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Document 52002DC0746

Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Massnahmen zur einfacheren und schnelleren beilegung von streitigkeiten mit geringem streitwert

/* KOM/2002/0746 endg. */

52002DC0746

Grünbuch über ein Europäisches Mahnverfahren und über Massnahmen zur einfacheren und schnelleren beilegung von streitigkeiten mit geringem streitwert /* KOM/2002/0746 endg. */


GRÜNBUCH ÜBER EIN EUROPÄISCHES MAHNVERFAHREN UND ÜBER MASSNAHMEN ZUR EINFACHEREN UND SCHNELLEREN BEILEGUNG VON STREITIGKEITEN MIT GERINGEM STREITWERT

(von der Kommission vorgelegt)

INHALT

Zielsetzung des Grünbuchs

Konsultation der interessierten Kreise

1. TEIL I: EINFÜHRUNG

1.1. Anwendbarkeit einer europäischen Regelung nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen

1.2. Wahl des geeigneten Rechtsinstruments zur Annäherung des Verfahrensrechts

2. TEIL II: EIN EUROPÄISCHES MAHNVERFAHREN

2.1. EINFÜHRUNG

2.1.1. Zugang zu wirksamem Rechtsschutz bei Pflichtversäumnis seitens des Schuldners ohne erkennbares Bestreiten des behaupteten Anspruchs hinsichtlich Art, Umfang und Rechtmäßigkeit

2.2. Definition des Mahnverfahrens

2.3. Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene

2.4. HINTERGRUND

2.4.1. Initiativen zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam

2.5. Der Vertrag von Amsterdam und seine Auswirkungen

2.6. Die Schlussfolgerungen von Tampere

2.7. Das Programm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung

2.8. Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen als erste Stufe eines zweistufigen Ansatzes

2.9. Ein Grünbuch als zweite Stufe des Ansatzes

3. DER EUROPÄISCHE ZAHLUNGSBEFEHL

3.1. Allgemeiner Ansatz

3.1.1. Übersicht über die verschiedenen Verfahrenstypen in den Mitgliedstaaten

3.2. Anwendungsbereich des Verfahrens

3.2.1. Beschränkung auf Zahlungsansprüche?

3.2.2. Sollte das Verfahren nur für bestimmte Anspruchsarten nutzbar sein bzw. sollten bestimmte Anspruchsarten von dem Verfahren ausgeschlossen werden?

3.2.3. Obergrenze für die geltend zu machende Summe (bzw. - bei Einbeziehung von nicht auf Zahlung gerichteten Ansprüchen - des Streitwerts)?

3.2.4. Sollte die Inanspruchnahme des Mahnverfahrens obligatorisch sein?

3.3. Verfahrensvorschriften

3.3.1. Internationale Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Streitigkeiten - Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten?

3.3.2. Vorschriften zur Regelung der Zuständigkeit in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte zuständig sind

3.3.3. Vorschriften zur Bestimmung der für das Verfahren zuständigen Person

3.3.4. Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls

3.3.5. Umfang der gerichtlichen Prüfung des Anspruchs

3.3.6. Gerichtliche Entscheidung über den Zahlungsbefehl

3.3.7. Der Entscheidung beigefügte Belehrung des Schuldners über seine Verfahrensrechte und -pflichten

3.3.8. Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner

3.3.9. Widerspruch seitens des Schuldners

3.3.10. Auswirkungen des Widerspruchs

3.3.11. Auswirkungen bei nicht oder nicht fristgerecht erhobenem Widerspruch

3.3.12. Vorschriften betreffend anwaltliche Vertretung?

3.3.13. Vorschriften betreffend Kosten (Gerichtsgebühren, sonstige Auslagen) und ihre Erstattung

3.3.14. Vollstreckung

4. TEIL III: MASSNAHMEN ZUR VEREINFACHUNG UND BESCHLEUNIGUNG DER STREITBEILEGUNG IM FALLE GERINGFÜGIGER FORDERUNGEN

4.1. GELTENDES EG-RECHT - FRÜHERE GEMEINSCHAFTSINITIATIVEN

4.2. HINTERGRUND

4.3. IN DEN MITGLIEDSTAATEN VORHANDENE VERFAHREN FÜR STREITIGKEITEN MIT GERINGEM STREITWERT

4.3.1. Streitwertgrenze

4.3.2. Arten von Streitigkeiten

4.3.3. Obligatorisches oder fakultatives Bagatellverfahren

4.3.4. Einleitung des Verfahrens

4.3.5. Vertretung und Beistand

4.3.6. Alternative Verfahren der Streitbeilegung

4.3.7. Lockerung Bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme

4.3.8. Einführung eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens

4.3.9. Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an das Urteil und zeitliche Vorgaben

4.3.10. Kosten

4.3.11. Ausschluss/Beschränkung von Rechtsmitteln

4.4. HANDLUNGSBEDARF AUF GEMEINSCHAFTSEBENE

5. ANWENDUNGSBEREICH EINER REGELUNG FÜR GERINGFÜGIGE FORDERUNGEN

5.1. Streitwertgrenze

5.2. Arten von Streitigkeiten

5.3. Obligatorisches oder fakultatives Bagatellverfahren

6. VEREINFACHUNG DES VERFAHRENSRECHTS

6.1. Gemeinsame Mindestvorschriften für Formulare

6.2. Vertretung und Beistand

6.3. Alternative Verfahren der Streitbeilegung

6.4. Lockerung bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme

6.5. Einführung eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens

6.6. Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an das Urteil und zeitliche Vorgaben

6.7. Kosten

6.8. Ausschluss/Beschränkung von Rechtsmitteln

6.9. Weitere Vereinfachungsmöglichkeiten

7. DIE FRAGEN IM ÜBERBLICK

Zielsetzung des Grünbuchs

Mit diesem Grünbuch soll eine Konsultation aller interessierten Kreise über Maßnahmen eingeleitet werden, die auf Gemeinschaftsebene ergriffen werden könnten:

* zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens, d. h. eines spezifischen Verfahrens zur raschen und effizienten Beitreibung voraussichtlich unbestrittener Forderungen, das in allen Mitgliedstaaten verfügbar wäre, und

* zur Vereinfachung und Beschleunigung der Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert (Bagatellsachen), also eines Bereichs der Streitbeilegung, in dem Verfahrensbeschleunigung und Kostenbegrenzung von besonderer Bedeutung sind, wenn verhindert werden soll, dass die Geltendmachung derartiger Forderungen unwirtschaftlich wird.

Das Grünbuch stützt sich auf eine vergleichende Untersuchung der gegenwärtig in den Mitgliedstaaten praktizierten Lösungen für die relevanten Verfahrensfragen. Es soll die Ermittlung nachahmenswerter Verfahrensweisen erleichtern, die als Vorbild für europäische Regelungen dienen könnten.

Konsultation der interessierten Kreise

* Die Kapitel 1, 2, 3 und 5 des Grünbuchs enthalten eine Reihe von Fragen zu den nach Meinung der Kommission wichtigsten Aspekten, die bei der Bewertung möglicher Initiativen für ein europäisches Mahnverfahren einerseits und Maßnahmen zur einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert andererseits geklärt werden müssen. Am Ende des Grünbuchs sind diese Fragen noch einmal im Überblick zusammengefasst. Die Kommission würde begründete Antworten zu diesen Fragen von allen Interessierten begrüßen. Selbstverständlich sind über die Beantwortung dieser Fragen hinaus Anmerkungen zu weiteren Aspekten dieser Themen, auch wenn sie nicht in diesem Grünbuch angesprochen werden, willkommen. Die Antworten auf die Fragen sowie gegebenenfalls sonstige Kommentare sollten bis spätestens 31. Mai 2003 an folgende Adresse gesandt werden:

Europäische Kommission Generaldirektion Justiz und Inneres, Referat A.3 B-1049 Brüssel Fax: (+32-2) 299 64 57

E-Mail: jai-coop-jud-civil@cec.eu.int

* Um die Bearbeitung der eingehenden Antworten und Kommentare zu erleichtern, wird darum gebeten, jeweils anzugeben, wenn dieselben Beiträge mehrfach (z. B. per E-Mail und per Fax) übermittelt worden sind. Die Antworten und Kommentare können auf der Website der Kommission veröffentlicht werden, sofern der Absender dem nicht ausdrücklich widerspricht. Im Frühjahr 2003 wird die Kommission untersuchen, ob eine öffentliche Anhörung abgehalten werden sollte, um die in dem Grünbuch angesprochenen Themen weiter zu erörtern.

1. TEIL I: EINFÜHRUNG

Das Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [1] ist als derzeitiges Arbeitsprogramm der Kommission in erster Linie auf die Vereinfachung der Anerkennung und Vollstreckung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Urteilen gerichtet und nicht auf die Annäherung oder Harmonisierung des Verfahrensrechts. In diesem Programm wird allerdings festgestellt, dass in bestimmten Bereichen die Abschaffung der Zwischenmaßnahmen, die nach wie vor zur Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen notwendig sind, mit der gemeinschaftsweiten Einführung eines spezifischen Verfahrens einhergehen könnte, und zwar entweder in Form eines durch Verordnung geregelten einheitlichen Verfahrens oder in Form eines harmonisierten Verfahrens, das jeder Mitgliedstaat nach Maßgabe einer Richtlinie einführt.

[1] ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.

Entsprechend den Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere wird in dem Programm ausdrücklich eine gemeinsame Regelung gefordert für

* ein spezifisches Verfahren zur raschen und effizienten Beitreibung unbestrittener Forderungen (Europäisches Mahnverfahren) und

* die Vereinfachung und Beschleunigung der Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert (Bagatellsachen).

Bagatellverfahren und Mahnverfahren sind zwar unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Bereichen zuzuordnen, doch stellen sich bei einer etwaigen Harmonisierung oder Einführung eines einheitlichen europäischen Verfahrens zum Teil dieselben Probleme. Es handelt sich hier um die ersten Initiativen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit, die direkt die Verfahrensvorschriften zur Erwirkung einer vollstreckbaren Entscheidung betreffen.

Den beiden Bereichen gemeinsam sind zwei Fragestellungen, die die Art und Weise einer europäischen Regelung betreffen (deren Lösung aber durchaus unterschiedlich ausfallen kann):

1.1. Anwendbarkeit einer europäischen Regelung nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen

Vorstellbar wären Vorschriften, die allein für Streitsachen mit geringem Streitwert oder für Mahnverfahren gelten, an denen zwei Parteien mit Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten beteiligt sind. Damit wären nur Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug erfasst. Andererseits wird der grenzüberschreitende Bezug einer Streitsache möglicherweise erst sichtbar, wenn der Gläubiger die Vollstreckung betreiben will und dabei feststellt, dass sie in einem anderen Mitgliedstaat zu erfolgen hat, weil der Schuldner in diesen Staat gezogen ist oder nur dort über pfändbares Vermögen verfügt. Auch wäre es unter Umständen unbefriedigend, ein effizientes europaweites Verfahren nur für internationale Forderungen vorzusehen, während Gläubiger bei Streitigkeiten mit reinem Inlandsbezug möglicherweise auf das langwierige ordentliche Zivilverfahren angewiesen sind, das ihren berechtigten Ansprüchen nicht genügt. Über praktische Erwägungen und Gerechtigkeitsaspekte hinaus könnte ein ausgeprägtes Missverhältnis, was die Effizienz der Gläubigern aus anderen Mitgliedstaaten für die Beitreibung ihrer - geringfügigen oder unbestrittenen - Forderungen zur Verfügung stehenden Verfahren anbelangt, direkte Auswirkungen auf das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts haben. Dies wäre bedenklich, wenn Streitparteien in der Europäischen Union keinen Zugang zu einem vergleichbar leistungsfähigen Rechtsschutz hätten. Die Gleichheit von Bürgern und Geschäftspartnern in einem integrierten Raum setzt jedoch Waffengleichheit in rechtlicher Hinsicht voraus. Ein Unternehmen, das in einem Mitgliedstaat tätig ist, dessen Rechtsordnung eine rasche und effektive Durchsetzung von Ansprüchen ermöglicht, dürfte erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber einem Konkurrenten haben, dessen rechtliche Rahmenbedingungen keine vergleichbar wirksamen Verfahren zu bieten haben. Derartige Unterschiede können Unternehmen sogar davon abschrecken, das ihnen nach dem EG-Vertrag zustehende Niederlassungsrecht in anderen Mitgliedstaaten wahrzunehmen. Aus diesem Grund könnte sich die Anwendung etwaiger Regelungen für Mahn- und Bagatellverfahren auch auf reine Inlandssachen als nützlich erweisen.

Frage 1:

Sollten die europäischen Regelungen für Mahn- und Bagatellverfahren nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen anwendbar sein? Nehmen Sie bitte zu den Vor- und Nachteilen eines eingeschränkten bzw. erweiterten Anwendungsbereichs beider Regelungen Stellung.

1.2. Wahl des geeigneten Rechtsinstruments zur Annäherung des Verfahrensrechts

Mit der Wahl des Rechtsinstruments, das für die Annäherung des Verfahrensrechts als geeignet angesehen wird, sind erhebliche Folgen verbunden. Eine Richtlinie könnte auf die Grundprinzipien beschränkt werden, so dass die Mitgliedstaaten das Verfahren in gewissem Maße nach ihren eigenen Bedürfnissen gestalten könnten. Da sie jedoch verpflichtet sind, ihre Rechtsvorschriften den Anforderungen der Richtlinie anzupassen, hätte dies unweigerlich die Ersetzung der entsprechenden innerstaatlichen Regelung zur Folge. Eine direkt anwendbare Verordnung ließe den Mitgliedstaaten demgegenüber keinerlei Gestaltungsmöglichkeiten. Die Einführung eines einheitlichen europäischen Verfahrens bedeutet aber noch nicht, dass dieses Verfahren innerstaatliches Recht verdrängen würde. Es könnte auch als Alternative verstanden werden, die ohne Reibungsverluste neben den einzelstaatlichen Verfahren für geringfügige oder unbestrittene Forderungen angeboten würde.

In welchem Maße ist unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips Einheitlichkeit erforderlich, um das gewünschte Plus an Effizienz und Handhabbarkeit zu erlangen? Wie viel Handlungsfreiheit und Flexibilität kann den Mitgliedstaaten eingeräumt werden, ohne das ursprüngliche Ziel, die Erleichterung gleichen und gleich effizienten Zugangs zum Recht, zu beeinträchtigen?

Zu bedenken ist auch, dass sich zwischen einheitlichen und harmonisierten Verfahren nicht so leicht unterscheiden lässt, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Auch im Fall einer Verordnung würden alle Fragen, die bewusst von einer Regelung ausgenommen werden, für ergänzende innerstaatliche Vorschriften offen bleiben, ja würden geradezu nach einer innerstaatlichen Regelung verlangen. Beispielsweise wäre durchaus denkbar, einer Verordnung den Vorzug zu geben, um sicherzustellen, dass die Grundprinzipien eines europäischen Mahnverfahrens einheitlich geregelt werden, die weniger zentralen Fragen aber den Mitgliedstaaten zu überlassen, die sie nach ihren eigenen Bedürfnissen möglicherweise unterschiedlich regeln könnten. Gleichzeitig könnte sich eine Richtlinie in Bezug auf die wesentlichen Aspekte eines Bagatellverfahrens als das geeignetere Rechtsinstrument erweisen. In jedem Fall gilt es, die wesentlichen Verfahrensaspekte festzulegen, die eine Harmonisierung rechtfertigen und in einem Rechtsinstrument - sei es nun in Form einer Verordnung oder einer Richtlinie - geregelt werden müssen. Im Folgenden werden die wesentlichen Verfahrensfragen für Mahn- und Bagatellverfahren getrennt erörtert.

Frage 2:

Ist eine Verordnung oder eine Richtlinie das geeignete Rechtsinstrument für Mahn- und Bagatellverfahren?

2. TEIL II: EIN EUROPÄISCHES MAHNVERFAHREN

2.1. EINFÜHRUNG

2.1.1. Zugang zu wirksamem Rechtsschutz bei Pflichtversäumnis seitens des Schuldners ohne erkennbares Bestreiten des behaupteten Anspruchs hinsichtlich Art, Umfang und Rechtmäßigkeit

Ein Großteil der Gerichtsverfahren in den Mitgliedstaaten ist bekanntermaßen nicht in erster Linie darauf gerichtet, eine abschließende, unparteiische Entscheidung über streitige Tatsachen oder Rechtsfragen zu erwirken. Es ist vielmehr immer häufiger die Regel und nicht die Ausnahme, dass der Gläubiger, ohne dass ein konkreter Rechtsstreit besteht, die Justiz in Anspruch nehmen muss, um einen vollstreckbaren Titel zu erwirken, mit dem er eine Forderung, der der Schuldner nicht nachkommen kann oder will, im Wege der Zwangsvollstreckung beitreiben kann [2].

[2] 2000 waren die spezifischen Bagatellverfahren, die in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, Gegenstand einer von der Kommission durchgeführten Studie. Der Fragebogen, der in diesem Zusammenhang an die Mitgliedstaaten verteilt wurde, enthielt auch einige Fragen zu unbestrittenen Forderungen. Die Antworten der Mitgliedstaaten sind im Abschlussbericht von Evelyne Serverin, Directeur de recherche am CNRS IDHE-ENS CACHAN, in einer Tabelle zusammengefasst (Des Procédures de traitement judiciaire des demandes de faible importance ou non contestées dans les droits des Etats-Membres de l'Union Européenne, Cachan 2001, S. 30). Ihnen ist zu entnehmen, dass der Anteil der unbestrittenen Forderungen an der Gesamtheit der von den erstinstanzlichen ordentlichen Zivilgerichten behandelten Rechtssachen in den Ländern, in denen umfassende statistische Daten vorhanden sind, zwischen 50 % (Irland) und über 80 % (Deutschland, Österreich, Schweden) beträgt.

Diese Situation stellt die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vor vielfältige Herausforderungen. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass die tatsächlich strittigen Fälle zu einem möglichst frühen Zeitpunkt im Verfahren von denjenigen unterschieden werden, in denen in Wirklichkeit kein Rechtsstreit besteht. Diese Unterscheidung ist für den effizienten Einsatz der begrenzten Ressourcen, die den Gerichten zur Verfügung stehen, zwar nicht ausreichend, jedoch notwendig. Sie ermöglicht es den Gerichten, sich auf die Beilegung tatsächlicher Streitfälle zu konzentrieren und in angemessenem Zeitrahmen Recht zu sprechen. Dieses Ziel ist jedoch nur zu erreichen, wenn ein schnelles und wirksames Verfahren für unstrittige Forderungen vorhanden ist und der Justiz die Entlastung bringt, die zur Vermeidung beträchtlicher Rückstände unerlässlich ist. Angesichts der oben erwähnten Zahl unstrittiger Fälle ist daher ein Prozessrecht, das eine effiziente Rechtsprechung gewährleistet, ein entscheidender Faktor für die Leistungsfähigkeit der gesamten Rechtsordnung.

Die rasche Eintreibung ausstehender Forderungen, deren Rechtmäßigkeit nicht in Frage gestellt wird, ist für die Wirtschaftsbeteiligten in der Europäischen Union von größter Bedeutung. Ein Rechtsrahmen, der dem Gläubiger keinen Zugang zu rascher Regulierung unbestrittener Ansprüche garantiert, räumt zahlungsunwilligen Schuldnern möglicherweise bis zu einem gewissen Grad Straffreiheit ein und schafft auf diese Weise einen Anreiz, Zahlungen absichtlich zum eigenen Vorteil zurückzuhalten [3]. Zahlungsverzug ist einer der wichtigsten Gründe für die Insolvenz, die das Überleben der Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen, gefährdet und zahlreiche Arbeitsplätze kostet. Wenn selbst für die Beitreibung unbestrittener Forderungen lästige zeit- und kostenaufwendige Gerichtsverfahren angestrengt werden müssen, führt dies zwangsläufig zu einer Verschärfung dieser schädlichen wirtschaftlichen Folgen.

[3] Gestützt auf die Ergebnisse einer Studie, die 1994 im Auftrag der Kommission durchgeführt wurde (European Late Payment Survey - Intrum Justitia), schätzte die Kommission in ihrer Mitteilung an den Rat und das Europäische Parlament ,Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", ABl. C 33 vom 31.1.1998, S. 3, Absatz 38, den Anteil der Fälle vorsätzlich herbeigeführten Zahlungsverzugs unionsweit auf 35 %.

2.2. Definition des Mahnverfahrens

Alle Mitgliedstaaten versuchen, das Problem der Beitreibung einer Masse unbestrittener Forderungen auf dem Rechtsweg aus ihrer eigenen Perspektive im Rahmen ihrer Rechtstraditionen und Verfahren zu lösen. Wie zu erwarten, weichen die einzelstaatlichen Lösungswege sowohl in technischer Hinsicht als auch in Bezug auf den Erfolg stark voneinander ab. In manchen Mitgliedstaaten sind die wichtigsten verfahrensrechtlichen Instrumente im Umgang mit Forderungen, die nicht Gegenstand eines Rechtsstreits sind, Versäumnisurteile, im Rahmen des ordentlichen Zivilprozesses vorgesehene besondere summarische Verfahren oder sogar einstweilige Verfügungen, die ihrer Wirkung nach so gut wie definitiv sind, da sich in der Praxis kaum ein Hauptverfahren anschließt [4].

[4] In den Niederlanden hat das Fehlen eines kurzen, einfachen und kostengünstigen Verfahrens zur Beitreibung von Forderungen dazu geführt, dass die Gerichte extensiven Gebrauch von einstweiligen Verfügungen (kort geding) machen.

In einigen Mitgliedstaaten hat sich allerdings ein eigenes Mahnverfahren als besonders wirkungsvoll erwiesen, um die rasche und kostengünstige Beitreibung von Forderungen zu erwirken, von denen anzunehmen ist, dass sie unbestritten bleiben. Zurzeit ist ein solches Verfahren im Zivilprozessrecht von elf Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg, Portugal, Spanien, Schweden) vorgesehen [5]. Die französische injonction de payer und das deutsche Mahnverfahren sind die bekanntesten Beispiele. In den letzten Jahren wurden Zahlungsbefehle auch in Spanien und Portugal eingeführt, wo Gläubigern zuvor ein vollstreckbarer Titel dieser Art nicht zur Verfügung stand [6]. Diese Entwicklung zeigt, dass dieser Verfahrenstyp in der Europäischen Union zunehmend geschätzt wird.

[5] In Belgien hat sich allerdings das summarische Mahnverfahren (procédure sommaire d'injonction de payer) aufgrund struktureller Mängel (beispielsweise muss dem Zahlungsbefehl ein förmliches Schreiben vorausgehen) als beschwerlicher als die ordentlichen Zivilverfahren erwiesen und konnte sich daher in der Rechtspraxis nicht durchsetzen.

[6] In Portugal hat sich die Leistungsfähigkeit des Mahnverfahrens seit 1998 nach einer gründlichen Reform der seit 1993 geltenden diesbezüglichen Rechtsvorschriften verbessert. In Spanien wurde 1999 der proceso monitorio eingeführt.

Die in den Mitgliedstaaten verfügbaren Mahnverfahren unterscheiden sich beträchtlich voneinander, und zwar in so entscheidenden Aspekten wie Anwendungsbereich, Zuständigkeit für die Erteilung eines Zahlungsbefehls oder formale und materielle Voraussetzungen für eine positive Entscheidung. Trotz der Unterschiede zwischen den vorhandenen Verfahrenstypen sind ihnen die nachstehenden Merkmale gemeinsam, die somit für die Definition des Mahnverfahrens herangezogen werden können.

Auf Antrag des Gläubigers entscheidet das Gericht oder eine andere zuständige Behörde über die Forderung, ohne dass dem Schuldner zuvor Gelegenheit gegeben wird, sich zu äußern. Diese Entscheidung wird dem Schuldner mit der Aufforderung zugestellt, entweder der Entscheidung nachzukommen oder die Forderung innerhalb einer bestimmten Frist zu bestreiten. Bleibt der Schuldner untätig, kann der Zahlungsbefehl vollstreckt werden. Nur wenn er Widerspruch erhebt, kann ein ordentliches Verfahren eingeleitet werden. Im Gegensatz zu den üblichen Verfahrensregeln bleibt es dem Adressaten des Zahlungsbefehls überlassen, das streitige Verfahren einzuleiten. Diese Umkehr der Verfahrensinitiative, die im Französischen besonders prägnant mit inversion du contentieux bezeichnet wird, in Kombination mit dem Schutz der Verteidigungsrechte durch die Möglichkeit für den Schuldner, die Erteilung eines vollstreckbaren Titels zu unterbinden, ist das Hauptmerkmal des Mahnverfahrens.

2.3. Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene

Es dürfte auf der Hand liegen, dass Dauer und Kosten eines ordentlichen Zivilverfahrens, das für unbestrittene Ansprüche ungeeignet ist, bei Rechtssachen mit grenzüberschreitendem Bezug erst recht die Grenze des Verhältnismäßigen überschreiten können. Die Unkenntnis über die Rechtsordnung anderer Mitgliedstaaten und die daraus folgende Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen, die zeitaufwendige Zustellung von gerichtlichen Schriftstücken an Parteien außerhalb des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren stattfindet, sowie die Auslagen für Übersetzungen sind nur die augenfälligsten Faktoren, die Gläubigern mit grenzüberschreitenden Ansprüchen das Leben schwer machen. Mit diesen Problemen ist jeder grenzüberschreitende Rechtsstreit verbunden, unabhängig davon, ob ein Anspruch strittig ist oder nicht. Dessen ungeachtet wird der Unterschied zwischen einem raschen Beitreibungsverfahren für reine Inlandssachen und dem Zeit- und Kostenaufwand, der entsteht, wenn die Parteien ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, unerträglich, wenn die Rechtmäßigkeit des betreffenden Anspruchs noch nicht einmal vom Schuldner bestritten wird. Diese Situation begünstigt zahlungsunwillige Schuldner in grenzüberschreitenden Streitigkeiten und schreckt Wirtschaftsbeteiligte möglicherweise davon ab, ihre Tätigkeit über die Grenzen ihres Herkunftsmitgliedstaats hinaus auszuweiten, beeinträchtigt also den Handel zwischen den Mitgliedstaaten. Selbst wenn es in allen Mitgliedstaaten ein effizientes einzelstaatliches Verfahren zur Beitreibung unbestrittener Forderungen gäbe (was gegenwärtig bei weitem nicht der Fall ist) [7], würde dies die Situation nicht entscheidend verbessern, da die tief greifenden Unterschiede zwischen derartigen Verfahren und die mangelnde Vertrautheit mit ihnen an sich bereits erhebliche Hindernisse für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten darstellen. Ein harmonisierter europäischer Zahlungsbefehl würde maßgeblich dazu beitragen, den Zugang zu einer effizienten Rechtsprechung zu erleichtern.

[7] Selbst in den Mitgliedstaaten, in denen es Mahnverfahren gibt, sind sie häufig (in Österreich, Belgien, Italien und Luxemburg) nicht anwendbar, wenn der Schuldner im Ausland ansässig ist.

Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es sich bei Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug keineswegs ausschließlich um Fälle handelt, bei denen die am Hauptverfahren beteiligten Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. Eine ursprünglich reine Inlandssache kann grenzüberschreitenden Charakter annehmen, weil ein in einem Mitgliedstaat ergangenes Urteil in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden muss, z. B. wenn der Schuldner seinen Wohnsitz in diesen Staat verlegt hat oder nur dort über pfändbares Vermögen verfügt. Die Vollstreckbarerklärung (Exequatur), die Voraussetzung dafür ist, dass ein Urteil in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen, in dem es ergangen ist, vollstreckt werden kann [8], verursacht Verzögerungen und Kosten in einem Maße, dass der Rat und die Kommission die Abschaffung solcher Zwischenmaßnahmen im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [9] als eine der Prioritäten der Gemeinschaft hervorheben. Wenn die Möglichkeit bestuende, gemäß den Regeln der internationalen Zuständigkeit einen vollstreckbaren Titel in dem Mitgliedstaat zu erwirken, in dem die Vollstreckung durch ein harmonisiertes Mahnverfahren angestrebt wird, würde in etlichen Fällen die Notwendigkeit, zum Zwecke der Vollstreckung grenzüberschreitend tätig zu werden, überhaupt entfallen. In den Fällen, in denen die Vollstreckung außerhalb des Mitgliedstaates, in dem die Entscheidung ergangen ist, unumgänglich ist, könnte die generelle Einführung eines europäischen Mahnverfahrens die Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren erheblich erleichtern oder sogar überfluessig machen [10]. Die Aufrechterhaltung des Rechts auf Nichtanerkennung eines ausländischen Vollstreckungsurteils ist zu einem großen Teil Folge der unterschiedlichen einzelstaatlichen Gesetzgebung und der mangelnden Kenntnis ausländischer Vorschriften, insbesondere hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit den Anforderungen, die sich aus der Aufzählung der Gründe für eine Ablehnung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung ergeben [11]. Bei Versäumnisurteilen - und Zahlungsbefehle sind insoweit Versäumnisurteile, als sie nur dann vollstreckbar werden, wenn der Schuldner untätig bleibt und keinen Widerspruch einlegt [12] - gilt diese Argumentation insbesondere für die heikle Frage der Wahrung der in Artikel 34 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates verankerten Verteidigungsrechte. Wenn ein europäisches Mahnverfahren einheitliche Vorschriften auch für den Schutz der Verteidigungsrechte enthielte, könnte die vollständige Abschaffung der Zwischenmaßnahmen zur Anerkennung und Vollstreckung in greifbare Nähe rücken [13].

[8] Das Vollstreckbarerklärungsverfahren (Exequaturverfahren), das ursprünglich in Artikel 31 ff. des Übereinkommens von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (konsolidierte Fassung in ABl. C 27 vom 26.1.1998, S. 1) niedergelegt wurde, wurde abgeändert und ist nun in Artikel 38 ff. der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000, ABl. L 12, S. 1 geregelt, die am 1. März 2002 in Kraft trat.

[9] ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.

[10] Diese Auffassung wurde bereits in der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament ,Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", ABl. C 33 vom 31.1.1998, S. 3 vertreten.

[11] Artikel 45 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 34 und 35 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates.

[12] Der Europäische Gerichtshof hat die Übereinstimmung von Zahlungsbefehlen mit Artikel 27 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens von 1998, der Versäumnisurteile in Verfahren regelt, auf die sich der Beklagte nicht eingelassen hat, in folgenden Rechtssachen geprüft: Hengst Import BV gegen Campese (C-474/93), 13.7.1995, Slg. 1995 I-2113 (italienisches procedimento d'ingiunzione) und in Klomps gegen Michel (C-166/80), 16.6.1981, Slg. 1981, 1593 (deutsches Mahnverfahren).

[13] Das unvermeidliche Risiko einer falschen Auslegung bzw. Anwendung dieser Vorschriften in Einzelfällen stellt in dieser Hinsicht kein Hindernis dar, da derartige Fehler in einem rein inländischen Kontext die Vollstreckbarkeit eines Urteils nicht ausschließen, solange das Urteil selbst von der unterlegenen Partei nicht angefochten wird.

Es ist fraglich, ob ein europäisches Mahnverfahren ausschließlich für die grenzüberschreitende Streitbeilegung gelten sollte. Neben den allgemeinen Überlegungen zu dieser Frage im Zusammenhang mit den anderen Themen des vorliegenden Grünbuchs [14] sollten die folgenden Gedanken berücksichtigt werden. Angesichts der Tatsache, dass ein Mahnverfahren im Kern ein Verfahren zur Beitreibung einer Masse unbestrittener Forderungen ist und auf dem Gerichtswege betrieben wird, weil allein die Gerichte befugt sind, vollstreckbare Titel zu erlassen, wäre es vertretbar, eine Situation, die eine deutliche Unausgewogenheit hinsichtlich der Effizienz der den Gläubigern in den einzelnen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden verfahrensrechtlichen Mittel impliziert, als Wettbewerbsverzerrung im Binnenmarkt einzustufen [15]. Mit der Einführung eines europäischen Mahnverfahrens könnte im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ein weiterer Beitrag zur rechtlichen Harmonisierung geleistet werden, da derartige Verfahren nicht untrennbar mit anderen Vorschriften für Zivilverfahren verknüpft sind, sondern gesondert zu betrachten sind. Nur wenn das Mahnverfahren durch den Widerspruch des Schuldners beendet wird, kann es in ein ordentliches Zivilverfahren übergehen. Daher würde die Einführung eines europäischen Mahnverfahrens keine weitere Annäherung der verfahrensrechtlichen Vorschriften in den Mitgliedstaaten erforderlich machen.

[14] Siehe oben 1.1.

[15] Laut der Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament ,Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union", ABl. C 33 vom 31.1.1998, S. 3, Absatz 38 ergab die Studie "European Payment Habits Survey", Intrum Justitia (siehe Fußnote 3), dass der Anteil vorsätzlich herbeigeführter Zahlungsrückstände in Mitgliedstaaten, in denen die Verfahren zur Erwirkung und Vollstreckung von Urteilen schnell, kostengünstig und effizient sind, deutlich unter dem unionsweiten Durchschnitt von 35 % liegt.

Aus den oben dargelegten Gründen und um der Kommission die Mittel an die Hand zu geben, den Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene und die Art der erforderlichen Maßnahmen besser einzuschätzen, verfolgt das vorliegende Grünbuch u. a. das Ziel, mehr Informationen über die Funktionsweise der verfahrensrechtlichen Vorschriften für die Beitreibung unbestrittener Forderungen in Form eines Mahnverfahrens oder eines anderen Verfahrens in den Mitgliedstaaten zu sammeln. Die Analyse des vorhandenen gesetzlichen Rahmenwerks führt nicht zwangsläufig zu den richtigen Schlussfolgerungen, was die Leistungsfähigkeit eines bestimmten Verfahrens in der alltäglichen Praxis betrifft. Je unterschiedlicher die Akzeptanz und der Erfolg der Verfahren, die der einfacheren und schnelleren Erwirkung einer vollstreckbaren Entscheidung über letzten Endes unbestrittene Forderungen dienen, desto ausgeprägter das oben skizzierte Ungleichgewicht und desto dringender der Bedarf für eine Angleichung innerhalb der Gemeinschaft.

Frage 3:

Sind bei der Anwendung des Mahnverfahrens oder eines anderen Verfahrens zur Beitreibung unbestrittener Forderungen in Ihrem Mitgliedstaat Probleme aufgetreten und wenn ja, welche? Geben Sie bitte an, wie hoch die Akzeptanz dieser Verfahren ist und wie erfolgreich sie in der Praxis sind. Gelten diese Verfahren auch für Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug, bei denen entweder der Gläubiger oder der Schuldner seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat? Falls ja, sind bei der Anwendung Probleme aufgetreten und wenn ja, welche? Falls nein, wie ist über unbestrittene Forderungen mit grenzüberschreitendem Bezug zu entscheiden?

2.4. HINTERGRUND

2.4.1. Initiativen zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens vor Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam

2.4.1.1. Der Storme-Vorschlag

1993 legte eine Arbeitsgruppe von Sachverständigen des Verfahrensrechts unter dem Vorsitz von Professor Marcel Storme der Kommission einen Vorschlagsentwurf für eine Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften und Regelungen betreffend bestimmte Aspekte des zivilrechtlichen Streitbeilegungsverfahrens in den Mitgliedstaaten (den so genannten Storme-Vorschlag) [16] vor. Diese erste umfassende Auseinandersetzung mit den grundlegendsten Merkmalen des Zivilprozesses [17], die sich auf eine eindeutig binnenmarktorientierte Argumentation stützt [18], stellt in einem Abschnitt detaillierte Regeln für ein Mahnverfahren auf und erkennt damit die besondere Bedeutung einer Harmonisierung in diesem Bereich an [19]. Obwohl dieser Vorschlag nie in eine Gesetzgebungsinitiative der Kommission mündete, ist er dennoch ein wichtiges Referenzwerk, das wertvolle Anregungen enthält.

[16] Der Text erschien 1995 unter dem Titel Storme (ed.), Rapprochement du droit judiciaire de l'Union Européenne - Approximation of judiciary law in the European Union, Dordrecht/Boston/London.

[17] Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass diesem Vorschlag eine Empfehlung des Europarats betreffend Maßnahmen zur Vereinfachung des Zugangs zum Recht vorausging (,Recommendation No. R (81) 7 On Measures Facilitating Access to Justice" vom 14.5.1981). In dieser Empfehlung sprach sich der Europarat dafür aus, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass bei unbestrittenen oder nachgewiesenen bezifferten Forderungen innerhalb kurzer Zeit, ohne unnötige Formalitäten oder Kosten und ohne persönliches Erscheinen vor Gericht, ein Endurteil ergehen kann (,provisions should be made for undisputed or established liquidated claims to ensure that in these matters a final decision is obtained quickly without unnecessary formality, appearances before the court or costs").

[18] Der einführende Bericht von Prof. Marcel Storme befasst sich ausführlich mit der Notwendigkeit einer Harmonisierung des Zivilprozessrechts, die sich aus der Schaffung eines Binnenmarkts ergibt, und behandelt das Thema sowohl unter ökonomischen Gesichtspunkten als auch im Hinblick auf die Rechtsgrundlagen der Gemeinschaftsgesetzgebung in diesem Bereich.

[19] Die Arbeitsgruppe hatte ursprünglich die Absicht, ein vollständiges Modell einer europäischen Zivilprozessordnung zu entwerfen. Den endgültigen Vorschlag kennzeichnet jedoch eine deutliche Diskrepanz zwischen Bereichen (wie z. B. dem Mahnverfahren), die im Detail behandelt werden und für die ein gemeinsames harmonisiertes Verfahren vorgeschlagen wird, und anderen, in denen er sich auf die Aufstellung allgemeiner Grundsätze oder Mindeststandards beschränkt.

2.4.1.2. Die Richtlinie zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs

1998 legte die Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr vor [20]. Mit der Begründung, dass Folgen des Zahlungsverzugs wie z. B. eine dem Gläubiger zustehende Verzinsung nach Ablauf des Fälligkeitstermins nur dann abschreckend wirken könnten, wenn sie mit schnell, wirksam und kostengünstig arbeitenden Beitreibungsverfahren gekoppelt seien [21], verpflichtete Artikel 5 des Entwurfs die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass ein beschleunigtes Beitreibungsverfahren für unbestrittene Geldforderungen bestehe, und legte einige wesentliche Mindestmerkmale eines solchen Verfahrens fest. Auch wenn der Begriff ,Mahnverfahren' in dem Text nicht verwendet wird, dürfte die Annahme zulässig sein, dass den Verfassern des Entwurfs vor allem ein solches Verfahren vorschwebte [22]. Die Richtlinie, die schließlich am 29. Juni 2000 [23] gestützt auf Artikel 95 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft angenommen wurde, folgte einem zurückhaltenderen Ansatz. Statt der Einführung eines (möglicherweise neuen) spezifischen Verfahrens verpflichtet Artikel 5 die Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass ein vollstreckbarer Titel binnen 90 Kalendertagen im Einklang mit ihren jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erwirkt werden kann [24]. Es bleibt abzuwarten, ob die Umsetzung von Artikel 5 zu spürbaren Veränderungen in den einzelstaatlichen Verfahren führt [25]. In jedem Fall ist diese Bestimmung als ein vorsichtiger erster Schritt anzusehen und nicht als letzter Schritt des Prozesses, an dessen Ende die Einführung eines effizienten europäischen Beitreibungsverfahrens für unbestrittene Forderungen steht.

[20] KOM (98) 126 endg., ABl. C 168 vom 3.6.1998, S. 13.

[21] Erwägungsgrund 14 des Vorschlags, der zu Erwägungsgrund 20 der Richtlinie wurde.

[22] Die Begründung des Vorschlags nahm ausdrücklich Bezug auf die französische injonction de payer und das deutsche Mahnverfahren.

[23] Richtlinie 2000/35/EG, ABl. L 200 vom 8.8.2000, S. 35. Die Umsetzungsfrist ist am 8. August 2002 abgelaufen.

[24] Artikel 5 (Beitreibungsverfahren für unbestrittene Forderungen) lautet:,(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ein vollstreckbarer Titel unabhängig von dem Betrag der Geldforderung in der Regel binnen 90 Kalendertagen ab Einreichung der Klage oder des Antrags des Gläubigers bei Gericht oder einer anderen zuständigen Behörde erwirkt werden kann, sofern die Geldforderung oder verfahrensrechtliche Aspekte nicht bestritten werden. Dieser Verpflichtung haben die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nachzukommen. (2) Die jeweiligen nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften müssen für alle in der Europäischen Gemeinschaft niedergelassenen Gläubiger die gleichen Bedingungen vorsehen. (3) In die Frist des Absatzes 1 von 90 Kalendertagen sind nachstehende Zeiträume nicht einzubeziehen: a) die Fristen für Zustellungen ; b)alle vom Gläubiger verursachten Verzögerungen, wie etwa der für die Korrektur von Anträgen benötigte Zeitraum.

[25] Es ist wohl damit zu rechnen, dass die meisten, wenn nicht alle Mitgliedstaaten den Anspruch erheben werden, dass ihr Verfahrensrecht diese Bedingungen bereits erfuellt. In dieser Hinsicht hängt viel von der Auslegung der Formulierung ,in der Regel" ab. Bezieht sie sich nur auf den rechtlichen Rahmen oder auch auf die empirischen Tatsachen der praktischen Effizienz der Gerichte?

2.5. Der Vertrag von Amsterdam und seine Auswirkungen

Mit Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam wird die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen von der dritten Säule (Artikel K.1 (6) EUV) in die erste Säule überführt. Gemäß Artikel 61 c) und 65 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ergreift die Gemeinschaft Maßnahmen im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen, soweit sie für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind. Laut Artikel 65 c) schließen diese Maßnahmen die Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften ein.

Diese neue Gemeinschaftskompetenz verlieh der Diskussion über eine weitergehende Annäherung des Verfahrensrechts auch im Bereich der unbestrittenen Forderungen neuen Schwung. [26]

[26] Das heißt jedoch nicht, dass die Artikel 61 Buchstabe c) und 65 als einzige Rechtsgrundlage für ein europäisches Mahnverfahren in Betracht kämen.

2.6. Die Schlussfolgerungen von Tampere

Auf seiner Tagung vom 15. und 16. Oktober 1999 in Tampere unterstützte der Europäische Rat den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung in Zivilsachen und anderen Entscheidungen der Justizbehörden als Eckstein der künftigen justiziellen Zusammenarbeit innerhalb der Union. Unter der Überschrift ,Größere Konvergenz im Bereich des Zivilrechts" ersuchte er den Rat und die Kommission, neue verfahrensrechtliche Vorschriften für grenzüberschreitende Fälle insbesondere zu den Punkten auszuarbeiten, die unabdingbar für eine reibungslose justizielle Zusammenarbeit und für einen verbesserten Zugang zum Recht sind. Mahnbescheide wurden ausdrücklich als eines der Beispiele für solche entscheidenden Punkte aufgeführt [27].

[27] Schlussfolgerungen des Vorsitzes Rdnr. 38.

Der Europäische Rat ersuchte den Rat und die Kommission, bis Dezember 2000 ein Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung anzunehmen. Im Rahmen dieses Programms sollten auch Arbeiten in Bezug auf einen europäischen Vollstreckungstitel und über diejenigen verfahrensrechtlichen Aspekte initiiert werden, bei denen zur Erleichterung der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gemeinsame Mindeststandards für notwendig erachtet werden.

2.7. Das Programm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung

Das gemeinsame Maßnahmenprogramm der Kommission und des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, das am 30. November 2000 vom Rat angenommen wurde, hob die Abschaffung des Exequaturverfahrens für unbestrittene Forderungen als eine der Prioritäten der Gemeinschaft hervor. Mit Hinweis auf den Widerspruch, der in dem Umstand bestehe, dass ein Exequaturverfahren die Vollstreckung von Entscheidungen in Bezug auf unbestrittene Forderungen verzögern könne, bezeichnete das Programm diesen Bereich als einen der ersten, in denen das Exequatur abgeschafft werden sollte, da die rasche Beitreibung ausstehender Forderungen eine absolute Notwendigkeit für den Handel und den an einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts interessierten Wirtschaftskreisen seit jeher ein Anliegen sei [28].

[28] ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1, Abschnitt I B 3.

Wie bereits erwähnt zielt das Programm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung in erster Linie auf die Vereinfachung der Anerkennung und Vollstreckung von in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Urteilen ab. Es ist kein Programm zur Harmonisierung des einzelstaatlichen Verfahrensrechts. Die Annäherung der verfahrensrechtlichen Vorschriften in Form von Mindeststandards oder durch Harmonisierung wird nicht als Ziel an sich betrachtet, sondern als flankierende Maßnahme, die in bestimmten Bereichen eine Vorbedingung für die gewünschten Fortschritte in Richtung einer schrittweisen Abschaffung des Exequaturverfahrens sein könnte [29]. Im selben Dokument wird betont, dass in bestimmten Bereichen die Abschaffung des Exequaturverfahrens durch die Schaffung eines echten europäischen Vollstreckungstitels zum Ausdruck kommen könnte, der im Wege eines in der Gemeinschaft eingeführten spezifischen einheitlichen oder harmonisierten Verfahrens erlangt würde [30]. Dabei ist hervorzuheben, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens und die Harmonisierung des Verfahrensrechts zweierlei Dinge sind. Das Exequaturverfahren setzt voraus, dass eine Entscheidung ergangen ist, und betrifft den Zugang zu einer grenzüberschreitenden Vollstreckung; bei der Harmonisierung geht es dagegen um den effizienten Zugang zum Recht mit dem Ziel, eine Entscheidung zu erwirken, unabhängig davon, ob diese Entscheidung im Ausland vollstreckt werden muss oder nicht. Ungeachtet des oben dargelegten Zusammenhangs zwischen beiden Fragen ist es doch wichtig, ihre Eigenständigkeit ebenso im Gedächtnis zu behalten wie die Tatsache, dass sie unabhängig voneinander behandelt werden können. An dieser Stelle soll der Hinweis genügen, dass die Abschaffung des Exequaturverfahrens völlig irrelevant für den Gläubiger in einer grenzüberschreitenden Sache ist, der einen Schuldner in einem anderen Mitgliedstaat verklagen muss, in dem es kein effizientes Verfahren zur Beitreibung unbestrittener Forderungen gibt. Dagegen dürfte sich durch ein solches Verfahren, mit dem eine Entscheidung im Wohnsitzstaat des Schuldners erwirkt wird, in den meisten Fällen die Notwendigkeit erübrigen, diese Entscheidung in einem dritten Mitgliedstaat zu vollstrecken. Andererseits wird es immer Urteile oder andere Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen wie Prozessvergleiche und öffentliche Urkunden geben (einschließlich derer, die durch nichtharmonisierte Verfahren erwirkt werden), die außerhalb des Mitgliedstaats, in dem sie ergehen, vollstreckt werden müssen.

[29] Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass Aspekte, die sich für eine Harmonisierung oder die Aufstellung von Mindeststandards eignen, in dem Programm unter der Überschrift ,Flankierende Maßnahmen zur gegenseitigen Anerkennung" behandelt werden.

[30] Abschnitt II A 2 b) des Programms. Auch wenn an dieser Stelle weder ein Mahnverfahren noch irgendein anderes spezifisches Verfahren genannt wird, belegt die Tatsache, dass in Abschnitt III A ein europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen als Teil der ersten Umsetzungsstufe vorgeschlagen wird, dass eine derartige Harmonisierung insbesondere für die Beitreibung unbestrittener Forderungen ins Auge gefasst wurde.

2.8. Der europäische Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen als erste Stufe eines zweistufigen Ansatzes

Unter Berücksichtigung der oben erwähnten Umstände entschied sich die Kommission für eine zweistufige Strategie, die zwei Ziele verfolgt:

* Abschaffung des Exequaturverfahrens unter der Voraussetzung, dass bei sämtlichen Vollstreckungstiteln für unbestrittene Forderungen bestimmte Mindeststandards gewahrt werden, ungeachtet der Art des Verfahrens, das der Entscheidung bzw. dem Vollstreckungstitel vorausging,

und

* Einführung eines spezifischen harmonisierten Beitreibungsverfahrens für Forderungen, die voraussichtlich nicht bestritten werden, d. h. des europäischen Mahnverfahrens,

wenn auch nicht in Form eines einzigen Rechtsinstruments. Dieser Ansatz erlaubt rasche Fortschritte bei der Abschaffung des Exequaturverfahrens für sämtliche Fälle, die sich durch die verifizierbare Unstreitigkeit von Art und Umfang des Anspruchs auszeichnen (nicht nur Zahlungsbefehle); gleichzeitig kann die Einführung eines harmonisierten Mahnverfahrens mit aller Sorgfalt vorbereitet werden.

Im April 2002 nahm die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen [31] an. Diese Gesetzgebungsinitiative stellt die erste Stufe der zweistufigen Strategie dar und regelt die Abschaffung des Exequaturverfahrens für sämtliche Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen, wobei der Anwendungsbereich nicht auf Entscheidungen in einem spezifischen Verfahren beschränkt ist. Voraussetzung für die Abschaffung von Zwischenmaßnahmen ist die Einhaltung einiger verfahrensrechtlicher Mindeststandards für die Zustellung von Schriftstücken; dazu zählen die Zustellungsverfahren, die Zeitspanne zwischen Zustellung und Urteil, die zur Vorbereitung der Verteidigung zur Verfügung steht, und die ordnungsgemäße Belehrung des Schuldners. Nur wenn die Übereinstimmung mit diesen Anforderungen vom ursprünglichen Gericht bescheinigt wird, kann davon abgesehen werden, die Wahrung der Verteidigungsrechte in dem Mitgliedstaat, in dem das Urteil vollstreckt werden soll, zu kontrollieren. Für diese Bescheinigung sind mehrsprachige Vordrucke auszufuellen. Dieses Verfahren soll Gläubigern einen greifbaren Nutzen bringen, indem es ihnen Zugang zu rascher und effizienter Vollstreckung im Ausland verschafft, ohne Inanspruchnahme der Gerichte in dem Mitgliedstaat, in dem die Vollstreckung erfolgen soll, und ohne die damit verbundenen Verzögerungen und Auslagen.

[31] KOM (2002) 159 endg.

2.9. Ein Grünbuch als zweite Stufe des Ansatzes

Das vorliegende Grünbuch stellt die zweite Stufe dieser Strategie dar und ist im Zusammenhang mit der Politik der Kommission zu sehen, die in dem Programm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung aufgeworfenen Fragen zum Gesamtkomplex der unbestrittenen Forderungen aufzugreifen.

Aus den obigen Überlegungen zur Durchführung des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und den allgemeinen Betrachtungen zu den Gründen, die für die Einführung eines europäischen Mahnverfahrens sprechen [32], sollte sich die logische Schlussfolgerung ergeben, dass die im vorliegenden Grünbuch verfolgte verfahrensrechtliche Harmonisierung und die erleichterte Anerkennung und Vollstreckung sich weder gegenseitig ausschließen noch im Widerspruch zueinander stehen oder sich überschneiden. Vielmehr ergänzen die beiden Kommissionsinitiativen einander. Ein europäisches Mahnverfahren würde nicht nur in allen Mitgliedstaaten faire und ausgewogene Bedingungen für Gläubiger und Schuldner schaffen, indem es beiden Seiten gleichen Zugang zum Recht verschafft, sondern auch weitere Fortschritte im Bereich von Anerkennung und Vollstreckung mit sich bringen, indem es sogar die im Vorschlag für einen europäischen Vollstreckungstitel als notwendig vorgesehene Bescheinigung überfluessig macht.

[32] Siehe oben 2.3.

3. DER EUROPÄISCHE ZAHLUNGSBEFEHL

3.1. Allgemeiner Ansatz

Das vorliegende Grünbuch soll eine umfassende Konsultation zu den möglichen Wegen zur Einführung eines spezifischen - einheitlichen oder harmonisierten - europäischen Mahnverfahrens einleiten. Zu diesem Zweck werden die möglichen Regeln eines solchen Verfahrens einzeln behandelt, soweit möglich in der chronologischen Reihenfolge, in der sie im Laufe des Verfahrens zur Anwendung kämen. Die einzelnen Aspekte werden auf Grundlage einer einleitenden kurzen Übersicht über die einschlägigen Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten dargestellt. Sie sollte zur Diskussion anregen, um die in der Europäischen Union vorhandenen nachahmenswerten Verfahren - oder gegebenenfalls innovative Lösungen - zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Analyse sollte ein neues unionsweites Mahnverfahren sein, das den Bürgern Europas zusätzlichen Nutzen bringt.

Die isolierte Betrachtung der einzelnen Merkmale eines Mahnverfahrens bliebe für sich genommen jedoch unvollständig und unzureichend, da sie zwangsläufig das große Ganze aus den Augen verlöre: die angestrebte Einführung eines Verfahrens, dessen Einzelteile sich auf harmonische Weise ineinander fügen und ein ausgewogenes Ganzes bilden. Aus diesem Grund soll der Erörterung der Einzelfragen ein kurzer Überblick über die verschiedenen ,Familien" von Mahnverfahren in Europa vorausgehen, um einen Einblick in die Verfahrensmerkmale zu geben, die in den verschiedenen nationalen Regelungen miteinander verknüpft werden. Bei der Behandlung der Einzelaspekte des Verfahrens müssen die möglichen Wechselbeziehungen zwischen ihnen berücksichtigt werden. Die Entscheidung, ob man einem der verbreiteten Modelle folgt oder durch die Kombination von Elementen der verschiedenen vorhandenen Vorlagen, möglicherweise ergänzt durch innovative Merkmale, etwas Neues schafft, wird von entscheidender Bedeutung sein.

3.1.1. Übersicht über die verschiedenen Verfahrenstypen in den Mitgliedstaaten

Allgemein können in Europa zwei Typen von Mahnverfahren unterschieden werden. Trotz geringfügiger Abweichungen lassen sich die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen, zwei verschiedenen Kategorien zuordnen.

Kennzeichnend für das Modell, das als ,beweispflichtiges Verfahren" bezeichnet werden könnte (Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Italien, Spanien), ist das Erfordernis für den Gläubiger, einen schriftlichen Beweis für die Rechtmäßigkeit der Forderung beizubringen. Ohne einen solchen Urkundsbeweis kann ein Zahlungsbefehl nicht beantragt werden. Auf diese Weise wird mutwilligen Anträgen entgegengewirkt. Das Gericht erteilt einen Zahlungsbefehl nach einer summarischen Prüfung des Antrags. Dem Urkundsbeweis kommt in dieser Phase daher größte Bedeutung zu. Existiert ein solcher schriftlicher Beweis, und belegt er die Forderung hinreichend, so dass die Entscheidung des Gerichts zur Erteilung eines Zahlungsbefehls gerechtfertigt ist? Die Würdigung dieser Fragen durch das Gericht gehört zu den Schutzgarantien für den Schuldner, und zwar auch in der Phase des Verfahrens, in der er keine Gelegenheit hat, sich zur Begründetheit des Antrags zu äußern. Forderungen, die selbst anhand der ausschließlich vom Gläubiger vorgelegten Angaben unbegründet sind oder die nicht durch schriftliche Beweise belegbar sind, müssen vom Gericht in einem sehr frühen Verfahrensstadium ausgeschlossen werden. Wird hingegen ein Zahlungsbefehl erteilt, wird damit in gewisser Weise bescheinigt, dass ihm eine Begründetheitsprüfung vorausging. In den meisten Mitgliedstaaten, die das ,beweispflichtige" Modell anwenden (Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien), wird dem Schuldner nur eine Gelegenheit gegeben, gegen die Forderung Widerspruch zu erheben. Sobald die Widerspruchsfrist abgelaufen ist, wird der Zahlungsbefehl rechtskräftig und kann nicht mehr angefochten werden.

Der andere Verfahrenstyp, der als ,nicht beweispflichtig" qualifiziert werden kann, ist in Österreich, Finnland, Deutschland, Schweden und Portugal anzutreffen. Typisch für dieses Verfahren ist, dass das Bestehen des Anspruchs vom Gericht in keiner Weise nachgeprüft wird. Genügt der Antrag den Formvorschriften, erteilt das Gericht den Zahlungsbefehl ohne weitere Prüfung der Begründetheit der Forderung [33]. Während der ,beweispflichtige" Verfahrenstyp offensichtlich einen gewissen Mindestschutz des Schuldners durch das Gericht als unverzichtbar voraussetzt, stellt der ,nicht beweispflichtige" Verfahrenstyp auf die Eigenverantwortung des Schuldners ab. Dabei handelt es sich in gewisser Weise um die Reinform der Umkehr der Verfahrensinitiative, da das Schicksal des Falles allein vom Tätigwerden des Schuldners (bzw. von seiner Untätigkeit) ohne weitere Intervention des Gerichts abhängt. Hat der Schuldner die Möglichkeit, eine vollstreckbare Entscheidung durch ein einfaches ,Nein", d. h. durch Bestreiten des Anspruchs, abzuwenden, gelten weitere Schutzmaßnahmen nicht als erforderlich. Die anderen größeren Abweichungen folgen aus dieser Betrachtungsweise. Findet keine Prüfung statt, ist ein Urkundenbeweis offenkundig nicht erforderlich, denn er ist nur ein Hilfsmittel, um eine solche Kontrolle zu ermöglichen. Wird die Forderung vom Gericht nicht geprüft, erhält das ganze Verfahren eher einen administrativen Anstrich [34], so dass die Beteiligung eines Richters nicht notwendig erscheint. In allen Mitgliedstaaten, die diesen Verfahrenstyp anwenden, werden Zahlungsbefehle daher entweder von der Geschäftsstelle des Gerichts oder wie in Schweden von den Vollstreckungsbehörden, d. h. von außerhalb der Gerichtsbarkeit angesiedelten Verwaltungsbehörden, erteilt. Interessanterweise wird in diesen Mitgliedstaaten der fehlende Schutz, den eine inhaltliche Prüfung der Forderung durch ein Gericht bietet, häufig dadurch kompensiert, dass der Schuldner nicht nur einmal, sondern zweimal Gelegenheit erhält, die Forderung anzufechten. In Finnland, Deutschland und Schweden ergeht nach Ablauf der Widerspruchsfrist eine zweite (vollstreckbare) Entscheidung, gegen die der Schuldner innerhalb einer bestimmten Frist Einspruch einlegen kann. Der Zahlungsbefehl (in Deutschland Vollstreckungsbescheid) wird erst dann rechtskräftig, wenn der Schuldner diese zweite Gelegenheit, die Forderung anzufechten, verstreichen lässt.

[33] Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass in Österreich seit kurzem neue Rechtsvorschriften gelten, die eine summarische Sachprüfung des Anspruchs vorschreiben (Näheres hierzu s. u. 3.3.5).

[34] Die Verwendung des Begriffs ,administrativ" verweist auf die fehlende Bewertung der Begründetheit der Forderung. Sie sollte nicht als Infragestellung des justiziellen Charakters des Verfahrens als solchem missverstanden werden. Nur Schweden geht so weit, die Durchführung des Mahnverfahrens einer Verwaltungsbehörde zu übertragen.

Zwei Mitgliedstaaten sind allerdings in jüngster Zeit von diesem Schema abgewichen. Sowohl Österreich als auch Portugal folgen dem ,nicht beweispflichtigen" Modell, haben sich aber aus Effizienzgründen für ein einstufiges Verfahren entschieden. Der Schuldner hat nur einmal Gelegenheit, Widerspruch zu erheben. Nutzt er diese Gelegenheit nicht, wird der Zahlungsbefehl rechtskräftig, ohne dass eine weitere anfechtbare Entscheidung ergeht.

Österreich und Portugal sind anschauliche Beispiele für die Möglichkeit, die leistungsfähigsten Elemente aus den beiden klassischen Modellen eines Mahnverfahrens auszuwählen und miteinander zu kombinieren. Das österreichische Mahnverfahren verbindet die Einfachheit des ,nicht beweispflichtigen" Modells (kein Urkundsbeweis, keine inhaltliche Prüfung der Forderung, Bearbeitung ohne Beteiligung eines Richters) mit der strengen Einschränkung der Widerspruchsmöglichkeiten des ,beweispflichtigen" Verfahrens. Der Gläubiger kann somit in kaum mehr als zwei Wochen eine Entscheidung erwirken, die nicht nur vollstreckbar, sondern rechtskräftig ist [35]. Könnte ein solches hybrides Modell Vorbild für eine Lösung auf europäischer Ebene sein? [36] Oder sollte man sich für eines der oben beschriebenen Standardverfahren entscheiden? Lässt sich die kulturelle Kluft zwischen den traditionellen Verfahren des ,beweispflichtigen" und des ,nicht beweispflichtigen" Typs überhaupt überbrücken und wenn ja wie? Wie viel Verantwortung kann dem Schuldner übertragen werden? Gibt es einen gerichtlichen Mindestschutz für Schuldner gegen die Geltendmachung unbegründeter Forderungen durch Zahlungsbefehle?

[35] Gleichwohl ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die gegenwärtige Widerspruchsfrist von 14 Tagen ab 1. Januar 2003 auf 4 Wochen verlängert wird (s. u. 3.3.9.1).

[36] In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass sowohl Österreich als auch Portugal den Anwendungsbereich ihres Mahnverfahrens durch einen Hoechstbetrag begrenzen. Diese Tatsache könnte als Vorsichtsmaßnahme zur Vermeidung unerträglicher Auswirkungen eines neuen höchst effizienten Verfahrens verstanden werden.

Die folgende Erörterung möglicher Strategien zur Behandlung der Einzelaspekte eines Mahnverfahrens ist im Lichte dieser allumfassenden Fragen zu betrachten. Die von den verschiedenen Mitgliedstaaten gefundenen Lösungen können und sollten nicht losgelöst von dem generellen Ansatz, für den sie sich entschieden haben, analysiert werden. Jeder denkbare Vorschlag für einen europäischen Zahlungsbefehl muss angesichts des komplizierten Zusammenspiels der verschiedenen Verfahrensaspekte sein eigenes Gleichgewicht herstellen. Im Folgenden wird, wo immer es angebracht erscheint, auf die Auswirkungen bestimmter Optionen auf den Charakter des gesamten Verfahrens gesondert eingegangen.

3.2. Anwendungsbereich des Verfahrens

3.2.1. Beschränkung auf Zahlungsansprüche?

Der Anwendungsbereich des spezifischen Verfahrens zur Erwirkung eines Vollstreckungstitels, das Unstreitigkeit des Anspruchs unterstellt und die Umkehr der Verfahrensinitiative beinhaltet, ist in den meisten Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Deutschland, Griechenland, Luxemburg, Portugal, Spanien) auf bezifferte Zahlungsansprüche beschränkt. In Frankreich, Finnland, Italien und Schweden kann dieses Verfahren dagegen auch für andere Verpflichtungen genutzt werden. Das heißt, das Verfahren dient in diesen Mitgliedstaaten nicht nur der Erwirkung eines Zahlungsbefehls (injonction de payer), sondern auch der Erwirkung einer Leistungsanordnung (injonction de faire). Das Spektrum der in Frage kommenden Ansprüche ist unterschiedlich, schließt jedoch in der Regel die Lieferung oder Rückgabe beweglichen Vermögens und die Zwangsräumung ein [37].

[37] Gemäß Artikel 639 der italienischen Zivilprozessordnung sind Forderungen, die sich auf eine bestimmte Menge vertretbarer Sachen oder auf die Rückgabe einer bestimmten beweglichen Sache beziehen, zulässig. Das schwedische ,ordentliche Beistandsverfahren" (handräckning) kann in Anspruch genommen werden, um eine Zwangsräumung, die Herausgabe beweglicher Sachen, die Erfuellung einer Lieferpflicht, das Entfernen von Gegenständen, die Erfuellung eines Beschäftigungsvertrags und die Durchsetzung eines Betretungsverbots oder einer Zugangsberechtigung für ein Grundstück oder Gebäude zu erwirken. Gemäß Artikel 1425-1 der französischen Zivilprozessordnung kann eine injonction de faire zur Durchsetzung jeder, auch nicht in einer Geldzahlung bestehenden vertraglichen Verpflichtung genutzt werden; allerdings muss mindestens eine der Vertragsparteien eine Privatperson sein.

Bei der Frage, ob ein harmonisiertes europäisches Verfahren auch andere als auf Zahlung gerichtete Ansprüche einschließen sollte, ist Folgendes zu berücksichtigen: Angesichts der Tatsache, dass es in zivilrechtlichen Streitigkeiten in der überwiegenden Mehrheit der Fälle um Geldforderungen geht, wäre eine Leistungsanordnung im Vergleich zum Zahlungsbefehl von relativ geringem praktischem Nutzen. [38] Im Übrigen eignen sich Verpflichtungen, die nicht in einer Zahlung bestehen, per definitionem weniger für eine Standardisierung durch Formulare oder Datenverarbeitung, da der Anspruch selbst (und die vollstreckbare Entscheidung) grundsätzlich präzise Formulierungen erfordern, die wesentlich schwieriger sind als die bloße Benennung einer Geldforderung in Euro und Cent (oder einer anderen Währung).

[38] In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass das Verfahren zur Erwirkung einer injonction de faire in Frankreich wenig erfolgreich war und dass in einem Reformvorschlag des Präsidenten des Tribunal de Grande Instance de Paris seine Abschaffung empfohlen wurde.

Frage 4:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren auf Zahlungsansprüche beschränkt werden? Falls nein, welche Arten von nicht auf Zahlung gerichteten Ansprüchen sollten einbezogen werden?

3.2.2. Sollte das Verfahren nur für bestimmte Anspruchsarten nutzbar sein bzw. sollten bestimmte Anspruchsarten von dem Verfahren ausgeschlossen werden?

Hinsichtlich der Art oder der Rechtsgrundlage der (Zahlungs-) Ansprüche, die im Mahnverfahren geltend gemacht werden können, gelten in einigen Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Griechenland, Italien, Spanien, Schweden [39]) keinerlei Einschränkungen. Bei den anderen Mitgliedstaaten sind zwei verschiedene Ansätze zur Einschränkung des Anwendungsbereichs dieses Verfahrens erkennbar. In Frankreich und Portugal ist das Mahnverfahren nur für Forderungen zulässig, die sich aus vertraglichen Verpflichtungen ergeben, Ansprüche im Zusammenhang mit unerlaubten Handlungen sind somit ausgeschlossen [40]. In Deutschland, Finnland und Luxemburg werden nicht die Ansprüche definiert, die für das Mahnverfahren in Frage kommen; stattdessen ist vorgeschrieben, dass in bestimmten genau bezeichneten Fällen kein Zahlungsbefehl bzw. Mahnbescheid erlassen werden darf [41].

[39] Die Voraussetzung, dass eine vorbehaltlose und fällige Verpflichtung gegeben sein muss, wird als selbstverständlich betrachtet und gilt nicht als Einschränkung im Sinne dieses Abschnitts.

[40] Gemäß Artikel 1405 der französischen Zivilprozessordnung kann sich eine injonction de payer neben vertraglichen Verpflichtungen auch auf bestimmte gesetzliche Verpflichtungen wie z. B. Rentenbeiträge beziehen.

[41] In Luxemburg ist der Erlass eines Zahlungsbefehls für Ansprüche aus einem Miet- oder Pachtverhältnis, aus Arbeits- und Lehrverträgen nicht zulässig. In Deutschland gilt eine wesentlich begrenztere Einschränkung, die sich nur auf Verbraucherkredite mit einem Zinssatz bezieht, der den in 688 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO festgelegten Hoechstsatz übersteigt. In Finnland kann das Verfahren nicht auf Streitigkeiten angewandt werden, in denen ein außergerichtlicher Vergleich zwischen den Parteien unzulässig ist.

Die oben beschriebenen Unterschiede sind jedoch nicht so ausgeprägt, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, dass in vielen Mitgliedstaaten die Vorlage eines Urkundsbeweises des Anspruchs Voraussetzung für den Erlass eines Zahlungsbefehls ist. Diese Bedingung dürfte bei Ansprüchen aus Deliktshaftung kaum zu erfuellen sein. Daher ist der Unterschied zwischen einem auf vertragliche Ansprüche beschränkten Mahnverfahren und einem Verfahren, das für alle Anspruchsarten zur Verfügung steht, jedoch die Vorlage eines Urkundsbeweises verlangt (wie in Belgien, Griechenland, Italien und Spanien), eher marginal.

Es wird sorgfältig zu prüfen sein, ob und inwieweit der Anwendungsbereich eines europäischen Mahnverfahrens auf bestimmte Anspruchsarten beschränkt werden muss, und falls ja, auf welche Weise die Beschränkung erfolgen sollte. Die Zulassung sämtlicher (Zahlungs-) Ansprüche wäre zweifellos die klarste Lösung, da jede Einschränkung unvermeidlich Auslegungsschwierigkeiten hinsichtlich der Unterscheidung zwischen zulässigen und unzulässigen Ansprüchen [42] mit sich bringt und eine dem Erlass des Zahlungsbefehls vorausgehende Prüfung durch das Gericht oder die zuständige Behörde erforderlich macht. Jede derartige Beschränkung erschiene nur gerechtfertigt, wenn die zwingende Notwendigkeit bestuende, bestimmte Streitgegenstände aus dem Anwendungsbereich des Verfahrens auszuschließen. So könnte eine typische, strukturbedingt schwache Position der Schuldner in bestimmten Bereichen als Gefährdung des angemessenen Schutzes der Verteidigungsrechte betrachtet werden, auch wenn die Möglichkeit besteht, den Anspruch zu bestreiten und auf diese Weise eine vollstreckbare Entscheidung abzuwenden.

[42] So werden beispielsweise Schadensersatzforderungen aus einem vorvertraglichen Verhältnis (culpa in contrahendo) in einigen Mitgliedstaaten (z. B. Deutschland) den vertraglichen Ansprüchen zugerechnet und in anderen der Deliktshaftung (z. B. Frankreich).

Frage 5:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren nur für Ansprüche mit Bezug auf bestimmte Bereiche des Zivil- und Handelsrechts gelten bzw. sollten bestimmte Anspruchsarten ausgeschlossen werden? Geben Sie in beiden Fällen bitte die Anspruchsarten an, die einbezogen bzw. ausgeschlossen werden sollten.

3.2.3. Obergrenze für die geltend zu machende Summe (bzw. - bei Einbeziehung von nicht auf Zahlung gerichteten Ansprüchen - des Streitwerts)?

Die Anwendbarkeit eines Mahnverfahrens kann nicht nur durch Bestimmung der zulässigen Anspruchsarten beschränkt werden, sondern auch durch die Festlegung einer Obergrenze für die geltend zu machende Summe (bzw. - bei Einbeziehung von nicht auf Geldzahlung gerichteten Ansprüchen - für den Streitwert). In einigen Mitgliedstaaten (Österreich, Belgien, Portugal und Spanien) gelten für Zahlungsbefehle bestimmte Hoechstbeträge [43], in anderen (Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Luxemburg und Schweden) wird von einer derartigen Beschränkung abgesehen [44].

[43] Die entsprechende Summe ist in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich. Sie liegt in Belgien bei ca. 1850 EUR, in Portugal bei ca. 3750 EUR und in Spanien bei ca. 30 000 EUR. In Österreich wird der Hoechstbetrag durch kürzlich verabschiedete Rechtsvorschriften ab 1. Januar 2003 von 10 000 EUR auf 30 000 EUR angehoben.

[44] In Luxemburg gibt es in Abhängigkeit von der geltend gemachten Summe zwei unterschiedliche Verfahren (ordonnance conditionelle de paiement und provision sur requête). Die für Forderungen über 10 000 EUR geltende provision sur requête wurde erst 1997 eingeführt. Sie weicht von der ordonnance conditionelle de paiement insoweit ab, als es sich im Wesentlichen um eine einstweilige Maßnahme handelt, die nicht rechtskräftig werden kann.

Da das Mahnverfahren der effizienten und kostengünstigen Regelung unstreitiger Ansprüche und nicht der Beilegung von Bagatellsachen dienen soll und da die Unstreitigkeit eines Anspruchs in keiner Weise an die Höhe der betreffenden Summe geknüpft ist, ließe sich eine solche Zugangsbeschränkung allenfalls mit dem Schutz des Schuldners vor einem etwaigen nicht wieder gutzumachenden Schaden im Falle der Vollstreckung einer zu einem späteren Zeitpunkt aufgehobenen Entscheidung rechtfertigen [45]. Diese Argumentation lässt sich jedoch nur aufrechterhalten, wenn das ordentliche Verfahren, dessen sich der Gläubiger bedienen muss, dem untätig bleibenden Schuldner tatsächlich ein höheres Schutzniveau bietet als das Mahnverfahren. Dies ist jedoch zu bezweifeln, da in nahezu allen Mitgliedstaaten der Erlass eines Versäumnisurteils zulässig ist, wenn sich der Schuldner nicht bei einer Gerichtsverhandlung zu dem Anspruch einlässt, unabhängig vom Streitwert und ohne dass die Rechtmäßigkeit der Forderung einer eingehenderen Prüfung als im Mahnverfahren unterzogen würde [46]. Interessanterweise lässt die vergleichende Analyse der Rechtsvorschriften für das Mahnverfahren in den Mitgliedstaaten keinen klaren Zusammenhang zwischen dem unbeschränkten Zugang zum Verfahren und einem verstärkten Schutz der Rechte des Schuldners erkennen. In den meisten Mitgliedstaaten (mit Ausnahme Österreichs), in denen ein Urkundsbeweis oder eine Prüfung der Begründetheit der Forderung nicht erforderlich ist und in denen nicht nur Richter zum Erlass einer Entscheidung ermächtigt sind (Deutschland, Schweden und Finnland), gilt das Mahnverfahren für Geldforderungen in unbegrenzter Höhe. In Portugal und Spanien ist die Begrenzung der geltend zu machenden Summe möglicherweise zum Teil dadurch zu erklären, dass das Mahnverfahren im Verfahrensrecht dieser Mitgliedstaaten relativ neu ist und daraus eine gewisse Vorsicht resultiert [47].

[45] Dem österreichischen Hoechstbetrag liegt die Absicht zugrunde, den Schuldner vor der Gefahr einer Existenzvernichtung zu bewahren. In der jüngsten Debatte über die Anhebung des Hoechstbetrags spielte auch das Verhältnis zwischen Streitwert und Wahrscheinlichkeit, dass die Forderung unbestritten bleibt, eine erhebliche Rolle. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Mahnverfahren in Österreich obligatorisch ist (s. u. 3.2.4). In allen übrigen Mitgliedstaaten hat der Gläubiger die freie Wahl, sich für dieses Verfahren zu entscheiden, wenn er glaubt, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen zu können, dass der Schuldner die Forderung nicht bestreiten wird.

[46] Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass gegen ein Versäumnisurteil im Allgemeinen ordentliches Rechtsmittel eingelegt werden kann, während dies in einigen Mitgliedstaaten beim Mahnverfahren nicht möglich ist (s. u. 3.3.11.2).

[47] Bemerkenswert ist ferner, dass die Hoechstsumme in Österreich und Portugal in den letzten Jahren erheblich angehoben wurde und eine weitere Anhebung gerade erst verabschiedet wurde (Österreich) bzw. gegenwärtig erörtert wird.

Aus den obigen Überlegungen ergibt sich die Frage, ob und wenn ja aus welchen Gründen eine Begrenzung des in einem Mahnverfahren geltend zu machenden Betrags als notwendig erachtet wird (und bei welcher Summe die Grenze gezogen werden sollte) oder ob das Verfahren ungeachtet des Streitwerts anwendbar sein sollte.

Frage 6:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren nur für Ansprüche bis zu einer bestimmten Höhe gelten? Falls ja, wo sollte die Obergrenze liegen?

3.2.4. Sollte die Inanspruchnahme des Mahnverfahrens obligatorisch sein?

Mit Ausnahme Österreichs steht in allen Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen, dieses Verfahren als fakultatives Mittel zur Beitreibung von Forderungen zur Verfügung, für das sich der Gläubiger im Allgemeinen nur dann entscheidet, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass die Rechtmäßigkeit seines Anspruchs nicht bestritten wird. In Österreich ist das Mahnverfahren zwingend vorgeschrieben und nicht von einem Antrag des Gläubigers abhängig. Auch wenn der obligatorische Charakter des Mahnverfahrens als erster Schritt jedes Verfahrens, das Zahlungsansprüche unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Streitwertgrenze zum Gegenstand hat, aus den besonderen Umständen in Österreich erklärbar ist [48], bleibt doch abzuwarten, ob diese Argumentation auch auf europäischer Ebene als haltbar erachtet wird. Entgegen der ursprünglich verfolgten Absicht kann ein obligatorisches Mahnverfahren durchaus zusätzliche Verzögerungen verursachen, wenn die Parteien das Verfahren durchlaufen müssen, obwohl von Anfang an klar ist, dass der Schuldner den Anspruch bestreiten wird [49].

[48] Vor der Reform des Mahnverfahrens 1983 wurde der Zahlungsbefehl durch den Widerspruch des Schuldners einfach außer Kraft gesetzt. Um seinen Anspruch weiterzuverfolgen, war der Gläubiger gezwungen, einen neuen Rechtsstreit nach den Regeln des ordentlichen Verfahrens zu beginnen, was als übermäßig schwerfällig erachtet wurde und die Akzeptanz dieses Verfahrens erheblich beeinträchtigte. Die Einführung eines obligatorischen Mahnverfahrens, das automatisch als ordentliches Verfahren fortgesetzt wird, wenn der Schuldner den Anspruch bestreitet, wird offensichtlich als zufriedenstellende Lösung dieses Problems angesehen. Nichtsdestotrotz dürfte die zwingend vorgeschriebene Verfahrenseinleitung durch Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls keine unabdingbare Voraussetzung für die reibungslose Überführung in ein ordentliches Verfahren im Falle des Bestreitens der Forderung durch den Schuldner sein.

[49] Nach Auskunft der österreichischen Behörden bringt das zwingend vorgeschriebene Mahnverfahren allerdings keine Verzögerungen mit sich, da die Widerspruchsfrist gleichzeitig der Vorbereitung der Verteidigung dient und somit zu einer beschleunigten Behandlung der Sache im ordentlichen Verfahren beiträgt.

Frage 7:

Sollte das europäische Mahnverfahren zwingend vorgeschrieben bzw. nur dann fakultativ sein, wenn die Forderung nach Ansicht des Gläubigers unbestritten bleiben wird?

3.3. Verfahrensvorschriften

3.3.1. Internationale Zuständigkeit in grenzüberschreitenden Streitigkeiten - Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten?

Wenn Kläger und Beklagter ihren Wohnsitz in zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, richtet sich die internationale Zuständigkeit nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates. Danach gilt als allgemeine Regelung, dass Beklagte vor den Gerichten des Mitgliedstaats zu verklagen sind, in dem sie ihren Wohnsitz haben (Artikel 2 Abs.1). Die Verordnung enthält jedoch zahlreiche Ausnahmen, die entweder dem Kläger die Wahl eines vom Wohnsitz des Beklagten abweichenden Gerichtsstands ermöglichen oder sogar eine ausschließliche Zuständigkeit ungeachtet des Wohnsitzes des Beklagten vorsehen.

Es stellt sich hier die Frage, ob ein Rechtsinstrument für ein europäisches Mahnverfahren besondere Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit enthalten sollte, die vor den Regelungen der Ratsverordnung (EG) Nr. 44/2001 Vorrang hätten. Es wäre zu überlegen, ob für diese Verfahrensart den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz hat, die ausschließliche Zuständigkeit übertragen werden könnte. Dabei ist Folgendes zu berücksichtigen: Einerseits würde der Gläubiger des Vorteils beraubt, den Schuldner in seinem (des Gläubigers) Wohnsitzmitgliedstaat verklagen zu können oder zumindest in dem Mitgliedstaat, der in manchen Fällen nach Widerspruchserhebung für das ordentliche Hauptverfahren (ausschließlich) zuständig ist. Liegt eine solche ausschließliche Zuständigkeit vor, so muss das streitige Verfahren im Falle des Widerspruchs seitens des Beklagten unter Umständen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt werden, weil eine besondere Vorschrift für das Mahnverfahren die Zuständigkeitsvorschriften für das ordentliche Verfahren nicht beeinträchtigen darf. Hieraus könnten beträchtliche verfahrensrechtliche Probleme entstehen. Andererseits könnte die Rechtssicherheit, die aus einer einfachen und klaren Regelung der internationalen Zuständigkeit erwächst, diese möglichen Nachteile, die für eine begrenzte Anzahl von Fällen entstehen, aufwiegen. Eine solche Vorschrift könnte auch zur Gewährleistung der Verteidigungsrechte beitragen. Insbesondere würde sich durch die Regelung, dass ein Mahnverfahren nur in dem Mitgliedstaat stattfinden kann, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz hat, eine grenzüberschreitende Zustellung des Zahlungsbefehls an den Beklagten erübrigen, was angesichts der entscheidenden Bedeutung der Zustellung dieses Schriftstücks für die Verteidigungsrechte [50] nicht unwesentlich ist. Komplikationen und Verzögerungen, die bei grenzüberschreitender Zustellung eintreten können, ließen sich auf diese Weise vermeiden und das Verfahren könnte so beschleunigt und effizienter gestaltet werden. In jedem Fall ist sorgfältig zu prüfen, ob die möglichen Vorteile einer entsprechenden Zuständigkeitsregelung eine Abweichung von den wohl ausgewogenen Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die internationale Zuständigkeit tatsächlich rechtfertigen.

[50] Näheres hierzu s. u. 3.3.8.

Frage 8:

Sollte die ausschließliche internationale Zuständigkeit für ein europäisches Mahnverfahren in grenzüberschreitenden Streitigkeiten bei den Gerichten des Wohnsitzmitgliedstaats des Schuldners liegen?

3.3.2. Vorschriften zur Regelung der Zuständigkeit in dem Mitgliedstaat, dessen Gerichte zuständig sind

Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen, weisen hinsichtlich der Verteilung der Zuständigkeit für dieses Verfahren erhebliche Unterschiede auf. In einigen Mitgliedstaaten (Österreich, Italien, Luxemburg) gelten die allgemeinen Zuständigkeitsregelungen für ordentliche Verfahren, andere haben besondere Vorschriften erlassen. In nahezu allen Mitgliedstaaten liegt die Zuständigkeit für das Mahnverfahren bei den Gerichten am Wohnsitz des Beklagten. Häufig hat der Kläger zusätzlich die Möglichkeit, das Gericht an dem Ort anzurufen, an dem die fragliche Verpflichtung (in den meisten Fällen die Zahlung) zu leisten ist, und/oder an dem Ort, an dem die Vollstreckung des Zahlungsbefehls erwirkt wird. Deutschland ist insoweit als Ausnahme zu erwähnen, da für das dortige Mahnverfahren grundsätzlich das Gericht am Wohnsitz des Gläubigers zuständig ist [51].

[51] 689 Abs. 2 ZPO. Dieser Besonderheit dürfte die Absicht zugrunde liegen, die Handhabbarkeit des Verfahrens für Gläubiger, die sehr häufig Mahnbescheide zu beantragen haben, zu verbessern, indem sie ihre sämtlichen Ansprüche ungeachtet des Wohnsitzes des Schuldners vor einem einzigen Gericht geltend machen können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich beim Mahnverfahren um ein rein schriftliches Verfahren handelt und es daher für den Schuldner kaum von Belang ist, woher der Mahnbescheid kommt und wo Widerspruch einzulegen ist. Allerdings wird diese Vorschrift für Fälle, in denen der Schuldner ohne Wohnsitz in Deutschland ist, durch 703d abgeändert. In diesen Fällen geht die Zuständigkeit an das Gericht über, das nach den ordentlichen Zuständigkeitsvorschriften für das Hauptverfahren (nach Einlegung des Widerspruchs durch den Schuldner) zuständig wäre. Dasselbe gilt für Mahnverfahren vor den Arbeitsgerichten. Allgemein gesprochen hat das Vorhandensein gesonderter Zuständigkeitsvorschriften für das Mahnverfahren einerseits und für ordentliche Verfahren andererseits zur Folge, dass der Rechtsstreit einem anderen Gericht übertragen werden muss, wenn der Schuldner Widerspruch einlegt und damit ein ordentliches Verfahren auslöst.

Unionsweit geltende einheitliche Vorschriften wären sicherlich eine Erleichterung für Kläger aus einem anderen Mitgliedstaat, da sie sich nicht mit den Besonderheiten der Rechtsordnung des Mitgliedstaats auseinandersetzen müssten, in dem das Verfahren stattfindet. Gleichwohl scheint es fraglich, ob eine europäische Regelung Vorschriften zur innerstaatlichen Zuständigkeitsverteilung in den Mitgliedstaaten enthalten sollte. Es wäre eher im Einklang mit Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates, die Zuständigkeitsvorschriften auf die Festlegung des Mitgliedstaats zu beschränken, der in grenzüberschreitenden Rechtsstreiten zuständig ist. Unterschiedliche Zuständigkeitsregelungen würden es in jedem Fall erforderlich machen, über diese Vorschriften in leicht zugänglicher Form zu informieren, beispielsweise über das Europäische Justizielle Netz.

Frage 9:

Sollte ein europäisches Rechtsinstrument für ein Mahnverfahren Vorschriften enthalten, mit denen die zuständigen Gerichte in den Mitgliedstaaten bestimmt werden? Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

3.3.3. Vorschriften zur Bestimmung der für das Verfahren zuständigen Person

Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen den Verfahrenstypen, die weiter oben als ,beweispflichtiges" und ,nicht beweispflichtiges" Modell bezeichnet wurden, besteht darin, dass Länder mit Verfahren des ersteren Typs (Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Spanien) die Befugnis zum Erlass des Zahlungsbefehls dem zuständigen Richter übertragen, während Länder mit Verfahren des letzteren Typs (Österreich, Finnland, Deutschland, Portugal, Schweden [52]) diese Befugnis an Bedienstete der Geschäftsstelle des Gerichts (greffier, Rechtspfleger) oder, wie im Falle Schwedens, der Vollstreckungsbehörden delegieren.

[52] Diese Befugnisübertragung an Gerichtsbedienstete im Falle unbestrittener Ansprüche ist auch in Mitgliedstaaten zu finden, in denen es kein gesondertes Mahnverfahren gibt, z. B. in Versäumnisverfahren im Vereinigten Königreich.

Wie oben angedeutet lässt sich diese unterschiedliche Vorgehensweise zumindest teilweise durch den strukturellen Unterschied erklären zwischen Entscheidungen, die das Ergebnis einer summarischen Würdigung der Sache selbst auf Grundlage eines Urkundsbeweises sind, und solchen, die sich allein auf den Umstand stützen, dass der Schuldner den Anspruch nicht bestreitet.

Für die Frage, ob man sich für eines der beiden Modelle bzw. eine Kombination von Elementen beider Modelle entscheiden oder diese spezielle Frage den Mitgliedstaaten überlassen soll, ist folgender Aspekt wichtig: Die Schaffung eines Mahnverfahrens, das von der Geschäftsstelle des Gerichts abgewickelt wird, kann erheblich zur Entlastung der Richter beitragen, so dass sie sich auf die wirklich ,schweren Fälle" konzentrieren können. Nichtsdestotrotz ist zu berücksichtigen, dass selbst in Fällen, in denen der Anspruch vom Schuldner nicht bestritten wird, die Person, die für das Mahnverfahren zuständig ist, mit komplizierten Rechtsproblemen konfrontiert werden kann, beispielsweise: Wurde das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Antragsgegner ordnungsgemäß zugestellt? Ist die vom Gläubiger vorgetragene Begründung des Anspruchs in sich widersprüchlich oder lässt sie gar eine betrügerische Absicht vermuten? Hat der Antragsteller ausreichend begründet, warum er Anspruch auf Zinsen hat, die den gesetzlichen Zinssatz überschreiten? Hat der Antragsgegner, der die Widerspruchsfrist versäumt hat und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, die Frist ohne eigenes Verschulden versäumt [53]? Es versteht sich von selbst, dass die Fähigkeit von Gerichtsbediensteten, diese Aufgabe zu lösen, von Umfang und Qualität ihrer juristischen Ausbildung abhängt, die offensichtlich von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erhebliche Unterschiede ausweist [54].

[53] Zumindest in Österreich fallen die Entscheidungen über einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und gegebenenfalls die Ablehnung eines (z. B. verspätet eingelegten) Widerspruchs in die Zuständigkeit des Rechtspflegers (vorbehaltlich der in der vorausgehenden Fußnote erläuterten Einschränkungen). In Deutschland werden derartige Entscheidungen dagegen von einem Richter getroffen.

[54] Rechtspfleger in Österreich und Deutschland erfahren eine mehrjährige juristische Ausbildung.

Wenn also die Befugnisübertragung bevorzugt wird, wäre sorgfältig zu prüfen, welche Grenzen den Befugnissen der Gerichtsbediensteten in einem europäischen Mahnverfahren gesetzt werden sollten. Einige Mitgliedstaaten haben versucht, dieses Problem dadurch zu lösen, dass die Gerichtsbediensteten entweder die Möglichkeit haben oder verpflichtet sind, ,schwere Fälle" an den zuständigen Richter zu verweisen [55]. In diesem Fall müssten die Kriterien für die obligatorische Hinzuziehung eines Richters klar definiert werden.

[55] In Portugal müssen Fragen, in denen der Gerichtsbedienstete Zweifel hegt, von einem Richter entschieden werden. Im finnischen Mahnverfahren sind die Gerichtsbediensteten, die keinerlei juristische Ausbildung haben müssen, verpflichtet, ,schwere Fälle" an Personen mit juristischer Ausbildung, d. h. Notare oder Richter, zu verweisen.

Frage 10:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Bestimmungen enthalten, wer in einem Gericht (Richter, Gerichtsbedienstete) für das Verfahren zuständig und befugt ist, einen Zahlungsbefehl zu erteilen? Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

3.3.4. Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls

3.3.4.1. Inhalt des Antrags, insbesondere zur Bezeichnung des Anspruchs und seiner Rechtsgrundlage

Die grundlegenden Angaben, die in einem Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls enthalten sein müssen, wie Namen und Anschriften der Parteien, geltend gemachter Betrag - gegebenenfalls einschließlich Zinsen und Kosten - sowie die Bezeichnung der Umstände, die zur Begründung des Anspruchs angeführt werden, erscheinen einleuchtend und weitgehend unumstritten. Ein Punkt, der einen gewissen Anlass zu Diskussion bieten könnte, sind die inhaltlichen Anforderungen an eine ausreichende Beschreibung der Anspruchsgründe. Die Bandbreite der in den Mitgliedstaaten derzeit für Mahnverfahren geltenden Rechtsvorschriften reicht von Bedingungen, die mit denen einer Klageschrift im ordentlichen Verfahren identisch sind (Italien), bis zu bloßen stichpunktartigen Verweisen auf die Grundlagen des Anspruchs (Schweden, Österreich, Deutschland, Finnland) [56]. Der zu diesem Aspekt zu wählende Ansatz steht in einem untrennbaren Zusammenhang mit den Entscheidungen über einige andere grundlegende Fragen, die im vorliegenden Grünbuch aufgeworfen werden. Die erforderliche Qualität und Ausführlichkeit der Anspruchsbegründung hängt weitgehend davon ab, in welchem Umfang der Anspruch vom Gericht geprüft wird. Geht dem Zahlungsbefehl eine (summarische) rechtliche Würdigung durch das Gericht voraus, so muss die Darstellung der grundlegenden Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, so umfassend sein, dass die gerichtliche Prüfung möglich ist. Wenn es dagegen dem Antragsgegner obliegt, durch Einlegen eines Widerspruchs eine Sachprüfung in Gang zu setzen, und der Zahlungsbefehl in Ermangelung eines Widerspruchs ergeht, ohne dass selbst eine oberflächliche Prüfung der Begründetheit des Anspruchs erfolgt, so reicht es aus, wenn die Angaben den Antragsgegner in die Lage versetzen, den Anspruch zu erkennen und zu entscheiden, ob er ihn bestreiten will oder nicht.

[56] Das dem Antragsvordruck in Schweden beigefügte Merkblatt veranschaulicht die Anforderungen, die an eine klare Darstellung des Gegenstands der Forderung gestellt werden, anhand folgenden Beispiels: Kauf eines Fahrzeugs, Kennzeichen BMG 689, am 19. Januar 1996.

Frage 11:

Welche inhaltlichen Anforderungen sollten für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls gelten? Welche Bedingungen sollten insbesondere für die Beschreibung der Umstände gelten, die zur Begründung des Anspruchs angeführt werden?

3.3.4.2. Erforderlicher Urkundsbeweis des Anspruchs

Auf das Erfordernis, einen Urkundsbeweis des Anspruchs vorzulegen, als kennzeichnendes Element eines ,beweispflichtigen" Mahnverfahrens wurde bereits hingewiesen. Der eindeutige Vorteil im Sinne eines Schutzes des Schuldners vor unbegründeten Forderungen besteht darin, dass das Gericht anhand der Ausführungen des Gläubigers und des von ihm vorgelegten Urkundsbeweises eine rechtliche Sachprüfung vornimmt. Dies ist abzuwägen gegen den Effizienzverlust, der einerseits durch die Notwendigkeit einer solchen Prüfung verursacht wird und andererseits durch die Schwierigkeiten, die sich aus der erforderlichen Vorlage schriftlicher Beweise für den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung ergeben. Einfach ausgedrückt geht es um folgende Kernfragen: Wird eine gerichtliche Prüfung der Frage, ob der Anspruch begründet ist, als unverzichtbar erachtet, oder kann es vollständig dem Schuldner überlassen bleiben, den Anspruch zu bestreiten, und soll die Tatsache, dass kein Widerspruch eingelegt wurde, für sich genommen eine Entscheidung zugunsten des Anspruchstellers rechtfertigen?

Für eine gründliche Bewertung der Bedeutung und der Auswirkungen einer obligatorischen Vorlage von Urkundsbeweisen ist es äußerst wichtig zu wissen, wie großzügig bzw. wie restriktiv diese Anforderung zu verstehen ist, mit anderen Worten, welche Arten von Schriftstücken als hinreichender Beweis des Anspruchs zugelassen sind. Übertrieben strenge Bedingungen, die effektiv auf die Forderung hinauslaufen, dass der Antragsgegner den Anspruch ausdrücklich anerkennt, würden das Mahnverfahren weitgehend seines praktischen Nutzens berauben. Demgegenüber könnten zu lasche Vorschriften die effektive Kontrolle durch das Gericht in einem Maße verwässern, dass der Wert eines obligatorischen Urkundsbeweises selbst in Frage gestellt würde. Die Mitgliedstaaten, die dem ,beweispflichtigen" Modell folgen (Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg, Italien, Spanien) legen in dieser Hinsicht, gelinde gesagt, nicht dieselben Maßstäbe an. Es bestehen erhebliche Unterschiede, was die Genauigkeit und Ausführlichkeit der einschlägigen Bestimmungen betrifft. In Frankreich beschränkt sich Artikel 1407 Zivilprozessordnung auf die Feststellung, dass dem Antrag schriftliche Belege beizufügen sind [57], ohne weitere Hinweise darauf, welchen Anforderungen ein solcher Beleg genügen müsste. Es bleibt somit den Gerichten überlassen, in ihren Einzelfallentscheidungen konkretere Leitlinien zu entwickeln. Die belgischen Rechtsvorschriften gehen einen Schritt weiter und verlangen ein vom Schuldner stammendes Schriftstück, wobei klargestellt wird, dass dieses nicht auf eine Anerkennung des Anspruchs hinauslaufen muss [58]. Das spanische und insbesondere das italienische Recht enthalten umfangreiche und detaillierte Aufzählungen und Definitionen dessen, was einen Urkundsbeweis für die Zwecke des Mahnverfahrens darstellt [59]. Eine gründliche Behandlung sämtlicher durch diese Bestimmungen erfassten Schriftstücke würde den Rahmen des vorliegenden Grünbuchs sprengen. An dieser Stelle möge der Hinweis genügen, dass der Anspruch in beiden Mitgliedstaaten durch Schriftstücke belegt werden kann, die allein vom Gläubiger verfasst und vom Schuldner nicht unterschrieben wurden [60].

[57] Art. 1407 Absatz 3: ,La requête doit être accompagnée des documents justificatifs". Artikel 11.2 (4) des ,Storme-Vorschlags" erscheint nicht weniger ungenau hinsichtlich der qualitativen Anforderungen, jedoch anspruchsvoller hinsichtlich der quantitativen Voraussetzungen: ,The application...shall be accompanied by all documentary evidence in support of the claim" (Dem Antrag... sind sämtliche Urkundsbeweise zur Begründung des Anspruchs beizufügen).

[58] Artikel 1338 der belgischen Zivilprozessordnung (französische Fassung: ,... un écrit émanant du débiteur"). In den vorbereitenden Arbeiten zu dieser Bestimmung werden ein Bestellzettel, ein vom Schuldner unterzeichneter Empfangsschein und eine anerkannte Rechnung als Beispiele für gültige Schriftstücke genannt.

[59] Artikel 812 der spanischen bzw. Artikel 633-636 der italienischen Zivilprozessordnung. Die Aufzählungen sind in beiden Fällen nicht abschließend.

[60] Die spanischen Bestimmungen lassen vom Gläubiger allein stammende Schriftstücke zu, die entweder die Umstände des behaupteten konkreten Anspruchs oder, in Ergänzung zu einem anderen Schriftstück, in dem der geltend gemachte Betrag erwähnt wird, eine langfristige Beziehung zwischen den Parteien belegen.

Angesichts dieser Unterschiede sollte nicht unterschätzt werden, welche komplexen Fragen bei dem Versuch, eine Definition der als Beweis in Mahnverfahren zugelassenen Schriftstücke zu erarbeiten, geklärt werden müssen. Dieser Aspekt könnte auch bei der Erörterung der allgemeinen Frage zu berücksichtigen sein, ob der Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls von der Vorlage eines Urkundsbeweises des Anspruchs abhängig gemacht werden sollte.

Frage 12:

Sollte die Vorlage eines Urkundsbeweises des behaupteten Anspruchs Voraussetzung für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls sein? Falls ja, welche Arten von Schriftstücken sollten als ausreichender Beweis eines Anspruchs gelten?

3.3.4.3. Formale Anforderungen - Verwendung von Vordrucken

Mehrere Mitgliedstaaten, die ein Mahnverfahren kennen, stellen amtliche Vordrucke zur Verfügung (Österreich, Deutschland, Luxemburg, Portugal, Schweden, Spanien) [61], wobei deren Verwendung in einigen zwingend vorgeschrieben ist [62], in anderen eine Alternative zur Klageschrift darstellt [63]. In den Mitgliedstaaten, in denen eine Klageschrift eingereicht werden kann oder muss, gelten hierfür entweder dieselben Anforderungen wie im ordentlichen Zivilverfahren [64] oder die Klageschrift kann in vereinfachter Form eingereicht werden, für die die Angabe der Parteien und ihres Wohnsitzes, des Betrages und des Anspruchsgrunds ausreicht [65].

[61] In Frankreich sind nichtamtliche, von privaten Verlagen herausgegebene Vordrucke erhältlich.

[62] Dies gilt für Österreich, Deutschland (außer bei Zustellung im Ausland) und Portugal (sofern das Formular für den betreffenden Fall geeignet ist).

[63] Dies ist in Luxemburg der Fall, wo eine vereinfachte Verfahrenseinleitung nur mittels einer mündlichen oder schriftlichen déclaration au greffe (bei der Geschäftsstelle des Gerichts abgegebene Erklärung) möglich ist.

[64] Italien.

[65] Spanien (Artikel 814 Zivilprozessordnung).

Die Verwendung von Vordrucken ist ein spezielles Mittel zur Strukturierung der Angaben, die für die Einleitung eines Mahnverfahrens erforderlich sind. Dies kann verschiedene Zwecke erfuellen. Erstens ist ein solches Formblatt hilfreich für den Antragsteller, vor allem dann, wenn er nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, da es die Punkte aufführt, die für die Einreichung eines zulässigen Antrags angegeben werden müssen, und im Idealfall durch einige Erläuterungen zu den einzelnen Punkten ergänzt wird. Zweitens stellt ein solches Formular ein wichtiges Mittel dar, um den Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung zu erleichtern, vor allem in Verbindung mit der Möglichkeit, den Antrag bei Gericht auf elektronischem Wege zu stellen. Darüber hinaus kann in grenzüberschreitenden Sachen das Vorhandensein mehrsprachiger Vordrucke erheblich zur Vereinfachung und Beschleunigung der Verfahren beitragen, da die Notwendigkeit von Übersetzungen und die damit verbundenen Kosten und Verzögerungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Schließlich dürfte ein standardisierter Antrag notwendige Voraussetzung für eine standardisierte Entscheidung sein, die dann unionsweit für die Vollstreckung verwendet werden könnte.

Die Entwicklung eines europäischen Vordrucks würde, selbst wenn sie im Lichte der vorausgehenden Überlegungen als wesentlich erachtet wird, einige technische Probleme aufwerfen. Die einzelstaatlichen Bestimmungen zu einer Reihe von Fragen wie z. B. den Kostenarten, für die eine Erstattung gefordert werden kann, weisen erhebliche Unterschiede auf und diese müssten voraussichtlich sowohl im Vordruck selbst als auch in den Erläuterungen ihren Niederschlag finden. Ein Vordruck, der nur in den Kernpunkten einheitlich gestaltet ist und den Mitgliedstaaten in anderen Punkten eine gewisse Flexibilität für ihren speziellen Bedürfnissen angepasste Fragen oder die Aufnahme weiterer Punkte einräumt, könnte eine tragfähige Strategie für den Umgang mit diesen komplexen Problemen darstellen.

Frage 13:

Sollte die Verwendung eines Vordrucks für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls zwingend vorgeschrieben werden? Falls ja, welchen Inhalt sollte der Vordruck haben?

3.3.4.4. Antragstellung bei Gericht auf elektronischem Wege und Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung im Allgemeinen

Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien

Wenn die Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien auf elektronischem Wege, vor allem über E-Mail, erfolgen kann, bieten sich weitere Möglichkeiten zur Straffung der Verfahren und zu erheblichen Zeit- und Kostenersparnissen. Dieses Argument erscheint angesichts der beträchtlichen Verzögerungen, die häufig auf dem normalen Postweg oder bei der förmlichen Zustellung von Schriftstücken von einem Mitgliedstaat in einen anderen auftreten, in Bezug auf grenzüberschreitende Rechtssachen besonders einleuchtend. Der zunehmende Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung bei der Abwicklung von Mahnverfahren durch die Gerichte in den Mitgliedstaaten könnte durch die Einreichung (standardisierter) Anträge auf elektronischem Wege noch zusätzlich erleichtert werden, da die Gerichte so darauf verzichten könnten, die vom Antragsteller durch die Eingabe des Antrags in ihr Rechnersystem bereits geleistete Arbeit zu wiederholen. Die elektronische Übermittlung eines Schriftstücks durch den Antragsteller an das Gericht dürfte eher eine technische als eine rechtliche Herausforderung darstellen, da sie nicht mit denselben komplizierten Fragen verbunden ist wie die förmliche Zustellung gerichtlicher Schriftstücke auf elektronischen Kommunikationswegen.

Demzufolge ist in einigen Mitgliedstaaten die Antragstellung unter Verwendung elektronischer Medien erlaubt oder wird erprobt [66]. Wie zu erwarten, sind die Mitgliedstaaten, die bei der Abwicklung des Mahnverfahrens generell umfassenden Gebrauch von der elektronischen Datenverarbeitung machen, auch in dieser Hinsicht schon besonders weit.

[66] In Deutschland ist die Online-Antragstellung nur bei einigen der Gerichtsbezirke möglich, in denen zentrale Mahngerichte eingerichtet wurden (s. o. 3.3.2, Fußnote 50). In diesem Fall wird das gesamte Verfahren maschinell bearbeitet.

Ein Rechtsinstrument für ein europäisches Mahnverfahren sollte eine weitere Öffnung für den technologischen Fortschritt nicht behindern, sondern vielmehr fördern, um eine effizientere Behandlung von Rechtssachen dort zu unterstützen, wo dies das Recht der Parteien auf ein faires Verfahren in keiner Weise gefährdet. Es dürfte jedoch sehr zu bezweifeln sein, ob ein entsprechender Vorschlag vorschreiben sollte, dass bestimmte Verfahren für die Kommunikation mit den Gerichten zur Verfügung stehen müssen, da dies die Mitgliedstaaten, bei denen die Entwicklung der Rechnerinfrastruktur ihrer Gerichte noch aussteht, überfordern würde.

Es ist eine Frage der weiteren technischen Entwicklung, vor allem in Bezug auf die Sicherheit und Zuverlässigkeit der elektronischen Kommunikation, ob und in welchem Maße diese Verfahren auch für die Zustellung von Schriftstücken an die Parteien eingesetzt werden können. [67]

[67] Zur Zustellung von Schriftstücken siehe im Einzelnen unter 3.3.8.

Bearbeitung der Rechtssache bei Gericht

Die potenziellen Einsatzmöglichkeiten der Informationstechnologie beschränken sich nicht auf die Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien. Sie kann auch als leistungsfähiges Werkzeug für die Bearbeitung der Rechtssache durch das Gericht eingesetzt werden. Jede Entlastung von Aufgaben, die maschinell erledigt werden können, räumt dem Gericht mehr Zeit ein, sich mit tatsächlich komplizierten Fragen zu befassen. Da die Ansprüche, um die es in einem Mahnverfahren geht, vor allem wenn sie unbestritten bleiben, zu den ,leichten" Fällen zu zählen sind und dem Gericht in standardisierter Form vorgelegt werden sollten, bieten sie sich für eine verstärkte Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung geradezu an.

Gegenwärtig setzen mehrere Mitgliedstaaten (Österreich, Finnland, Frankreich, Schweden) die Datenverarbeitung in ihren jeweiligen Mahnverfahren allein zur Unterstützung bei der Registrierung der Fälle, der Fristenüberwachung, der Kostenberechnung usw. ein. Die Entscheidung über den Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls selbst bleibt der Person überlassen, die für das Verfahren zuständig ist, also dem Richter oder Gerichtsbediensteten. Demgegenüber ist Deutschland beim Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung einen maßgeblichen Schritt weiter gegangen, indem das gesamte Verfahren in mehreren Gerichtsbezirken maschinell bearbeitet wird. Die in Verbindung mit speziellen Vordrucken verwendete Software ermöglicht eine automatische Prüfung, ob Angaben fehlen, der Antrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist oder sonstige außerordentliche Umstände vorliegen (Antragsgegner mit Wohnsitz im Ausland, ungewöhnlich hohe Zinsen usw.) [68]. Nur wenn diese Prüfung Probleme feststellt, wird die Sache dem Rechtspfleger vorgelegt. Andernfalls wird der Mahnbescheid ohne menschliche Mitwirkung automatisch versandt, ebenso wie der Vollstreckungsbescheid und eine Kostenrechnung, sofern der Antragsgegner keinen Widerspruch einlegt. Erhebt der Antragsgegner rechtzeitig Widerspruch, wird die Sache automatisch an das Gericht abgegeben, das für das ordentliche Verfahren zuständig ist.

[68] Eine ähnliche automatische Prüfung erfolgt auch in Österreich.

Aus den obigen Absätzen sollte anschaulich geworden sein, welche bemerkenswerten und vielfältigen Einsatzmöglichkeiten die Computertechnologie und die elektronische Kommunikation bieten. Im Hinblick auf den engen Zusammenhang zwischen diesen Fragen und anderen strategischen Entscheidungen über die Kernaspekte eines europäischen Mahnverfahrens [69] sollte das vorliegende Grünbuch als Plattform für eine breit angelegte Diskussion über die Rolle der elektronischen Kommunikation und Datenverarbeitung in einer europäischen Regelung dienen.

[69] Es ist z. B. offensichtlich, dass ein automatisiertes Verfahren nach dem deutschen Modell, wie es im Haupttext beschrieben wird, nur denkbar ist, wenn das Gericht keine Sachprüfung des Anspruchs vornimmt, die nur von einem Menschen zu leisten ist.

Frage 14:

Welche Rolle sollten Computertechnologie und elektronische Datenverarbeitung

a) in der Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien und

b) bei der Abwicklung des europäischen Mahnverfahrens durch das Gericht spielen?

3.3.5. Umfang der gerichtlichen Prüfung des Anspruchs

Es dürfte auf der Hand liegen, dass das Gericht, bei dem ein Zahlungsbefehl beantragt wird, die Zulässigkeit des Antrags und seine eigene von Amts wegen bestehende internationale Zuständigkeit [70] prüfen muss. (Die Zulässigkeitsprüfung dient der Feststellung, ob der behauptete Anspruch in den Anwendungsbereich des Mahnverfahrens fällt, d. h. ob ein zivilrechtlicher Anspruch und eine Geldforderung vorliegt, ein zwingend vorgeschriebener Vordruck korrekt ausgefuellt wurde, der Antrag unterschrieben wurde usw.)

[70] Lässt sich der in einem Mitgliedstaat ansässige Beklagte, der vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt wird, auf das Verfahren nicht ein, so hat sich das Gericht nach Artikel 26 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn seine Zuständigkeit nicht nach dieser Verordnung begründet ist.

Was die Sache selbst betrifft, wird erneut der Unterschied zwischen den Mahnverfahren des so genannten ,beweispflichtigen" Typs und des ,nicht beweispflichtigen" Typs deutlich. Im Allgemeinen kann in den Mitgliedstaaten, die dem ,beweispflichtigen" Modell folgen, ein Zahlungsbefehl nur dann ergehen, wenn die Prüfung der Angaben des Antragstellers und des von ihm vorgelegten Urkundsbeweises zu dem Ergebnis führt, dass der Anspruch begründet ist. In einem Verfahren des ,nicht beweispflichtigen" Typs hängt dagegen eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers nicht von einer vorausgehenden inhaltlichen Prüfung hinsichtlich des Bestehens des behaupteten Anspruchs ab [71]. Für welche Option man sich entscheidet, ist untrennbar mit der Frage verbunden, ob man eines der beiden Modelle und seine bestimmenden Merkmale generell bevorzugt. Wie bereits in Bezug auf die erforderliche Vorlage eines Beweises für den Anspruch bzw. die notwendige Behandlung durch einen ordentlichen Richter hervorgehoben, stehen sich hier zwei Denkweisen gegenüber: Die eine überträgt dem Antragsgegner die volle Verantwortung dafür, eine gegen ihn gerichtete Entscheidung zu verhindern und ein streitiges Verfahren auszulösen, die andere geht vom Grundsatz eines Mindestschutzes für den Schuldner aus.

[71] In Österreich darf gemäß 448 Abs. 2 ZPO kein Zahlungsbefehl ergehen, wenn die Forderung offensichtlich nicht einklagbar ist (z. B. Spielschulden) oder noch nicht fällig ist. Von solchen Fällen abgesehen wurde mangels ausdrücklicher Bestimmungen zu diesem Punkt in der juristischen Fachliteratur kontrovers diskutiert, ob und in welchem Umfang die Begründetheit des behaupteten Anspruchs zu prüfen ist. In der gerichtlichen Praxis wurde diese Frage im Allgemeinen überaus großzügig gehandhabt. Durch die neuen Rechtsvorschriften, die ab 1. Januar 2003 in Kraft treten, wird jedoch ausdrücklich klargestellt, dass das Gericht eine summarische Prüfung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Anspruchs entsprechend der Vorgehensweise vor Erlass eines Säumnisurteils, d. h. auf Grundlage der unbestrittenen Tatsachenbehauptungen des Antragstellers, vorzunehmen hat.

Um eine Entscheidung für das eine oder andere Modell treffen zu können, mag es hilfreich sein, die folgenden Aspekte ihrer praktischen Umsetzung zu untersuchen.

Dabei ist zu berücksichtigen, dass selbst die Mitgliedstaaten, die auf eine institutionalisierte Sachprüfung verzichten, ein gewisses ,Sicherheitsventil" eingebaut haben, da entweder infolge entsprechender ausdrücklicher Bestimmungen oder nach gängiger Praxis offensichtlich unbegründete Anträge zurückgewiesen werden [72]. Mit anderen Worten: Die Notwendigkeit eines gewissen Schutzes für Schuldner, die sich nicht auf das Verfahren einlassen, vor mutwilligen Forderungen wird auch im ,nicht beweispflichtigen" Modell anerkannt. Es könnte sinnvoll sein, wenn eine diesem Modell folgende europäische Regelung eine ausdrückliche Vorschrift enthielte, die die diesbezüglichen Pflichten der Gerichte möglichst klar umreißt.

[72] In 23 des schwedischen Gesetzes über das summarische Verfahren heißt es: ,Wenn anzunehmen ist, dass der Anspruch des Antragstellers ... unbegründet und ungerechtfertigt ist, sollte der Antrag so behandelt werden, als sei er vom Antragsgegner bestritten worden". Folgende Beispiele werden in der juristischen Fachliteratur genannt:

Eine gebührende Würdigung der praktischen Unterschiede zwischen dem Mindestschutz, der durch die Ausmusterung offensichtlich unbegründeter Ansprüche gewährt wird, und der vorgeschriebenen Prüfung des Anspruchs nach dem ,beweispflichtigen" Mahnverfahren wäre nur möglich, wenn ausreichende Informationen über den Umfang dieser Prüfung zur Verfügung stuenden. Die Einseitigkeit des der Entscheidung vorausgehenden Verfahrens scheint unvermeidlich zur Folge zu haben, dass die von den Gerichten durchgeführte Prüfung nach Plausibilitäts- oder Glaubwürdigkeitsmaßstäben erfolgt und keine gründliche Würdigung der Rechtmäßigkeit des Anspruchs darstellt. Es hängt zu einem großen Teil von den Anforderungen an den Urkundsbeweis und den Vortrag des Antragstellers ab, ob das Gericht in der Lage ist, mehr als eine höchst oberflächliche Prüfung der Sache selbst vorzunehmen [73]. Die bloße Tatsache, dass in allen Mitgliedstaaten, die sich für das ,beweispflichtige" Verfahren entschieden haben, die Gerichte nur dann einen Zahlungsbefehl erlassen, wenn sie den Anspruch für begründet halten, schließt nicht aus, dass es maßgebliche Unterschiede in der praktischen Umsetzung dieses Grundsatzes gibt, bzw. sie ist für sich genommen keine Garantie für einen Schutz des Schuldners auf hohem Niveau. Um europaweit einheitliche Standards zu gewährleisten, könnte sich die Festlegung einiger allgemeiner Leitlinien bezüglich der Gründlichkeit der Sachprüfung als notwendig erweisen.

[73] Die Tatsache, dass in Italien und Griechenland das Gericht den Antragsteller auffordern kann, zusätzliche Schriftstücke vorzulegen oder sich zu bestimmten Aspekten oder Details näher einzulassen, wenn es den ursprünglichen Antrag als unzureichend erachtet, könnte als Hinweis auf eine etwas strengere Prüfung der Rechtmäßigkeit des Anspruchs betrachtet werden. Letzten Endes wären für eine gründliche Behandlung dieser Fragen weitere Informationen über die übliche Anwendung dieser Vorschriften in allen Mitgliedstaaten, die dem ,beweispflichtigen" Modell folgen, erforderlich.

Frage 15:

Sollte vor Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls die Rechtmäßigkeit des Anspruchs geprüft werden? Falls ja, nach welchen Kriterien sollte geprüft werden?

3.3.6. Gerichtliche Entscheidung über den Zahlungsbefehl

3.3.6.1. Sollte ein Zahlungsbefehl über eine Teilforderung möglich sein?

Wenn der Antrag die formalen oder materiellen Voraussetzungen nur für einen Teil der geltend gemachten Forderung erfuellt, stellt sich die Frage, ob für diese Teilforderung ein Zahlungsbefehl erlassen werden sollte [74]. Diese Frage wird von manchen Mitgliedstaaten (Deutschland, Luxemburg) für ihre einzelstaatlichen Verfahren negativ beantwortet - sie verfolgen also einen klaren Ansatz nach dem Motto ,Alles oder nichts". Wenn der Zahlungsbefehl nicht für den gesamten Anspruch einschließlich der geltend gemachten Zinsen und Kosten erlassen werden kann, muss er in Gänze abgelehnt werden [75].

[74] Dieser Fall ist von einem Zahlungsbefehl zu einem Anspruch zu unterscheiden, von dem nur ein Teil vom Antragsgegner bestritten wird.

[75] 691 Abs. 1 der deutschen ZPO. In Österreich gilt diese Vorschrift nur, wenn der Anspruch teilweise unbegründet ist. Ist dagegen der Antrag teilweise unzulässig, kann ein Zahlungsbefehl über den zulässigen Teilanspruch ergehen.

Die Verfahren in Frankreich und Belgien folgen einem anderen Ansatz. Wenn der zuständige Richter den behaupteten Anspruch nur teilweise als gerechtfertigt erachtet, erlässt er eine injonction de payer nur über die gültige Teilforderung. Gegen diese Entscheidung kann kein Rechtsmittel eingelegt werden, der Gläubiger hat jedoch zwei Möglichkeiten, auf die teilweise Ablehnung zu reagieren. Ist er entschlossen, den gesamten Anspruch einschließlich des vom Gericht zurückgewiesenen Teils geltend zu machen, muss er auf die Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner verzichten und ein ordentliches Verfahren einleiten. Betreibt er dagegen die Zustellung und Vollstreckung der teilweisen injonction de payer, verwirkt er das Recht auf ein weiteres Gerichtsverfahren zur Beitreibung der Restforderung [76].

[76] Art. 1409 Zivilprozessordnung: ,Si, au vu des documents produits, la demande lui paraît fondée en tout ou partie, le juge rend une ordonnance portant injonction de payer pour la somme qu'il retient. ...Si le juge ne retient la requête que pour partie, sa décision est également sans recours pour le créancier, sauf a celui-ci à ne pas signifier l'ordonnance et à procéder selon les voies de droit commun".

Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Unterschiede zwischen den beiden Regelungen in der tagtäglichen Umsetzung weitgehend verwischen können. Wenn beispielsweise die Gerichte gängiger Praxis folgend oder sogar aufgrund einer entsprechenden Verpflichtung [77] dem Gläubiger vor Zurückweisung des Antrags Gelegenheit geben, die Antragsmängel zu beheben bzw. die Hauptforderung oder die geltend gemachten Zinsen so zu verringern, dass ein Zahlungsbefehl ergehen kann, so läuft dies praktisch darauf hinaus, ihm die Entscheidung zu überlassen, ob er sich mit dem vom Gericht als gerechtfertigt anerkannten Betrag zufrieden gibt oder ein ordentliches Verfahren zur Beitreibung des gesamten Anspruchs einleitet.

[77] Eine solche Pflicht besteht in Deutschland gemäß 691 Abs. 1 ZPO.

Beiden oben beschriebenen Vorgehensweisen liegt das Bestreben zugrunde, die Aufteilung einer Sache in zwei getrennte Verfahren - ein Mahnverfahren über einen Teil des Anspruchs und ein ordentliches Zivilverfahren über den anderen Teil - und die daraus resultierende Komplexität zu vermeiden, die dem Hauptzweck des Mahnverfahrens, nämlich der vereinfachten Beitreibung voraussichtlich unbestrittener Forderungen, zuwiderlaufen würde.

Frage 16:

Sollte die Möglichkeit bestehen, einen europäischen Zahlungsbefehl nur für einen Teil des geltend gemachten Anspruchs zu erlassen?

3.3.6.2. Entscheidung in standardisierter Form

Wie bereits erwähnt besteht ein enger Zusammenhang zwischen der Verwendung von Vordrucken für die Antragstellung und für die Entscheidung über den Antrag. In beiden Fällen ergeben sich ähnliche Vorteile, wenn auch in unterschiedlichen Verfahrensstufen. Während ein Antragsvordruck den Zugang zur Justiz erleichtert, würde eine standardisierte Entscheidung eine Entlastung in Verfahren bringen, in denen der Zahlungsbefehl in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem er ergeht, vollstreckt werden soll.

Soll der europäische Zahlungsbefehl in anderen Mitgliedstaaten unmittelbar vollstreckbar sein, müssen alle für die Vollstreckung benötigten Angaben klar und unmissverständlich im Zahlungsbefehl ausgewiesen sein. Um nur ein Beispiel für die praktischen Schwierigkeiten zu nennen: In manchen Mitgliedstaaten wird von Amts wegen ein bestimmter Zinssatz auf die Forderung erhoben, der in der Entscheidung nicht genannt wird oder auf den nur als gesetzlicher Zinssatz hingewiesen wird. Für die Vollstreckungsbehörden des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung ergeht, mag dies selbstverständlich sein, im Ausland ist es jedoch nicht nachvollziehbar und daher nicht vollstreckbar. Ein standardisierter europäischer Zahlungsbefehl müsste daher den anwendbaren Zinssatz explizit beziffern, selbst wenn dies nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem er erlassen wird, normalerweise nicht erforderlich ist. Die Mitgliedstaaten und andere, die über Erfahrungen in diesem Bereich verfügen, könnten einen wertvollen Beitrag zur Entwicklung eines Formulars, das diesen Anforderungen möglichst umfassend Genüge tut, leisten, wenn sie der Kommission typische Probleme der erwähnten Art mitteilen würden, die bei der Vollstreckung von in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen häufig auftreten.

Frage 17:

Sollte der europäische Zahlungsbefehl in standardisierter Form erteilt werden? Falls ja, welchen Inhalt sollte eine standardisierte Entscheidung haben?

3.3.6.3. Möglichkeit für den Gläubiger, gegen eine (teilweise) Ablehnung des Antrags auf Erlass eines Zahlungsbefehls Rechtsmittel einzulegen? Möglichkeit, einen Zahlungsbefehl wiederholt zu beantragen?

In den Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen, scheint es gängige Praxis zu sein, Rechtsmittel gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Erlass eines Zahlungsbefehls auszuschließen. Die einfache und überzeugende Erklärung für das Fehlen eines Rechtsmittels ergibt sich daraus, dass es dem Antragsteller frei steht, ein ordentliches Zivilverfahren zu demselben Anspruch einzuleiten. Manche Mitgliedstaaten lassen sogar eine erneute Beantragung eines Zahlungsbefehls nach Berichtigung der formalen oder materiellen Mängel zu, die zur Zurückweisung des ersten Antrags führten [78]. Es wäre überlegenswert, ob eine entsprechende ausdrückliche Bestimmung in eine europäische Regelung aufgenommen werden sollte [79].

[78] Dies scheint zumindest in Italien, Luxemburg und Deutschland der Fall zu sein. In den anderen Mitgliedstaaten ist diese Möglichkeit in den einschlägigen Bestimmungen dem Wortlaut nach nicht ausdrücklich vorgesehen.

[79] Artikel 11.4 des Storme-Vorschlags stellt klar, dass die Ablehnung eines Antrags in Gänze oder zum Teil durch das Gericht keine rechtskräftige Entscheidung darstellt und dass kein Rechtsmittel gegen eine solche Ablehnung zulässig ist (,if the court refuses the application in whole or in part, such refusal shall not have the effect of res iudicata. No appeal shall lie against such a refusal").

Frage 18:

Sollte die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die (teilweise) Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls unzulässig sein? Sollte die Möglichkeit bestehen, nach einer solchen Ablehnung erneut einen Antrag auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls für denselben Anspruch zu stellen?

3.3.7. Der Entscheidung beigefügte Belehrung des Schuldners über seine Verfahrensrechte und -pflichten

Um ein faires Verfahren zu gewährleisten, muss dem Schuldner zusammen mit dem Zahlungsbefehl eine Belehrung über seine Verfahrensrechte und -pflichten zugestellt werden. Es kann keineswegs als gegeben angesehen werden, dass der Antragsgegner mit den spezifischen Merkmalen eines Mahnverfahrens vertraut ist. Daher ist eine kurze, aber umfassende Belehrung Voraussetzung dafür, dass der Schuldner, ohne eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen zu müssen, in der Lage ist, in voller Kenntnis der Folgen innerhalb der kurzen Fristen zu entscheiden, ob er den Anspruch bestreiten will oder nicht. Obwohl der genaue Inhalt dieser Belehrung in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich ist, scheint über folgende Kernelemente Einigkeit zu bestehen:

* Hinweis auf die Widerspruchsmöglichkeit, die Widerspruchsfrist sowie die formalen Voraussetzungen des Widerspruchs wie die Anschrift des Gerichts oder der Behörde, bei der er einzulegen ist;

* Hinweis auf die Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls, falls nicht fristgerecht Widerspruch eingelegt wird.

Wenn das Gericht vor Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls keine inhaltliche Prüfung hinsichtlich des Bestehens des Anspruchs vornimmt, könnte es als notwendig erachtet werden, den Antragsgegner über diese Tatsache aufzuklären, um den Eindruck zu vermeiden, er müsse nicht selbst tätig werden, um eine Würdigung des Anspruchs als unbegründet zu erreichen [80]. In einem einstufigen Verfahren, in dem der Antragsgegner, wenn er keinen Widerspruch erhebt, keine weitere Möglichkeit hat, ordentliches Rechtsmittel gegen die Entscheidung einzulegen, könnte darüber hinaus ein entsprechender warnender Hinweis an den Schuldner angebracht sein [81].

[80] 692 Abs. 1 Ziff. 2 der deutschen ZPO schreibt eine entsprechende Belehrung vor. Auch in Österreich wird der Beklagte darüber belehrt, dass der Zahlungsbefehl sich auf die vom Kläger gemachten Angaben stützt und deren Richtigkeit nicht überprüft wurde.

[81] Artikel 1413 der französischen Zivilprozessordnung enthält eine entsprechende Verpflichtung.

Aus einer Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Belehrung des Schuldners ergibt sich zwangsläufig die Zusatzfrage nach den Rechtsfolgen, falls dieser Pflicht nicht nachgekommen wird. Dazu ist anzumerken, dass die Missachtung der einschlägigen Vorschriften zwar in manchen [82], jedoch nicht in allen Mitgliedstaaten die Nichtigkeit des Zahlungsbefehls zur Folge hat. In Österreich und Italien hat zum Beispiel eine unterlassene ordnungsgemäße Belehrung des Beklagten über die Widerspruchsfrist keinerlei Folgen, da die Ansicht vertreten wird, es liege in der Verantwortung des Beklagten, sich die zu seiner Verteidigung erforderlichen Informationen zu beschaffen. Die gesetzliche Frist gilt unabhängig davon, ob dem Zahlungsbefehl ein entsprechender Hinweis beigefügt war oder nicht. Angesichts dieses signifikanten Unterschieds wäre die Schaffung eines einheitlichen Standards im Zusammenhang mit einem europäischen Rechtsinstrument unumgänglich, um einen unionsweit gleichen Schutz der Verteidigungsrechte zu gewährleisten.

[82] Artikel 1413 der französischen und Artikel 134 der luxemburgischen Zivilprozessordnung sind in diesem Punkt sehr klar (,à peine de nullité").

Frage 19:

Welche Elemente sollte die einem europäischen Zahlungsbefehl beigefügte Belehrung des Schuldners über seine Verfahrensrechte und -pflichten enthalten? Welche Konsequenzen sollte die Nichterfuellung dieser Hinweispflicht haben?

3.3.8. Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner

Wenn man den potenziellen Bestandteil eines europäischen Mahnverfahrens bestimmen sollte, der am wichtigsten und kompliziertesten ist, dürften am ehesten die Zustellungsvorschriften für den Zahlungsbefehl in Frage kommen.

Die besondere Bedeutung der Zustellungsvorschriften im Rahmen eines Mahnverfahrens ist leicht zu erklären. Mit der Zustellung beginnen nicht nur, wie in vielen anderen Bereichen des Verfahrensrechts, die Fristen, d. h. sie ist nicht nur der Bezugspunkt für die Feststellung, ob der Schuldner die Widerspruchsfrist eingehalten hat. Typisch für einen Zahlungsbefehl ist, dass er nur dann erteilt und vollstreckbar wird, wenn sich der Schuldner nicht auf das Verfahren eingelassen hat. Es wird davon ausgegangen, dass der Schuldner sich bewusst zu diesem Verhalten entschlossen hat, und zwar entweder, weil er die Forderung als begründet anerkennt oder weil er das Gerichtsverfahren bewusst ignorieren will. Mangels einer eindeutigen Reaktion des Schuldners ergibt sich der Beweis, dass er in der Lage war, sich in voller Kenntnis der Sachlage für ein Fernbleiben vom Prozess zu entscheiden, allein aus der korrekten, fristgerechten Zustellung der Schriftstücke, mit denen er über die Forderung, seine Verfahrensrechte und -pflichten und die Folgen seiner Untätigkeit in Kenntnis gesetzt wurde.

Die Vorschriften für die Zustellung von Schriftstücken, die in den Mitgliedstaaten entwickelt wurden, gründen auf offenkundig sehr unterschiedlichen Denkweisen. Zunächst kann sicher unterstellt werden, dass die folgende Grundhaltung von allen geteilt wird: Die persönliche Zustellung von Schriftstücken an den Empfänger ist wünschenswert, in der Praxis jedoch häufig schwierig zu bewerkstelligen; daher müssen bestimmte Formen einer Ersatzzustellung zulässig sein, damit das System funktionsfähig bleibt. Gleichwohl könnten die in den einzelnen Mitgliedstaaten praktizierten Lösungen kaum weiter auseinander liegen. Um diese Vielfalt zu veranschaulichen, mag eine kurze Gegenüberstellung der englischen und französischen Verfahrensregeln genügen. In England erfolgt die Zustellung in erster Linie mit der first class mail (vorrangig beförderte Briefsendungen), d. h. ohne Empfangsbestätigung. Dabei wird ohne diesbezüglichen Beleg unterstellt, dass der Beklagte das betreffende Schriftstück tatsächlich erhalten hat; das Verfahren setzt also großes Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Post voraus. Für die Ausnahmefälle, in denen keine ordnungsgemäße Zustellung erfolgte, steht dem Leidtragenden eines solchen Versagens nach dem Verfahrensrecht der Antrag auf Aufhebung einer infolge nicht ordnungsgemäßer Zustellung ergangenen gerichtlichen Entscheidung als Rechtsmittel zur Verfügung. Im krassen Gegensatz zu diesem pragmatischen und kostengünstigen Ansatz vertrauen die französischen Rechtsvorschriften die Zustellung einer injonction de payer nur Angehörigen eines bestimmten Berufszweigs (huissiers de justice) an, die über eine gründliche juristische Ausbildung verfügen. Sie haben nicht nur die Aufgabe, den Zahlungsbefehl dem Schuldner zuzustellen, sondern auch die Pflicht, dem Empfänger über die schriftlichen Anweisungen in der Gerichtsentscheidung selbst hinaus die rechtliche Bedeutung des Schriftstücks zu erläutern. Wenn der Empfänger nicht angetroffen wird und eine Ersatzzustellung erfolgen muss, beweist das französische Verfahrensrecht sein Misstrauen gegenüber diesem Vorgehen, indem es die Zustellung der meisten ihrer Rechtsfolgen beraubt. Selbst die persönliche Zustellung eines Zahlungsbefehls z. B. an die Ehefrau des Beklagten löst nicht den Beginn der Widerspruchsfrist aus. Sie beginnt erst ab dem ersten Vollstreckungsakt in sein Vermögen, d. h. dem letztmöglichen Zeitpunkt, zu dem er von dem Verfahren Kenntnis erhält. Es steht außer Zweifel, dass die französische Regelung einen starken Schutz der Verteidigungsrechte bietet. Nicht zu leugnen ist jedoch auch, dass der Einsatz voll ausgebildeter Juristen für die Zustellung von Schriftstücken seinen Preis hat.

Es wäre theoretisch möglich, ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl zu schaffen, das keinerlei Vorschriften für die Zustellung von Schriftstücken enthält, und die diesbezüglichen Fragen dem einzelstaatlichen Recht oder, in grenzüberschreitenden Sachen, dem einzelstaatlichen Recht in Verbindung mit Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten [83] zu überlassen.

[83] ABl. L 160 vom 30.06.2000, S. 37.

Ein echtes europäisches Mahnverfahren ist jedoch ohne eine gewisse Angleichung der Zustellungsvorschriften kaum denkbar. Die automatische Vollstreckbarkeit der Entscheidung in allen Mitgliedstaaten, die integraler Bestandteil eines europäischen Zahlungsbefehls sein sollte, ist ohne gemeinsame Zustellungsvorschriften nur schwer vorstellbar. Das ist die eindeutige Lehre, die aus den Vorarbeiten zum kürzlich angenommenen Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen zu ziehen ist. Dabei kam man einmütig zu der Überzeugung, dass sich Artikel 27 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens von 1968 [84] in der Praxis als Haupthindernis für die Anerkennung und Vollstreckung erwiesen hat und die Garantie gewisser Mindeststandards für die Zustellung unabdingbare Voraussetzung für die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung sein muss. Der Vorschlag selbst enthält relativ detaillierte Mindestanforderungen zu diesem Aspekt, ohne rechtliche Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre Rechtsvorschriften entsprechend anzupassen. Stattdessen stellt die Beachtung dieser Vorschriften eine Bedingung für die Bestätigung einer Gerichtsentscheidung als europäischer Vollstreckungstitel dar, der seinerseits Voraussetzung dafür ist, dass das Urteil in allen Mitgliedstaaten vollstreckt werden kann.

[84] Nun mit geringfügigen Änderungen als Artikel 34 Absatz 2 in Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates enthalten, die am 1. März 2002 in Kraft getreten ist.

Es erscheint unumgänglich, dass ein europäischer Zahlungsbefehl mangels bindender einheitlicher Zustellungsvorschriften demselben Bestätigungsverfahren oder sogar dem Exequaturverfahren unterworfen werden müsste. Um diese bedauerliche Konsequenz, die das Verfahren eines großen Teils seiner Attraktivität berauben würde, zu vermeiden, sollte eine Gesetzgebungsinitiative im Prinzip einen bedeutenden Schritt weiter gehen und eine wirkliche Angleichung der Vorschriften für die Zustellung von Schriftstücken in Angriff nehmen [85].

[85] Dabei ist auch folgende Aussage in Abschnitt II B 1 des Programms zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu beachten: ,Zur Verbesserung der Sicherheit, der Wirksamkeit und der Zügigkeit der Zustellung gerichtlicher Schriftstücke, die ganz eindeutig eine der Grundlagen für das gegenseitige Vertrauen zwischen den nationalen Rechtssystemen darstellt, wäre eine Harmonisierung der in diesem Bereich anwendbaren Regeln oder die Ausarbeitung von Mindeststandards anzustreben." Im Bereich der Mahnverfahren erscheinen Fortschritte in dieser Hinsicht ganz besonders dringlich.

Zahlreiche Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, bedürfen weiterer Erörterung. Um nur einige zu nennen: Sollte die Angleichung auf das Mahnverfahren beschränkt sein, so dass für eine spezifische Verfahrensart eigene Vorschriften geschaffen werden, oder sollte sie sich auf die Zustellung von Schriftstücken im Allgemeinen erstrecken, möglicherweise in einem eigenen Rechtsinstrument? Sollte man sich auf Mindeststandards beschränken oder auf eine weiter gehende Harmonisierung hinarbeiten? Welche Formen der Zustellung, insbesondere der Ersatzzustellung, sollten zulässig sein? Könnten die relevanten Bestimmungen des Vorschlags für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels als Anregung dienen?

Das vorliegende Grünbuch soll eine umfassende Debatte über all diese Fragen in Gang setzen. Dabei sollte vor allem die Zustellung eines bestimmten Schriftstücks, des Zahlungsbefehls, in einem bestimmten Kontext im Mittelpunkt stehen, ohne dass die möglichen, über diesen Bereich hinausgehenden Auswirkungen außer Acht gelassen werden sollen.

Frage 20:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften für die Zustellung von Schriftstücken in diesem spezifischen Verfahren enthalten oder sollten in diesem Zusammenhang die allgemeinen Zustellungsvorschriften harmonisiert werden? Falls ja, welchen Inhalt sollten diese Vorschriften haben?

3.3.9. Widerspruch seitens des Schuldners

3.3.9.1. Widerspruchsfristen

Die Widerspruchsfristen nach einzelstaatlichem Recht reichen von einer Woche [86] bis zu sechzig Tagen [87] ab Zustellung des Zahlungsbefehls an den Schuldner, wobei in den meisten Mitgliedstaaten eine Frist von etwa zwei Wochen gilt [88]. Manche Mitgliedstaaten (Italien, Schweden) setzen keine feste Frist, sondern lassen ein gewisses Maß an Flexibilität zu, indem sie es dem Gericht bzw. der zuständigen Behörde innerhalb bestimmter Grenzen überlassen, eine den besonderen Umständen des Einzelfalls angepasste Frist einzuräumen. Frankreich und Portugal knüpfen die Berechnung der Widerspruchsfrist an die Art der Zustellung des Zahlungsbefehls, um einem Schuldner, der den Zahlungsbefehl nicht persönlich vom Zusteller in Empfang genommen hat, eine etwas großzügigere Frist einzuräumen [89]. In Deutschland wird die Widerspruchsfrist auf einen Monat, also mehr als das Doppelte verlängert, wenn der Antragsgegner seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat oder Vertragsstaat des Luganer Übereinkommens hat.

[86] In Deutschland gilt die einwöchige Frist nur für Verfahren vor den Arbeitsgerichten. In Schweden wird die Frist von Fall zu Fall festgelegt, in der Regel werden jedoch in gewöhnlichen Fällen zehn Tage als ausreichend erachtet.

[87] In Italien liegt die normale gesetzliche Frist bei 40 Tagen; sie kann jedoch den Erfordernissen des jeweiligen Falls angepasst und auf nicht weniger als 10 Tage verkürzt oder auf nicht mehr als 60 Tage verlängert werden.

[88] Belgien (15 Tage), Finnland (üblicherweise 14 Tage), Deutschland (14 Tage für Verfahren vor den ordentlichen Gerichten), Griechenland (15 Tage), Luxemburg (15 Tage), Portugal (15 Tage), Spanien (20 Tage). In Schweden darf die Frist zwei Wochen ohne besondere Gründe nicht überschreiten. In Österreich wird die derzeitige Frist von 14 Tagen ab 1. Januar 2003 auf 4 Wochen verlängert; gleichzeitig wird der in einem Mahnverfahren geltend zu machende Hoechstbetrag auf 30 000 EUR angehoben. In Frankreich wird dem Schuldner eine Frist von einem Monat zur Einlegung des Widerspruchs eingeräumt.

[89] In diesem Fall wird die Widerspruchsfrist in Portugal um 5 Tage (d. h. auf insgesamt 20 Tage) verlängert. In Frankreich hat die nicht an den Empfänger persönlich erfolgte Zustellung wesentlich einschneidendere Folgen: Die Frist wird nicht geändert, beginnt jedoch erst ab dem Zeitpunkt des ersten Vollstreckungsakts in das Vermögen des Schuldners (Artikel 1416 Zivilprozessordnung).

Dieser kurze Überblick veranschaulicht die große Vielfalt möglicher Fristenregelungen, die weit über die bloße Festlegung einer bestimmten Anzahl Tage oder Wochen hinausgeht. Letzten Endes ist die Wahl einer bestimmten Frist eher eine technische Frage, die voraussichtlich keine großen Probleme aufwerfen wird. Gleichwohl ist zu bedenken, dass der zur Verteidigungsvorbereitung benötigte Zeitraum umso länger wird, je anspruchsvoller die formalen und materiellen Anforderungen an eine schriftliche Erwiderung sind. Darüber hinaus hängt die Bedeutung der Widerspruchsfrist zu einem großen Teil davon ab, ob es sich bei dem gesamten Mahnverfahren um ein einstufiges oder zweistufiges Verfahren handelt. Hat der Schuldner eine zweite Gelegenheit zum Anfechten des Anspruchs, indem er gegen eine nach Ablauf der ersten Widerspruchsfrist ergangene zweite Entscheidung Einspruch erhebt, müsste ein verspäteter Widerspruch gegen die erste Entscheidung nur als Einspruch gegen die zweite Entscheidung gewertet werden [90]. In einem einstufigen Verfahren wird der Zahlungsbefehl dagegen nach Ablauf der Widerspruchsfrist nicht nur vollstreckbar, sondern gleichzeitig rechtskräftig.

[90] In Deutschland ist der Mahnbescheid nach Ablauf der Widerspruchsfrist nicht selbst vollstreckbar, vielmehr folgt auf Antrag des Gläubigers ein Vollstreckungsbescheid. Nach 694 ZPO muss ein verspäteter Widerspruch gegen einen Mahnbescheid zugelassen werden, solange kein Vollstreckungsbescheid erlassen wurde (d. h. auch ein noch so verspäteter Widerspruch verhindert den Erlass des Vollstreckungsbescheids), und ist als Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid zu werten, falls dieser bereits ergangen ist. In Luxemburg scheint Ähnliches zu gelten.

Frage 21:

Welche Frist sollte für den Widerspruch gegen eine Forderung gelten? Sollten bestimmte Merkmale des Einzelfalls Einfluss auf die Widerspruchsfrist haben und falls ja, welche?

3.3.9.2. Anforderungen an den Widerspruch

In einigen Mitgliedstaaten (Frankreich, Deutschland, Schweden) sind die formalen und materiellen Anforderungen an den Widerspruch gegen eine Forderung auf das absolute Mindestmaß beschränkt. Es reicht aus, wenn der Antragsgegner eine schriftliche Erklärung einreicht, dass er dem Anspruch widerspricht; eine Begründung ist nicht erforderlich. Häufig liegt dem Zahlungsbefehl selbst ein sehr einfacher Vordruck bei, der nur ausgefuellt, unterzeichnet und an das Gericht geschickt zu werden braucht [91].

[91] In Deutschland braucht der Schuldner z. B. nur in dem Vordruck anzukreuzen, ob er dem Anspruch insgesamt oder nur einem Teil des Anspruchs widerspricht, sowie in letzterem Falle anzugeben, welcher Teil der Forderung bestritten wird.

In anderen Mitgliedstaaten (Italien, Luxemburg, Portugal, Schweden) muss der Widerspruch dagegen zumindest eine summarische Begründung enthalten. In Italien muss der Beklagte sogar sämtliche Gründe für seinen Widerspruch aufführen. Gründe, die zu diesem Zeitpunkt nicht genannt werden, können zu einem späteren Zeitpunkt nicht in das Verfahren eingeführt werden. In Österreich ist nach der jüngsten Reform des Mahnverfahrens ein Widerspruch ohne Begründung nur in Verfahren vor dem (für Forderungen mit einem Streitwert bis zu 10 000 EUR zuständigen) Bezirksgericht zulässig. Bei Ansprüchen oberhalb dieser Grenze (d. h. in Verfahren vor dem Gerichtshof) muss der Einspruch des Beklagten den Vorschriften für die Klagebeantwortung in ordentlichen Verfahren entsprechen [92].

[92] Auf Grundlage der Einzelfallentscheidungen österreichischer Gerichte in ordentlichen Verfahren ist jedoch zu erwarten, dass ein Einspruch auch dann als zulässig erachtet wird, wenn er den inhaltlichen Anforderungen nicht entspricht. Die Folgen diesbezüglicher Mängel beschränken sich darauf, dass der Beklagte die Zuständigkeit des Gerichts zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr anfechten kann, sowie auf einige Kostenaspekte.

Eine solche Anforderung könnte jedoch eine ,Büchse der Pandora" voller komplexer Rechtsprobleme öffnen, wenn ein bestimmter, vom Widerspruch zu erfuellender inhaltlicher Mindeststandard hinsichtlich des Vortrags zur Sache selbst als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Widerspruchs zu verstehen wäre [93]. Wenn das Gericht einen Widerspruch als unzulässig zurückweisen könnte, weil er nicht hinreichend begründet wurde, könnte dies eine heikle Frage darstellen und wäre der Transparenz und Verständlichkeit eines Mahnverfahrens nicht unbedingt förderlich. Schließlich ändert auch eine offenkundig fehlende Begründung eines Widerspruchs nichts an der Tatsache, dass der Anspruch bestritten wird und nicht als unstreitig angesehen werden kann, es sei denn, der Vortrag des Beklagten ist völlig absurd, so dass er nicht einmal einen Widerspruch darstellt. Die Entscheidung darüber, ob die zur Bestreitung des Anspruchs vorgetragenen Argumente begründet sind, hat mit der Sache selbst zu tun und sollte in einem ordentlichen Zivilverfahren getroffen werden.

[93] Dies scheint im finnischen Mahnverfahren der Fall zu sein. Hier muss der Beklagte, der den Anspruch bestreitet, die Gründe für seinen Widerspruch vorbringen und die Beweismittel angeben, die er vorzulegen beabsichtigt. Die Sache wird nur dann in ein ordentliches Verfahren überführt, wenn der Beklagte hinreichende Gründe für den Widerspruch vorgetragen hat. Ähnliches gilt für Schweden, wo die Einwendungen des Schuldners verworfen werden können, wenn sie offensichtlich unbegründet sind. Inwieweit sich diese beiden Positionen voneinander unterscheiden hängt von ihrer alltäglichen Auslegung und ihrer praktischen Anwendung ab.

Es wäre nachvollziehbarer, wenn das Bestreiten einer Forderung zum frühest möglichen Zeitpunkt des Verfahrens, d. h. im Widerspruch, begründet werden müsste, nicht als Voraussetzung für die Zulässigkeit des Widerspruchs, sondern um eine sorgfältige Vorbereitung und eine Straffung des nachfolgenden ordentlichen Verfahrens zu ermöglichen [94]. Strenge diesbezügliche Maßstäbe können jedoch nicht ohne Auswirkungen auf die Frist bleiben, die dem Beklagten zum Vorbringen seiner Einwendungen eingeräumt wird. Die etwaigen Einbußen im Hinblick auf eine effiziente und rasche Abwicklung des Mahnverfahrens selbst sind gegen die positiven Auswirkungen abzuwägen, die eine Verpflichtung zum Einreichen eines begründeten Widerspruchs auf das nachfolgende Verfahren hätte.

[94] Diese Argumentation scheint der neuen österreichischen Lösung für Verfahren vor dem Gerichtshof erster Instanz zugrunde zu liegen.

Versteht man das Mahnverfahren als rasches und effizientes Mittel, um herauszufinden, ob ein Anspruch vom Schuldner bestritten wird, und andernfalls eine vollstreckbare Entscheidung zu fällen, so dürfte es mit dieser Logik in Einklang stehen, für das Einlegen des Widerspruchs nicht mehr als ein einfaches ,Nein" zu verlangen.

Frage 22:

Sollten formale oder materielle Voraussetzungen für den Widerspruch gelten? Falls ja, wie sollten diese Voraussetzungen lauten?

3.3.10. Auswirkungen des Widerspruchs

Wenn der Schuldner dem Anspruch fristgerecht widerspricht, wird der Zahlungsbefehl nicht vollstreckbar. Will der Gläubiger eine vollstreckbare Entscheidung erwirken, muss er seine Bemühungen im Rahmen eines ordentlichen Zivilverfahrens fortsetzen. Diese Merkmale sind allen Mahnverfahren gemeinsam [95], lassen jedoch Raum für gewisse Unterschiede, insbesondere in Bezug auf die beiden folgenden Aspekte, zu denen einige kurze Bemerkungen angebracht erscheinen.

[95] In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass in Luxemburg ein streitiger Zahlungsbefehl nur vor dem juge de paix nach den Vorschriften des ordentlichen Zivilverfahrens fortgesetzt wird. Bei Ansprüchen, die in die Zuständigkeit des tribunal d'arrondissement fallen, gelten die Vorschriften des Verfahrens für einstweilige Verfügungen (référé).

Erstens haben die Mitgliedstaaten unterschiedliche Strategien gewählt, was das weitere Schicksal des Zahlungsbefehls selbst nach Einlegen eines Widerspruchs betrifft. In einigen Mitgliedstaaten (Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg) wird der Zahlungsbefehl Gegenstand des anschließenden ordentlichen Verfahrens. Mit anderen Worten: Der Zahlungsbefehl wird durch das Urteil entweder bestätigt oder aufgehoben. In anderen Mitgliedstaaten dagegen (Österreich, Deutschland, Schweden [96]) setzt der Widerspruch den Zahlungsbefehl faktisch außer Kraft und das anschließende ordentliche Verfahren wird durchgeführt, als habe er nie existiert. Da die Wahl der einen oder anderen Strategie das Mahnverfahren selbst nicht berührt, sondern nur das ordentliche Verfahren im Anschluss an einen Widerspruch, kann durchaus bezweifelt werden, ob dieser Aspekt in einem europäischen Rechtsinstrument geregelt werden muss. Sollte diese Frage bejaht werden, müsste man sich für eine bestimmte Vorgehensweise entscheiden.

[96] Bei Deutschland und Schweden ist zu berücksichtigen, dass es sich um zweistufige Verfahren handelt. Die erste Phase des Verfahrens, in der der Schuldner nicht gehört wird, mündet in einer Gerichtsentscheidung (Deutschland: Mahnbescheid), die dem Antragsgegner aufträgt, den Anspruch entweder anzuerkennen oder ihm zu widersprechen, die jedoch selbst nie vollstreckbar wird. Wenn der Schuldner weder zahlt noch widerspricht, muss das Gericht eine zweite Entscheidung erlassen, die ihrerseits vollstreckbar ist (in Deutschland: Vollstreckungsbescheid) und die einem Versäumnisurteil gleich steht. Die Darstellung der Auswirkungen des Widerspruchs im Haupttext gilt nur, wenn der Schuldner bereits gegen den Mahnbescheid Widerspruch eingelegt hat. Lässt er die erste Frist verstreichen und erhebt erst gegen den Vollstreckungsbescheid Einspruch, wird diese zweite Gerichtsentscheidung Gegenstand des anschließenden ordentlichen Verfahrens.

Der zweite erwähnenswerte Aspekt betrifft die Überleitung in das ordentliche Verfahren, wenn der Schuldner den behaupteten Anspruch bestreitet. In einigen Mitgliedstaaten (Österreich, Italien, Portugal, Spanien) ist diese Überführung automatische Folge des Widerspruchs, während sie in anderen (Deutschland, Luxemburg, Schweden, Spanien [97]) auf Antrag einer der beiden Parteien [98] erfolgt [99]. Da die automatische Fortsetzung zweifellos die raschere und weniger aufwendige Lösung darstellt, bedürfte das Erfordernis eines weiteren Antrags einer überzeugenden Rechtfertigung. Es ließe sich möglicherweise argumentieren, dass der Gläubiger in manchen Fällen wegen der Verfahrensdauer und -kosten kein ordentliches Verfahren anstrebt, z. B. in Bagatellsachen, und daher seine Beitreibungsversuche auf das Mahnverfahren beschränken möchte.

[97] Spanien wird absichtlich in beiden Kategorien aufgeführt: Gemäß Art. 818 Zivilprozessordnung werden die Parteien bei einem Streitwert unter 3000 EUR automatisch zur Verhandlung geladen, während bei Ansprüchen oberhalb dieser Grenze der Gläubiger einen entsprechenden Antrag stellen muss. In Schweden und Spanien scheint das Initiativrecht auf den Gläubiger beschränkt zu sein.

[98] In Deutschland und Luxemburg haben beide Parteien die Möglichkeit, die Sache in das ordentliche Verfahren zu überführen, da der Schuldner unter bestimmten Umständen ein Interesse daran haben kann, eine rechtskräftige Entscheidung zu erwirken, in der das Nichtbestehen des behaupteten Anspruchs festgestellt wird.

[99] In Spanien, Schweden und Luxemburg ist der Antrag binnen eines Monats, vier Wochen bzw. sechs Monaten nach Einlegen des Widerspruchs zu stellen. In Deutschland ( 696 Abs. 1 ZPO) und Luxemburg kann der Gläubiger diesen Antrag für den Fall, dass Widerspruch eingelegt wird, bereits im ursprünglichen Antrag auf Erlass des Mahnbescheids stellen.

Eine tragbare Lösung könnte darin bestehen, dass bereits mit der ursprünglichen Antragstellung durch einfaches Ankreuzen auf dem Vordruck vorsorglich der Antrag zur Einleitung des ordentlichen Verfahrens eingereicht werden könnte.

Frage 23:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Bestimmungen darüber enthalten, ob der Zahlungsbefehl durch einen Widerspruch außer Kraft gesetzt wird oder Gegenstand des anschließenden ordentlichen Verfahrens wird? Falls ja, wie sollten diese Bestimmungen lauten?

Frage 24:

Sollte im Falle eines Widerspruchs gegen einen behaupteten Anspruch die Sache automatisch in ein ordentliches Verfahren überführt werden oder nur auf Antrag einer der Parteien?

3.3.11. Auswirkungen bei nicht oder nicht fristgerecht erhobenem Widerspruch

3.3.11.1. Notwendigkeit einer weiteren Entscheidung - ein- oder zweistufiges Verfahren

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den verschiedenen Mahnverfahren ergibt sich daraus, ob es sich um ein einstufiges oder ein zweistufiges Verfahren handelt.

Das einstufige Modell (Österreich, Frankreich, Italien, Portugal, Griechenland [100]) zeichnet sich dadurch aus, dass das Gericht eine einzige Entscheidung in der Sache selbst erlässt: den Zahlungsbefehl, der ergeht, ohne dass der Schuldner gehört wird. Lässt der Schuldner die Widerspruchsfrist ungenutzt verstreichen, so wird diese Entscheidung vollstreckbar. Im Allgemeinen wird der Ablauf der Frist und die daraus resultierende Vollstreckbarkeit von einem Gerichtsbediensteten durch einfaches Anfügen einer Vollstreckungsklausel (formule exécutoire) an den Zahlungsbefehl [101] bestätigt.

[100] Der Beitrag von G. Nikolopoulos, Order for Payment in Greece in Walter Rechberger/Georg Kodek (eds.), Orders for payment in the European Union, Kluwer Law International 2001, S. 165, 167 ist in diesem Punkt nicht eindeutig. Der Autor hebt hervor, dass der Gläubiger den Zahlungsbefehl dem Schuldner erneut zustellen kann und damit eine weitere Widerspruchsfrist von zehn Tagen einsetzt. Wenn die zweite Zustellung fakultativ ist, wie die Wortwahl des Autors vermuten lässt, ist unklar, warum der Gläubiger, der bereits eine endgültige und vollstreckbare Entscheidung erwirkt hat, dem Schuldner eine weitere Gelegenheit zum Widerspruch einräumen sollte. Ist die zweite Zustellung dagegen obligatorisch, wäre das griechische Mahnverfahren den zweistufigen Verfahren zuzurechnen.

[101] In Frankreich wird die Vollstreckungsklausel gemäß Art. 1422 Zivilprozessordnung nicht automatisch vom Gericht angefügt, sondern auf gesonderten Antrag des Klägers. In Österreich wird die Tatsache, dass der Zahlungsbefehl rechtskräftig und vollstreckbar ist, nicht von einem Verwaltungsbediensteten des Gerichts, sondern von einem Richter oder Rechtspfleger bestätigt. Gegen diese Bestätigung kann ohne zeitliche Befristung ordentliches Rechtsmittel eingelegt werden ( 7 Abs. 3 EO).

In den übrigen Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen (Belgien, Finnland, Deutschland, Luxemburg, Schweden), kann der ursprüngliche Zahlungsbefehl (in Deutschland: Mahnbescheid) selbst nicht vollstreckbar werden; stattdessen muss eine zweite vollstreckbare Entscheidung ergehen (in Deutschland: Vollstreckungsbescheid, im Folgenden als ,Vollstreckungstitel" bezeichnet) [102]. Der allein durch den Erlass einer zweiten Entscheidung verursachte Zusatzaufwand für den Antragsteller und insbesondere für das Gericht ist in den einzelnen Mitgliedstaaten unterschiedlich und hängt von den verfahrensrechtlichen Einzelbestimmungen der nationalen Rechtsvorschriften ab. Wenn wie in Luxemburg sowohl der Zahlungsbefehl als auch der Vollstreckungstitel von einem Richter erlassen werden muss, so bedeutet dies, dass im Zuge des Mahnverfahrens dieselbe Sache zwei Mal von einem Richter behandelt werden muss. Daher dürfte sich die Entlastung der Richter von einfachen und unstreitigen Fällen - in manchen Mitgliedstaaten eines der Hauptziele des Mahnverfahrens - in Grenzen halten. Wird der Vollstreckungstitel dagegen wie in Deutschland von einem Bediensteten der Geschäftsstelle des Gerichts (Rechtspfleger) oder wie in Schweden von einer Vollstreckungsbehörde verfügt, dürfte der praktische Unterschied zwischen dem Erlass eines Vollstreckungstitels und dem Anfügen einer Vollstreckungsklausel in einem einstufigen Verfahren minimal sein.

[102] In Schweden und Finnland besteht der erste Schritt nicht in einer Zahlungsaufforderung, sondern in einer Aufforderung zur Erwiderung und zur Abgabe einer Erklärung, ob der behauptete Anspruch anerkannt oder bestritten wird, stellt also streng genommen keinen Zahlungsbefehl dar. Gleichwohl ist bezeichnendes Merkmal aller zweistufigen Verfahren, dass das Gericht (bzw. in Schweden die Vollstreckungsbehörde) sich zwei Mal mit der Sache befassen muss und erst der zweite Schritt mit einer vollstreckbaren Entscheidung endet. Aus diesem Grund werden im Folgenden zur Vereinfachung die Begriffe ,Zahlungsbefehl" und ,Vollstreckungstitel" zur Bezeichnung des ersten bzw. zweiten Schritts sämtlicher zweistufiger Verfahren verwendet, auch wenn dies für die beiden genannten Mitgliedstaaten nicht ganz korrekt ist.

Da allgemein gesprochen das einstufige Modell das größere Effizienzpotenzial zu bieten scheint, ist zu prüfen, ob es überzeugende oder sogar zwingende Gründe für die Einführung eines zweiten Schritts gibt. Soll in erster Linie der Antragsteller zur Mitteilung verpflichtet werden, ob die Forderung innerhalb der Zahlungsfrist ganz oder teilweise beglichen wurde [103], wären andere Wege, die ohne eine zweite Gerichtsentscheidung auskommen, denkbar. Ein weiteres mögliches Argument, dass nämlich mit einem Vollstreckungstitel die Frist für das Einlegen eines Rechtsmittels in Gang gesetzt wird, setzt voraus, dass das Vorhandensein eines solchen Rechtsmittels als notwendig erachtet wird. Diese Frage wird im nächsten Abschnitt behandelt.

[103] In Deutschland und Luxemburg ergeht der Vollstreckungsbescheid nur auf Antrag des Gläubigers, wobei der Antrag binnen sechs Monaten nach Ablauf der Zahlungs- bzw. Widerspruchsfrist eingereicht werden muss. In Deutschland kann der Antrag nicht vor Ablauf der Widerspruchsfrist gestellt werden und muss eine Erklärung enthalten, ob und welche Zahlungen auf den Mahnbescheid geleistet worden sind ( 699 Abs. 1 ZPO).

Frage 25:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren als einstufiges oder zweistufiges Verfahren gestaltet werden, d. h. sollte die ursprüngliche Entscheidung vollstreckbar sein oder sollte nach Ablauf der Widerspruchsfrist eine zweite Entscheidung (ein ,Vollstreckungstitel") erforderlich sein?

3.3.11.2. Rechtsmittel gegen den Zahlungsbefehl

Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Entscheidung für das einstufige oder das zweistufige Verfahren und dem Vorhandensein einer zweiten Gelegenheit, den Anspruch nach Ablauf der Widerspruchsfrist durch ordentliches Rechtsmittel anzufechten [104]. Während in den Mitgliedstaaten, die sich für das einstufige Modell entschieden haben, der Zahlungsbefehl gleichzeitig vollstreckbar und rechtskräftig wird, wenn der Antragsgegner keinen Widerspruch einlegt, räumen die in der Europäischen Union praktizierten zweistufigen Verfahren dem Schuldner eine zweite Gelegenheit ein, den Anspruch zu bestreiten und die Sache durch Einspruch gegen den Vollstreckungstitel in ein ordentliches Verfahren zu überführen [105]. Diese beiden Fragen sind daher im Zusammenhang zu betrachten.

[104] Dies schließt natürlich die Möglichkeit eines außerordentlichen Rechtsmittels nicht aus, beispielsweise eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Schuldner den Zahlungsbefehl ohne eigenes Verschulden tatsächlich nie erhalten hat und daher nicht Gelegenheit hatte, Widerspruch zu erheben.

[105] In diesen Mitgliedstaaten kommt die Entscheidung im Allgemeinen einem Versäumnisurteil gleich und ist mit denselben ordentlichen Rechtsmitteln anfechtbar wie ein Versäumnisurteil. In Deutschland kann gegen den Vollstreckungsbescheid innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung (binnen einer Woche bei Verfahren vor dem Arbeitsgericht) Einspruch eingelegt werden. In Luxemburg beträgt die Frist zum Einlegen einer opposition 15 Tage ab Zustellung. In Schweden kann der Schuldner binnen eines Monats nach Erlass des Vollstreckungstitels eine Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Nach Art. 1343 (3) der belgischen Zivilprozessordnung hat der Schuldner die Wahl zwischen zwei unterschiedlichen Möglichkeiten, die Entscheidung anzufechten: entweder durch Berufung (richterliche Überprüfung durch ein höheres Gericht, ein Berufungsgericht) oder durch Einspruch (der zu einem streitigen Verfahren vor dem Gericht führt, das den Vollstreckungstitel verfügt hat). In Finnland wird die Entscheidung tatsächlich als Versäumnisurteil bezeichnet. Seine Zustellung an den Schuldner erfolgt in der Regel gleichzeitig mit der Vollstreckung. Der Schuldner hat 30 Tage ab Zustellung Zeit, Rechtsmittel einzulegen.

Wie bereits dargestellt könnte das Vorhandensein einer weiteren Gelegenheit, Rechtsmittel einzulegen, bis zu einem gewissen Grad als Ausgleich dafür angesehen werden, dass vor Erlass des Zahlungsbefehls kein Urkundsbeweis vorgelegt werden muss und keine Sachprüfung durch einen Richter stattfindet. In einigen Mitgliedstaaten, die ein einstufiges Modell anwenden und kein weiteres Rechtsmittel zulassen (Österreich [106], Portugal), findet jedoch keinerlei rechtliche Würdigung des behaupteten Anspruchs durch das Gericht statt. Demgegenüber kann in Belgien und Luxemburg gegen den in einem zweistufigen Verfahren erlassenen Vollstreckungstitel Rechtsmittel eingelegt werden, obwohl der Vollstreckungstitel von einem ordentlichen Richter nach rechtlicher Würdigung schriftlicher Beweise erlassen wurde. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die in einem zweistufigen Verfahren vorhandene Möglichkeit, gegen den Vollstreckungstitel Rechtsmittel einzulegen, nicht automatisch mit einem besseren Schutz der Verteidigungsrechte verbunden ist; dies gilt insbesondere für die Rechte, die durch die Vorschriften über die Zustellung von Schriftstücken garantiert sind. Wenn der Vollstreckungstitel die Rechtsmittelfrist in Gang setzen soll, muss er dem Schuldner ebenso wie der Zahlungsbefehl förmlich zugestellt werden [107]. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei der Zustellung eines Schriftstücks Probleme auftreten, dürfte kaum durch die bloße Tatsache, dass derselben Person bereits ein anderes Schriftstück zugestellt wurde, geringer werden. So muss sich das Gericht möglicherweise, obwohl der Zahlungsbefehl dem Schuldner erfolgreich zugestellt wurde, mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand befassen, weil der Vollstreckungstitel den Schuldner nicht erreicht hat. Wenn der Schuldner den Zahlungsbefehl ordnungsgemäß erhalten hat und wie vorgeschrieben über das laufende Verfahren einschließlich des Fehlens eines Rechtsmittels nach Ablauf der Widerspruchsfrist belehrt wurde, dürfte durchaus in Frage zu stellen sein, warum ihm eine weitere Gelegenheit zur Anfechtung des Anspruchs in Form eines ordentlichen Rechtsmittels eingeräumt werden sollte. Andererseits überträgt ein einstufiges Verfahren ohne Rechtsmittel und ohne gerichtliche Prüfung des Anspruchs dem Schuldner als mit den Vorschriften für Gerichtsverfahren nicht vertrautem Verbraucher eine überaus hohe, wenn nicht zu hohe Verantwortung.

[106] In Bezug auf Österreich gilt dies nur bis zum 31. Dezember 2002. Nach diesem Datum sind die Gerichte verpflichtet, eine summarische Prüfung hinsichtlich der Begründetheit des Anspruchs vorzunehmen; Näheres hierzu s. o. 3.3.5.

[107] Dabei ist zu berücksichtigen, dass in Finnland die Zustellung der zweiten Entscheidung Sache des Gläubigers und nicht Voraussetzung für die Vollstreckung ist, in der Regel jedoch zu Beginn der Vollstreckung erfolgt. Hierdurch lässt sich die Wahrscheinlichkeit von Problemen möglicherweise verringern, da der Zeitpunkt, zu dem der Schuldner zweifelsfrei Kenntnis von der Existenz einer vollstreckbaren Entscheidung erhielt, leichter festzustellen sein dürfte als der Zeitpunkt der bloßen Zustellung des Schriftstücks.

Frage 26:

Sollte nach Ablauf der Widerspruchsfrist ein ordentliches Rechtsmittel gegen einen europäischen Zahlungsbefehl (oder in einem zweistufigen Verfahren gegen einen Vollstreckungstitel) eingelegt werden können?

3.3.11.3. Rechtskraft der Entscheidung

In der überwiegenden Mehrheit der Mitgliedstaaten (Österreich, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Spanien, Schweden und teilweise Luxemburg [108]) und unabhängig davon, ob es sich um ein einstufiges oder zweistufiges Verfahren handelt, wird die vollstreckbare Gerichtsentscheidung rechtskräftig, wenn der Schuldner dem Anspruch nicht widerspricht und nicht innerhalb der gesetzlichen Frist Rechtsmittel gegen den Zahlungsbefehl einlegt, soweit dies in dem betreffenden Mitgliedstaat möglich ist. Ohne den Versuch unternehmen zu wollen, in eine tief schürfende rechtsphilosophische Diskussion einzusteigen, bezeichnen im Rahmen dieses Grünbuchs die Begriffe Rechtskraft und rechtskräftig die endgültige Beilegung des betreffenden Klagegrunds zwischen den Parteien, wobei die Endgültigkeit der Entscheidung ihren Niederschlag nicht nur darin findet, dass kein Rechtsmittel eingelegt werden kann, sondern auch darin, dass die Entscheidung nicht in nachfolgenden Gerichtsverfahren überprüft werden kann.

[108] In Luxemburg stellt das Verfahren vor dem tribunal d'arrondissement ein Verfahren für einstweilige Verfügungen dar und kann daher nur in einer vorläufigen Entscheidung münden. Nur die von einem juge de paix erlassenen Zahlungsbefehle können Rechtskraft erlangen.

Belgien und Portugal stellen insoweit eine Ausnahme dar, als der Schuldner in diesen Mitgliedstaaten selbst nach Unanfechtbarwerden des Zahlungsbefehls das Bestehen bzw. die Rechtmäßigkeit des behaupteten Anspruchs bestreiten kann, entweder in einem späteren ordentlichen Verfahren [109] oder durch Einspruch gegen die Vollstreckung der Entscheidung [110].

[109] Diese Möglichkeit besteht in Belgien.

[110] Für Portugal gilt: Da nur Urteile Rechtskraft erlangen können und der von einem Gerichtsbediensteten ohne Prüfung des Anspruchs erlassene Zahlungsbefehl mangels ausdrücklicher Bestimmungen bezüglich seiner Rechtskraft einem Urteil nicht gleichzusetzen ist, ist die Schlussfolgerung zulässig, dass der Schuldner seinen Einspruch gegen die Vollstreckung des Zahlungsbefehls mit dem Nichtbestehen der Schuld begründen kann.

Im Sinne der Rechtssicherheit und eines Verfahrens, das in einer nicht vorläufigen, sondern abschließenden Entscheidung der behandelten Sache mündet, dürfte ein Ausschluss der Möglichkeit, den Zahlungsbefehl selbst nach Ablauf der Widerspruchs-/Rechtsmittelfristen anzufechten, vorzuziehen sein, sofern nicht zwingende Gründe für eine solche Möglichkeit sprechen oder sie erforderlich machen [111]. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass acht der zehn Mitgliedstaaten, die über ein Mahnverfahren verfügen, keine Bedenken haben, einer solchen Entscheidung Rechtskraft zu verleihen. Wenn die anzuwendenden Verfahrensvorschriften einen ordnungsgemäßen Schutz der Verteidigungsrechte gewährleisten, sollten einem Zahlungsbefehl mit der Wirkung einer tatsächlich endgültigen Entscheidung keine größeren Hindernisse im Wege stehen.

[111] Damit würde die Möglichkeit eines außerordentlichen Rechtsmittels nicht ausgeschlossen, z. B. eines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (relèvement de forclusion), weil sich herausstellt, dass der Zahlungsbefehl dem Schuldner nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde und dieser daher ohne eigenes Verschulden keine Kenntnis von dem Zahlungsbefehl erhielt.

Frage 27:

Sollte ein europäischer Zahlungsbefehl nach Ablauf der Widerspruchsfrist und/oder Rechtsmittelfrist rechtskräftig werden?

3.3.12. Vorschriften betreffend anwaltliche Vertretung?

Die Frage, ob und in welchem Umfang in Mahnverfahren Anwaltszwang besteht, wird in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich geregelt und ist eng verknüpft mit der jeweiligen allgemeinen Regelung der Notwendigkeit, sich vor Gericht von einem Rechtsanwalt vertreten zu lassen. In Italien, Belgien und Griechenland besteht generell Anwaltszwang, auch für den Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls und den Widerspruch. In Finnland, Frankreich, Deutschland, Luxemburg, Portugal und Schweden besteht weder für den Antragsteller noch für den Antragsgegner Anwaltszwang. In Spanien kann der Antrag auf Erlass eines Zahlungsbefehls ohne anwaltlichen Beistand gestellt werden, während der Widerspruch von einem Rechtsanwalt unterzeichnet werden muss, wenn dies nach den allgemeinen Vorschriften über den Anwaltszwang in ordentlichen Verfahren erforderlich ist [112]. In Österreich schließlich muss sich der Kläger von einem Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn der Anspruch die Streitwertgrenze überschreitet, die in einem ordentlichen Verfahren Anwaltszwang begründet, während der Beklagte grundsätzlich selbst Einspruch einlegen kann und nur für das anschließende ordentliche Verfahren einen Rechtsanwalt benötigt [113].

[112] Artikel 814 (2) und 818 (1) Zivilprozessordnung.

[113] Gegenwärtig liegt die Streitwertgrenze bei 4000 EUR. Ab 1. Januar 2003 erstreckt sich der Anwendungsbereich des Mahnverfahrens auch auf Ansprüche zwischen 10 000 EUR und 30 000 EUR. Für diese neu hinzugekommenen Ansprüche gilt für beide Parteien auch für den Einspruch Anwaltspflicht. In Mahnverfahren vor den erstinstanzlichen Arbeitsgerichten dagegen besteht für keine Partei Anwaltspflicht, ungeachtet des Streitwerts.

Es versteht sich zwar nicht unbedingt von selbst, dass eine europäische Regelung für ein spezifisches Mahnverfahren Bestimmungen hinsichtlich des (nicht bestehenden) Anwaltszwangs enthalten sollte, wodurch sie zwangsläufig mit den einschlägigen allgemeinen Vorschriften in dem einen oder anderen Mitgliedstaat in Konflikt geraten würde. Gleichwohl könnte es als vorteilhaft erachtet werden, die Anforderungen an das Einlegen des Widerspruchs auf möglichst niedrigem Niveau anzusiedeln und den Schuldner für den simplen Akt, der unterstellten Unstreitigkeit des behaupteten Anspruchs zu widersprechen, vom Anwaltszwang zu befreien.

Frage 28:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften über das Nichtbestehen eines Anwaltszwangs im Mahnverfahren enthalten? Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

3.3.13. Vorschriften betreffend Kosten (Gerichtsgebühren, sonstige Auslagen) und ihre Erstattung

Um die vollständige Vollstreckung eines Zahlungsbefehls in anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen, deren Vollstreckungsbehörden mit den einschlägigen Rechtsvorschriften oder gar der Berechnung der erstattungspflichtigen Kosten in dem Mitgliedstaat, in dem der Zahlungsbefehl ergangen ist, nicht vertraut sind, müsste der europäische Zahlungsbefehl eine ausdrückliche und unmissverständliche Aufstellung dieser Kosten enthalten. Angesichts der überaus unterschiedlichen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu diesem Punkt [114] ist zu bezweifeln, ob es empfehlenswert wäre, materielle Bestimmungen zur Erstattung von Rechtskosten in ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl aufzunehmen, die unter Umständen im Widerspruch zu den im ordentlichen Verfahren geltenden Rechtsvorschriften stehen.

[114] Zur Veranschaulichung dieser Vielfalt sei hier nur Schweden als Beispiel angeführt: Gemäß 46 und 48 des schwedischen Gesetzes über das summarische Verfahren und einer Regierungsverordnung ist die Erstattungsfähigkeit der Auslagen des Gläubigers begrenzt, da der Schuldner nicht verpflichtet werden kann, den Gläubiger für seine eigene Arbeit und die seines Rechtsbeistands über einen bestimmten bescheidenen Betrag (zzt. 315 SEK) hinaus zu entschädigen.

Stattdessen könnte es vorteilhafter erscheinen, einige Einzelfragen von besonderer Bedeutung für das Mahnverfahren herauszuarbeiten, die u. a. dafür bestimmend sind, wie kostengünstig und attraktiv das Verfahren für die Parteien ist. So könnte es z. B. sinnvoll sein, dafür Sorge zu tragen, dass den Parteien im Falle, dass der Schuldner dem Anspruch widerspricht, keine zusätzlichen Kosten aus dem Mahnverfahren entstehen, sondern die zugehörigen Gerichtsgebühren und Anwaltskosten durch die Kosten abgedeckt sind, die für das anschließende ordentliche Verfahren berechnet werden. Andernfalls könnten die Gläubiger aus reinen Kostengründen vom Mahnverfahren abgeschreckt werden.

Frage 29:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften über die Kosten des Verfahrens und ihre Erstattung enthalten? Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

3.3.14. Vollstreckung

Bei den Vollstreckungsvorschriften scheint zwar im Großen und Ganzen für die hier erörterten Zwecke keine Angleichung erforderlich zu sein, dennoch könnten die beiden folgenden Aspekte eine Überlegung wert sein.

3.3.14.1. Vorläufige Vollstreckbarkeit

Die vorläufige Vollstreckbarkeit eines Zahlungsbefehls wirft unterschiedliche Fragen auf, die vor allem von der Art des Verfahrens (einstufiges oder zweistufiges Modell) und dem damit verbundenen Vorhandensein oder Fehlen eines Rechtsmittels gegen den Bescheid abhängen. Wenn der Zahlungsbefehl in einem einstufigen Verfahren rechtskräftig wird, sobald die Widerspruchsfrist abgelaufen und kein weiteres Rechtsmittel möglich ist, kann vorläufige Vollstreckbarkeit nur vor Ablauf der Widerspruchsfrist oder nach Einlegen des Widerspruchs eintreten. In der Regel gehen die Mitgliedstaaten mit einem einstufigen Verfahren (Österreich, Frankreich, Italien, Portugal, Spanien, aber nicht Griechenland [115]) nicht von einer vorläufigen Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls aus, sondern machen den Ablauf der Widerspruchsfrist zur Voraussetzung für das Anfügen der Vollstreckungsklausel. Ausnahmen gibt es teilweise für Ansprüche, zu deren Beleg dem Gericht ein sehr überzeugender Urkundsbeweis wie ein Scheck oder Wechsel vorgelegt wird [116]. Wenn fristgerecht Widerspruch erhoben wird und dieser den Zahlungsbefehl nicht ohnehin außer Kraft setzt [117], ist der Zahlungsbefehl nicht vorläufig vollstreckbar [118].

[115] In Griechenland kann der Schuldner, wenn er Widerspruch einlegt, die Aussetzung der Vollstreckung bis zur endgültigen Entscheidung der Sache beantragen.

[116] Art. 642 der italienischen Zivilprozessordnung; Art. 649 ermöglicht die Aussetzung der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf Antrag des Schuldners, wenn zwingende Gründe für die Aussetzung vorliegen. In Österreich gilt für Ansprüche dieser Art ein eigenes Mahnverfahren (das Mandats- und Wechselmandatsverfahren), nach dem der Zahlungsbefehl selbst nach Einlegen von Einwendungen vorläufig vollstreckbar werden kann, ohne dass der Kläger eine besondere Gefährdung seines Anspruchs darlegen müsste.

[117] Zu diesem Aspekt s. o. 3.3.10.

[118] Italien stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar, da ein Zahlungsbefehl, gegen den Widerspruch erhoben wurde, nach Art. 648 Zivilprozessordnung unter bestimmten Bedingungen als vorläufig vollstreckbar erklärt werden kann, z. B. wenn der Widerspruch nicht auf einen Urkundsbeweis gestützt wird.

Den meisten Mitgliedstaaten mit einem zweistufigen Verfahren (Finnland, Deutschland, Luxemburg, Schweden) ist gemeinsam, dass die erste Gerichtsentscheidung (,Zahlungsbefehl", Mahnbescheid) grundsätzlich nicht vollstreckbar ist, während die zweite Entscheidung, die nach Ablauf der Widerspruchsfrist ergeht (,Vollstreckungstitel", Vollstreckungsbescheid) bis zur endgültigen Entscheidung über den hiergegen eingelegten Einspruch ,nur" vorläufig vollstreckbar ist. Die weiteren Voraussetzungen für die vorläufige Vollstreckung (z. B. eine Sicherheitsleistung seitens des Gläubigers) sind sehr unterschiedlich [119].

[119] Der Vollstreckungsbescheid in Deutschland z. B. ist im Grunde ein ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbarer Titel ( 700 Abs. 1 und 708 Abs. 2 ZPO). Auf Antrag des Schuldners kann das Gericht aber die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung anordnen, sofern der Schuldner, von Ausnahmefällen abgesehen, eine Sicherheitsleistung erbringt ( 719 und 707 ZPO). In Luxemburg stellt der von einem tribunal d'arrondissement erlassene Vollstreckungstitel von Natur aus eine einstweilige Maßnahme dar; vorläufige Vollstreckbarkeit kann mit oder ohne Sicherheitsleistung gewährt werden.

Frage 30:

Sollte ein europäischer Zahlungsbefehl vorläufig vollstreckbar sein? Falls ja, welche Voraussetzungen sollten für die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Aussetzung der vorläufigen Vollstreckung gelten?

3.3.14.2. Grenzüberschreitende Vollstreckung - der Zahlungsbefehl als europäischer Vollstreckungstitel ohne Vollstreckbarerklärung

Ausgehend von der Annahme, dass der Rat zu gegebener Zeit eine Verordnung auf Grundlage des Vorschlags der Kommission für eine Verordnung zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen [120] annehmen wird, durch den die Vollstreckbarerklärung (Exequatur) für sämtliche Gerichtsentscheidungen zu unstreitigen Geldforderungen unter bestimmten Bedingungen abgeschafft werden soll, liegt es auf der Hand, dass ein europäischer Zahlungsbefehl ebenfalls in den Anwendungsbereich einer solchen Verordnung fallen würde. Im Idealfall sollte die Einführung eines europäischen Mahnverfahrens jedoch einen Schritt weiter gehen und den Gläubiger von der Pflicht befreien, die Entscheidung vom Gericht, das sie erlässt, als europäischen Vollstreckungstitel bestätigen zu lassen. Voraussetzung dafür, dass der europäische Zahlungsbefehl von Anfang an den Status eines europäischen Vollstreckungstitels erhält, ist jedoch, dass auf den Schutz der Verteidigungsrechte verzichtet werden kann, der ansonsten durch die Prüfung hinsichtlich Einhaltung bestimmter Mindeststandards vor allem bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks im Zuge des Bestätigungsverfahrens gewährleistet wird. Dies erscheint jedoch nur denkbar, wenn das Rechtsinstrument für das europäische Mahnverfahren selbst bindende Vorschriften oder Mindeststandards für die Zustellung von Schriftstücken enthält - die hiermit zusammenhängenden Fragen wurden bereits erörtert [121].

[120] KOM (2002) 159 endg. vom 18.04.2002.

[121] Siehe oben 3.3.8.

Frage 31:

Sollte ein europäischer Vollstreckungstitel in anderen Mitgliedstaaten ohne Vollstreckbarerklärung und ohne entsprechende Bescheinigung des Ursprungsmitgliedstaats, wie derzeit beim Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen vorgesehen, unmittelbar vollstreckbar sein? Wenn ja, welche Anforderungen sind an eine solche unmittelbare Vollstreckbarkeit zu stellen?

4. TEIL III: MASSNAHMEN ZUR VEREINFACHUNG UND BESCHLEUNIGUNG DER STREITBEILEGUNG IM FALLE GERINGFÜGIGER FORDERUNGEN

Unter Bürgern sowie kleinen und mittleren Unternehmen in den Mitgliedstaaten scheint der Eindruck zu wachsen, dass ihre Rechtsordnung ihren Ansprüchen nicht ganz gerecht wird. Für viele ist der Gang zu den Gerichten zu kostspielig, zu langwierig und zu kompliziert. Je geringfügiger die Forderung, desto schwerer wiegen diese Nachteile, da Kosten, Zeitaufwand und Ärger (die ,dreiköpfige Hydra" [122]) nicht unbedingt proportional zur Höhe der Forderung abnehmen. Infolgedessen haben viele Mitgliedstaaten für geringfügige Forderungen (Bagatellsachen) ein vereinfachtes zivilrechtliches Verfahren eingeführt.

[122] Jacob, J., Justice between man and man, in: Current legal problems, 1985, 211.

Gleichzeitig ist aufgrund der zunehmenden Inanspruchnahme des durch den EG-Vertrag garantierten freien Personen-, Waren- und Dienstleistungsverkehrs mit einem Anstieg der Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug zu rechnen. Die Schwierigkeiten, in einer grenzüberschreitenden Streitsache rasch und preiswert eine Entscheidung zu erwirken, sind deutlich größer als bei einer reinen Inlandssache. So wird es häufig nötig sein, zwei Rechtsanwälte zu beschäftigen. Darüber hinaus entstehen Kosten durch die Inanspruchnahme von Übersetzern und Dolmetschern und durch die Anreise der Streitparteien, Zeugen, Rechtsanwälte usw. In diesem Zusammenhang können Fragen verschiedenster Art aufgeworfen werden: Reisende können im Urlaub oder beim Einkauf im Ausland in einen Unfall verwickelt werden oder Waren kaufen, die sich im Nachhinein als mangelhaft oder gefährlich erweisen. Verbraucher können über das Internet Waren aus dem Ausland bestellen, die nie versandt werden oder sich als fehlerhaft herausstellen. Die potenziellen Schwierigkeiten sind natürlich nicht auf Streitigkeiten zwischen Privatpersonen beschränkt. Auch Kleinunternehmer kann die Durchsetzung ihrer Ansprüche in einem anderen Mitgliedstaat vor Probleme stellen. Ein Hotelier, dessen Gast seine Rechnung nicht zahlt, sollte seine berechtigten Forderungen wirksam geltend machen können. Wenn es jedoch an einem Verfahren fehlt, dessen Aufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Streitwert steht, wird es für den Gläubiger fragwürdig, ob der Rechtsweg in seinem Fall wirtschaftlich sinnvoll ist. Gegenwärtig stehen die Kosten, die damit verbunden sind, ein Urteil gegen einen Schuldner in einem anderen Mitgliedstaat zu erwirken, häufig in keinem Verhältnis zu der Summe, um die es geht. Viele Menschen geben angesichts der Verfahrenskosten und eingeschüchtert durch die zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten jede Hoffnung auf, Ansprüche, die ihnen ihrer Ansicht nach rechtmäßig zustehen, tatsächlich durchsetzen zu können.

Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam und infolge der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere steht die Europäische Union vor der großen Aufgabe sicherzustellen, dass Einzelpersonen und Unternehmen in einem wahren europäischen Rechtsraum nicht durch die Unvereinbarkeit oder die Komplexität der Rechtsordnungen in den Mitgliedstaaten daran gehindert oder davon abgehalten werden, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Da es sich hierbei in Bezug auf Bagatellsachen um ein besonders virulentes Problem handelt, werden Maßnahmen in diesem speziellen Bereich des Zivilprozessrechts als äußerst dringend erachtet.

4.1. GELTENDES EG-RECHT - FRÜHERE GEMEINSCHAFTSINITIATIVEN

Der Einfluss des EG-Rechts auf das einzelstaatliche Zivilprozessrecht ist noch recht begrenzt, mit einer Ausnahme: Der Europäische Gerichtshof hat Artikel 12 (ex-Artikel 6) des EG-Vertrags (Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit) dahingehend ausgelegt, dass er der Anwendung des einzelstaatlichen Zivilprozessrechts Grenzen setzt, wenn sie zu Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit führen würde.

Der EGH hat in verschiedenen Fällen [123] Folgendes festgestellt: ,Eine nationale zivilprozessuale Vorschrift eines Mitgliedstaats, die die Staatsangehörigen und juristischen Personen aus einem anderen Mitgliedstaat zur Leistung einer Sicherheit wegen der Prozesskosten verpflichtet, wenn sie gegen einen seiner Staatsangehörigen oder eine dort ansässige Gesellschaft gerichtlich vorgehen wollen, fällt in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags im Sinne des Artikels 6 Absatz 1 und unterliegt dem in diesem Artikel verankerten allgemeinen Diskriminierungsverbot".

[123] Siehe: C-323/95, Hayes gegen Kronenberger, Slg. 1997, S. I-1711; Rechtssache C-43/95, Data Delecta Aktiebolag, Slg. 1996, S. I-4661; Rechtssache C-122/96, Saldanha, Slg. 1997, S. I-5325.

Allerdings war zu einem früheren Zeitpunkt anerkannt worden, dass ein solcher begrenzter Einfluss auf das einzelstaatliche Recht nicht ausreiche, da auf diese Weise nur die schlimmsten Folgen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften beseitigt würden, und dass ein funktionsfähiger Binnenmarkt mehr verlange. Es sei eine Annäherung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erforderlich, um den Zugang zum Recht für Bürger und Unternehmen zu verbessern.

Aus diesem Grund beauftragte die Kommission 1990 eine Sachverständigengruppe (,Commission European Judiciary Code"), eine Studie über die Angleichung der Rechtsvorschriften und Regelungen zu bestimmten Aspekten des zivilrechtlichen Streitbeilegungsverfahrens in den Mitgliedstaaten zu erstellen. Der Bericht dieser Arbeitsgruppe (der so genannte ,Storme-Bericht" [124]) wurde 1994 veröffentlicht. Er enthielt eine Reihe von Vorschlägen zur Annäherung der verschiedenen Aspekte des Zivilverfahrens, die jedoch nicht in die Tat umgesetzt wurden.

[124] Storme, M., Study on the approximation of the laws and rules of the Member States concerning certain aspects of the procedure for civil litigation, Final Report, Dordrecht, 1994.

Auf Gemeinschaftsebene wurde das Problem der geringfügigen Forderungen bislang von zwei Seiten angegangen:

Beweggrund war zum einen die Verbesserung des Rechtsschutzes für Verbraucher: [125] Auf der Grundlage des Grünbuchs über den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt [126] von 1993 nahm die Kommission 1996 einen Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt [127] an. In ihrem Aktionsplan schlug die Kommission die Einführung eines vereinfachten europäischen Formblatts vor, um auf diese Weise den Zugang zu den Gerichten zu verbessern.

[125] Vgl. hierzu KOM (1984) 692 endg. und KOM (1987) 210 endg.

[126] KOM (1993) 576 endg.

[127] KOM (1996) 13 endg.

Zum anderen ging es um die Zahlungsmoral wie in dem Richtlinienvorschlag der Kommission von 1998 zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im Handelsverkehr [128], in dem die Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen in allen Mitgliedstaaten vorgeschlagen wurde.

[128] Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Handelsverkehr (ABl. C 168 vom 3.6.1998, S. 13). Artikel 6 sah ein ,vereinfachtes Verfahren für geringe Geldforderungen" vor. Die Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (ABl. L 200 vom 8.8.2000, S. 35) enthält allerdings keine entsprechende Bestimmung.

4.2. HINTERGRUND

Die gegenwärtigen Bemühungen sind vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des Vertrags von Amsterdam und der Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere zu sehen, in denen das Ziel einer schrittweisen Entwicklung eines ,Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" festgeschrieben wurde. Im Vergleich zum Storme-Bericht ist der jetzige Ansatz in seiner Tragweite recht beschränkt, da er die Einführung gemeinsamer Verfahrensregeln nicht für sämtliche Zivilverfahren anstrebt, sondern nur für eine bestimmte Art von Streitsachen, nämlich Bagatellsachen.

Der Handlungsbedarf auf diesem Gebiet ist wiederholt zum Ausdruck gebracht worden:

- Der Wiener Aktionsplan [129] erachtete u. a. Folgendes als erforderlich: ,Ermittlung der Zivilverfahrensregeln mit grenzüberschreitenden Auswirkungen, die im Hinblick auf einen erleichterten Zugang der europäischen Bürger zu den Gerichten dringend anzugleichen sind, und Prüfung der Frage, ob entsprechende zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit der Zivilverfahren auszuarbeiten sind".

[129] Aktionsplan des Rates und der Kommission zur bestmöglichen Umsetzung der Bestimmungen des Amsterdamer Vertrags über den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABl. C 19 vom 23.1.1999, S. 1, Rdnr. 41 d).

- Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere (Oktober 1999) forderten eine Vereinfachung und Beschleunigung der grenzüberschreitenden Gerichtsverfahren bei verbraucher- und handelsrechtlichen Klagen mit geringem Streitwert.

,V. Besserer Zugang zum Recht in Europa

30. Der Europäische Rat ersucht den Rat, auf Vorschlag der Kommission Mindeststandards zur Gewährleistung eines angemessenen Niveaus der Prozesskostenhilfe bei grenzüberschreitenden Rechtssachen in allen Ländern der Union sowie besondere gemeinsame Verfahrensregeln für vereinfachte und beschleunigte grenzüberschreitende Gerichtsverfahren bei verbraucher- und handelsrechtlichen Klagen mit geringem Streitwert sowie bei Unterhaltsklagen und bei unbestrittenen Forderungen zu verabschieden. Auch sollten alternative außergerichtliche Verfahren von den Mitgliedstaaten geschaffen werden.

31. Für mehrsprachige Formulare oder Schriftstücke, die in grenzüberschreitenden gerichtlichen Rechtsstreitigkeiten unionsweit anzuwenden wären, sollten gemeinsame Mindeststandards aufgestellt werden. Derartige Schriftstücke oder Formulare sollten dann unionsweit bei allen Gerichtsverfahren als gültige Dokumente gegenseitig anerkannt werden."

- Expertenausschüsse der Kommission stuften anlässlich ihrer Tagungen am 29. November 1999 und 28. Mai 2002 die Verfahren mit geringem Streitwert als vorrangiges Thema ein.

- Das Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung [130] fordert die ,Vereinfachung und Beschleunigung der Beilegung von grenzüberschreitenden Streitigkeiten mit geringem Streitwert".

[130] ABl. C 12 vom 15.1.2001, S. 1.

- Auch das Europäische Parlament bringt die Notwendigkeit vereinfachter und beschleunigter grenzüberschreitender Gerichtsverfahren bei verbraucher- und handelsrechtlichen Klagen mit geringem Streitwert zum Ausdruck. [131]

[131] ABl. C 146 vom 17.05.2001, S. 4.

4.3. IN DEN MITGLIEDSTAATEN VORHANDENE VERFAHREN FÜR STREITIGKEITEN MIT GERINGEM STREITWERT

Im Anschluss an die Schlussfolgerungen von Tampere richtete die Kommission einen Fragebogen an die Mitgliedstaaten mit der Bitte um eine Darstellung der im Falle von geringfügigen Forderungen anwendbaren einzelstaatlichen Verfahren. Die Antworten der Mitgliedstaaten [132] wurden in einer Studie ausgewertet. [133]

[132] Griechenland hat den Fragebogen nicht beantwortet. Nach dem Grünbuch über den Zugang der Verbraucher zum Recht (KOM (1993) 576 endg.) gibt es ein solches Verfahren in Griechenland (Artikel 466-472 der griechischen Zivilprozessordnung).

[133] Des Procédures de traitement judiciaire des demandes de faible importance ou non contestées dans les droits des Etats-membres de l'Union Européenne, Exploitation de l'enquête de la Commission européenne ,Les procédures judiciaires applicables aux demandes de faible importance", Rapport final: Evelyne Serverin, Directeur de recherche au CNRS IDHE-ENS CACHAN, Cachan, 2001.

Vereinfachte Verfahren für geringfügige Forderungen gibt es in Deutschland, Spanien, Frankreich, Irland, Schweden und im Vereinigten Königreich. Sie zeichnen sich vor allem durch folgende Merkmale aus:

- In Spanien, Irland, Schweden und im Vereinigten Königreich (England/Wales, Schottland und Nordirland) gibt es spezielle Verfahren, die gegenüber den ordentlichen Verfahren in mehreren Punkten einfacher gestaltet sind: In vielen Fällen wird die Einleitung des Verfahrens z. B. durch einen speziellen Vordruck erleichtert. Bestimmte Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme sind gelockert und das Verfahren kann in ausschließlich schriftlicher Form abgewickelt werden. Des Weiteren besteht keine oder nur eingeschränkte Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen.

- In Deutschland gibt es kein spezielles Verfahren für geringfügige Forderungen, doch können die Gerichte in solchen Fällen das Verfahren nach eigenem Ermessen gestalten. [134]

[134] 495a ZPO.

- In Frankreich gibt es zwar kein eigenes Verfahren für geringfügige Forderungen, doch ist die Einleitung des Verfahrens beim tribunal d'instance im Wege einer einfachen Erklärung bei der Geschäftsstelle (déclaration au greffe) vereinfacht worden.

In Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Luxemburg, den Niederlanden und Portugal gibt es keine speziellen Verfahren. [135]

[135] Dies ergibt sich aus den Antworten der Mitgliedstaaten auf den Fragebogen.

In Finnland enthält die Zivilprozessordnung zahlreiche Vereinfachungen verschiedenster Art gegenüber dem ordentlichen Verfahren. So gibt es z. B. Vordrucke, um einen Anspruch geltend zu machen oder anzufechten, Richter und andere Gerichtsbedienstete können zur Beratung der Parteien verpflichtet werden, auf Angabe der Rechtsgrundlage kann verzichtet werden, es besteht kein Anwaltszwang für die Parteien, bestimmte Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme sind gelockert, es werden keine Sachverständigen verwendet und das Verfahren kann in ausschließlich schriftlicher Form abgewickelt werden. Die Wahl zwischen dem ordentlichen Verfahren und den vereinfachten Verfahrensformen wird jedoch nicht auf Grundlage des geltend gemachten Betrags (d. h. auf quantitativer Basis) getroffen, sondern anhand qualitativer Kriterien. Die vereinfachten Verfahrensformen werden in einfacheren, weniger komplexen Fällen ungeachtet des geltend gemachten Betrags verwendet.

In Österreich enthält die Zivilprozessordnung Bestimmungen zur Vereinfachung der Verfahrensregeln für Verfahren vor den Bezirksgerichten, die für Ansprüche bis zu einem Streitwert von 10 000 EUR zuständig sind. Die Vereinfachungen betreffen die (nicht obligatorische) Vertretung durch einen Rechtsanwalt, die Belehrungspflicht des Richters gegenüber nicht anwaltlich vertretenen Parteien, die Verfahrenseinleitung, die Lockerung bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme und Einschränkungen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel. Die einzelnen Vereinfachungen werden im Folgenden aufgeführt, obwohl sie streng genommen nicht als eigenes Bagatellverfahren angesehen werden mögen.

Die wichtigsten Merkmale der vorhandenen Verfahren für Bagatellsachen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

4.3.1. Streitwertgrenze

In allen Mitgliedstaaten, die über Verfahren für geringfügige Forderungen verfügen, gelten für derartige Verfahren bestimmte Streitwertgrenzen, die jedoch sehr unterschiedlich sind: [136]

[136] Es handelt sich um die vor dem 1. Januar 2002 geltenden Streitwertgrenzen in inländischer Währung, die in Euro umgerechnet wurden.

600 EUR (Deutschland), 1235 und 2470 EUR (Schottland [137]), 1270 EUR (Irland), 2038 EUR (Schweden), 3005 EUR (Spanien), 3294 EUR (Nordirland), 3811 EUR (Frankreich) und 8234 EUR (England/Wales). [138]

[137] In Schottland gibt es zwei vereinfachte Verfahren: Das Small Claims Procedure (bis 750 GBP), das für Privatpersonen gedacht ist, und das Summary Cause Procedure (über 750 GBP bis 1500 GBP), das verbraucherrechtliche Ansprüche, Beitreibungsklagen von Unternehmen und Klagen von Eigentümern auf Wiederinbesitznahme ihres Grundbesitzes umfasst.

[138] Zinsen auf die Hauptforderung und Auslagen werden nicht berücksichtigt.

4.3.2. Arten von Streitigkeiten

In den meisten Mitgliedstaaten, die über Bagatellverfahren verfügen, gelten derartige Verfahren nicht nur für Geldforderungen.

In Schottland [139], Irland [140] und England/Wales [141] sind die vereinfachten Verfahren bestimmten Streitigkeiten vorbehalten.

[139] Das schottische Small Claims Procedure gilt nur für Klagen zur Beitreibung von Geldforderungen bis 750 GBP (ohne Zinsen und Auslagen) - ausgenommen Klagen wegen Unterhaltszahlungen bzw. vorläufigen Unterhaltszahlungen und Verleumdungsklagen - sowie für Klagen zur Durchsetzung nicht auf Zahlung gerichteter Ansprüche (ad factum praestatum) oder zur Wiederinbesitznahme beweglichen Vermögens, sofern in diesen Fällen alternativ zum nicht in Zahlung bestehenden Anspruch eine Geldforderung nicht über 750 GBP (ohne Zinsen und Auslagen) erhoben wird.

[140] In Irland gilt das Small claims procedure für Ansprüche wegen fehlerhafter Waren oder mangelhaft ausgeführter Arbeiten, geringfügiger Sachschäden und verweigerter Rückgabe einer Mietkaution.

[141] In England gilt das Small Claims Procedure für Schadensersatzforderungen wegen Personenschaden unter 1000 GBP, Schadensansprüchen wegen Baufälligkeit, bei denen die Instandsetzungsforderungen unter 1000 GBP liegen, und alle sonstigen Forderungen mit einem Streitwert unter 5000 GBP.

In England/Wales [142], Irland [143] und Schweden [144] darf das vereinfachte Verfahren für bestimmte Arten von Streitigkeiten nicht verwendet werden.

[142] In England/Wales sind Ansprüche wegen Belästigung oder gesetzwidriger Zwangsräumung von Wohnraum vom Small Claims Procedure ausgeschlossen.

[143] In Irland sind Forderungen im Zusammenhang mit Verträgen, Raten-/Kreditkaufverträgen, unerlaubten Handlungen und dem Familienrecht vom Small Claims Procedure ausgeschlossen.

[144] In Schweden sind familienrechtliche Sachen vom Bagatellverfahren ausgeschlossen.

In Deutschland [145] ist das vereinfachte Verfahren nicht auf bestimmte Arten von Streitigkeiten beschränkt.

[145] Das Verfahren für Streitigkeiten mit geringem Streitwert kann in jedem Rechtsstreit angewandt werden, der in die sachliche und örtliche Zuständigkeit des betreffenden Amtsgerichts fällt. Amtsgerichte sind nicht zuständig für arbeitsrechtliche Streitigkeiten, dienstrechtliche Ansprüche gegen die Steuerbehörden und Klagen gegen Gerichte und Beamte wegen Überschreitung ihrer Befugnisse oder Untätigkeit im Amt.

4.3.3. Obligatorisches oder fakultatives Bagatellverfahren

In Deutschland [146], England/Wales [147], Schottland [148], Spanien [149] und Schweden [150] ist die Anwendung des vereinfachten Verfahrens obligatorisch (für Streitigkeiten unterhalb der Streitwertgrenze). Gleichwohl kann eine Streitsache in den meisten dieser Mitgliedstaaten vom Richter oder auf Antrag einer Partei in das ordentliche bzw. ein förmlicheres Verfahren überführt werden. In Frankreich und Irland ist das Bagatellverfahren fakultativ. In Nordirland wird bei Ansprüchen unter 2000 GBP das Bagatellverfahren angewandt, es sei denn, Streitgegenstand ist eine Schuld oder Vertragsstrafe und der Kläger entscheidet sich für das ordentliche Zivilverfahren. Selbst dann kann der Beklagte jedoch eine Erklärung zur Anzeige seiner Verteidigungsabsicht abgeben, verbunden mit der Forderung, die Sache als Bagatellsache zu behandeln; das Gericht ist verpflichtet, dieser Forderung nachzukommen.

[146] In Deutschland können die Parteien die Rückkehr zum Normalprozess nicht verlangen. Es liegt im Ermessen des Gerichts, jederzeit zum Normalprozess zurückzukehren; dies ist jedoch in der Praxis eher die Ausnahme.

[147] In England/Wales kann das Gericht eine Bagatellsache in ein anderes Verfahren (z. B. Schnellverfahren) überführen.

[148] In Schottland kann das Gericht von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei die Sache einem förmlicheren Verfahren unterstellen, wenn es zu der Überzeugung gelangt, dass eine schwierige Rechtsfrage oder eine Tatsachenfrage von außergewöhnlicher Komplexität berührt wird. Einem entsprechenden gemeinsamen Antrag der Parteien muss das Gericht stattgeben.

[149] In Spanien ist das mündliche Verfahren für Ansprüche unter 500.000 ESP zwingend vorgeschrieben.

[150] In Schweden kann eine Partei die Anwendung des ordentlichen Verfahrens verlangen, wenn der Anspruch von besonderer, über den Streitgegenstand hinausgehender Bedeutung für die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien ist.

4.3.4. Einleitung des Verfahrens

Derzeit gibt es Formulare für die Geltendmachung der Forderung bei Gericht nur in England/Wales [151], Schottland [152], Nordirland [153], Schweden [154], Irland [155], Spanien [156] und Frankreich.

[151] Es gibt einen Vordruck, der für Ansprüche aller Art, einschließlich Bagatellsachen, verwendbar ist.

[152] Die Verwendung des Vordrucks ist obligatorisch. Merkblätter mit Anleitungen, wie das Formular auszufuellen ist, sind von den Gerichtsbediensteten erhältlich, die die Antragsteller auch mündlich beraten.

[153] Die Verwendung eines Vordrucks ist gemäß Gerichtsvorschriften zwingend.

[154] Es gibt einen Vordruck, der für Ansprüche aller Art, einschließlich Bagatellsachen, verwendbar ist.

[155] In Irland gibt es eigene Vordrucke für die Geltendmachung des Anspruchs und für die Erwiderung des Antragsgegners; beide sind beim Gerichtsbediensteten erhältlich, der auch beim Ausfuellen des Formulars behilflich ist.

[156] Die Einführung eines Formulars ist derzeit in Vorbereitung (in Anwendung von Artikel 437 und 812 Zivilprozessordnung).

In Frankreich gibt es einen vereinfachten Weg zur Einleitung des Verfahrens für geringfügige Forderungen beim tribunal d'instance in Form einer einfachen Erklärung bei der Geschäftsstelle (déclaration au greffe). Ein Vordruck ist vorhanden, muss jedoch nicht verwendet werden. Die déclaration au greffe kann auch mündlich abgegeben werden. In dem damit eingeleiteten Verfahren werden die Parteien durch den Gerichtsbediensteten (greffier) von der Verhandlung schriftlich oder mündlich unterrichtet.

In Deutschland gibt es keinen Vordruck; allerdings können sämtliche Anträge und Erklärungen mündlich erfolgen.

In Österreich kann die Klage beim Bezirksgericht am Wohnsitz des Klägers mündlich zu Protokoll erklärt werden; das Bezirksgericht leitet die Sache an das zuständige Gericht weiter.

In keinem Mitgliedstaat muss der Antrag Angaben zur Rechtsgrundlage enthalten, nur die Tatsachen müssen vorgetragen werden. Demzufolge besteht auch kein Anwaltszwang für den Antragsteller.

4.3.5. Vertretung und Beistand

In den meisten Mitgliedstaaten steht für die Einleitung des Verfahrens Unterstützung durch einen Gerichtsbediensteten oder Helpdesk zur Verfügung (Deutschland, England/Wales, Schottland, Nordirland, Schweden, Irland, Österreich). Darüber hinaus steht der Richter einer nicht anwaltlich vertretenen Partei während der Verhandlung insbesondere in Verfahrensfragen unter Wahrung der Unparteilichkeit bei (Irland, Frankreich, Deutschland, Schweden [157], England/Wales, Nordirland [158] und Österreich).

[157] Wer Hilfestellung bei der Verfahrenseinleitung benötigt, kann sich an ein erstinstanzliches Gericht oder einen öffentlichen Inkassodienst wenden. Rechtsgrundlage dieser Unterstützung ist die allgemeine Pflicht der öffentlichen Verwaltung zum Dienst am Bürger. Aus dieser Dienstpflicht ergibt sich, dass die Bürger sich telefonisch oder persönlich an ein erstinstanzliches Gericht wenden können, um sich in allgemeiner Form zu einem Verfahren und den zugehörigen Vorschriften beraten zu lassen. Im Übrigen ist der Gerichtspräsident gehalten, in der Vorbereitungsstufe einer Instanz Sorge zu tragen, dass sämtliche die Streitsache betreffenden Fragen geklärt werden und die Parteien sämtliche Punkte, auf die sie sich berufen können, vortragen.

[158] Der District Judge führt beide Parteien durch die Verhandlung und steht jeder Partei, die dies wünscht, bei. Er hilft bei der Formulierung der an Zeugen gerichteten Fragen und kann Zeugen nach deren Befragung durch die Parteien aus eigenem Entschluss selbst vernehmen.

Gegenwärtig besteht in keinem Mitgliedstaat Anwaltszwang in Verfahren mit geringem Streitwert. [159] In Frankreich vertreten die Parteien in der Praxis ihre Sache häufig selbst, ohne anwaltlichen Beistand, und erscheinen mit mehr oder weniger vollständiger Akte zur Verhandlung.

[159] In Spanien besteht allerdings Anwaltszwang bei Verfahren mit einem Streitwert über 150 000 ESP.

Gleichwohl ist es in allen bestehenden Verfahren für Bagatellsachen möglich, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.

In Schweden, Deutschland, England/Wales, Schottland und Nordirland kann sich eine Partei auch durch eine Person vertreten lassen, die kein ausgebildeter Rechtsanwalt ist.

4.3.6. Alternative Verfahren der Streitbeilegung

In mehreren Mitgliedstaaten sind im Rahmen der gerichtlichen Verfahren alternative Formen der Streitbeilegung eingeführt worden. (Die alternative Streitbeilegung wird im Folgenden auch mit dem englischen Akronym ,ADR" für ,Alternative Dispute Resolution" bezeichnet.)

In Irland sind Bemühungen um eine alternative Streitbeilegung unmittelbar mit dem Verfahren für Streitigkeiten mit geringem Streitwert verknüpft. Der Small Claims Registrar erleichtert Schlichtung, Mediation und informelle Gespräche im Bemühen, den Streit beizulegen, ohne dass ein Urteil ergeht.

Die geltenden Verfahrensregeln in Schottland sehen zwar nicht ausdrücklich vor, dass der Sheriff eine Streitbeilegung auf dem Schlichtungs- oder Mediationswege vermittelt. Gleichwohl sollte der Sheriff möglichst versuchen, die Streitpunkte zwischen den Parteien bei der ersten Verhandlung ohne Beweiserhebung zu ermitteln. Diese Strategie wird nach den neuen Regeln, die im Rahmen der gegenwärtigen Reform in Vorbereitung sind, verstärkt. Wenn die neuen Vorschriften verabschiedet werden, werden sie ausdrücklich vorsehen, dass der Sheriff den Versuch unternimmt, den Streit durch Aushandlung eines Vergleichs beizulegen. Zu einem staatlich geförderten gerichtlichen Beratungssystem, das gegenwärtig als Pilotprojekt in einem der Sheriff Courts erprobt wird, gehört auch eine Mediationsstelle, der bestimmte Fälle übertragen werden können, und zwar entweder von einem Berater oder vom Gericht. Der Erfolg dieses Angebots wird derzeit evaluiert.

Auch in anderen Mitgliedstaaten gibt es Vorschriften zur Erleichterung der alternativen Streitbeilegung im Rahmen gerichtlicher Verfahren, unabhängig davon, ob sie über gesonderte Bagatellverfahren verfügen oder nicht. Die Bandbreite dieser Vorschriften reicht vom schlichten Einräumen der Möglichkeit, ADR-Verfahren in Anspruch zu nehmen (z. B. in Belgien [160] und Frankreich [161]), über die entsprechende Aufforderung (in Spanien, [162] Italien, [163] Schweden [164] und England/Wales [165]) bis zur kraft Gesetz oder richterlicher Anordnung bestehenden Pflicht, vor Anrufung eines Gerichts eine alternative Streitschlichtung in Anspruch zu nehmen (z. B. in Deutschland, [166] Belgien [167] und Griechenland [168]).

[160] Der durch das Gesetz über die Mediation in Familiensachen vom 21. Januar 2001 in die Zivilprozessordnung eingeführte Artikel 665 räumt dem Richter die Möglichkeit ein, auf gemeinsamen Antrag der Parteien oder von sich aus, aber mit Zustimmung der Parteien, einen Mediator zu bestellen.

[161] Siehe Artikel 131-1 bis 131-15 Zivilprozessordnung zur gerichtlichen Mediation.

[162] Gemäß Artikel 414 und 415 des Gesetzes Nr. 1/2000, das am 9. Januar 2001 in Kraft trat, ist der Richter verpflichtet, den Parteien zu Beginn des so genannten ordentlichen Verfahrens nach Stellung ihrer Anträge eine Schlichtung oder einen Vergleich nahe zu legen.

[163] Gemäß Artikel 183, 185 und 350 Zivilprozessordnung hat der Richter alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um im Einzelfall zu beurteilen, ob auf ein Urteil verzichtet werden kann und die notwendigen Voraussetzungen für den Abschluss des Verfahrens im Wege einer einfachen Feststellung, dass sich die Parteien geeinigt haben, vorliegen.

[164] Gemäß Kapitel 42, 17 Zivilprozessordnung hat das Gericht alles daran zu setzen, um eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits zu ermöglichen.

[165] Gemäß Verfahrensregel 26.4 und 44.5 der Zivilprozessordnung (Civil Procedure Rules) für England und Wales, die am 26. April 1999 in Kraft trat, kann das Gericht ein Verfahren aussetzen, um den Parteien die Möglichkeit zu geben, Mediation in Anspruch zu nehmen. Das Gericht kann den Parteien eine Geldbuße auferlegen, wenn sie die Mediation verweigern.

[166] Nach 15a Abs. 1 Gesetz betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (EGZPO) kann durch Landesgesetz bestimmt werden, dass in vermögensrechtlichen Streitigkeiten vor dem Amtsgericht bis zu einem Streitwert von 750 EUR sowie in bestimmten Nachbarrechts- und Ehrverletzungsstreitigkeiten die Erhebung einer Klage erst zulässig ist, nachdem vor einer anerkannten Gütestelle ein Einigungsversuch stattgefunden hat. Eine ohne den Einigungsversuch erhobene Klage wäre in diesem Fall als unzulässig abzuweisen.Bislang haben vier Länder von der Möglichkeit des obligatorischen außergerichtlichen Einigungsversuchs Gebrauch gemacht. Ist die Klage erhoben, soll das Gericht nach 279 ZPO in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. Es kann daher den Parteien in jeder Lage des Verfahrens in der mündlichen Verhandlung oder schriftlich Vergleichsvorschläge unterbreiten und für einen Güteversuch das persönliche Erscheinen der Parteien anordnen. Aufgrund des Ermessens des Gerichts ist es im Verfahren nach 495a ZPO (Verfahren für Bagatellsachen) auch denkbar, das Verfahren zum Zwecke einer außergerichtlichen Streitbeilegung zum Ruhen zu bringen.

[167] Die Inanspruchnahme eines außergerichtlichen Verfahrens ist nach der Zivilprozessordnung z. B. in arbeits- und pachtrechtlichen Streitigkeiten zwingend vorgeschrieben. Eine Gesetzesvorlage, die gegenwärtig beraten wird, sieht eine umfassende Reform der Zivilprozessordnung vor, durch die jedem Richter die Möglichkeit eingeräumt werden soll, ein Mediationsverfahren anzuordnen.

[168] Gemäß Artikel 214 Zivilprozessordnung kann über Streitigkeiten, die in die Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts fallen, erst verhandelt werden, nachdem ein Schlichtungsversuch unternommen wurde.

4.3.7. Lockerung Bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme

Die Lockerung bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme ist in den meisten Mitgliedstaaten ein entscheidender Aspekt der Verfahren mit geringem Streitwert. In vielen Fällen wird dem Richter in dieser Hinsicht gewisse Ermessensfreiheit eingeräumt.

In England/Wales und Nordirland gelten die strengen Regeln der Beweisaufnahme nicht für Bagatellverfahren. Ohne Erlaubnis des Gerichts darf bei einer Verhandlung kein schriftlich oder mündlich abgegebenes Sachverständigengutachten verwendet werden. Das Gericht muss Aussagen nicht beeiden lassen und kann die Befragung durch die gegnerische Partei beschränken. Zeugenaussagen können schriftlich erfolgen; gängige Praxis ist jedoch, das Erscheinen der Zeugen beim Prozess bzw. der Schlussverhandlung nahe zu legen. Das Gericht kann jede Verfahrensweise wählen, die es als fair betrachtet. Der Richter kann jeden Zeugen zunächst selbst vernehmen, ehe er die Befragung durch andere Personen zulässt.

Auch in Schottland und Schweden sind die übliche Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme gelockert. In Schottland findet nach der ersten Verhandlung eine weitere Sitzung zur Beweisaufnahme statt, sofern dies erforderlich ist. Der Richter sollte möglichst versuchen, die Streitpunkte zwischen den Parteien bei der ersten Verhandlung ohne Beweiserhebung zu ermitteln. Ausführliche Schriftsätze zur Klagebegründung sind nicht erforderlich. Die üblichen Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme sind gelockert, es gibt jedoch keine Beschränkung der Beweismittel. Schriftliche Zeugenaussagen werden als Urkundsbeweis gewertet.

In Deutschland kann das Gericht Beweise nach billigem Ermessen frei erheben. Es ist weder an die gesetzlichen Beweismittel noch an die Bestimmungen des Beweisverfahrens gebunden. Das Ermessen des Gerichts wird jedoch begrenzt durch das Gebot des fairen Verfahrens, den Anspruch auf rechtliches Gehör, das Willkürverbot, das Gebot der Verhältnismäßigkeit und das Gebot der Unparteilichkeit.

In Österreich kann das Gericht in bestimmten Fällen die von den Parteien vorgeschlagene Beweisaufnahme ablehnen. [169]

[169] Gegenwärtig besteht diese Möglichkeit nur bei Forderungen, die im Vergleich zum Gesamtanspruch gering sind (nicht mehr als 10 % des Gesamtanspruchs betragen). Ab 1. Januar 2002 wird diese Möglichkeit auf sämtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert unter 1000 EUR ausgeweitet.

In England und Wales, Nordirland, Schweden [170] und Deutschland besteht die Möglichkeit zur Durchführung von Videokonferenzen.

[170] Die mündliche Verhandlung kann telefonisch abgehalten werden, wenn dies unter Berücksichtigung des Streitgegenstands, der Kosten eines persönlichen Erscheinens und der Unannehmlichkeiten für die Parteien, die sich aus ihrem persönlichen Erscheinen ergeben können, angebracht erscheint. Den Meinungen der Parteien wird dabei Rechnung getragen. In der Praxis kommt es durchaus vor, dass die Parteien per Telefonkonferenz an der Verhandlung teilnehmen, vor allem in Verfahren mit geringem Streitwert.

In Spanien [171], Schweden [172], Deutschland und Irland können Zeugen, statt persönlich vor Gericht zu erscheinen, ihre Aussagen auch schriftlich machen. In Nordirland sind schriftliche Zeugenaussagen zulässig, es wird jedoch nicht häufig Gebrauch von dieser Möglichkeit gemacht.

[171] In Spanien sind schriftliche Zeugenaussagen in bestimmten Fällen zulässig (Artikel 381 Zivilprozessordnung).

[172] Schriftliche Zeugenerklärungen sind nur dann zulässig, wenn die Zeugenvernehmung während oder außerhalb der Hauptverhandlung oder bei Gericht nicht möglich ist, oder wenn besondere Gründe vorliegen, in Bezug auf Kosten oder Unannehmlichkeiten, die nach Ansicht des Gerichts mit einer Vernehmung während oder außerhalb der Hauptverhandlung verbunden wären, in Bezug auf den Beitrag zum Verfahren, den es sich von einer solchen Vernehmung erwartet, auf die Bedeutung der Aussage oder auf sonstige Umstände. Von dieser Möglichkeit wird jedoch selten Gebrauch gemacht und die Vorschriften werden demzufolge restriktiv angewandt.

4.3.8. Einführung eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens

Die Möglichkeit eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens (statt mündlicher Verhandlungen) besteht derzeit in Schweden [173], Nordirland [174], Schottland [175], Deutschland, England/Wales und Spanien.

[173] Von dieser Möglichkeit wird dann Gebrauch gemacht, wenn mündliche Verhandlungen unter Berücksichtigung der Sachlage nicht erforderlich sind und von keiner Partei verlangt werden.

[174] Ein ausschließlich schriftliches Verfahren ist nach den Rechtsvorschriften zwar zulässig, spielt jedoch in der Praxis keine große Rolle. Die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens eröffnet Antragstellern, die nicht im Gerichtsbezirk wohnen, gleichwohl die (tatsächlich auch wahrgenommene) Möglichkeit, ihre Anträge schriftlich zu begründen und nicht persönlich vor Gericht zu erscheinen. In streitigen Fällen kann es sich allerdings für den Antragsteller nachteilig auswirken, wenn er nicht zur Verhandlung erscheint und sich allein auf seine schriftlichen Erklärungen verlässt.

[175] Das schriftliche Verfahren in Schottland gilt nur für unstreitige Ansprüche.

In Deutschland sind schriftliche Verfahren die Regel. Die Parteien können jedoch die mündliche Verhandlung verlangen.

In England kann ein Urteil nur dann nach einem ausschließlich schriftlichen Verfahren ergehen, wenn dies nach Meinung des Richters angebracht ist und die Parteien dem zustimmen; derartige Fälle sind jedoch selten.

4.3.9. Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an das Urteil und zeitliche Vorgaben

In Deutschland braucht das Urteil in einem Verfahren mit geringem Streitwert keine Sachverhaltsdarstellung zu enthalten. Für die rechtliche Begründung reicht es aus, wenn die wesentlichen Gründe zu Protokoll gegeben wurden.

Eine allgemeine zeitliche Vorgabe für die Erledigung einer Rechtssache gibt es in keinem Mitgliedstaat.

Eine Frist für die Urteilsverkündung gilt gegenwärtig in Spanien [176] (10 Tage), Schweden (14 Tage), Schottland (28 Tage) und Österreich (4 Wochen) [177].

[176] Die Nichteinhaltung dieser Frist hat jedoch keine rechtlichen Konsequenzen.

[177] Die Nichteinhaltung dieser Frist hat jedoch keine rechtlichen Konsequenzen.

4.3.10. Kosten

Die Verfahrensregeln in Bezug auf die Kostenerstattung weisen erhebliche Unterschiede auf. In vielen Mitgliedstaaten hat der Beklagte, wenn er unterliegt, sämtliche Kosten zu tragen.

In England/Wales, Schottland, Frankreich [178], Irland, Nordirland [179] und Schweden gelten jedoch bestimmte Grenzen für die Kostenerstattung. Sie reichen von Nichterstattung (Irland) bis zur Beschränkung auf die Gerichtsgebühren (Nordirland) und auf feste Hoechstbeträge, die in manchen Fällen vom Streitwert abhängen (England/Wales, Schottland, Schweden).

[178] Die Begrenzung der Kostenerstattung ist in Artikel 695 Zivilprozessordnung geregelt.

[179] In Nordirland sind nur die regulären Gerichtsgebühren zu tragen, es sei denn, der District Judge gelangt zu der Überzeugung, dass sich eine der Parteien unangemessen verhalten hat (in diesem Fall kann er dieser Partei sämtliche Kosten einschließlich Zeugenentschädigungen auferlegen), oder das Verfahren wurde als ordentliches Zivilverfahren eingeleitet (in diesem Fall können sämtliche Kosten auferlegt werden).

4.3.11. Ausschluss/Beschränkung von Rechtsmitteln

Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten hinsichtlich einer möglichen Beschränkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen in Verfahren mit geringem Streitwert weisen erhebliche Unterschiede auf.

In Irland und Spanien [180] gelten keinerlei Beschränkungen der Rechtsmittel.

[180] In Spanien gelten jedoch Beschränkungen hinsichtlich der zulässigen Beweismittel (Artikel 460 Zivilprozessordnung).

In Schottland kann sich das Rechtsmittel nur auf Rechtsfragen beziehen.

In Schweden unterliegt das Rechtsmittel einer vorherigen Zulassung, die gewährt wird, wenn besondere Umstände vorliegen, z. B. die Bedeutung des Falls für die Anwendung des Rechts.

In England/Wales muss ein Rechtsmittel in jedem Fall zunächst zugelassen werden, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die die Freiheit des Einzelnen berühren.

In Nordirland ist das Recht, Rechtsmittel einzulegen, in Verfahren mit geringem Streitwert derzeit stark eingeschränkt [181]. Allerdings gibt es Vorschläge für Gesetzesänderungen, durch die dieses Recht erweitert wird.

[181] Der District Judge hat die Möglichkeit bzw. auf Anordnung des High Court die Pflicht, dem High Court jede Rechtsfrage, die sich aus einem Urteilsspruch ergibt, zur Entscheidung vorzulegen.

In Frankreich und Deutschland unterliegt die Möglichkeit, ein Rechtsmittel einzulegen, bestimmten Streitwertgrenzen (25 000 FRF = 3811 EUR in Frankreich bzw. 600 EUR in Deutschland), die in der Praxis bedeuten, dass in Verfahren mit geringem Streitwert kein Rechtsmittel eingelegt werden kann. In Deutschland wird die Berufung gleichwohl zugelassen, wenn es sich um einen Fall von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

In Österreich kann gegen Urteile über Ansprüche unterhalb 2000 EUR nur Berufung eingelegt werden, wenn Nichtigkeit (gravierende Verfahrensfehler) geltend gemacht wird oder wenn es sich um Rechtsfragen handelt. [182]

[182] Eine Berufung, die sich auf Tatsachenbehauptungen oder die Bewertung von Beweismitteln stützt, ist ausgeschlossen ( 501 Zivilprozessordnung).

4.4. HANDLUNGSBEDARF AUF GEMEINSCHAFTSEBENE

Wie bereits erwähnt nimmt der mit dem Rechtsweg verbundene Zeit-/Kostenaufwand und Ärger nicht unbedingt proportional zur Höhe der Forderung ab. Im Gegenteil wiegen diese Hindernisse umso schwerer je geringfügiger der Anspruch. Aus diesem Grund haben viele Mitgliedstaaten vereinfachte zivilrechtliche Verfahren für Bagatellsachen eingeführt.

Der Studie ,Cost of Judicial Barriers for Consumers in the Single Market" aus dem Jahr 1995 [183] sind folgende Fakten zu entnehmen, die sich zwar auf Verbrauchersachen mit geringem Streitwert beziehen, gleichwohl von allgemeinerem Interesse sind:

[183] Cost of Judicial Barriers for Consumers in the Single Market, Hanno von Freyhold, Volkmar Gessner, Enzo L. Vial, Helmut Wagner (Eds.), A Report for the European Commission (Directorate General XXIV), Zentrum für Europäische Rechtspolitik an der Universität Bremen, October/November 1995, erhältlich unter: http://www.freyvial.de/Publications/ egi-2.pdf

* 24 % der Bürger in den Mitgliedstaaten erwerben gelegentlich (meist während einer Auslandsreise) Waren oder Dienstleistungen bis zu einem Wert von 2000 EUR in anderen EU-Staaten. [184] 10 % dieser Verbraucher sind unzufrieden und zwei Drittel sind nicht willens oder nicht in der Lage, ihre Ansprüche geltend zu machen. Die Erhebung zeigt auch, dass der Binnenmarkt für langlebige Güter praktisch inexistent ist. Aufgrund der Gefahr, Instandsetzungs- oder Geldrückgabeansprüche nicht geltend machen zu können, werden derartige Güter selten im Ausland gekauft.

[184] Eurobarometer-Erhebung vom 17. Mai 1995 (43.0).

* Die Gesamtkosten eines grenzüberschreitenden Verfahrens zur Durchsetzung eines verbraucherrechtlichen Anspruchs im Wert von 2000 EUR schwanken je nach beteiligten Mitgliedstaaten zwischen 980 EUR und 6600 EUR; bei einem Verfahren am Wohnsitzort des Beklagten liegen die durchschnittlichen Kosten bei 2489 EUR. Die Mindest- und die Durchschnittskosten eines Verfahrens am Wohnsitzort des Klägers sind rund 3 % niedriger, die Hoechstkosten sogar 11 % niedriger als bei einem Verfahren am Wohnsitzort des Beklagten. Da der Kläger selbst dann einen Teil der Kosten zu tragen hat, wenn er obsiegt, und immer die Gefahr besteht, im Falle des Scheiterns die gesamten Kosten tragen zu müssen, wird ein vernünftiger Verbraucher nicht wegen 2000 EUR vor Gericht gehen.

* Darüber hinaus ziehen die Verbraucher auch die Dauer des Rechtswegs in Betracht. Entscheidende Faktoren sind in diesem Zusammenhang das Verfahren (insbesondere die Zustellung von Schriftstücken) und die Vollstreckung. Während es in manchen Mitgliedstaaten Verfahren gibt, die ein Jahr oder weniger dauern können, benötigen die für verbraucherrechtliche Ansprüche mit geringem Streitwert zuständigen Gerichte in Irland und vor allem in Italien zur Streitbeilegung mehrere Jahre. Im Durchschnitt dauert ein grenzüberschreitender Zivilprozess in Europa nahezu 2 Jahre, wenn der Wohnsitz des Beklagten Gerichtsstand ist, und 2 1/2 Jahre, wenn der Wohnsitz des Klägers Gerichtsstand ist (weil in diesem Fall die Zustellung von Schriftstücken und das Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren die Verfahrensdauer verlängern).

* Die Daten deuten auf eine gewisse Rechtsunsicherheit für Verbraucher im Binnenmarkt hin. Das hat zur Folge, dass gut informierte Verbraucher unbekannte Märkte meiden, und schlecht informierte Verbraucher bei Käufen im Ausland Risiken eingehen. Die für die Beilegung grenzüberschreitender Streitigkeiten vorhandenen Strukturen sind alles andere als vertrauenswürdig, leicht zugänglich und wirksam. Berechnungen der unmittelbaren Kosten für den Verbraucher deuten darauf hin, dass die Gesamtkosten der Rechtsunsicherheit für Verbraucher im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr beträchtlich sind. Wenn man die verschiedenen Kostenarten addiert, kommt man auf Gesamtkosten in der Größenordnung von 7230-73 790 Millionen EUR.

Die Tatsache, dass die Schwierigkeiten, die einer raschen und kostengünstigen Urteilsfindung entgegenstehen, in Rechtssachen mit grenzüberschreitendem Bezug offensichtlich verschärft werden, wird auch in dem Bericht der interdisziplinären Sachverständigentagung zum Thema grenzüberschreitende Erledigung von Rechtssachen mit geringem Streitwert in Europa hervorgehoben, die 1998 unter der Schirmherrschaft der britischen EU-Präsidentschaft stattfand. [185] Mangelnde Kenntnisse über die Rechtsordnung anderer Mitgliedstaaten und die daraus resultierende Notwendigkeit, einen Rechtsanwalt zu konsultieren, der mit der Zustellung von Schriftstücken an eine Partei in einem anderen Mitgliedstaat verbundene höhere Zeitaufwand und die zusätzlichen Kosten für Übersetzungen sind nur einige der Faktoren, die zu dieser Sachlage beitragen. Aus diesen Gründen stehen die Kosten, die damit verbunden sind, ein Urteil gegen einen Beklagten in einem anderen Mitgliedstaat zu erwirken, häufig in keinem Verhältnis zu der Summe, um die es geht; dies gilt umso mehr für geringfügige Ansprüche. Wenn es in diesem Fall an einem Verfahren fehlt, das in einem angemessenen Verhältnis zum Streitwert steht, entweder weil die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats ein solches Verfahren nicht vorsieht oder seine Anwendung für Rechtssachen mit grenzüberschreitendem Bezug ausschließt, wird es für den Gläubiger fragwürdig, ob der Rechtsweg in seinem Fall wirtschaftlich sinnvoll ist. Viele Gläubiger geben angesichts der Verfahrenskosten und eingeschüchtert durch die zu erwartenden praktischen Schwierigkeiten jede Hoffnung auf, Ansprüche, die ihnen ihrer Ansicht nach rechtmäßig zustehen, tatsächlich durchsetzen zu können.

[185] Multidisciplinary Conference of Experts, Resolving Small Claims Across European Borders, 22./23. Juni 1998, Down Hall, Hatfield Heath, Hertfordshire.

Um der Kommission die Mittel an die Hand zu geben, den Handlungsbedarf auf Gemeinschaftsebene und die Art der erforderlichen Maßnahmen besser einzuschätzen, verfolgt das vorliegende Grünbuch u. a. das Ziel, mehr Informationen über die Funktionsweise der bestehenden Verfahren für Ansprüche mit geringem Streitwert zu sammeln. Die bloße Analyse des vorhandenen verfahrensrechtlichen Rahmens reicht nicht aus, um die richtigen Schlüsse hinsichtlich der Leistungsfähigkeit eines spezifischen Verfahrens in seiner täglichen Anwendung zu ziehen. Je unterschiedlicher die Akzeptanz und der Erfolg der Verfahren, die der einfacheren und schnelleren Beilegung von Streitigkeiten mit geringem Streitwert und grenzüberschreitendem Bezug dienen, desto ausgeprägter das oben skizzierte Ungleichgewicht und desto dringender der Bedarf für eine Annäherung innerhalb der Gemeinschaft.

In diesem Zusammenhang sollte klargestellt werden, dass sich eine etwaige EU-Regelung für geringfügige Forderungen in die bestehenden ebenso wie in künftige EU-Vorschriften im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen einfügen würde. Bei grenzübergreifenden Bagatellsachen würde die Zustellung nach Maßgabe der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten erfolgen. [186] Der Umstand, dass ein Schuldner eine Forderung in einem europäischen Mahnverfahren (siehe Teil II dieses Grünbuchs) angefochten hat, ist für das anschließende Verfahren (ordentliches Verfahren oder Verfahren für geringfügige Forderungen, sofern es sich bei dem streitigen Anspruch um eine geringfügige Forderung handelt) unerheblich. Ein in einem Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil, das eine unbestrittene Forderung betrifft, könnte als europäischer Vollstreckungstitel gelten (sobald die entsprechende Verordnung [187] erlassen ist und die übrigen Voraussetzungen für die Erteilung eines solchen Titels erfuellt sind).

[186] ABl. L 160 vom 30.6.2000, S. 37.

[187] KOM (2002) 159 endg., Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen.

Frage 32:

Sind bei der Anwendung der Verfahren für geringfügige Forderungen in Ihrem Mitgliedstaat Probleme aufgetreten und wenn ja, welche? Geben Sie bitte an, wie hoch die Akzeptanz dieser Verfahren ist und wie erfolgreich sie in der Praxis sind. Gelten diese Verfahren auch für Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug, bei denen entweder der Kläger oder der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat? Welche Probleme treten gegenwärtig bei der grenzüberschreitenden gerichtlichen Durchsetzung von geringfügigen Forderungen auf?

Im Zusammenhang mit der Akzeptanz und dem Erfolg der bestehenden Verfahren sei ferner darauf hingewiesen, dass es nach Erlass einer EG-Regelung für geringfügige Forderungen in erster Linie darauf ankommen wird, die Bürger über dieses neue Verfahren zu informieren, damit auch in der Praxis ein effektiver Zugang zum Recht gewährleistet ist. Ein Weg, um die Öffentlichkeit und die Fachwelt über dieses Verfahren zu informieren, besteht darin, auf die Zusammenarbeit zwischen den zuständigen einzelstaatlichen Behörden, insbesondere über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen (das mit Entscheidung 2001/470/EG des Rates [188] eingerichtet wurde), zurückzugreifen.

[188] Entscheidung des Rates vom 28. Mai 2001über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl. L 174 vom 27.6.2001, S. 25.

Frage 33:

Auf welche Weise können die EU-Bürger am besten über eine neue Gemeinschaftsregelung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen informiert werden?

5. ANWENDUNGSBEREICH EINER REGELUNG FÜR GERINGFÜGIGE FORDERUNGEN

Abgesehen von den zwei Fragenkomplexen, auf die in der Einführung hingewiesen wurde (Teil I: geeignetes Rechtsinstrument, Anwendbarkeit nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen), stellen sich bei einer künftigen Gemeinschaftsregelung für geringfügige Forderungen eine Reihe weiterer Fragen, die zwei verschiedenen Kategorien zuzuordnen sind:

- Der eine Fragenkomplex steht im Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Regelung für geringfügige Forderungen. Dabei geht es u. a. um die Frage der Streitwertgrenze für Bagatellsachen, für welche Arten von Streitigkeiten das Bagatellverfahren gelten sollte und ob es zwingend vorgeschrieben oder fakultativ sein sollte. Mit dieser Frage befasst sich das folgende Kapitel.

- Der zweite Fragenkomplex betrifft die konkreten Verfahrensregeln, durch die sich das Bagatellverfahren vom ordentlichen Verfahren unterscheidet, d. h. es geht um die Frage, welche Verfahrensregeln denkbar sind und geeignet wären, um sicherzustellen, dass Einzelpersonen und Unternehmen nicht daran gehindert oder davon abgehalten werden, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Die betreffenden Verfahrensregeln berühren alle Verfahrensstufen eines Zivilprozesses (Einleitung des Verfahrens, Verfahrensablauf, Entscheidung und Kosten, Vollstreckbarkeit der Entscheidung und Anfechtung). Mit dieser Frage befasst sich das anschließende Kapitel (6.).

Eine künftige Gemeinschaftsregelung für geringfügige Forderungen wirft eine Reihe spezifischer Fragen in Bezug auf ihren Anwendungsbereich auf: Welche Streitwertgrenze soll für das Bagatellverfahren gelten, für welche Arten von Streitigkeiten soll das Bagatellverfahren anwendbar sein und sollte das Verfahren zwingend vorgeschrieben oder fakultativ sein? Alle drei Fragen sind bis zu einem gewissen Grad miteinander verknüpft.

5.1. Streitwertgrenze

Da es sich bei den Begriffen ,Bagatellsache" oder ,geringfügige Forderung" um quantitativ bestimmte Begriffe handelt, erscheint die Festsetzung einer quantitativen Obergrenze auf Grundlage des Streitwerts erforderlich. Ansprüche unterhalb dieses Grenzwerts wären dann als ,geringfügig" bzw. als Bagatellsache einzustufen. Zwar wird in manchen Rechtsordnungen die Wahl zwischen dem ordentlichen Verfahren und den vereinfachten Verfahrensformen nicht auf Grundlage des geltend gemachten Betrags (d. h. auf quantitativer Basis) getroffen, sondern anhand qualitativer Kriterien (siehe 4.3). Die vereinfachten Verfahrensformen werden in einfacheren, weniger komplexen Fällen ungeachtet des geltend gemachten Betrags verwendet. Nichtsdestotrotz dürfte eine quantitative Definition vorzuziehen sein, denn eine Rechtssache, die keine größeren Rechtsfragen berührt und deren Sachlage klar ist, die jedoch einen hohen Streitwert hat, kann kaum als Bagatellsache eingestuft werden.

Die Streitwertgrenze für Bagatellverfahren ist in den Mitgliedstaaten, in denen derartige Verfahren existieren, sehr unterschiedlich (zwischen 600 EUR und 8234 EUR). Dabei scheint es eine generelle Tendenz zur Anhebung dieser Grenzwerte zu geben.

Die Streitwertgrenze sollte nicht zu niedrig angesetzt werden, um sicherzustellen, dass das Bagatellverfahren über einen Anwendungsbereich von ausreichender praktischer Bedeutung verfügt und - im Einklang mit den Schlussfolgerungen von Tampere - unmittelbare Auswirkungen auf das tägliche Leben der Bürger hat. Andererseits könnte sich auch eine zu hoch angesetzte Streitwertgrenze als problematisch erweisen. Die Vereinfachung der Verfahrensregeln ist nur in Fällen gerechtfertigt, in denen die Gerichtskosten in keinem Verhältnis zum Streitwert stehen. Ein zu hoher Grenzwert könnte sich aufgrund von Überlegungen, die den wirksamen Rechtsschutz der Bürger betreffen, als Hindernis für die Einführung signifikanter Vereinfachungen des Verfahrensrechts erweisen. Als annehmbarer Kompromiss wäre eine Streitwertgrenze zwischen 1000 EUR und 2000 EUR vorstellbar. Im Falle eines fakultativen Verfahrens (siehe 5.3) wäre eine höhere Streitwertgrenze denkbar, da in jedem Fall die Anwendung des ordentlichen Verfahrens möglich wäre.

Vorstellbar wäre auch eine gemeinsame Mindeststreitwertgrenze, unterhalb derer das Bagatellverfahren in allen Mitgliedstaaten anzuwenden wäre, wobei den Mitgliedstaaten jedoch die Möglichkeit offen stuende, einen höheren Grenzwert anzusetzen. Auch die Festsetzung eines zusätzlichen maximalen Grenzwerts könnte in Erwägung gezogen werden.

Frage 34:

Sollte es eine Streitwertgrenze für Bagatellverfahren geben?

Wenn ja, wo sollte die Grenze für einen geringfügigen Streitwert gezogen werden?

Sollte es eine einheitliche Streitwertgrenze für alle Mitgliedstaaten geben?

Oder wäre ein gemeinschaftsweit geltender Mindestgrenzwert (und Hoechstgrenzwert) ausreichend?

5.2. Arten von Streitigkeiten

Während das Mahnverfahren darauf abzielt, für unstreitige Ansprüche binnen eines angemessenen Zeitraums einen vollstreckbaren Titel zu erwirken (möglicherweise durch Einsatz der Datenverarbeitung), ist das Bagatellverfahren für Forderungen gedacht, die vom Beklagten bestritten werden. Daher liegt kaum ein Grund vor, das Bagatellverfahren auf Zahlungsansprüche zu beschränken. Da die Sache vor einem Richter verhandelt wird - und sei es in einem noch so vereinfachten Verfahren -, muss das Urteil nicht so abgefasst werden, dass es durch Ankreuzen von Kästchen in einen Vordruck übernommen werden kann (was im Falle von nicht auf Zahlung gerichteteten Ansprüchen Schwierigkeiten bereiten könnte). Auch aus diesem Grund gelten in den meisten Mitgliedstaaten, die über Bagatellverfahren verfügen, derartige Verfahren nicht nur für Geldforderungen.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Verfahren auf bestimmte Arten von Streitigkeiten beschränkt werden sollte bzw. ob bestimmte Anspruchsarten von diesem Verfahren ausgeschlossen werden sollten. In den Rechtsvorschriften einiger Mitgliedstaaten sind derartige Einschränkungen vorgesehen.

Die Schlussfolgerungen von Tampere beziehen sich auf besondere gemeinsame Verfahrensregeln für vereinfachte und beschleunigte grenzüberschreitende Gerichtsverfahren bei ,verbraucher- und handelsrechtlichen Klagen mit geringem Streitwert sowie bei Unterhaltsklagen".

Mit dem Bagatellverfahren sollen langwierige und kostspielige Verfahren für Streitigkeiten mit geringem Streitwert vermieden werden. Daher würde es zunächst logisch erscheinen, das Verfahren auf zivil- und handelsrechtliche Streitsachen aller Art anzuwenden. Dies könnte jedoch in Fällen, in denen eine substanzielle und kostenintensive Beweisaufnahme (z. B. Sachverständige) erforderlich ist, Probleme aufwerfen. Andererseits wären flexible Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme denkbar, die dem Richter in diesem Punkt erhebliche Ermessensfreiheit einräumt (s. u. 6.4). Darüber hinaus könnte es schwierig sein, bestimmte Arten von Streitigkeiten zu bestimmen, die in der Regel komplexer und daher für ein Bagatellverfahren ungeeignet sind. Selbst bei Schadensersatzansprüchen, die eher zu den komplexeren Fällen zählen dürften, könnte ein gegebenenfalls erforderliches Gutachten in schriftlicher Form abgegeben werden, so dass ein schriftliches Verfahren machbar wäre. In diesem Zusammenhang sind zwei weitere Fragen relevant: die Kostenerstattung und die Frage, ob das Verfahren zwingend vorgeschrieben oder fakultativ ist. Wenn die Erstattung von Sachverständigenentschädigungen (die selbst in Streitigkeiten über einfache vertragliche Ansprüche notwendig werden kann) in einem obligatorischen Bagatellverfahren beschränkt werden sollte, würde fraglich, ob die Durchsetzung von Ansprüchen, die durch derartige Beweismittel belegt werden müssten, noch wirtschaftlich sinnvoll wäre.

Bei der Bestimmung der geeigneten Arten von Streitigkeiten muss auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass in manchen Mitgliedstaaten bestimmte Streitigkeiten (z. B. familienrechtliche Sachen) nicht im ordentlichen Zivilverfahren behandelt werden. Daher könnte sich die Einführung eines Bagatellverfahrens als vereinfachtes ordentliches Verfahren für derartige Rechtssachen als problematisch erweisen.

Bei nicht auf Zahlung gerichteten Ansprüchen bestimmt im Allgemeinen der Kläger den Streitwert. Ist das Bagatellverfahren für Streitigkeiten mit geringem Streitwert zwingend vorgeschrieben, wäre es also Sache des Klägers zu bestimmen, ob das Verfahren auf seinen Anspruch anzuwenden ist oder nicht. Um möglichem Missbrauch vorzubeugen, wird der Streitwert in einigen Mitgliedstaaten vom Richter festgesetzt.

Frage 35:

Sollte das Bagatellverfahren auf Zahlungsansprüche beschränkt werden?

Frage 36:

Auf welche Arten von Streitigkeiten sollte das Bagatellverfahren anwendbar sein?

Sollten bestimmte zivil- und handelsrechtliche Streitsachen ausgeschlossen werden?

Oder sollte das Verfahren nur für bestimmte, ausdrücklich aufgeführte zivil- und handelsrechtliche Streitsachen anwendbar sein?

5.3. Obligatorisches oder fakultatives Bagatellverfahren

Fakultatives Verfahren

Es wäre denkbar, ein zusätzliches europäisches Bagatellverfahren in Form eines fakultativen Verfahrens, wie es derzeit in Frankreich, Irland und Nordirland existiert, zu schaffen, von dem die vorhandenen einzelstaatlichen Verfahren unberührt bleiben. Das hätte jedoch zur Folge, dass das Bagatellverfahren in der Praxis kaum genutzt würde, vor allem dann nicht, wenn es nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug anwendbar wäre.

Es wäre auch zu prüfen, bei wem die Entscheidung für oder gegen das Bagatellverfahren liegen sollte. Um zu gewährleisten, dass die Parteien gleiche Rechte im Verfahren genießen, scheint es sinnvoll, dass der Kläger das Verfahren als Bagatellverfahren einleiten, der Beklagte jedoch Einspruch hiergegen erheben könnte, so dass das ordentliche Verfahren anzuwenden wäre. Das Bagatellverfahren wäre demzufolge nur mit Zustimmung beider Parteien anzuwenden. Da die Parteien jedoch häufig gegensätzliche Interessen verfolgen und daher nicht in allen Fällen beide für ein kurzes Verfahren sind, könnte die praktische Anwendung des Verfahrens erheblich eingeschränkt werden.

Obligatorisches Verfahren

Ein obligatorisches Verfahren (wie in Deutschland, England/Wales, Schottland, Spanien und Schweden) würde einen umfassenderen Anwendungsbereich des Bagatellverfahrens gewährleisten, vor allem dann, wenn es nicht nur für Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug gälte. Gleichwohl könnte es in bestimmten Fällen sinnvoller sein, das Normalverfahren anzuwenden, obwohl der Streitwert unterhalb des Grenzwerts für geringfügige Forderungen liegt. Um diese Entscheidung nicht den Parteien zu überlassen, wäre zu erwägen, die Überleitung eines Bagatellverfahrens in ein ordentliches Verfahren in das Ermessen des Richters zu stellen. Eine solche Entscheidung hätte Auswirkungen auf alle anderen verfahrensrechtlichen Vereinfachungen im Bagatellverfahren (z. B. Einschränkungen der Rechtsmittel). In den meisten Fällen wird der Richter die Überleitung in das ordentliche Verfahren erwägen, um die normalen Vorschriften für die Beweisaufnahme anwenden zu können. Daher wäre es denkbar, den Richter zu ermächtigen, die normalen Vorschriften der Beweisaufnahme auch ohne Überleitung des Verfahrens anzuwenden, wobei die übrigen Regeln des vereinfachten Verfahrens von dieser Ermessensfreiheit ausgenommen wären (s. u. 6.4).

Dabei sollte man sich vor Augen halten, dass diese Frage im Zusammenhang mit den Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrensrechts steht, beispielsweise dem Verzicht auf eine mündliche Verhandlung oder den Einschränkungen der Kostenerstattung und ihren Folgen.

Frage 37:

Sollte das Bagatellverfahren obligatorisch oder fakultativ sein?

Sollte das Gericht die Möglichkeit haben, ein Bagatellverfahren in ein ordentliches Verfahren überzuleiten?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Sollten die Parteien die Möglichkeit haben, ein Bagatellverfahren in ein ordentliches Verfahren überzuleiten?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

6. VEREINFACHUNG DES VERFAHRENSRECHTS

Eine Vereinfachung der Verfahrensvorschriften bei geringfügigen Forderungen ist auf allen Verfahrensstufen möglich (Beginn des Verfahrens, Verfahrensablauf, Entscheidung und Kosten, Vollstreckbarkeit der Entscheidung und Anfechtung). Die hier genannten Möglichkeiten sind in der einen oder anderen Form in den bestehenden Bagatellverfahren (und in gewissem Umfang auch in den ordentlichen Verfahren anderer Mitgliedstaaten) zu finden, stellen jedoch nur eine Auswahl aus einem sehr viel breiteren Spektrum dar. Den folgenden Vorschlägen zur Vereinfachung des Verfahrensrechts liegt die Absicht zugrunde, den Verfahrensaufwand im Hinblick auf den geringen Streitwert in Grenzen zu halten und das Verfahren so benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, gleichzeitig jedoch dem Bürger durch ein rechtsstaatliches Verfahren einen wirksamen Rechtsschutz zu garantieren.

6.1. Gemeinsame Mindestvorschriften für Formulare

Ein einfach auszufuellendes und auf die absolut notwendigen Angaben beschränktes Standardformular würde die Verfahrenseinleitung erheblich erleichtern.

Zu den unverzichtbaren Angaben könnten gehören:

- Name und Anschrift der Parteien und des Gerichts,

- der geltend gemachte Anspruch, einschließlich einer kurzen Beschreibung der Sachlage,

- Datum und Unterschrift.

Auch in den Schlussfolgerungen von Tampere (Rdnr. 31) werden gemeinsame Mindeststandards für mehrsprachige Formulare erwähnt.

Ziel sollte ein Formblatt sein, das keine Angaben verlangt, für die der Antragsteller juristischen Beistand benötigen würde (z. B. rechtliche Ausführungen oder die juristisch korrekte Formulierung der beantragten Entscheidung). Falls erforderlich könnte der Richter oder ein Gerichtsbediensteter den Parteien Anleitungen zu Ergänzungen geben, die im Laufe des Verfahrens erforderlich werden (s. u. 6.2). Zur Vermeidung von Problemen könnte das Formblatt Ausfuellanweisungen enthalten. Das vereinfachte europäische Formular, das von der Kommission im Aktionsplan für den Zugang der Verbraucher zum Recht und die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten der Verbraucher im Binnenmarkt [189] von 1996 vorgeschlagen wurde, und die bereits bei der Kommission erhältlichen Formblätter für Verbraucherbeschwerden [190] könnten als Vorlage herangezogen werden.

[189] KOM (1996) 13 endg.

[190] http://europa.eu.int/comm/consumers/ policy/developments/acce_just/acce_just03_de.html

In dem Aktionsplan schlug die Kommission die Einführung eines vereinfachten europäischen Formblatts vor, um auf diese Weise den Zugang zu den Gerichten zu verbessern.

Auch für die weiteren Verfahrensstufen (z. B. die Klageerwiderung des Beklagten) wäre die Einführung von Formblättern vorstellbar.

Diese könnten auch über das Internet bereitgestellt werden. Das würde die Dinge vor allem für Parteien erleichtern, die ihren Wohnsitz nicht in dem Mitgliedstaat haben, in dem sich das Gericht befindet, insbesondere dann, wenn sich trotz aller Bemühungen um eine Harmonisierung zwischen den Mitgliedstaaten geringfügige Unterschiede in den Formularen als notwendig erweisen.

Es wäre in Betracht zu ziehen, für die Verfahrenseinleitung und die weitere Kommunikation zwischen den Prozessparteien und dem Gericht die Verwendung moderner Kommunikationsmittel wie Fax oder E-Mail zuzulassen. Während Mitteilungen per Fax in zunehmendem Maße von den Gerichten akzeptiert werden, ist die Kommunikation auf elektronischem Wege nur in Ausnahmefällen möglich und nur über spezielle Datenübertragungssysteme. Auch Mitteilungen per E-Mail sind aufgrund der schwierigen Verifizierung der Authentizität des Dokuments problematisch. Im Hinblick auf den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen für elektronische Signaturen [191] könnte sich die Verfahrenseinleitung per E-Mail jedoch künftig stärker durchsetzen. Zu beachten ist ferner, dass die technischen Kommunikationsmöglichkeiten ein allgemeiner Aspekt des Zivilverfahrens sind und kein spezifisches Problem des Bagatellverfahrens.

[191] Siehe insbesondere die Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. L 13 vom 19.1.2000, S. 12.

Frage 38:

Sollten gemeinsame Mindeststandards für Formulare eingeführt werden?

Wenn ja, welche Vorschriften wären denkbar?

Für welche Verfahrensstufen sollten die Formulare verwendet werden?

Sollte der Einsatz moderner Kommunikationsmittel ermöglicht werden?

6.2. Vertretung und Beistand

Da Bagatellverfahren u. a. zum Ziel haben, den Parteien eine rasche und kostengünstige Streitbeilegung zu ermöglichen, ist es in keinem Mitgliedstaat zwingend vorgeschrieben, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen; es ist jedoch in allen Mitgliedstaaten möglich. Der vorhandene Rechtsrahmen erscheint zufriedenstellend, da das Bagatellverfahren vor allem juristischen Laien den Zugang zum Recht erleichtern sollte und da der anwaltlichen Vertretung nichts entgegensteht.

Eine weitere Verbesserung könnte die Möglichkeit darstellen, sich durch Laien vertreten zu lassen, wie sie bereits in einigen Mitgliedstaaten besteht (Deutschland, England/Wales, Schottland und Nordirland). Diese Option könnte in erster Linie für Unternehmen von Interesse sein, die sich insbesondere in einfach gelagerten Fällen durch eigene Mitarbeiter vertreten lassen könnten.

Tatsächlich verzichten die Parteien in vielen Fällen auf einen Rechtsanwalt. Um ihnen dennoch wirksamen Beistand zu gewähren, bieten viele Mitgliedstaaten Hilfestellung durch Gerichtsbedienstete bei der Einleitung des Verfahrens, vor allem beim Ausfuellen von Formularen, an. Auf diese Weise lassen sich u. U. Verzögerungen vermeiden, die durch unvollständige Anträge und nachträgliche Korrekturen entstehen.

Nichtjuristen könnten allerdings in späteren Verfahrensstufen weiterer Unterstützung bedürfen. Daher sind in den Bagatellverfahren der meisten Mitgliedstaaten ausführliche Schriftsätze nicht erforderlich und der Richter ist in gewissem Umfang zur Belehrung der Parteien verpflichtet. Er sollte auf eine vollständige Klärung der Sachlage hinarbeiten und die Parteien insbesondere in Verfahrensfragen unterstützen. Im Interesse einer besseren Handhabbarkeit des Bagatellverfahrens wäre eine Verpflichtung des Richters zur Belehrung der Parteien denkbar. Auch im Falle einer weitreichenden Hinweispflicht müsste selbstverständlich Sorge getragen werden, dass der Richter seine Neutralität bewahrt und keine eigenen Ermittlungen von Amts wegen durchführen darf.

Die Unterstützung für Laien könnte durch die Möglichkeit der unmittelbaren Klageerhebung bei Gericht, d. h. durch mündlichen Antrag zu Protokoll, vervollständigt werden, da sich auf diese Weise die Schwellenangst von Menschen abbauen ließe, die im Umgang mit Behörden unerfahren sind.

Frage 39:

Sollten nicht anwaltlich vertretene Streitparteien in verfahrensrechtlichen Fragen Hilfestellung erhalten?

Falls ja, in welchem Umfang?

Sollte eine Vertretung durch Laien möglich sein?

6.3. Alternative Verfahren der Streitbeilegung

Als weitere Verfahrensvariante für Bagatellverfahren könnten Formen der alternativen Streitbeilegung (beispielsweise Schlichtung, Mediation und informelle Gespräche) eingeführt werden. (Die alternative Streitbeilegung wird im Folgenden auch mit dem englischen Akronym ,ADR" für ,Alternative Dispute Resolution" bezeichnet.) Sie wären mit dem Vorteil verbunden, die Arbeitsbelastung der Gerichte ebenso wie die Kosten zu verringern. Auf diese Weise wären Einsparungen in erheblichem Umfang zu erzielen, sowohl bei Gerichtsgebühren und anderen Kosten eines Rechtsstreits als auch hinsichtlich der von Parteien und Richter aufzubringenden Zeit und Energie. Außerdem dürfte die Herbeiführung eines Kompromisses weniger Zeit in Anspruch nehmen als die Erwirkung und Vollstreckung eines Gerichtsurteils. ADR-Verfahren könnten daher wesentlich dazu beitragen, die angestrebte Reduzierung des Kosten- und Zeitaufwands zu erreichen, die für alle zivil- und handelsrechtlichen Verfahren von Interesse ist, jedoch aus offensichtlichen Gründen in Bagatellverfahren besondere Bedeutung genießt.

Hinsichtlich der Frage, ob die alternative Streitbeilegung zwingend vorgeschrieben oder fakultativ sein sollte, sind verschiedene Möglichkeiten erwägenswert. Sie reichen vom schlichten Einräumen der Möglichkeit, ADR-Verfahren im Rahmen von gerichtlichen Verfahren in Anspruch zu nehmen, bis zur entsprechenden Aufforderung seitens der Gerichte. Es wäre sogar denkbar, die Inanspruchnahme einer ADR-Maßnahme zur zwingenden Voraussetzung für die Erwirkung einer richterlichen Entscheidung zu machen.

Gleichwohl ist zu beachten, dass die alternative Streitbeilegung ein allgemeiner Aspekt des Zivilverfahrens ist und kein spezifisches Thema im Zusammenhang mit Bagatellsachen. Aus diesem Grund hat sich die Kommission mit dieser Frage in einem eigenen Grünbuch befasst, dem Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht. [192]

[192] Grünbuch über alternative Verfahren zur Streitbeilegung im Zivil- und Handelsrecht, KOM(2002) 196 endg. (http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/gpr/ 2002/com2002_0196de01.pdf). Für Bagatellverfahren ist insbesondere das Kapitel ,ADR im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens" von Interesse.

Frage 40:

Sollten Formen der alternativen Streitbeilegung in Bagatellverfahren eingeführt werden?

Wenn ja, sollte ihre Inanspruchnahme fakultativ oder obligatorisch sein?

6.4. Lockerung bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme

Ein wesentlicher Aspekt der meisten Bagatellverfahren ist die Beweiserleichterung, um das Verfahren zu verkürzen und Kosten zu sparen.

Ein denkbarer Weg, diesem Ziel näher zu kommen, wäre eine Beschränkung der zulässigen Beweismittel. So könnten besonders kostenintensive Beweismittel (z. B. Sachverständige) ausgeschlossen werden. Allerdings könnte dies in bestimmten Fällen zur Folge haben, dass die Feststellung des Sachverhalts nahezu unmöglich wird.

Aus diesem Grund sehen fast alle Bagatellverfahren die Lockerung bestimmter Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme statt einer Beschränkung der Beweismittel vor.

Folgende Lösungen wären denkbar:

- Zulässigkeit schriftlicher Erklärungen von Zeugen und/oder Parteien

* Hierdurch wären insbesondere in grenzüberschreitenden Rechtssachen erhebliche Einsparungen bei den Reisekosten zu erzielen.

- Telefon- und Videokonferenzen

* Auch hierdurch ließen sich Reisekosten einsparen; darüber hinaus wäre diese Lösung mit dem zusätzlichen Vorteil des direkten Kontakts zwischen dem Gericht und den Parteien bzw. Zeugen verbunden. Sie könnte die Beweiswürdigung durch das Gericht erleichtern und würde die Möglichkeit der Befragung durch die gegnerische Partei eröffnen. Es liegt auf der Hand, dass die erforderlichen technischen Voraussetzungen geschaffen werden müssten.

- Zulassung bestimmter Beweismittel durch den Richter

Im Interesse eines möglichst umfassenden Geltungsbereichs des Bagatellverfahrens und seiner Anwendbarkeit auf die verschiedensten Arten von Streitigkeiten scheinen flexible Regeln für die Beweisaufnahme eine geeignete Lösung. Erwägenswert wäre auch, die Zulassung bestimmter Beweismittel im konkreten Fall in das Ermessen des Richters zu stellen, der demzufolge nicht an die normalen Vorschriften zur Beweisaufnahme gebunden wäre. Dies hätte zur Folge, dass der Richter die benötigten Beweismittel im Einzelfall gestützt auf seine Ausbildung und Erfahrung selbst bestimmen könnte und in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen ein mehr oder weniger förmliches Verfahren durchführen könnte. Auf den ersten Blick mag dies ein sehr weitgehender Vorschlag sein. Gleichwohl sollte geprüft werden, ob eine einfache und flexible Lösung dieser Art im Sinne der Beschleunigung und Vereinfachung des Verfahrens und unter Berücksichtigung des geringen Streitwerts akzeptabel wäre. In Deutschland wurde dieser Weg mit Erfolg beschritten. Es könnte auch ausdrücklich festgeschrieben werden, dass in jedem Fall das in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht auf ein faires Verfahren zu wahren ist.

Dieser Schritt könnte, wie in einigen Mitgliedstaaten (z. B. Schottland und Deutschland) geschehen, mit einer Einschränkung der Rechtsmittel (siehe 6.8) verbunden werden. Erwägenswert wäre ferner die Beschränkung der Gründe, aus denen Rechtsmittel eingelegt werden kann, auf Rechtsfragen und die Verletzung grundlegender Prinzipien eines fairen Verfahrens wie z. B. des Rechts auf rechtliches Gehör oder des Gebots der Unparteilichkeit. Auch Verfahrensfehler könnten vom Berufungsgericht als Gründe für die Anfechtung der Gerichtsentscheidung zugelassen werden.

Frage 41:

Sollte die Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme in bestimmten Punkten gelockert werden?

Wenn ja, welche und in welchem Umfang?

6.5. Einführung eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens

Eine weiter gehende Möglichkeit ist die Einführung eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens (ohne mündliche Verhandlung). Auf diese Weise lassen sich in einfach gelagerten Fällen in erheblichem Umfang Kosten sparen, insbesondere bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten, und die für die Urteilsverkündung notwendige Frist wäre deutlich kürzer.

Dabei könnte in Erwägung gezogen werden, dem Richter im Rahmen des oben (6.4) dargelegten Ermessensspielraums die Entscheidung zu überlassen, ob in einem spezifischen Fall eine mündliche Verhandlung erforderlich ist oder nicht. Auch dies wäre eine flexible Lösung, die an den Einzelfall angepasst werden könnte. Vor allem dann, wenn das Bagatellverfahren obligatorisch werden soll, könnte zwingend vorgeschrieben werden, dass auf Antrag einer Partei eine mündliche Verhandlung stattfinden muss, um zu vermeiden, dass die Regelung in Konflikt mit den verfahrensrechtlichen Garantien von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gerät. Ist das Bagatellverfahren fakultativ, könnten die Parteien in jedem Fall eine mündliche Verhandlung erzwingen, in dem sie sich für das ordentliche Verfahren entscheiden, gegebenenfalls auch noch nach Einleitung des Verfahrens.

Frage 42:

Sollte die Möglichkeit eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens (statt mündlicher Verhandlungen) eröffnet werden?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

6.6. Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an das Urteil und zeitliche Vorgaben

Neben der Vereinfachung des Verfahrens könnte die Urteilsverkündung auch durch eine Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an die richterliche Entscheidung beschleunigt werden.

Dabei wäre vor allem an eine Lockerung der Vorschriften hinsichtlich der Urteilsbegründung zu denken. Diese Möglichkeit könnte in Verbindung mit Einschränkungen hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel (siehe 6.8) eingeräumt werden. In Fällen, in denen kein Rechtsmittel zugelassen ist, könnte sich das Urteil auf die wesentlichen rechtlichen und sachlichen Punkte beschränken. Wenn Rechtsmittel allein in Bezug auf Rechtsfragen zulässig sind, könnten zumindest die Regeln für die Beweiswürdigung gelockert werden.

Erwägenswert wäre auch, für Fälle, in denen das Urteil mündlich verkündet wird, vorzusehen, dass Berufung eingelegt werden muss, damit ein ausführliches Urteil abgefasst wird. Wird kein Rechtsmittel eingelegt und erlangt das Urteil Rechtskraft, könnte eine gegebenenfalls erforderliche schriftliche Ausfertigung des Urteils auf die wesentlichen Fakten oder sogar auf den Urteilsspruch beschränkt werden.

Eine allgemeine zeitliche Vorgabe für die Erledigung einer Rechtssache gibt es in keinem Mitgliedstaat; ein solcher Zeitrahmen könnte sich auch angesichts des unterschiedlichen Komplexitätsgrads der einzelnen Fälle als problematisch erweisen. Darüber hinaus kann die Verfahrensdauer auch durch bestimmte Faktoren beeinflusst werden, die sich dem Einfluss des Gerichts entziehen (z. B. Probleme im Zusammenhang mit der Zustellung von Schriftstücken oder Nichterreichbarkeit von Zeugen).

Im Zusammenhang mit der Lockerung der inhaltlichen Anforderungen an ein Urteil wäre auch zu prüfen, ob eine Frist nach Abschluss des Verfahrens gesetzt werden sollte, innerhalb derer das Urteil verkündet werden müsste. Gegenwärtig schwanken die geltenden Fristen für die Urteilsverkündung zwischen 10 Tagen (Spanien) und 28 Tagen (Schottland). Je nachdem, wie stark die inhaltlichen Anforderungen an das Urteil gelockert werden, könnte eine Frist zwischen 14 und 28 Tagen angemessen sein.

Frage 43:

Sollten die inhaltlichen Anforderungen an das Urteil gelockert werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

Sollte es zeitliche Vorgaben für die Urteilsverkündung geben?

6.7. Kosten

Die Erstattung von Kosten und Auslagen wie Gerichtsgebühren, Auslagen für Zeugen, Sachverständige und Rechtsanwälte spielt für den Gläubiger und seine Fähigkeit, einzuschätzen, ob der Rechtsweg in seinem Fall wirtschaftlich sinnvoll ist, eine wichtige Rolle. Die Bedeutung der Vorschriften für die Erstattung von Kosten und Auslagen sollte nicht unterschätzt werden. Einige Mitgliedstaaten (England/Wales, Schottland, Nordirland, Frankreich, Irland, Schweden) weichen in ihren Bagatellverfahren von der weit verbreiteten allgemeinen Regel ab, die Kostenerstattung danach auszurichten, welche Partei in welchem Umfang obsiegt. Die diesbezüglichen Vorschriften sollten auch im Zusammenhang mit der Frage betrachtet werden, ob das Bagatellverfahren obligatorisch oder fakultativ ist.

Obligatorisches Verfahren

Ist das Bagatellverfahren zwingend vorgeschrieben (siehe 5.3) und hat der Kläger nicht die Möglichkeit, sich stattdessen für das ordentliche Verfahren zu entscheiden, könnten einschneidende Beschränkungen der Kostenerstattung einen Gläubiger von der Geltendmachung eines geringfügigen Anspruchs (oder zumindest von der Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts) abhalten, weil das finanzielle Endergebnis negativ ausfallen könnte, selbst wenn er den Prozess gewinnt. Eine Regel, die keinerlei Erstattung der Gerichtsgebühren (und gegebenenfalls erforderlicher Zeugen- und Sachverständigenentschädigungen) für den Kläger vorsieht, würde ein Gerichtsverfahren zur Durchsetzung sehr geringer Ansprüche unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten äußerst fragwürdig erscheinen lassen. Eine derartige Regel dürfte nicht dazu beitragen, den angestrebten erleichterten Zugang zum Recht zu verwirklichen. Selbst wenn der Streitwert die Kosten überschreitet, würde der Kläger am Ende nicht den gesamten geschuldeten Betrag erhalten. Er würde in diesem Fall in gewisser Weise den Preis für die raschere Urteilsverkündung zahlen. Andererseits könnte sich jemand, gegen den grundlos Klage eingereicht wird, zu beträchtlichen Ausgaben gezwungen sehen, um sich der Klage zu erwehren. Ähnliche Erwägungen gelten auch für den Fall, dass die Kostenerstattung durch einen Hoechstbetrag begrenzt wird.

In Bezug auf die Anwaltskosten könnte argumentiert werden, dass die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts gerade durch das Konzept des Bagatellverfahrens überfluessig gemacht wird. Eine Partei, die dennoch beschließt, einen Anwalt zu Rate zu ziehen, sollte auch die Kosten hierfür tragen. Auch sollte niemand nur deshalb in ein kostspieliges Gerichtsverfahren verwickelt werden, weil die andere Partei einen Anwalt in Anspruch nimmt. Andererseits könnte eine spürbare Begrenzung der Erstattung von Anwaltskosten in einem obligatorischen Bagatellverfahren effektiv darauf hinauslaufen, dass eine anwaltliche Vertretung praktisch ausgeschlossen wird. Die meisten Parteien gehen nicht mutwillig vor Gericht; sie würden jedoch der Möglichkeit, einen Rechtsanwalt in Anspruch zu nehmen, beraubt und wären gezwungen, ihre Ansprüche selbst vor Gericht zu vertreten. Im Gegensatz zum Rechtsanwalt, der nur die Interessen seines Mandanten zu vertreten hat und ihn ausführlich berät, muss selbst die beste Hilfestellung des Gerichts neutral bleiben und ist daher beschränkt auf Verfahrensfragen oder Belehrung über die Rechtslage. Sicherlich soll gewährleistet werden, dass das Bagatellverfahren auch ohne anwaltliche Beratung durchgeführt werden kann; gleichwohl ist eine solche Hilfe nicht zu ersetzen.

In einem obligatorischen Bagatellverfahren wäre daher das Für und Wider einer Begrenzung der Kostenerstattung sorgfältig zu prüfen.

Fakultatives Verfahren

Ist das Verfahren für beide Parteien fakultativ (siehe 5.3), sind diese Fragen von geringerer Bedeutung. Gleichwohl werden sie bestimmenden Einfluss darauf haben, inwieweit das Bagatellverfahren in der Gerichtspraxis tatsächlich angewandt wird. Eine Partei, die ihre Interessen nicht selbst vor Gericht vertreten möchte oder mit erheblichen Kosten (z. B. für Zeugen oder Sachverständige) rechnet, wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit für das ordentliche Verfahren entscheiden. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass sich größere und mittlere Unternehmen im Allgemeinen von Rechtsanwälten vertreten lassen. Da Streitigkeiten über geringfügige Forderungen häufig zwischen Unternehmen oder in Unternehmer-Verbraucher-Beziehungen auftreten, könnte eine Begrenzung der Kostenerstattung zur Folge haben, dass das Bagatellverfahren in der Praxis nur in Streitfällen zwischen Einzelpersonen zur Anwendung kommt, die beide auf einen Anwalt verzichten.

Frage 44:

Sollte die Kostenerstattung beschränkt werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

6.8. Ausschluss/Beschränkung von Rechtsmitteln

Im Interesse einer Kostenreduzierung und schneller erlangter Rechtssicherheit könnten Einschränkungen der Anfechtungsmöglichkeit erwogen werden. Von diesem wichtigen Mittel zur Verkürzung des Verfahrens machen die Mitgliedstaaten in ihrem ordentlichen Verfahren und, soweit vorhanden, im Bagatellverfahren in unterschiedlichem Maße Gebrauch (Schottland, Schweden, England/Wales, Nordirland, Frankreich, Deutschland).

Einerseits könnte erwogen werden, Rechtsmittel völlig auszuschließen; dies wäre zweifellos der effektivste Weg, das Verfahren zu beschleunigen und Kosten einzusparen. Andererseits könnte eine derartige Lösung problematisch sein, weil die Parteien daran gehindert wären, selbst gegen - aus ihrer Sicht - schwerwiegendste Fehler des erstinstanzlichen Gerichts Berufung einzulegen. Damit könnte der Eindruck richterlicher Willkür entstehen.

Zu erwägen wäre auch, dass Anfechtungsrecht nicht gänzlich auszuschließen, sondern zu beschränken. Da der Richter an das materielle Recht und - bei aller Lockerung der Beweispflicht - an das Gebot eines fairen Verfahrens gebunden ist (s. o. 6.4 und 6.5), könnte auch eine Beschränkung der Anfechtungsgründe auf Rechtsfragen (und somit der Ausschluss von Sachfragen) in Betracht gezogen werden. Auf diese Weise ließe sich die langwierige und kostspielige Aufhebung eines Urteils und seine Zurückverweisung an das erstinstanzliche Gericht zur Aufnahme eines neuen Verfahrens aufgrund fehlerhafter Tatsachenfeststellungen vermeiden. Als weiterer zulässiger Grund für die Einlegung eines Rechtsmittels wäre die Verletzung grundlegender Prinzipien eines fairen Verfahrens denkbar. Dies wäre mit dem Vorteil verbunden, dass die konkrete Ausgestaltung des recht allgemeinen Gebots eines fairen Verfahrens durch die richterlichen Entscheidungen nicht den Gerichten der ersten Instanz allein überlassen bliebe.

Zur Vermeidung von Verfahrensverzögerungen durch aussichtslose Rechtsmittel wäre es ferner möglich, die Zulassung eines Rechtsmittels von der Zustimmung des Berufungsgerichts oder des erstinstanzlichen Gerichts abhängig zu machen. Diese Möglichkeit könnte insbesondere in Bezug auf schwerwiegende Verfahrensfehler in Erwägung gezogen werden. Dabei wäre eine Übertragung dieser Entscheidung an das Berufungsgericht vorzuziehen, da andernfalls, wenn das erstinstanzliche Gericht über die Zulassung eines Rechtsmittels gegen sein eigenes Urteil entscheiden würde, der Eindruck richterlicher Willkür entstehen könnte.

Angesichts des geringen Streitwerts sollte von der Möglichkeit, Rechtsmittel bei einer dritten Instanz einzulegen, abgesehen werden, da dies besonders lange Verzögerungen verursachen kann.

Frage 45:

Sollten Rechtsmittel ausgeschlossen oder eingeschränkt werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

6.9. Weitere Vereinfachungsmöglichkeiten

Es könnten weitere Möglichkeiten bestehen, die Verfahrensregeln in Bagatellverfahren zu vereinfachen, um auf diese Weise die Streitbeilegung einfacher, schneller und kostengünstiger zu gestalten und für die Betroffenen leichter handhabbar zu machen.

Frage 46:

Welche weiteren Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrensrechts für Bagatellsachen sind vorstellbar?

7. DIE FRAGEN IM ÜBERBLICK

Frage 1:

Sollten die europäischen Regelungen für Mahn- und Bagatellverfahren nur auf Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug oder auch auf reine Inlandssachen anwendbar sein?

Frage 2:

Ist eine Verordnung oder eine Richtlinie das geeignete Rechtsinstrument für Mahn- und Bagatellverfahren?

Frage 3:

Sind bei der Anwendung des Mahnverfahrens oder eines anderen Verfahrens zur Beitreibung unbestrittener Forderungen in Ihrem Mitgliedstaat Probleme aufgetreten und wenn ja, welche? Geben Sie bitte an, wie hoch die Akzeptanz dieser Verfahren ist und wie erfolgreich sie in der Praxis sind.

Gelten diese Verfahren auch für Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug, bei denen entweder der Gläubiger oder der Schuldner seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat?

Falls ja, sind bei der Anwendung Probleme aufgetreten und wenn ja, welche?

Falls nein, wie ist über unbestrittene Forderungen mit grenzüberschreitendem Bezug zu entscheiden?

Frage 4:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren auf Zahlungsansprüche beschränkt werden?

Falls nein, welche Arten von nicht auf Zahlung gerichteten Ansprüchen sollten einbezogen werden?

Frage 5:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren nur für Ansprüche mit Bezug auf bestimmte Bereiche des Zivil- und Handelsrechts gelten bzw. sollten bestimmte Anspruchsarten ausgeschlossen werden?

Geben Sie in beiden Fällen bitte die Anspruchsarten an, die einbezogen bzw. ausgeschlossen werden sollten.

Frage 6:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren nur für Ansprüche bis zu einer bestimmten Höhe gelten?

Falls ja, wo sollte die Obergrenze liegen?

Frage 7:

Sollte das europäische Mahnverfahren zwingend vorgeschrieben bzw. nur dann fakultativ sein, wenn die Forderung nach Ansicht des Gläubigers unbestritten bleiben wird?

Frage 8:

Sollte die ausschließliche internationale Zuständigkeit für ein europäisches Mahnverfahren in grenzüberschreitenden Streitigkeiten bei den Gerichten des Wohnsitzmitgliedstaats des Schuldners liegen?

Frage 9:

Sollte ein europäisches Rechtsinstrument für ein Mahnverfahren Vorschriften enthalten, mit denen die zuständigen Gerichte in den Mitgliedstaaten bestimmt werden? Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

Frage 10:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Bestimmungen enthalten, wer in einem Gericht (Richter, Gerichtsbedienstete) für das Verfahren zuständig und befugt ist, einen Zahlungsbefehl zu erteilen?

Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

Frage 11:

Welche inhaltlichen Anforderungen sollten für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls gelten?

Welche Bedingungen sollten insbesondere für die Beschreibung der Umstände gelten, die zur Begründung des Anspruchs angeführt werden?

Frage 12:

Sollte die Vorlage eines Urkundsbeweises des behaupteten Anspruchs Voraussetzung für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls sein?

Falls ja, welche Arten von Schriftstücken sollten als ausreichender Beweis eines Anspruchs gelten?

Frage 13:

Sollte die Verwendung eines Vordrucks für die Beantragung eines europäischen Zahlungsbefehls zwingend vorgeschrieben werden?

Falls ja, welchen Inhalt sollte der Vordruck haben?

Frage 14:

Welche Rolle sollten Computertechnologie und elektronische Datenverarbeitung in der Kommunikation zwischen dem Gericht und den Parteien sowie der Abwicklung des europäischen Mahnverfahrens durch das Gericht spielen?

Frage 15:

Sollte vor Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls die Rechtmäßigkeit des Anspruchs geprüft werden?

Falls ja, nach welchen Kriterien sollte geprüft werden?

Frage 16:

Sollte die Möglichkeit bestehen, einen europäischen Zahlungsbefehl nur für einen Teil des geltend gemachten Anspruchs zu erlassen?

Frage 17:

Sollte der europäische Zahlungsbefehl in standardisierter Form erteilt werden?

Falls ja, welchen Inhalt sollte eine standardisierte Entscheidung haben?

Frage 18:

Sollte die Einlegung eines Rechtsmittels gegen die (teilweise) Ablehnung eines Antrags auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls unzulässig sein?

Sollte die Möglichkeit bestehen, nach einer solchen Ablehnung erneut einen Antrag auf Erlass eines europäischen Zahlungsbefehls für denselben Anspruch zu stellen?

Frage 19:

Welche Elemente sollte die einem europäischen Zahlungsbefehl beigefügte Belehrung des Schuldners über seine Verfahrensrechte und -pflichten enthalten?

Welche Konsequenzen sollte die Nichterfuellung dieser Hinweispflicht haben?

Frage 20:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften für die Zustellung von Schriftstücken in diesem spezifischen Verfahren enthalten oder sollten in diesem Zusammenhang die allgemeinen Zustellungsvorschriften harmonisiert werden?

Falls ja, welchen Inhalt sollten diese Vorschriften haben?

Frage 21:

Welche Frist sollte für den Widerspruch gegen eine Forderung gelten?

Sollten bestimmte Merkmale des Einzelfalls Einfluss auf die Widerspruchsfrist haben und falls ja, welche?

Frage 22:

Sollten formale oder materielle Voraussetzungen für den Widerspruch gelten?

Falls ja, wie sollten diese Voraussetzungen lauten?

Frage 23:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Bestimmungen darüber enthalten, ob der Zahlungsbefehl durch einen Widerspruch außer Kraft gesetzt wird oder Gegenstand des anschließenden ordentlichen Verfahrens wird?

Falls ja, wie sollten diese Bestimmungen lauten?

Frage 24:

Sollte im Falle eines Widerspruchs gegen einen behaupteten Anspruch die Sache automatisch in ein ordentliches Verfahren überführt werden oder nur auf Antrag einer der Parteien?

Frage 25:

Sollte ein europäisches Mahnverfahren als einstufiges oder zweistufiges Verfahren gestaltet werden, d. h. sollte die ursprüngliche Entscheidung vollstreckbar sein oder sollte nach Ablauf der Widerspruchsfrist eine zweite Entscheidung (ein ,Vollstreckungstitel") erforderlich sein?

Frage 26:

Sollte nach Ablauf der Widerspruchsfrist ordentliches Rechtsmittel gegen einen europäischen Zahlungsbefehl (oder in einem zweistufigen Verfahren gegen einen Vollstreckungstitel) eingelegt werden können?

Frage 27:

Sollte ein europäischer Zahlungsbefehl nach Ablauf der Widerspruchsfrist und/oder Rechtsmittelfrist rechtskräftig werden?

Frage 28:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften über das Nichtbestehen eines Anwaltszwangs im Mahnverfahren enthalten?

Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

Frage 29:

Sollte ein Rechtsinstrument für einen europäischen Zahlungsbefehl Vorschriften über die Kosten des Verfahrens und ihre Erstattung enthalten?

Falls ja, wie sollten diese Vorschriften lauten?

Frage 30:

Sollte ein europäischer Zahlungsbefehl vorläufig vollstreckbar sein?

Falls ja, welche Voraussetzungen sollten für die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Aussetzung der vorläufigen Vollstreckung gelten?

Frage 31:

Sollte ein europäischer Vollstreckungstitel in anderen Mitgliedstaaten ohne Vollstreckbarerklärung und ohne entsprechende Bescheinigung des Ursprungsmitgliedstaats, wie derzeit beim Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen vorgesehen, unmittelbar vollstreckbar sein? Wenn ja, welche Anforderungen sind an eine solche unmittelbare Vollstreckbarkeit zu stellen?

Frage 32:

Sind bei der Anwendung der Verfahren für geringfügige Forderungen in Ihrem Mitgliedstaat Probleme aufgetreten und wenn ja, welche?

Geben Sie bitte an, wie hoch die Akzeptanz dieser Verfahren ist und wie erfolgreich sie in der Praxis sind.

Gelten diese Verfahren auch für Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug, bei denen entweder der Kläger oder der Beklagte seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat?

Welche Probleme treten gegenwärtig bei der grenzüberschreitenden gerichtlichen Durchsetzung von geringfügigen Forderungen auf?

Frage 33:

Auf welche Weise können die EU-Bürger am besten über eine neue EU-Regelung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen informiert werden?

Frage 34:

Sollte es eine Streitwertgrenze für Bagatellverfahren geben?

Wenn ja, wo sollte die Grenze für einen geringfügigen Streitwert gezogen werden?

Sollte es eine einheitliche Streitwertgrenze für alle Mitgliedstaaten geben?

Oder wäre ein gemeinschaftsweit geltender Mindestgrenzwert (und Hoechstgrenzwert) ausreichend?

Frage 35:

Sollte das Bagatellverfahren auf Zahlungsansprüche beschränkt werden?

Frage 36:

Auf welche Arten von Streitigkeiten sollte das Bagatellverfahren anwendbar sein?

Sollten bestimmte zivil- und handelsrechtliche Streitsachen ausgeschlossen werden?

Oder sollte das Verfahren nur für bestimmte, ausdrücklich aufgeführte zivil- und handelsrechtliche Streitsachen anwendbar sein?

Frage 37:

Sollte das Bagatellverfahren obligatorisch oder fakultativ sein?

Sollte das Gericht die Möglichkeit haben, ein Bagatellverfahren in ein ordentliches Verfahren überzuleiten?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Sollten die Parteien die Möglichkeit haben, ein Bagatellverfahren in ein ordentliches Verfahren überzuleiten?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Frage 38:

Sollten gemeinsame Mindeststandards für Formulare eingeführt werden?

Wenn ja, welche Vorschriften wären denkbar?

Für welche Verfahrensstufen sollten die Formulare verwendet werden?

Sollte der Einsatz moderner Kommunikationsmittel ermöglicht werden?

Frage 39:

Sollten nicht anwaltlich vertretene Streitparteien in verfahrensrechtlichen Fragen Hilfestellung erhalten?

Falls ja, in welchem Umfang?

Sollte eine Vertretung durch Laien möglich sein?

Frage 40:

Sollten Formen der alternativen Streitbeilegung in Bagatellverfahren eingeführt werden?

Wenn ja, sollte ihre Inanspruchnahme fakultativ oder obligatorisch sein?

Frage 41:

Sollte die Vorschriften im Hinblick auf die Beweisaufnahme in bestimmten Punkten gelockert werden?

Wenn ja, welche und in welchem Umfang?

Frage 42:

Sollte die Möglichkeit eines ausschließlich schriftlichen Verfahrens (statt mündlicher Verhandlungen) eröffnet werden?

Wenn ja, unter welchen Bedingungen?

Frage 43:

Sollten die inhaltlichen Anforderungen an das Urteil gelockert werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

Sollte es zeitliche Vorgaben für die Urteilsverkündung geben?

Frage 44:

Sollte die Kostenerstattung beschränkt werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

Frage 45:

Sollten Rechtsmittel ausgeschlossen oder eingeschränkt werden?

Falls ja, in welchem Umfang?

Frage 46:

Welche weiteren Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrensrechts für Bagatellsachen sind vorstellbar?

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