheidung eines Unternehmens, ein Arzneimittel in einem bestimmten Mitgliedstaat in Verkehr zu bringen, ist allerdings geschäftlicher Natur und stützt sich auf Faktoren wie Marktgröße, Werbe- und Vertriebsnetze sowie nationale Preisbildungs- und Erstattungspolitik. Folglich sehen sich kleinere oder weniger wohlhabende Mitgliedstaaten oft damit konfrontiert, dass Arzneimittel bei ihnen nur begrenzt oder verzögert in Verkehr gebracht werden.
Die vorgeschlagene Reform zielt darauf ab, Patientinnen und Patienten in der gesamten EU einen schnelleren Zugang zu innovativen Arzneimitteln zu verschaffen. Zu den Maßnahmen gehört die Förderung zeitnaher Zulassungen (siehe Kapitel 4) bei gleichzeitiger Gewährleistung einer soliden Bewertung von Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit. Darüber hinaus werden Unternehmen Anreize geboten, ihre Arzneimittel in allen EU-Mitgliedstaaten einzuführen und Produkte zur Befriedigung bislang ungedeckter medizinischer Bedarfe zu entwickeln (weitere Einzelheiten zu rechtlichen Schutzanreizen und regulatorischer Unterstützung finden sich in Kapitel 4).
Die vorgeschlagene Reform wird auch den früheren Markteintritt von Generika und Biosimilars erleichtern. Bei neuen Arzneimitteln, für die die in Aussicht gestellten bedingten rechtlichen Schutzfristen nicht gelten (siehe Kapitel 4), wird der Markteintritt konkurrierender Generika und Biosimilar-Arzneimittel früher erfolgen als unter den gegenwärtigen Vorschriften. Darüber hinaus werden die Verfahren zur Zulassung von Generika und Biosimilars gestrafft und dadurch beschleunigt.
Derzeit gibt es bereits Bestimmungen, die es Entwicklern von Generika und Biosimilars gestatten, Studien im Hinblick auf eine künftige Zulassung durchzuführen, während das Originalpräparat noch unter den Schutz des Patents/Ergänzenden Schutzzertifikats (SPC) fällt (sogenannte „Bolar-Ausnahmeregelung“). Die vorgeschlagene Reform wird diese Bestimmungen erweitern und für die Generika- und Biosimilars-Industrie berechenbarer machen, indem ihre Umsetzung EU-weit harmonisiert wird. Konkret wird sie in diesem Zeitraum mit Blick auf die Beantragung einer Zulassung die Durchführung von Studien ermöglichen, die die künftige Preisbildung und Erstattung für sowie die Herstellung oder den Erwerb von patentgeschützten Wirkstoffen unterstützen, was zum Markteintritt von Generika und Biosimilars unmittelbar nach Ablauf des Patent-/SPC-Schutzes beiträgt. Bei Arzneimitteln für seltene Leiden wird die Reform ebenfalls sicherstellen, dass Generika und Biosimilars nach Ablauf der Marktexklusivität in Verkehr gebracht werden können.
Zusammenarbeit und Transparenz für eine bessere Erschwinglichkeit von Arzneimitteln fördern
Die Erschwinglichkeit von Arzneimitteln ist eine anhaltende Herausforderung für diejenigen, die sie bezahlen müssen: die Gesundheitssysteme der EU und die Patientinnen und Patienten,. Bei erstattungsfähigen Arzneimitteln können hohe Preise die finanzielle Tragfähigkeit der Gesundheitssysteme gefährden. Bei Arzneimitteln, die nicht vollständig erstattet werden, können hohe Preise erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Betroffenen und direkte negative gesundheitliche Folgen für Patientinnen und Patienten haben, die sich ihr Arzneimittel nicht leisten können.
Um Arzneimittel erschwinglicher zu machen, wurden in der Arzneimittelstrategie für Europa Maßnahmen zur Unterstützung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der in die nationale Zuständigkeit fallenden Preisbildungs-, Erstattungs- und Zahlungspolitik angekündigt. Die Kommission hat die Gruppe der für Preisbildung und Erstattungen zuständigen nationalen Behörden und öffentlichen Gesundheitssysteme (NCAPR) von einem Ad-hoc-Forum in eine Plattform für die kontinuierliche freiwillige Zusammenarbeit umgewandelt. Außerdem ist sie entschlossen, diese Zusammenarbeit zu intensivieren und den Informationsaustausch zwischen den nationalen Behörden – auch in Bezug auf die öffentliche Beschaffung von Arzneimitteln – unter uneingeschränkter Achtung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in diesem Bereich weiter zu unterstützen.
Die gemeinsame Beschaffung kann eine erfolgreiche Form der verstärkten Zusammenarbeit sein, um die Erschwinglichkeit sowie den Zugang zu Arzneimitteln und die Versorgungssicherheit zu verbessern. Dies wurde durch die gemeinsame Beschaffung von COVID-19-Therapeutika und Affenpocken-Impfstoffen belegt. Mitgliedstaaten, die an einer gemeinsamen Beschaffung von Arzneimitteln interessiert sind, können die im Rahmen der geltenden EU-Vorschriften verfügbaren Regulierungsinstrumente, wie die Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe
, die Vereinbarung über die gemeinsame Beschaffung
und die derzeit in Überarbeitung befindliche Haushaltsordnung, nutzen. Auf die Forderung der Mitgliedstaaten hin ist die Kommission bereit, den Zugang zu Arzneimitteln – insbesondere zu solchen gegen seltene und chronische Krankheiten – für europäische Patientinnen und Patienten noch weiter zu unterstützen und zu erleichtern.
Die vorgeschlagene Reform des Arzneimittelrechts umfasst eine Reihe von Maßnahmen, die zu einer leichteren Erschwinglichkeit beitragen werden. Maßnahmen für einen einfacheren früheren Markteintritt von Generika und Biosimilars werden den Wettbewerb zwischen Arzneimitteln verstärken, die Preise dafür senken und die Erschwinglichkeit für Patientinnen und Patienten sowie die Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme fördern. Darüber hinaus werden Anreize für die Generierung vergleichender klinischer Daten geschaffen, um die Bewertung von Arzneimitteln weiter zu untermauern und die nachgelagerten Entscheidungen zu Preisbildung und Erstattung zu unterstützen. Zudem wird eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen den für die Zulassung, die Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA), sowie die Preisbildung und Erstattung zuständigen Behörden zu einem kohärenteren Ansatz in Fragen wie der Erbringung von Nachweisen im Verlauf des Lebenszyklus eines Arzneimittels beitragen (siehe Kapitel 4).
Die Transparenz hinsichtlich der öffentlichen Finanzierung könnte auch zu niedrigeren Arzneimittelpreisen führen. Derzeit ist unklar, in welchem Umfang öffentliche Mittel zur Erforschung und Entwicklung eines bestimmten Arzneimittels beigetragen haben. Diese mangelnde Transparenz bei den von der Öffentlichkeit im Vergleich zum Investor getragenen Risiken führt bei den Verhandlungen zwischen der Industrie und den Preisbildungs- und Erstattungsbehörden zu ungleichen Ausgangsbedingungen. Als Reaktion auf die nachdrücklichen Forderungen von Patientenorganisationen und anderen Interessenträgern werden mit der vorgeschlagenen Reform Maßnahmen für mehr Transparenz bei der öffentlichen Finanzierung der Arzneimittelentwicklung eingeführt. Die Arzneimittelunternehmen sollen dazu verpflichtet werden, Informationen über alle direkten finanziellen Hilfen zu veröffentlichen, die sie zur Unterstützung von Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Arzneimittelforschung und -entwicklung von Behörden oder öffentlich finanzierten Einrichtungen erhalten haben. Diese Angaben werden auf einer speziellen Website des Unternehmens und über die Datenbank der in der Union zugelassenen Humanarzneimittel für die Öffentlichkeit leicht zugänglich sein. Eine solche Transparenz wiederum dürfte die Mitgliedstaaten bei ihren Verhandlungen mit Arzneimittelunternehmen unterstützen und letztlich Arzneimittel erschwinglicher machen.
Auf eine leichtere Erschwinglichkeit von Arzneimitteln hinarbeiten
ØVereinfachung eines frühzeitigeren Markteintritts von Generika und Biosimilars zur Ankurbelung des Wettbewerbs und einer damit einhergehenden Preissenkung
ØAnbieten von Anreizen für die Generierung vergleichender klinischer Daten, um die Mitgliedstaaten bei einer zeitnahen und evidenzbasierten Entscheidungsfindung zu Preisbildung und Erstattung zu unterstützen
ØVerstärkung der Transparenz rund um die öffentliche Finanzierung der Arzneimittelentwicklung, um die Mitgliedstaaten in ihren Preisbildungsverhandlungen mit den Arzneimittelunternehmen zu unterstützen
ØUnterstützung der Zusammenarbeit zwischen den nationalen zuständigen Behörden in Preisbildungs- und Erstattungsfragen über nichtlegislative Maßnahmen wie Informationsaustausch und bewährte Verfahren im Bereich der Preisbildung und Erstattung
3.Die Versorgungssicherheit bei Arzneimitteln verbessern und Engpässe bewältigen
Arzneimittelengpässe sind nicht nur in vielen EU-Ländern, sondern auch weltweit zu einem wachsenden Problem für die öffentliche Gesundheit geworden. Sie bergen potenzielle schwerwiegende Risiken für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten in der EU und haben Auswirkungen auf das Recht der Betroffenen auf Zugang zu einer angemessenen medizinischen Behandlung. In Entschließungen des Parlaments und Schlussfolgerungen des Rates sowie von den Mitgliedstaaten und den einschlägigen Interessenträgern wurde darauf hingewiesen, dass Engpässe bei Arzneimitteln in den letzten Jahren zugenommen haben.
Der strukturierte Dialog über eine sichere Arzneimittelversorgung sowie jüngste Ereignisse wie die COVID-19-Pandemie, die militärische Aggression Russlands in der Ukraine und die hohen Inflationsraten haben Fragen zur Sicherheit der Arzneimittelversorgung in der EU aufgeworfen. Wie in der Studie der Kommission über Arzneimittelengpässe festgestellt, sind die Ursachen von Engpässen multifaktoriell und gehen auf bestimmte Herausforderungen entlang der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette, einschließlich der Herstellung, zurück. Arzneimittelengpässe können insbesondere auf die zunehmende Komplexität und Spezialisierung der Lieferketten, die mangelnde geografische Beschaffungsdiversifizierung bei bestimmten wichtigen Inhaltsstoffen und Arzneimitteln und das als komplex wahrgenommene Regelwerk zurückgeführt werden. Die Abhängigkeit der EU von einer begrenzten Anzahl von Drittländern bei der Herstellung von Inhaltsstoffen und Arzneimitteln nimmt zu, was potenzielle Schwachstellen in der Lieferkette bedeutet.
Die wichtigsten Elemente der zugehörigen Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen mit dem Titel „Vulnerabilities of the global supply chains of medicines“ (Schwachstellen in den globalen Arzneimittellieferketten) haben Eingang in die vorgeschlagene Reform gefunden, und es wurde eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen eingeleitet bzw. geplant, um die im Rahmen dieses Prozesses ermittelten Herausforderungen anzugehen. Wie in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen festgestellt, bieten die Industriestrategien , bereits eine solide Grundlage für Maßnahmen zur Verbesserung der Arzneimittelversorgungssicherheit. Bei künftigen Arbeiten wird der Schwerpunkt auch auf der Förderung grüner und digitaler Innovationen und einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren sowohl innerhalb der EU als auch weltweit liegen. Ferner unterstützt die Kommission die Bemühungen der Mitgliedstaaten, ihre öffentlichen Mittel über IPCEI (Important Projects of Common European Interest – wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse) im Gesundheitsbereich zu bündeln, um die Entwicklung innovativer, wirtschaftlich und ökologisch nachhaltiger Technologien zu fördern, die über den derzeitigen Stand der Technik in diesem Sektor hinausgehen und es ermöglichen, Marktversagen zu beheben.
Als einer der Bausteine der Europäischen Gesundheitsunion und zur Behebung einiger der während der COVID-19-Pandemie offenbar gewordenen Schwächen wurde das Mandat der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erweitert, um die Koordinierung und Bewältigung spezifischer Arzneimittelengpässe in Krisenzeiten möglich zu machen. Darüber hinaus wurde die Europäische Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) eingerichtet, um die Verfügbarkeit medizinischer Gegenmaßnahmen sicherzustellen, die bei Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit erforderlich sind, und um Herausforderungen des Marktes durch Maßnahmen wie Überwachung der Lieferkette, Bevorratung oder Beschaffung zu begegnen. In Bezug auf die Lieferketten wird die vorgeschlagene Verordnung zu kritischen Rohstoffen die Verfügbarkeit bestimmter für die Herstellung von Arzneimitteln relevanter Materialien sicherstellen.
In diesem Rahmen wurden effiziente Verfahren eingeführt, doch besteht eindeutig Bedarf an einer stärkeren EU-weiten Koordinierung und an geeigneten Maßnahmen, um die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger der EU mit Arzneimitteln sowie deren Verfügbarkeit nicht nur bei Krisen, sondern auch in normalen Zeiten zu gewährleisten.
Im Rahmen der Reform werden Maßnahmen vorgeschlagen, um Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Angebot und Verfügbarkeit zu überwinden, die über das erweiterte Mandat der EMA und die Rolle der HERA – diese beschränken sich auf Krisenvorsorge und -reaktion – hinausgehen. Mit ihr werden systemische Engpässe angegangen und die Versorgungssicherheit bei kritischen Arzneimitteln zu jedem Zeitpunkt verbessert, indem strengere Verpflichtungen in Bezug auf Lieferungen sowie eine frühere Meldung von Engpässen und Rücknahmen eingeführt werden und die Rolle der EMA bei der Koordinierung von Maßnahmen zur Behebung von Engpässen gestärkt wird. Darüber hinaus werden im Rahmen der vorgeschlagenen Reform Arzneimittel, die für die Gesundheitssysteme der EU als besonders kritisch gelten, in einer EU-Liste geführt. Dies wird eine Analyse der entsprechenden Schwachstellen in der Lieferkette ermöglichen, ergänzt durch Empfehlungen zu Maßnahmen, die von den Zulassungsinhabern, den Mitgliedstaaten oder anderen Stellen zur Verbesserung der Versorgungssicherheit zu ergreifen sind (z. B. zu unterhaltende Reservelagerbestände). In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten der EMA auch mitteilen, welche Maßnahmen sie ergriffen haben, um die Versorgung mit dem jeweiligen Arzneimittel zu verbessern.
Auf diese Weise kann die EU Versorgungsproblemen wirksam vorgreifen und die Kontinuität der Versorgung der EU-Bürgerinnen und -Bürger mit diesen Arzneimitteln sicherstellen.
Arzneimittelengpässe und Lieferkettenprobleme jederzeit angehen
ØMit der vorgeschlagenen Reform werden Anforderungen an die kontinuierliche Überwachung von Arzneimittelengpässen durch die zuständigen Behörden auf nationaler Ebene und durch die EMA eingeführt. Die Pflichten der Zulassungsinhaber werden verschärft, wozu eine frühere und harmonisierte Meldung von Arzneimittelengpässen und die Führung von Plänen zur Verhinderung von Engpässen gehören.
ØDie Befähigung der EMA wird durch eine verstärkte Koordinierungsrolle verbessert, derzufolge sie kritische Arzneimittelengpässe auf EU-Ebene jederzeit überwachen und bewältigen soll, und zwar zusammen mit der Hochrangigen Lenkungsgruppe zur Überwachung möglicher Engpässe bei Arzneimitteln und zur Sicherheit von Arzneimitteln. In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten der EMA auch alle auf nationaler Ebene geplanten oder eingeleiteten Maßnahmen zur Minderung oder Behebung von Engpässen bei einem bestimmten Arzneimittel melden. Ein transparenter Umgang mit Engpässen bei Arzneimitteln wird durch die Veröffentlichung entsprechender Informationen auf nationaler und EU-Ebene erreicht.
ØDie Kommission wird eine EU-weite Liste kritischer Arzneimittel erstellen und Schwachstellen in der jeweiligen Lieferkette bewerten.
ØBei kritischen Engpässen müssen die Inhaber von Arzneimittelzulassungen darauf hinarbeiten, diese Engpässe unter Berücksichtigung ausgesprochener Empfehlungen zu beheben, und die Ergebnisse der ergriffenen Maßnahmen melden. Solche Empfehlungen könnten beispielsweise darin bestehen, die Produktionskapazitäten zu erhöhen, umzustrukturieren oder den Vertrieb anzupassen, um das Angebot zu verbessern.
4. Eine Reform zur Förderung von Innovation und Wettbewerbsfähigkeit der EU
Ein wirksames Anreizsystem für Innovation, Zugang und die Befriedigung ungedeckter medizinischer Bedarfe
Nach den USA ist die EU der zweitgrößte Arzneimittelmarkt der Welt, und die Arzneimittelindustrie der Union ist stark und wettbewerbsfähig. Es handelt sich hier um eine der leistungsstärksten Branchen Europas im Hochtechnologiebereich, in der 840 000 Menschen direkt und dreimal so viele indirekt in vor- und nachgelagerten Beschäftigungsverhältnissen tätig sind. Europa (die EU, das VK und die Schweiz) ist mit 39,7 Mrd. EUR im Jahr 2020 der zweitgrößte FuE-Investor im Arzneimittelbereich; nur die USA investieren mit 63,5 Mrd. EUR mehr. Bei der Herstellung von Hightech-Arzneimitteln ist die EU weltweit eindeutig führend, was sich auch darin zeigte, dass es die EU war, die COVID-19-Impfstoffe für die ganze Welt bereitgestellt hat. 2021 exportierte die EU Arzneimittel im Wert von 235 Mrd. EUR, was den Wert der Einfuhren um 136 Mrd. EUR übersteigt. Die EU wendet etwa 1,5 % ihres BIP für Arzneimittel auf; 2021 waren es 230 Mrd. EUR, wovon mehr als 80 % auf innovative Mittel entfielen. Der Arzneimittelmarkt der EU macht 17 % des Weltmarkts aus und steht damit an zweiter Stelle, was die Attraktivität für die Industrie und insbesondere für Innovatoren angeht.
Die Reform des Arzneimittelrechts zielt darauf ab, die Position der Arzneimittelindustrie der Union sowohl innerhalb der EU als auch weltweit zu bewahren und zu stärken. Der Rechtsrahmen wird weiterhin Innovationen fördern und sicherstellen, dass Patientinnen und Patienten in der EU in den Genuss modernster Gesundheitsversorgung und Arzneimittel kommen können. Wie COVID-19 gezeigt hat, spielt die Innovation eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung neuer und besserer Therapien, einschließlich neuer Arzneimittel und neuer Anwendungen für bestehende Arzneimittel.
Die Arzneimittelforschung ist ein komplexer Prozess, der erhebliche Kosten und Risiken für Entwickler mit sich bringt (z. B. im Zusammenhang mit den Kosten und der wissenschaftlichen Komplexität der vorklinischen und klinischen Forschung). Darüber hinaus wird auf internationaler Ebene darum gewetteifert, die pharmazeutische Forschung und Entwicklung anzuziehen, nicht nur durch einen zukunftssicheren und stabilen Rechtsrahmen, sondern auch durch ein begünstigendes Umfeld. Aspekte wie Kapitalzugang, verfügbare Infrastruktur und Fachkräfte sind wichtige Voraussetzungen für die Weiterentwicklung in der Medizin und die Förderung von Innovationen. Bei der Überarbeitung des Arzneimittelrechts wird die Dimension der Wettbewerbsfähigkeit der EU sowohl aus regulatorischer als auch aus industriepolitischer Sicht berücksichtigt. Es wird ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Förderung von Innovation, dem Zugang zu Arzneimitteln und ihrer Erschwinglichkeit hergestellt. Die Entwicklung neuer Arzneimittel und die Verfügbarkeit der von unseren Gesundheitssystemen benötigten Arzneimittel hängen von einer vorwärtsstrebenden Arzneimittelindustrie ab, die ein Trumpf für die EU-Wirtschaft ist.
Das robuste System der Rechte des geistigen Eigentums (Patente und ergänzende Schutzzertifikate - SPC
) wird in der EU durch rechtliche Schutzanreize im Arzneimittelrecht ergänzt. Sowohl die Rechte des geistigen Eigentums als auch diese rechtlichen Schutzanreize schützen und fördern Innovationen und kompensieren die Risiken und Kosten, die den Entwicklern innovativer Arzneimittel entstehen. Gleichzeitig bietet das System auch einen geordneten Rahmen für den Markteintritt von Generika und Biosimilars nach Ablauf der jeweiligen Rechte des geistigen Eigentums und rechtlichen Schutzfristen.
Arzneimittel können durch Patente und ergänzende Schutzzertifikate in einem nationalen, europäischen und internationalen Rechtsrahmen geschützt werden, zu dem auch die SPC-Verordnung der EU gehört. Dieser Schutz kann ab dem Zeitpunkt der ersten Einreichung eines Patents – in der Regel in einem frühen Stadium der Arzneimittelentwicklung – für eine Dauer von mehr als 20 Jahren gelten. Darüber hinaus gewährt das EU-Arzneimittelrecht für innovative Arzneimittel einen zehnjährigen rechtlichen Schutz ab dem Zeitpunkt der Zulassung (acht Jahre rechtlicher Datenschutz
und zwei Jahre Marktschutz
). Dieser Zeitraum kann auf bis zu 11 Jahre verlängert werden, wenn nach der ursprünglichen Zulassung eine neue therapeutische Indikation hinzukommt. Bei Arzneimitteln für seltene Krankheiten (Orphan-Arzneimittel) erhalten innovative Medikamente zehn Jahre Marktexklusivität. Zusätzlich zu den oben genannten Schutzvorkehrungen kommen Arzneimittel, die nach dem mit der EMA vereinbarten pädiatrischen Prüfkonzept entwickelt wurden, in den Genuss einer sechsmonatigen Verlängerung ihres ergänzenden Schutzzertifikats.
Gemeinsam sorgen die Rechte des geistigen Eigentums und der rechtliche Datenschutz für ein starkes Innovationssystem in der EU, das im Vergleich zu anderen Ländern auf globaler Ebene hoch wettbewerbsfähig ist.
Allerdings erhalten bei den derzeitigen Investitionen in die Entwicklung von Arzneimitteln die größten ungedeckten medizinischen Bedarfe nicht immer Priorität. Dies gilt insbesondere für Krankheiten, bei denen noch wissenschaftlicher Klärungsbedarf besteht (z. B. bei einem eingeschränkten Verständnis der Krankheit, begrenzter Grundlagenforschung) oder an denen das wirtschaftliche Interesse eher gering ist (z. B. bei seltenen Krankheiten). Infolgedessen gibt es schwere Krankheiten wie bestimmte Krebserkrankungen oder neurodegenerative Erkrankungen, die noch immer nicht zufriedenstellend behandelt werden können. Darüber hinaus gibt es für 95 % der über 6000 bekannten seltenen Krankheiten derzeit keine Behandlungsoption.
In Bezug auf Kinderarzneimittel wurden gute Fortschritte in Bereichen erzielt, in denen sich die Bedarfe von Kindern und Erwachsenen überschneiden, da die Entwicklung nach wie vor auf diejenigen der Erwachsenen ausgerichtet ist. In Fällen, in denen sich Krankheiten bei Erwachsenen und Kindern biologisch unterscheiden, wie Krebserkrankungen bei Kindern, psychische Störungen und Verhaltensstörungen oder neonatale Krankheitsbilder, wurde allerdings nur eine begrenzte Anzahl von Arzneimitteln entwickelt.
Darüber hinaus haben nicht alle Patientinnen und Patienten in der gesamten EU einen zeitnahen Zugang zu innovativen Arzneimitteln, selbst wenn diese bereits entwickelt und zugelassen wurden.
Mit der vorgeschlagenen Reform des Arzneimittelrechts wird das rechtliche Schutzsystem von einer Einheitsregelung auf einen gezielteren Ansatz umgestellt, der den Zugang der Patientenschaft zu erschwinglichen Arzneimitteln in allen EU-Mitgliedstaaten fördert und ungedeckten medizinischen Bedarfen Rechnung trägt. Innovationen in Bereiche mit ungedeckten Bedarfen werden zudem in Form gezielter regulatorischer Unterstützung durch die EMA gefördert (siehe die im nächsten Abschnitt vorgestellte PRIME-Regelung).
Im Rahmen der vorgeschlagenen Reform werden innovative Arzneimittel weiterhin von einem rechtlichen Standard-Schutzzeitraum profitieren, der etwas kürzer ist als heute, jedoch verlängert werden kann, wenn mit dem Produkt bestimmte Ziele im Bereich der öffentlichen Gesundheit erreicht werden können (siehe Kasten unten). Mit den zusätzlichen bedingten Schutzfristen wird der potenzielle rechtliche Maximalschutz sogar höher ausfallen als derzeit. Im Rahmen der vorgeschlagenen Reform können die rechtlichen Schutzfristen für innovative Arzneimittel maximal 12 Jahre betragen (wenn nach der ursprünglichen Zulassung eine neue therapeutische Indikation hinzukommt), während es heute höchstens 11 Jahre sind. Bei Arzneimitteln für seltene Leiden, die einen hohen ungedeckten medizinischen Bedarf befriedigen sollen, können sich die rechtlichen Schutzfristen auf höchstens 13 Jahre belaufen; heute sind es maximal 10 Jahre.
Somit wird die EU weiterhin eines der attraktivsten Regelungsumfelder weltweit bieten. Andere Länder gewähren durchschnittlich zwischen sechs (Israel, China) und acht Jahren (Japan, Kanada) rechtlichen Schutz.
Gezieltere Innovationsanreize mit Schwerpunkt auf der Zugänglichkeit für Patientinnen und Patienten und auf ungedeckten medizinischen Bedarfen
ØIm Rahmen der vorgeschlagenen Reform beträgt der rechtliche Mindestschutz für innovative Arzneimittel acht Jahre, davon sechs Jahre Datenschutz und zwei Jahre Marktschutz. Unternehmen können zusätzliche Zeiträume für den rechtlichen Datenschutz in Anspruch nehmen, wenn sie das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten einführen (+ 2 Jahre), wenn sie ein Arzneimittel zur Befriedigung ungedeckter Bedarfe entwickeln (+ 6 Jahre) oder vergleichende klinische Prüfungen durchführen (+ 6 Monate). Für eine neue therapeutische Indikation kann ein weiteres Jahr gewährt werden.
ØDiese neuen Vorschriften für den rechtlichen Schutz gelten auch für Kinderarzneimittel. Außerdem wird Arzneimitteln, für die das mit der EMA vereinbarte pädiatrische Prüfkonzept durchgeführt wurde, weiterhin eine Verlängerung ihres ergänzenden Schutzzertifikats um sechs Monate gewährt. Darüber hinaus werden die Vorschriften über pädiatrische Prüfkonzepte angepasst, um die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln für Krankheiten, die nur Kinder betreffen, weiter zu fördern.
ØFür Arzneimittel für seltene Leiden gelten besondere Bestimmungen, um Forschung und Entwicklung im Bereich seltener Krankheiten anzukurbeln. So beläuft sich die Standarddauer der Marktexklusivität für Orphan-Arzneimittel auf neun Jahre. Unternehmen können zusätzliche Marktexklusivitätszeiträume in Anspruch nehmen, wenn sie einen hochgradig unbefriedigten medizinischen Bedarf decken (+ 1 Jahr), das Arzneimittel in sämtlichen Mitgliedstaaten einführen (+ 1 Jahr) oder neue therapeutische Indikationen für ein bereits zugelassenes Arzneimittel für seltene Leiden entwickeln (bis zu zwei weitere Jahre).
ØDer zusätzliche rechtliche Schutz für die Markteinführung in sämtlichen Mitgliedstaaten wird gewährt, wenn das Arzneimittel in allen Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach der Zulassung – oder innerhalb von drei Jahren für Unternehmen mit begrenzter Erfahrung im EU-System, z. B. kleine und mittlere Unternehmen (KMU),– kontinuierlich in ausreichender Menge geliefert wird. Wenn ein Mitgliedstaat eine Ausnahmegenehmigung erteilt (z. B. weil er wünscht, dass die Markteinführung erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt), wird dieser zusätzliche rechtliche Schutz weiterhin gewährt.
ØNeue therapeutische Verwendungen etablierter Arzneimittel (Umwidmung) können in den Genuss einer Datenschutzfrist von vier Jahren kommen. Darüber hinaus können gemeinnützige Einrichtungen der EMA Nachweise für neue therapeutische Indikationen zur Befriedigung ungedeckter medizinischer Bedarfe bei bereits zugelassenen Arzneimitteln vorlegen.
Es sei darauf hingewiesen, dass sich die vorgeschlagene Reform des Arzneimittelrechts nicht auf den Schutz des geistigen Eigentums (Patent und ergänzendes Schutzzertifikat – SPC) auswirken wird. In diesem Zusammenhang legt die Kommission derzeit parallel eine Reform der SPC-Verordnung vor, mit der ein zentralisiertes Prüfverfahren für die Erteilung nationaler ergänzender Schutzzertifikate und ein einheitliches ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel geschaffen wird, ohne den Inhalt der geltenden Vorschriften (z. B. Zulassungsbedingungen, Laufzeit usw.) zu ändern. Für die SPC-Anmelder wird die vorgeschlagene Reform Kosten und Verwaltungsaufwand der derzeitigen, auf rein nationaler Ebene umgesetzten Regelung erheblich verringern. Durch die Verbesserung der Rechtssicherheit und Transparenz der SPC-Regelung wird diese Initiative auch den Generikaherstellern zugutekommen. Wichtig ist, dass sie auch sicherstellen wird, dass die innovative Arzneimittelindustrie die Vorteile des einheitlichen Patents durch ein entsprechendes einheitliches ergänzendes Schutzzertifikat nutzen kann.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kombination von Patenten/SPC und rechtlichen Schutzvorkehrungen den Wettbewerbsvorteil der EU bei der pharmazeutischen Entwicklung weiterhin sichern und gleichzeitig Forschung und Entwicklung auf die wichtigsten Bedarfe der Patientenschaft ausrichten und einen zeitnaheren und gerechteren Zugang der Patientinnen und Patienten zu Arzneimitteln in der gesamten EU gewährleisten wird.
Belohnung für Innovationen in Bereichen mit ungedecktem Bedarf durch die Förderung der regulatorischen Unterstützung für die Entwicklung vielversprechender Arzneimittel
Die EMA bietet Entwicklern von Arzneimitteln wissenschaftliche Unterstützung darin, belastbare Nachweise über Nutzen und Risiken eines Arzneimittels (z. B. wissenschaftliche Leitlinien zur Gestaltung klinischer Prüfungen) auf bestgeeignete Art und Weise zu generieren; hiermit soll die zeitnahe und solide Entwicklung hochwertiger, wirksamer und sicherer Arzneimittel zum Nutzen der Patienten vorangetrieben werden.
Mit der vorgeschlagenen Reform wird die wissenschaftliche Unterstützung durch die EMA weiter gestärkt, insbesondere für vielversprechende Arzneimittel, die zur Befriedigung ungedeckter medizinischer Bedarfe entwickelt werden; dabei wird auf den Erfahrungen mit der Regelung für prioritäre Arzneimittel (PRIME)
aufgebaut. Solche als vorrangig geltenden Arzneimittel erhalten verstärkte wissenschaftliche und regulatorische Unterstützung und kommen in den Genuss des beschleunigten Bewertungsverfahrens. Die ausgebaute PRIME-Regelung wird Innovationen in Bereichen mit ungedeckten medizinischen Bedarfen ankurbeln, die Arzneimittelunternehmen in die Lage versetzen, ihre Entwicklungsverfahren voranzutreiben und einen frühzeitigeren Zugang für die Patientenschaft anzustreben.
Darüber hinaus wird die Reform die Umwidmung patentfreier Arzneimittel für neue therapeutische Zwecke erleichtern, und zwar durch ein spezielles EMA-Unterstützungsprogramm für KMU und gemeinnützige Entwickler.
Die Reform wird auch die Bewertung vielversprechender Arzneimittel beschleunigen, indem die Möglichkeit einer „laufenden Überprüfung“ genutzt wird, bei der Daten stufenweise überprüft werden, sobald sie verfügbar sind. Dieser Ansatz hat sich während der COVID-19-Pandemie als wirksam erwiesen, und mit der Reform soll er auf aussichtsreiche Arzneimittel ausgeweitet werden, die einen außergewöhnlichen therapeutischen Fortschritt in Bereichen mit ungedeckten medizinischen Bedarfen bieten. Für Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, bei denen ein hohes Interesse an der schnellstmöglichen Entwicklung und Zulassung sicherer und wirksamer Arzneimittel besteht, wird auf EU-Ebene eine befristete Zulassung eingeführt.
Verbesserung des Regulierungssystems, damit Europa ein attraktiver Investitions- und Innovationsstandort bleibt
Ein effizientes und flexibles EU-Regelungssystem spielt eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung von Entwicklung und zeitnaher Zulassung von Arzneimitteln und ihrer Verfügbarkeit für Patienten. Es schafft auch günstige Rahmenbedingungen für die Steigerung der Innovationskapazität und der Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelindustrie.
Derzeit umfasst die wissenschaftliche Bewertung von Arzneimitteln für eine EU-Zulassung erhebliche „Clock-Stops“ – Unterbrechungen, während derer Unternehmen Antworten auf EMA-Rückfragen zu Informationen vorbereiten, die im ursprünglichen Antrag fehlen. Die vorgeschlagene Stärkung der wissenschaftlichen Unterstützung der Arzneimittelentwickler durch die EMA vor der Einreichung von Zulassungsanträgen wird die Qualität der Erstanträge verbessern, Verzögerungen aufgrund von „Clock-Stops“ verringern und die Bewertungen im Hinblick auf Zulassungen beschleunigen. Unvollständige Anträge werden im Zuge der Bewertung für ungültig erklärt, wenn die Antragsteller die fehlenden Daten nicht fristgerecht vorlegen. Dadurch werden Ressourcen freigesetzt und das Bewertungssystem wird optimiert. Darüber hinaus wird im Rahmen der Reform vorgeschlagen, die Frist für die wissenschaftliche Bewertung von heute 210 Tagen auf 180 Tage und die Frist für die Zulassung eines Arzneimittels durch die Kommission von 67 auf 46 Tage zu verkürzen. Bei Arzneimitteln, die für die öffentliche Gesundheit von hohem Interesse sind, wird die Bewertungsfrist 150 Tage betragen. Diese verkürzten Fristen werden zusammen mit den oben genannten Unterstützungsmaßnahmen sicherstellen, dass Arzneimittel die Patientinnen und Patienten schneller erreichen.
Darüber hinaus wird die vorgeschlagene Reform Aufbau und Governance der EMA verbessern, indem die Struktur ihrer wissenschaftlichen Ausschüsse vereinfacht und ihre expertenbasierten Kapazitäten ausgebaut werden. Dies wird Doppelarbeit vermeiden und so die Effizienz erhöhen und die Bewertungszeiten für Arzneimittel verkürzen sowie gleichzeitig die hohen Standards und das wissenschaftliche Fachwissen aufrechterhalten. Darüber hinaus umfasst die Reform verschiedene Maßnahmen zur Vereinfachung der Regulierungsverfahren und zur Förderung der Digitalisierung, wodurch sich der Verwaltungsaufwand für Arzneimittelentwickler und zuständige Behörden verringern lässt (siehe Kasten unten).
Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie gemeinnützige Einrichtungen, die an der Arzneimittelentwicklung beteiligt sind, werden durch einen verringerten Regelungsaufwand von der vorgeschlagenen Reform profitieren. Darüber hinaus wird die EMA KMU und gemeinnützigen Einrichtungen gezielte wissenschaftliche und regulatorische Unterstützung, einschließlich Gebührenermäßigungen oder -befreiungen, anbieten.
Regulatorische Unterstützungs- und Vereinfachungsmaßnahmen zur Verringerung des Verwaltungsaufwands
ØStärkung der frühzeitigen regulatorischen Unterstützung durch die EMA, insbesondere für in der Entwicklung befindliche vielversprechende Arzneimittel zur Befriedigung ungedeckter medizinischer Bedarfe
ØBei vielversprechenden Arzneimitteln, die einen außergewöhnlichen therapeutischen Fortschritt in Bereichen mit ungedeckten medizinischen Bedarfen bieten, Einführung der Möglichkeit für die EMA, Daten stufenweise zu überprüfen, sobald sie verfügbar werden
ØEinführung einer befristeten Notfallzulassung auf EU-Ebene für Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, bei denen ein großes Interesse an der schnellstmöglichen Entwicklung und Zulassung sicherer und wirksamer Arzneimittel besteht
ØOptimierung der Struktur der EMA (z. B. weniger wissenschaftliche Ausschüsse) mit Schwerpunkt auf Fachwissen und Kapazitätsaufbau innerhalb des Netzes der zuständigen Behörden
ØVereinfachung der Regulierungsverfahren (z. B. Abschaffung der Zulassungsverlängerung in den meisten Fällen und Vereinfachung der Anforderungen an die Zulassung von Generika und Biosimilars)
ØVerkürzung der 210-tägigen Bewertungsfrist für die EMA (in der Praxis sind es durchschnittlich 400 Tage) auf 180 Tage und der Frist der Kommission für die Zulassung eines Arzneimittels von 67 auf 46 Tage. Darüber hinaus könnten Mittel, die auf medizinische Versorgungslücken abzielen und einen erheblichen Beitrag zur Bedarfsbefriedigung im Bereich der öffentlichen Gesundheit leisten, von einem beschleunigten Verfahren profitieren und innerhalb von 150 Tagen bewertet werden.
ØDigitalisierung (z. B. elektronische Einreichung von Anträgen, Produktinformationen in elektronischem Format)
Die verbesserte Struktur der EMA in Verbindung mit der von ihr verstärkt geleisteten wissenschaftlichen Unterstützung, den vereinfachten Verfahren und der Digitalisierung wird den Zeitaufwand für die Bewertung und Zulassung von Arzneimitteln verkürzen. Dies wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Regulierungssystems zu verbessern und gleichzeitig den zeitnahen Zugang der Patientinnen und Patienten zu innovativen Arzneimitteln, Generika und Biosimilars erleichtern.
Darüber hinaus wird durch eine Reihe zukunftssichernder Maßnahmen gewährleistet, dass das Regulierungssystem mit dem wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt Schritt halten kann, und ein günstiges Regelungsumfeld für vielversprechende neue Therapien und bahnbrechende Innovationen im Einklang mit dem Innovationsprinzip geschaffen. Dazu gehört auch die Förderung innovativer Methoden, einschließlich solcher, die auf die Verringerung von Tierversuchen abzielen. Die Reform wird erstmals Reallabore im Arzneimittelbereich möglich machen. Sie bieten eine strukturierte Testumgebung, in der innovative Methoden und neuartige Arzneimittel unter Regulierungsaufsicht erprobt werden können. Reallabore bieten die Gelegenheit, nicht nur mehr über Innovationen zu erfahren, sondern auch über die relevanten Regeln und Vorschriften und darüber, wie sie am besten in künftige Technologien umgesetzt werden können. Die in diesen Reallabore gewonnenen Erfahrungen können im Laufe der Zeit in angepasste rechtliche Rahmenbedingungen umgewandelt werden; dieses weitere neue Element der Reform wird maßgeschneiderte horizontale Vorschriften schaffen, die den erforderlichen Regulierungsstandards entsprechen und gleichzeitig innovativen Elementen in vollem Umfang Rechnung tragen.
Die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten birgt das Potenzial, die Effizienz und Wirksamkeit der Arzneimittelentwicklung zu steigern, die Kosten zu senken und die Ergebnisse für die Patientenschaft zu verbessern. Beispielsweise können Gesundheitsdaten verwendet werden, um ungedeckte medizinische Bedarfe zu ermitteln, die Konzeption klinischer Prüfungen zu optimieren und die Generierung von Nachweisen für die Zulassung zu unterstützen. Darüber hinaus können Daten aus der realen Praxis dazu genutzt werden, die Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln nach der Zulassung zu überwachen und das kontinuierliche Lernen und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung zu unterstützen. Die Reform des Arzneimittelrechts in Verbindung mit dem europäischen Raum für Gesundheitsdaten wird den Zugang zu Gesundheitsdaten und deren Nutzung erleichtern und gleichzeitig die Privatsphäre der Patienten schützen. Die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten zu Regulierungszwecken zu ermöglichen, bedeutet eine einzigartige Chance für die Innovation und die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelindustrie in der EU.
Zukunftssichernder Rechtsrahmen
ØErleichterung der Nutzung von Nachweisen aus der realen Praxis und von Gesundheitsdaten für Regulierungszwecke bei gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre der Patienten
ØGrößere Klarheit in Bezug auf das Zusammenspiel zwischen den EU-Rechtsvorschriften für Arzneimittel und für andere Gesundheitstechnologien (z. B. Medizinprodukte, Substanzen menschlichen Ursprungs)
ØReallabore für die Erprobung neuer Regulierungskonzepte für neuartige Technologien vor der förmlichen Regulierung
ØAngepasste Rahmen mit spezifischen rechtlichen Anforderungen, die auf die Merkmale bestimmter neuartiger Arzneimittel zugeschnitten sind
ØFörderung der Anwendung neuer Methoden zur Verringerung von Tierversuchen
Die vorgeschlagene Reform wird die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden in der EU fördern, die an unterschiedlichen Aspekten des Lebenszyklus eines Arzneimittels beteiligt sind. So wird die EMA beispielsweise einen Mechanismus koordinieren, um zwischen den für Zulassung, klinische Prüfungen, Bewertung von Gesundheitstechnologien (HTA) sowie Preisfestsetzung und Kostenerstattung für Arzneimittel in der EU zuständigen Behörden den Austausch von Informationen und Erkenntnissen über wissenschaftliche und technische Fragen von gemeinsamem Interesse zu erleichtern. Dies wird einen kohärenteren Ansatz in Fragen wie ungedeckte medizinische Bedarfe und die Generierung von Nachweisen während des Lebenszyklus des Arzneimittels ermöglichen. Die Reform wird auch die Zusammenarbeit zwischen der EMA und anderen EU-Agenturen, etwa jenen im Bereich Chemikalien, im Einklang mit dem Konzept „ein Stoff, eine Bewertung“ erleichtern.
Der Arzneimittelausschuss wird als Forum für die Erörterung arzneimittelpolitischer Fragen dienen, wie z. B. die Anwendung der Vorschriften über regulatorische Anreize für die Markteinführung, um einen verstärkten Dialog, eine enge Interaktion und einen proaktiven Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zu gewährleisten. Andere nationale Behörden (z. B. für HTA, Preisfestsetzung und Kostenerstattung) können zu den Beratungen des Arzneimittelausschusses hinzugezogen werden. Die Maßnahmen für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden werden die Politikkohärenz verbessern und ein berechenbareres und beständigeres Umfeld für Investoren und Innovatoren in der EU schaffen.
Insgesamt stellen diese Reformen einen wichtigen Schritt hin zu einem effizienteren und wirksameren Rechtsrahmen dar, der besser in der Lage ist, aufkommende Herausforderungen zu bewältigen sowie die Wettbewerbsfähigkeit des Arzneimittelsektors und Innovationen zu fördern, die Patientinnen und Patienten in der EU zugutekommen.
5.Umweltfreundlichere Arzneimittel
Damit die Ziele der Arzneimittelstrategie und von Initiativen im Rahmen des europäischen Grünen Deals
(z. B. des EU-Aktionsplans „Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden“) erreicht werden können, muss die Arzneimittelindustrie die negativen Auswirkungen ihrer Produkte und Prozesse auf die Umwelt, die biologische Vielfalt und die menschliche Gesundheit eindämmen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass Arzneimittel durch ihre Herstellung, die Verwendung durch Patientinnen und Patienten und die unsachgemäße Entsorgung nicht verwendeter oder abgelaufener Medikamente in die Umwelt gelangen. Die Tatsache, dass antimikrobielle Mittel in der Abwasseraufbereitung, in Abwässern aus Produktionsanlagen sowie im Oberflächen- und Grundwasser nachgewiesen wurden, ist besonders besorgniserregend, weil dies die Bildung von Resistenzen gegen antimikrobielle Wirkstoffe beschleunigt (siehe Kapitel 6). In die Umwelt ausgetretene Arzneimittel wirken sich nicht nur auf diese aus; wenn sie in den Wasserkreislauf oder in die Lebensmittelkette gelangen, hat das auch direkte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.
Berücksichtigt wurden solche negativen Auswirkungen in dem kürzlich angenommenen Vorschlag der Kommission für die Richtlinie über die Behandlung von kommunalem Abwasser
, der ein System der erweiterten Herstellerverantwortung umfasst, das auch für Arzneimittel gilt, sowie im Vorschlag der Kommission zur Änderung der Wasserrichtlinien, bei dem es um Arzneimittel geht, die in Oberflächengewässer und ins Grundwasser gelangt sind.
Im Vorschlag zur Reformierung des Arzneimittelrechts wird auf eine Reihe von Verpflichtungen im Rahmen des Strategischen Ansatzes für Arzneimittel in der Umwelt
eingegangen. Die Umweltrisikobewertung (ERA) von Arzneimitteln wird gestärkt, um eine bessere Bewertung zu gewährleisten und potenzielle nachteilige Auswirkungen auf die Umwelt und die öffentliche Gesundheit zu begrenzen. Heute ist die Umweltrisikobewertung für alle Arzneimittelunternehmen, die ihre Produkte auf dem EU-Markt in Verkehr bringen, obligatorisch und deckt die Verwendung von Arzneimitteln und ihr Austreten in die Umwelt ab. Darüber hinaus werden die Arbeiten zur Förderung der EU-Umweltstandards auf internationaler Ebene weitergeführt.
Stärkung der Umweltrisikobewertung im Rahmen der Zulassung
ØVerbesserung der Umweltrisikobewertung durch die Einführung eines Zulassungsverweigerungsgrundes, wenn Unternehmen keine ausreichenden Nachweise für die Bewertung der Umweltrisiken vorlegen oder wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Risikominderung nicht ausreichen, um den ermittelten Risiken zu begegnen
ØFestlegung klarerer Anforderungen für die Umweltrisikobewertung, einschließlich der Einhaltung wissenschaftlicher Leitlinien, regelmäßiger Aktualisierungen der Umweltrisikobewertung und der Verpflichtung zu zusätzlichen Umweltrisikobewertungsstudien nach der Zulassung usw.
ØAusweitung des Anwendungsbereichs der Umweltrisikobewertung auf die von der Antibiotikaherstellung ausgehenden Risiken für die Umwelt
ØAusweitung der Umweltrisikobewertung auf alle bereits auf dem Markt befindlichen und potenziell umweltschädlichen Mittel
Für Prüfpräparate, die genetisch veränderte Organismen (GVO) enthalten oder daraus bestehen, wird mit der Reform ein einheitliches EU-Umweltrisikobewertungsverfahren für klinische Prüfungen eingeführt. Folglich wird eine einheitliche harmonisierte EU-weite Bewertung die Bewertungen durch die Mitgliedstaaten ersetzen, was bedeutet, dass Sponsoren klinischer Prüfungen nicht mehr mehrere Genehmigungsanträge stellen müssen. Darüber hinaus werden die Anforderungen der Umweltrisikobewertung von Arzneimitteln, die GVO enthalten oder daraus bestehen, für die Zwecke der Zulassung auf den Grundsätzen der Richtlinie 2001/18/EG beruhen, jedoch angepasst werden, um den Besonderheiten von Arzneimitteln Rechnung zu tragen. Diese Änderungen werden erhebliche und zeitaufwendige regulatorische Hürden beseitigen, klinische Prüfungen in der EU erleichtern und die Bewertung und Zulassung innovativer, lebensverändernder Therapien optimieren.
6.Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen
Antimikrobielle Mittel gehören zu den wichtigsten Arzneimitteln. Im Laufe der Jahre haben ihre übermäßige Verwendung und ihr Missbrauch jedoch zu einer Zunahme der antimikrobiellen Resistenzen (im Folgenden „AM-Resistenzen) geführt, was bedeutet, dass die Mittel unwirksam werden und die Behandlung von Infektionen immer schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wird. AM-Resistenzen, auch als „stille Pandemie“ bezeichnet, sind in der Europäischen Union für mehr als 35 000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich und verursachen hohe Kosten für die Gesundheitssysteme
. Sie gelten als eine der drei größten Gesundheitsgefahren in der EU.
Um gegen die zunehmenden Resistenzen gegen antimikrobielle Mittel vorzugehen, ist es von entscheidender Bedeutung, sowohl den Zugang zu bestehenden Mitteln als auch die Entwicklung neuartiger wirksamer antimikrobieller Mittel sicherzustellen. Um zu verhindern, dass Mikroorganismen Resistenzen gegen diese antimikrobiellen Mittel entwickeln, werden auch Maßnahmen für ihre umsichtige Verwendung vorgeschlagen.
Die Eindämmung des Einsatzes antimikrobieller Mittel wirkt sich jedoch auf die Verkaufsmengen und die Investitionsrendite für Zulassungsinhaber aus, was für Marktversagen verantwortlich ist. Deshalb sind Anreize für die Entwicklung innovativer antimikrobieller Mittel und die Sicherstellung des Zugangs zu diesen erforderlich.
Entwicklung von, Zugang zu und umsichtige Verwendung von antimikrobiellen Mitteln
Anreize für die Entwicklung von und den Zugang zu antimikrobiellen Mitteln
Die EU braucht sowohl Push-Anreize (d. h. die Finanzierung von Forschung und Innovation im Bereich antimikrobieller Mittel, vor allem über Forschungszuschüsse und ‑partnerschaften) als auch Pull-Anreize (sowohl regulatorischer als auch finanzieller Art), um eine erfolgreiche Entwicklung zu belohnen und den Zugang zu wirksamen antimikrobiellen Mitteln zu sichern. Die Kommission schlägt folgende Pull-Anreize vor:
Øbefristeter Mechanismus mit übertragbaren Gutscheinen für den Unterlagenschutz im Zusammenhang mit der Entwicklung neuartiger antimikrobieller Mittel, die unter strengen Bedingungen gewährt und verwendet werden sollen
ØBeschaffungsmechanismen für den Zugang zu neuen und bestehenden antimikrobiellen Mitteln, die den Inhabern von Zulassungen für antimikrobielle Mittel unabhängig von den Verkaufsmengen Einnahmen garantieren würden
Die EU muss dringend intelligente Wege finden, um die Entwicklung neuartiger antimikrobieller Mittel zu ermöglichen. Aus diesem Grund wird im Rahmen der Reform vorgeschlagen, 15 Jahre lang ein System übertragbarer Gutscheine für den Unterlagenschutz im Zusammenhang mit neuartigen antimikrobiellen Mitteln zu testen. Mit dem Gutschein wird dem Entwickler des antimikrobiellen Mittels ein weiteres Jahr rechtlicher Datenschutz gewährt, den er entweder für eines seiner eigenen Produkte verwenden oder an einen anderen Zulassungsinhaber verkaufen kann. Die Förderfähigkeit im Rahmen des Programms wird auf bahnbrechende antimikrobielle Mittel beschränkt sein, die gegen antimikrobielle Resistenzen und die von der WHO anerkannten prioritären Krankheitserreger eingesetzt werden können. Für die Verwendung eines solchen Gutscheins gelten strenge Bedingungen, damit die Hauptbelohnung an den Entwickler des innovativen antimikrobiellen Mittels geht. Die vorgeschlagene Regelung enthält auch Bedingungen für die Abgabe des antimikrobiellen Mittels, um seine Lieferung im Bedarfsfall sicherzustellen.
Ein Gutscheinsystem schafft ein attraktives Geschäftsszenario für die Entwicklung innovativer antimikrobieller Mittel, für die die derzeitige Forschungspipeline sehr limitiert ist. Mit dieser Regelung werden die Kosten für die Gutscheine letztlich auf die Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten übertragen, indem der Markteintritt von Generika der von den Gutscheinen abgedeckten Mittel verzögert wird. Um die Kosten für die Gesundheitssysteme zu verringern, wird die Zahl der Gutscheine, die neuartigen antimikrobiellen Mitteln vorbehalten sind, für einen Zeitraum von 15 Jahren auf höchstens zehn begrenzt. Daher stellen die Gutscheine, sofern unter strengen Bedingungen angewandt, eine glaubwürdige Maßnahme gegen AM-Resistenzen dar, da ihre Vorteile und Kosten gegen die durch Untätigkeit verursachten Kosten und die Auswirkungen antimikrobieller Resistenzen auf die öffentliche Gesundheit und die Wirtschaft abgewogen werden müssen. Nach Ablauf des Zeitraums von 15 Jahren wird die Gutschein-Regelung bewertet.
Zusätzlich zum Gutscheinsystem könnten finanzielle Pull‑Anreize – in Form von Beschaffungsmechanismen – eingeführt werden. Im Rahmen einer Kommissionsstudie über die Markteinführung medizinischer Gegenmaßnahmen gegen AM-Resistenzen
wurden vier wichtige Arten von Beschaffungsmechanismen untersucht, die dazu beitragen können, die erwarteten Einnahmen für Entwickler zu erhöhen: Einnahmegarantien, Prämien für den Markteintritt in Kombination mit Einnahmegarantien, pauschale Markteintrittsprämien und sogenannte Meilensteinzahlungen. Mit dem Mechanismus der jährlichen Einnahmegarantien stocken die Behörden die Einnahmen der Projektträger auf, damit der „garantierte“ Betrag erreicht wird. Wenn die Verkäufe den Schwellenwert erreichen, wird keine weitere „Aufstockung“ gewährt. Markteintrittsprämien bestehen aus einer Reihe von Zahlungen an einen Antibiotikaentwickler dafür, dass dieser eine behördliche Zulassung für ein Antibiotikum erhalten hat, das bestimmte vordefinierte Kriterien erfüllt. Meilensteinzahlungen sind eine finanzielle Belohnung in einer frühen Phase, wenn bestimmte FuE-Ziele vor der Zulassung erreicht werden (z. B. erfolgreicher Abschluss von Phase I). Diese Mechanismen würden zwar in erster Linie dazu dienen, den Zugang zu bestehenden antimikrobiellen Mitteln zu ermöglichen, könnten aber auch neue antimikrobielle Wirkstoffe in der Entwicklungsphase unterstützen. Eine erste Durchführbarkeitsprüfung ergab, dass alle Optionen in Beschaffungsvorgänge umgesetzt werden können – ungeachtet einiger bemerkenswerter Einschränkungen und Erwägungen, die einer weiteren eingehenden Prüfung bedürfen. Voraussichtlich werden sowohl Beiträge der EU als auch der Mitgliedstaaten erforderlich sein.
Die Entwicklung antimikrobieller Mittel muss weltweit dringend unterstützt werden. Die EU wird ihre Zusammenarbeit über bestehende Foren, insbesondere die G7, die G20, die Transatlantische Task Force zu antimikrobiellen Resistenzen, die Viererallianz (Weltgesundheitsorganisation, Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, Weltorganisation für Tiergesundheit und Umweltprogramm der Vereinten Nationen), den AMR-MPTF (Antimicrobial Resistance Multi-Partner Trust Fund) sowie im Rahmen der Verhandlungen über ein mögliches internationales Übereinkommen der Weltgesundheitsorganisation über Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion intensivieren müssen.
Maßnahmen für die umsichtige Verwendung antimikrobieller Mittel
ØDurch die Reformierung des Arzneimittelrechts werden Maßnahmen für eine umsichtige Verwendung Teil des Zulassungsverfahrens werden, die den Verschreibungsstatus, die angemessene Packungsgröße, spezifische Informationen für Patienten und Fachkräfte im Gesundheitswesen, einen Plan für den verantwortungsvollen Umgang mit antimikrobiellen Mittel, einschließlich Maßnahmen zur Risikominderung, sowie die Überwachung und Meldung von Resistenzen gegen den jeweiligen antimikrobiellen Wirkstoff umfassen.
ØMit dem Vorschlag für eine Empfehlung des Rates werden zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen vorgeschlagen, einschließlich empfohlener Ziele und Maßnahmen zur Förderung hoher Standrads bei der Infektionsprävention und ‑bekämpfung, zur Sensibilisierung, zur Aus- und Weiterbildung und zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Interessenträgern aus allen relevanten Sektoren.
Empfohlene Ziele für den Verbrauch antimikrobieller Mittel und Resistenzen
Die vorgeschlagene Empfehlung des Rates sieht konkrete messbare Ziele zur Verringerung des Verbrauchs antimikrobieller Mittel und der Ausbreitung von AM-Resistenzen beim Menschen vor. Diese Ziele wurden mit Unterstützung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten unter Berücksichtigung nationaler Gegebenheiten und der unterschiedlichen Verbrauchsmengen und Ausbreitung der wichtigsten resistenten Krankheitserreger in den Mitgliedstaaten konzipiert. Sie ermöglichen eine gezielte Unterstützung und ein Monitoring der Fortschritte in den kommenden Jahren.
Sonstige zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen empfohlene Maßnahmen
Die vorgeschlagene Empfehlung des Rates zielt auch darauf ab, nationale Aktionspläne zur Bekämpfung von AM-Resistenzen auf der Grundlage des Konzepts „Eine Gesundheit“ zu stärken, Forschung und Innovation zu fördern, die Surveillance und das Monitoring von antimikrobiellen Resistenzen und des Verbrauchs antimikrobieller Mittel zu verstärken, globale Maßnahmen zu stärken und Anreize für die Entwicklung anderer medizinischer Gegenmaßnahmen betreffend AM-Resistenzen wie Impfstoffe und Schnelldiagnostika zu schaffen, die ebenfalls von entscheidender Bedeutung sind. Die vorgeschlagene Empfehlung des Rates wird auch zu einem robusteren Rahmen für die Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen beitragen, indem das Konzept „Eine Gesundheit“ mit anderen Politikbereichen der EU verflochten wird, etwa mit der Gemeinsamen Agrarpolitik
, der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, dem Aktionsplan zur Schadstofffreiheit, dessen Ziel es ist, den Gesamtabsatz antimikrobieller Mittel in der EU für Nutztiere und in der Aquakultur bis 2030 um 50 % zu verringern, mit dem EU-Programm „Horizont Europa“
und den jüngsten Vorschlägen der Kommission für ein strengeres Umweltmonitoring in Bezug auf AM-Resistenzen
.
7.Fazit
Die vorgeschlagene Reform des Arzneimittelrechts wird den Weg für eine stärkere und widerstandsfähigere Europäische Union ebnen, die die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger besser schützt. Sie wird einen zeitnahen und gerechten Zugang zu einer kontinuierlichen Versorgung mit sicheren, wirksamen und erschwinglichen Arzneimitteln fördern, die den medizinischen Bedarfen der Patientenschaft in der gesamten EU gerecht werden. Gleichzeitig wird sie weitere Innovationen anstoßen und die Wettbewerbsfähigkeit der Arzneimittelindustrie stärken. Zudem wird mit ihr die ökologische Nachhaltigkeit von Arzneimitteln während ihres gesamten Lebenszyklus verbessert werden.
Parallel dazu wird die vorgeschlagene Empfehlung des Rates zu AM-Resistenzen gemeinsam mit den entsprechenden Maßnahmen, die mit der Reform des EU-Arzneimittelrechts vorgeschlagen werden, die Tätigkeiten im Zuge des EU-Aktionsplans zur Bekämpfung antimikrobieller Resistenzen im Rahmen des Konzepts „Eine Gesundheit“ aus dem Jahr 2017 ergänzen und ausweiten. Damit wird die EU mit den zur Bekämpfung dieser stillen Pandemie erforderlichen Instrumenten ausgestattet.
Im Ergebnis wird das Reformpaket mit seinen ambitionierten Vorschlägen den Bürgerinnen und Bürgern der EU dauerhafte gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und ökologische Vorteile bringen. Es wird die Innovationskapazität und Wettbewerbsfähigkeit des Arzneimittelsektors in der EU fördern. Außerdem wird es dazu beitragen, globale Herausforderungen wie AM-Resistenzen und ökologische Nachhaltigkeit anzugehen und gleichzeitig die weltweite Spitzenstellung der EU im Arzneimittelbereich zu stärken, die Rolle der EU in der globalen Gesundheitspolitik auszubauen und die Umsetzung der globalen Gesundheitsstrategie der EU zu unterstützen.