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Document 62010CJ0138

Urteil des Gerichtshofes (Erste Kammer) vom 15. September 2011.
DP grup EOOD gegen Direktor na Agentsia "Mitnitsi".
Ersuchen um Vorabentscheidung: Administrativen sad Sofia-grad - Bulgarien.
Zollunion - Zollanmeldung - Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörde - Ungültigerklärung einer bereits angenommenen Zollanmeldung - Folgen für straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Maßnahmen.
Rechtssache C-138/10.

European Court Reports 2011 I-08369

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2011:587

Rechtssache C-138/10

DP grup EOOD

gegen

Direktor na Agentsia „Mitnitsi“

(Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad)

„Zollunion – Zollanmeldung – Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörde – Ungültigerklärung einer bereits angenommenen Zollanmeldung – Folgen für straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Maßnahmen“

Leitsätze des Urteils

Zollunion – Zollanmeldungen – Nachträgliche Prüfung

(Verordnung Nr. 2931/92 des Rates, Art. 66, in der durch Verordnung Nr. 1791/2006 des Rates geänderten Fassung)

Die unionsrechtlichen Zollvorschriften sind dahin auszulegen, dass ein Anmelder nicht bei einem Gericht die Nichtigerklärung der von ihm erstellten Zollanmeldung beantragen kann, wenn diese von den Zollbehörden angenommen worden ist. Dagegen kann er unter den Voraussetzungen des Art. 66 der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung Nr. 1791/2006 geänderten Fassung bei den Zollbehörden beantragen, die Zollanmeldung für ungültig zu erklären, und zwar auch nachdem diese Behörden die Ware überlassen haben. Am Ende ihrer Prüfung haben die Zollbehörden – unter Vorbehalt des Rechtswegs – entweder den Antrag des Anmelders durch mit Gründen zu versehende Entscheidung abzulehnen oder die beantragte Ungültigerklärung vorzunehmen.

(vgl. Randnr. 48 und Tenor)







URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

15. September 2011(*)

„Zollunion – Zollanmeldung – Annahme der Zollanmeldung durch die Zollbehörde – Ungültigerklärung einer bereits angenommenen Zollanmeldung – Folgen für straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Maßnahmen“

In der Rechtssache C‑138/10

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien) mit Entscheidung vom 8. März 2010, beim Gerichtshof eingegangen am 15. März 2010, in dem Verfahren

DP grup EOOD

gegen

Direktor na Agentsia „Mitnitsi“

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter J.‑J. Kasel, A. Borg Barthet und M. Ilešič (Berichterstatter) sowie der Richterin M. Berger,

Generalanwalt: P. Cruz Villalón,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2011,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        des Direktor na Agentsia „Mitnitsi“, vertreten durch V. Tanov, S. Valkova, N. Yotsova und S. Yordanova als Bevollmächtigte,

–        der bulgarischen Regierung, vertreten durch E. Petranova und T. Ivanov als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und V. Štencel als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch M. Muñoz Pérez als Bevollmächtigten,

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Mihaylova und B.‑R. Killmann als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 2011

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4 Nr. 5, 8 Abs. 1 erster Gedankenstrich, 62, 63 und 68 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Zollkodex).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DP grup EOOD (im Folgenden: DP grup) und dem Direktor na Agentsia „Mitnitsi“ (Direktor der Zollagentur) wegen einer von DP grup erhobenen Klage auf Nichtigerklärung einer für sie erstellten Zollanmeldung.

 Rechtlicher Rahmen

 Zollkodex

3        Der sechste Erwägungsgrund des Zollkodex lautet wie folgt:

„Angesichts der großen Bedeutung des Außenhandels der Gemeinschaft sollten Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen möglichst vermieden, zumindest aber in geringstmöglichem Umfang gehalten werden.“

4        In Art. 4 des Zollkodex heißt es:

„Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

5.      Entscheidung: eine hoheitliche Maßnahme auf dem Gebiet des Zollrechts zur Regelung eines Einzelfalls mit Rechtswirkung für eine oder mehrere bestimmte oder bestimmbare Personen; dieser Begriff umfasst unter anderem eine verbindliche Auskunft im Sinne von Artikel 12;

17.      Zollanmeldung: die Handlung, mit der eine Person in der vorgeschriebenen Form und nach den vorgeschriebenen Bestimmungen die Absicht bekundet, eine Ware in ein bestimmtes Zollverfahren überführen zu lassen;

…“

5        Art. 59 Abs. 1 des Zollkodex bestimmt:

„Alle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, sind zu dem betreffenden Verfahren anzumelden.“

6        Art. 62 des Zollkodex sieht vor:

„(1)      Die schriftlichen Zollanmeldungen sind auf einem Vordruck abzugeben, der dem amtlichen Muster entspricht. Sie müssen unterzeichnet werden und alle Angaben enthalten, die zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich sind.

(2)      Den Anmeldungen sind alle Unterlagen beizufügen, deren Vorlage zur Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet werden, erforderlich ist.“

7        Art. 63 des Zollkodex lautet:

„Anmeldungen, die den Voraussetzungen des Artikels 62 entsprechen, werden von den Zollbehörden unverzüglich angenommen, sofern die betreffenden Waren gestellt worden sind.“

8        Art. 66 des Zollkodex lautet:

„(1)      Die Zollbehörden erklären auf Antrag des Anmelders eine bereits angenommene Anmeldung für ungültig, wenn der Anmelder nachweist, dass die Waren irrtümlich zu dem in dieser Anmeldung bezeichneten Zollverfahren angemeldet worden sind oder dass infolge besonderer Umstände die Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren nicht mehr gerechtfertigt ist.

Haben jedoch die Zollbehörden den Anmelder davon unterrichtet, dass sie eine Beschau der Waren vornehmen wollen, so kann der Antrag auf Ungültigerklärung der Anmeldung erst angenommen werden, nachdem diese Beschau stattgefunden hat.

(2)      Nach Überlassung der Waren kann die Anmeldung außer in den nach dem Ausschussverfahren festgelegten Fällen nicht mehr für ungültig erklärt werden.

(3)      Die Ungültigerklärung der Anmeldung bleibt ohne Folgen für das geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.“

9        Art. 68 des Zollkodex bestimmt:

„Die Zollbehörden können zwecks Überprüfung der von ihnen angenommenen Anmeldungen

a)      die Unterlagen prüfen; geprüft werden können die Anmeldung und die dieser beigefügten Unterlagen. Die Zollbehörden können vom Anmelder verlangen, dass er ihnen weitere Unterlagen zur Nachprüfung der Richtigkeit der Angaben in der Anmeldung vorlegt;

b)      eine Zollbeschau vornehmen, gegebenenfalls mit Entnahme von Mustern oder Proben zum Zweck einer Analyse oder eingehenden Prüfung.“

10      Art. 71 des Zollkodex sieht vor:

„(1)      Die Ergebnisse der Überprüfung der Anmeldung werden der Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet worden sind, zugrunde gelegt.

(2)      Findet keine Überprüfung der Anmeldung statt, so werden die darin enthaltenen Angaben für die Anwendung des Absatzes 1 zugrunde gelegt.“

 Durchführungsverordnung

11      Die Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 214/2007 der Kommission vom 28. Februar 2007 (ABl. L 62, S. 6, im Folgenden: Durchführungsverordnung) geänderten Fassung sieht in Art. 199 Abs. 1 vor:

„Unbeschadet etwaiger strafrechtlicher Vorschriften gilt die Abgabe einer vom Anmelder oder von seinem Vertreter unterzeichneten Zollanmeldung bei einer Zollstelle als Verpflichtung gemäß den Vorschriften über:

–        die Richtigkeit der in der Zollanmeldung enthaltenen Angaben;

–        die Echtheit der beigefügten Unterlagen;

–        die Einhaltung aller Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren.“

12      Art. 251 der Durchführungsverordnung bestimmt:

„Abweichend von Artikel 66 Absatz 2 des Zollkodex kann eine Zollanmeldung nach Überlassung der Waren unter folgenden Voraussetzungen für ungültig erklärt werden:

…“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13      Am 13. März 2007 gab DP grup durch einen Bevollmächtigten beim Mitnichesko byuro Kremikovtsi (Zollstelle Kremikovtsi) in Sofia (Bulgarien) eine Zollanmeldung für die Einfuhr von „gefrorenen und entbeinten Putenschenkeln, mit weißem Pfeffer behandelt“, aus Brasilien zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr ab.

14      Diese Zollanmeldung wurde am selben Tag von der Zollverwaltung angenommen. Ein Zollbediensteter unterschrieb sie und trug auf der Rückseite des Dokuments Folgendes ein:

„Unterlagenkontrolle für Feld Nr. 44 gemäß Art. 218 der Durchführungsverordnung … erfolgt. Zolltarifnummer in Feld Nr. 33 entspricht der Bezeichnung der Ware in Feld Nr. 31 und dem [mit Art. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) eingeführten Integrierten Tarif der Europäischen Gemeinschaften]. Zollwert nach Maßgabe von Art. 29 des Zollkodex festgelegt. Keine Präferenzware. Die Voraussetzungen für die Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr sind erfüllt. Protokoll über eine eingehende Zollkontrolle im Flughafen Sofia (Nr. 120/13.03.2007). Wegen des Verdachts der nicht richtigen zolltariflichen Einreihung wurden Proben für eine Laboruntersuchung durch das Zentrale Chemische Labor genommen …“

15      In Nr. 13 des Protokolls über die Warenkontrolle Nr. 120/13.03.2007 heißt es, dass die Ware nach Art und Menge der in der Zollanmeldung angegebenen entspreche und dass Proben für eine Laboruntersuchung entnommen worden seien.

16      Anhand der von DP grup angegebenen Zolltarifnummer wurden Einfuhrabgaben in Höhe von 22 646,88 BGN errechnet, die in das entsprechende Feld der Zollanmeldung eingetragen wurden.

17      Am 25. März 2007 überließ die Zollverwaltung die eingeführte Ware.

18      Aufgrund des Ergebnisses des Gutachtens teilte die Zollverwaltung DP grup mit Schreiben vom 17. April 2007 mit, dass die Ware zolltariflich nicht richtig eingereiht worden sei und darin ein Verstoß gegen die zollrechtlichen Vorschriften liege.

19      Die Zollverwaltung setzte daher zusätzliche Abgabenbeträge fest, nämlich Zölle in Höhe von 49 754,31 BGN und Mehrwertsteuer in Höhe von 11 293,75 BGN sowie Verzugszinsen auf diese Beträge, und forderte DP grup zur Zahlung der Beträge auf.

20      DP grup erhob daraufhin eine Klage beim Administrativen sad Sofia-grad, mit der sie die Nichtigerklärung der Zollanmeldung vom 13. März 2007 beantragte, weil die dort angegebenen Einfuhrabgaben von insgesamt 22 646,88 BGN falsch berechnet worden seien.

21      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass DP grup vor dem Administrativen sad Sofia-grad geltend machte, die im Ausgangsverfahren streitige Zollanmeldung sei ein Verwaltungsakt, gegen den ein Rechtsbehelf erhoben werden könne. Zwar habe sie nicht die richtige Zolltarifnummer angegeben, doch sei diese, weil sie von der Zollverwaltung durch die von dem Bediensteten bei der Annahme der Anmeldung angebrachte Unterschrift angenommen worden sei, von der Zollverwaltung „bestätigt“ worden. Die Zollanmeldung stelle damit eine ausdrückliche Willenserklärung der Zollverwaltung dar und führe für den Anmelder zu Rechten und Pflichten, was ihr die Rechtsnatur einer anfechtbaren Handlung verleihe.

22      Zur Stützung ihrer Klage trug DP grup vor, dass die unrichtige Angabe der Zolltarifnummer in der im Ausgangsverfahren streitigen Zollanmeldung zu deren Nichtigkeit führe. Die auf der Grundlage der rechtswidrigen Anmeldung berechneten Zölle widersprächen den Zielen des bulgarischen Zollrechts und fügten ihr auf diese Weise Schaden zu.

23      Der Administrativen sad Sofia-grad erließ am 21. Juli 2008 einen Beschluss, mit dem er die Klage für unzulässig erklärte, weil kein anfechtbarer Verwaltungsakt vorliege, da die Zollanmeldung, die von der Anmelderin ausgefüllt und von den Zollbehörden angenommen werden sei, keine Handlung darstelle, gegen die Klage erhoben werden könne.

24      DP grup legte gegen diesen Beschluss ein Rechtsmittel beim Varhoven administrativen sad (Oberster Verwaltungsgerichtshof) ein, der die Auffassung vertrat, dass die im Ausgangsverfahren streitige Zollanmeldung, auch wenn sie von der Anmelderin selbst ausgefüllt worden sei, aus den in Randnr. 21 des vorliegenden Urteils dargelegten Gründen ein individueller Verwaltungsakt sei, der unstreitig die Interessen der Anmelderin berühre. Der Varhoven administrativen sad, dessen Hinweise zur Auslegung und Anwendung von Gesetzen nach bulgarischem Recht im Rahmen der weiteren Prüfung der Sache bindend sind, hat diese zur Fortsetzung des Verfahrens an denselben Spruchkörper des Administrativen sad Sofia-grad zurückverwiesen.

25      Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der einschlägigen unionsrechtlichen Zollvorschriften abhänge und dass die Rechtssache insbesondere die Frage aufwerfe, welchen Umfang und Inhalt die Prüfung der Übereinstimmung von Zollanmeldungen mit den Voraussetzungen des Art. 62 des Zollkodex habe, und konkreter die Frage, ob die Zollbehörden im Rahmen dieser Prüfung untersuchen müssten, ob der Anmelder die richtige Zolltarifnummer angegeben habe.

26      Werde die Zolltarifnummer der Ware nicht richtig angegeben, ohne dass sie anschließend nach Art. 65 des Zollkodex berichtigt werde, könnten die Zollbehörden gegen den Anmelder wegen Begehung eines Zollvergehens Sanktionen verhängen, insbesondere in dem nach nationalem Recht vorgesehenen Verfahren die Ware beschlagnahmen und darüber verfügen. Mit dem im vorliegenden Verfahren gestellten Antrag bezwecke die Gesellschaft offenkundig, nachteilige Rechtsfolgen wie die genannten zu vermeiden. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts wird mit der bei ihm anhängigen Klage offenkundig bezweckt, für DP grup nachteilige Rechtsfolgen wie die genannten zu vermeiden.

27      Der Administrativen sad Sofia-grad hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.      Ist Art. 63 des Zollkodex unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen, dass er die Zollbehörde verpflichtet, nur eine Prüfung der Übereinstimmung der Zollanmeldung mit den Voraussetzungen des Art. 62 des Zollkodex durchzuführen, indem sie lediglich eine Kontrolle von Unterlagen in dem in Art. 68 des Zollkodex genannten Umfang vornimmt, und allein auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen eine Entscheidung über die Annahme der Zollanmeldung zu treffen, wenn sich ein Zweifel an der Richtigkeit des Zolltarifcodes der Ware ergeben hat und ein Sachverständigengutachten zur Bestimmung dieses Codes notwendig ist?

2.      Ist die Entscheidung der Zollbehörde über die unverzügliche Annahme der Zollanmeldung nach Maßgabe von Art. 63 des Zollkodex unter den Umständen des Ausgangsverfahrens als Entscheidung einer Zollbehörde gemäß Art. 4 Nr. 5 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Zollkodex anzusehen, und zwar bezüglich des gesamten Inhalts der abgegebenen Zollanmeldung, wenn gleichzeitig folgende Umstände vorliegen:

a)      die Entscheidung der Zollbehörde über die Annahme der Zollanmeldung wurde allein auf der Grundlage der zusammen mit der Zollanmeldung vorgelegten Unterlagen getroffen;

b)      bei der Durchführung der erforderlichen Prüfungen vor der Annahme der Zollanmeldung bestand der Verdacht, dass der angemeldete Zolltarifcode der Ware nicht richtig ist;

c)      bei der Durchführung der erforderlichen Prüfungen vor der Annahme der Zollanmeldung waren die Informationen zum Inhalt der angemeldeten Ware, die von Bedeutung für die richtige Bestimmung des Zolltarifcodes sind, unvollständig;

d)      bei der Prüfung vor der Annahme der Anmeldung wurde eine Probe zur Erstellung eines Gutachtens zum Zweck der richtigen Bestimmung des Zolltarifcodes der Ware entnommen?

3.      Ist Art. 63 des Zollkodex unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dahin auszulegen,

a)      dass er erlaubt, dass die Rechtmäßigkeit der Annahme der Zollanmeldung nach Überlassung der Ware vor Gericht bestritten wird, oder dahin,

b)      dass die Annahme der Zollanmeldung nicht anfechtbar ist, weil durch sie nur die Anmeldung der Waren bei den Zollbehörden festgehalten und der Zeitpunkt des Entstehens der Einfuhrzollschuld bestimmt wird und sie keine Entscheidung einer Zollbehörde zu den Fragen der richtigen tariflichen Einreihung und der Höhe der aufgrund dieser Anmeldung geschuldeten Zölle darstellt?

 Zu den Vorlagefragen

28      Im Rahmen des durch Art. 267 AEUV geschaffenen Verfahrens ist es ausschließlich Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. u. a. Urteile vom 2. April 2009, Elshani, C‑459/07, Slg. 2009, I‑2759, Randnr. 40, und vom 16. Dezember 2010, Skoma-Lux, C‑339/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 21).

29      Im Rahmen dieses Verfahrens ist es jedoch Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Es ist nämlich Aufgabe des Gerichtshofs, alle Bestimmungen des Unionsrechts auszulegen, die die nationalen Gerichte benötigen, um die bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden, auch wenn diese Bestimmungen in den dem Gerichtshof von diesen Gerichten vorgelegten Fragen nicht ausdrücklich genannt sind (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 8. März 2007, Campina, C‑45/06, Slg. 2007, I‑2089, Randnrn. 30 und 31, vom 26. Juni 2008, Wiedemann und Funk, C‑329/06 und C‑343/06, Slg. 2008, I‑4635, Randnr. 45, und vom 14. Oktober 2010, Fuß, C‑243/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 39).

30      Der Entscheidung des vorlegenden Gerichts ist zu entnehmen, dass die bei diesem anhängige Klage auf Nichtigerklärung der im Ausgangsverfahren streitigen Zollanmeldung und nicht auf Nichtigerklärung der Annahme dieser Anmeldung gerichtet ist. Des Weiteren geht aus den Verfahrensakten hervor, dass DP grup die Nichtigerklärung der Zollanmeldung nach Überlassung der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Ware durch die Zollverwaltung beantragt hat.

31      Das vorlegende Gericht möchte daher mit den gestellten Fragen wissen, ob die unionsrechtlichen Zollvorschriften dahin auszulegen sind, dass ein Anmelder nach Überlassung der Ware durch die Zollbehörden bei einem Gericht die Nichtigerklärung der Zollanmeldung bezüglich dieser Ware beantragen kann.

32      Um die solchermaßen umformulierten Fragen zu beantworten, sind die Rechtsnatur und die Tragweite der Zollanmeldung zu prüfen.

33      Wie sich aus Art. 59 Abs. 1 des Zollkodex ergibt, ist im Zollrecht der Union der Grundsatz verankert, dass alle Waren, die in ein Zollverfahren übergeführt werden sollen, anzumelden sind.

34      Die Ermittlung der für die Anwendung des Zollrechts auf die Waren erforderlichen Elemente erfolgt somit nicht auf der Grundlage der Feststellungen der Zollbehörden, sondern auf der Grundlage der vom Anmelder gemachten Angaben.

35      Folglich ist die Zollanmeldung, wie sich aus Art. 4 Nr. 17 des Zollkodex ergibt, die Handlung, mit der der Anmelder in der vorgeschriebenen Form und nach den vorgeschriebenen Bestimmungen die Absicht bekundet, eine Ware in ein bestimmtes Zollverfahren überführen zu lassen. Aus diesem Grund ist diese Anmeldung als ihrer Rechtsnatur nach einseitige Handlung keine „Entscheidung“ im Sinne von Art. 4 Nr. 5 des Zollkodex.

36      Hinsichtlich schriftlicher Zollanmeldungen verleiht Art. 68 des Zollkodex den Zollbehörden die Befugnis, die vom Anmelder gemachten Angaben zu überprüfen.

37      Damit entsprechend dem sechsten Erwägungsgrund des Zollkodex Zollförmlichkeiten und Kontrollmaßnahmen möglichst vermieden werden, schreibt der Zollkodex den Zollbehörden nicht vor, systematisch derartige Überprüfungen vorzunehmen. Demgemäß werden nach Art. 71 Abs. 2 des Zollkodex, wenn keine Überprüfung der Zollanmeldung stattfindet, für die Anwendung der Vorschriften über das Zollverfahren, zu dem die Waren angemeldet worden sind, die in dieser Anmeldung enthaltenen Angaben zugrunde gelegt.

38      Das vorstehend beschriebene System, das keine systematische Überprüfung der Zollanmeldungen vorsieht, setzt voraus, dass der Anmelder bei den Zollbehörden genaue und vollständige Angaben macht. Tatsächlich gilt nach Art. 199 Abs. 1 erster Gedankenstrich der Durchführungsverordnung die Abgabe einer vom Anmelder oder von seinem Vertreter unterzeichneten Zollanmeldung bei einer Zollstelle als Verpflichtung gemäß den Vorschriften über die Richtigkeit der in der Zollanmeldung enthaltenen Angaben.

39      In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass – wie der Generalanwalt in Nr. 29 seine Schlussanträge ausgeführt hat und anders als DP grup vor dem vorlegenden Gericht argumentiert hat – die Zollbehörden, wenn sie eine vom Anmelder oder seinem Vertreter unterzeichnete Zollanmeldung annehmen, nach Art. 63 des Zollkodex lediglich eine Prüfung der Einhaltung der Voraussetzungen nach dieser Vorschrift und nach Art. 62 des Zollkodex durchführen dürfen. Wenn die Zollbehörden eine Zollanmeldung annehmen, entscheiden sie folglich nicht über die Richtigkeit der vom Anmelder gemachten Angaben, für die dieser die Verantwortung übernimmt. Aus dem Wortlaut von Art. 68 des Zollkodex ergibt sich nämlich, dass die Annahme der Zollanmeldung den Zollbehörden nicht die Möglichkeit nimmt, anschließend und gegebenenfalls sogar nach Überlassung der Waren die Richtigkeit dieser Angaben zu prüfen.

40      Zur Verpflichtung des Anmelders, richtige Angaben zu machen, gehört auch die Angabe der korrekten Unterposition im Rahmen der zolltariflichen Einreihung der Ware (vgl. entsprechend Urteil vom 23. Mai 1989, Top Hit Holzvertrieb/Kommission, 378/87, Slg. 1989, 1359, Randnr. 26), wobei der Anmelder nach Art. 12 des Zollkodex in Zweifelsfällen bei den Zollbehörden eine verbindliche Zollauskunft beantragen kann.

41      Mit der vorstehend genannten Verpflichtung ist der Grundsatz verknüpft, dass die Zollanmeldung nach ihrer Annahme nicht widerrufbar ist, ein Grundsatz, dessen Ausnahmen im einschlägigen Unionsrecht streng eingegrenzt sind.

42      So sieht zwar der Zollkodex für den Anmelder nicht die Möglichkeit vor, die Nichtigerklärung der von ihm erstellten Zollanmeldung zu erwirken, doch darf er nach Art. 66 Abs. 1 Unterabs. 1 des Zollkodex bei den Zollbehörden beantragen, eine von ihnen bereits angenommene Anmeldung für ungültig zu erklären, wenn er nachweist, dass die Waren irrtümlich zu dem in dieser Anmeldung bezeichneten Zollverfahren angemeldet worden sind oder dass infolge besonderer Umstände die Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren nicht mehr gerechtfertigt ist.

43      Nach Art. 66 Abs. 2 des Zollkodex kann die Anmeldung nach Überlassung der Waren nur in bestimmten Fällen für ungültig erklärt werden. Diese Fälle sind in Art. 251 der Durchführungsverordnung festgelegt.

44      Aus dem Wortlaut von Art. 66 des Zollkodex folgt, dass, wenn der Anmelder selbst beantragt, die Zollanmeldung für ungültig zu erklären, sein Antrag an die Zollbehörden und nicht an die Gerichte zu richten ist.

45      Am Ende ihrer Prüfung haben die Zollbehörden somit – unter Vorbehalt des Rechtswegs – entweder den Antrag des Anmelders durch mit Gründen zu versehende Entscheidung abzulehnen oder die beantragte Ungültigerklärung vorzunehmen (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Oktober 2005, Overland Footwear, C‑468/03, Slg. 2005, I‑8937, Randnr. 50).

46      Zu dem Umstand, dass nach den Angaben des vorlegenden Gerichts mit der bei ihm anhängigen Klage von DP grup vermieden werden soll, dass gegen diese Gesellschaft wegen des Vergehens bezüglich der unrichtigen zolltariflichen Einreihung der eingeführten Ware bei der Erstellung der im Ausgangsverfahren streitigen Zollanmeldung Sanktionen verhängt werden, genügt die Feststellung, dass nach Art. 66 Abs. 3 des Zollkodex die Ungültigerklärung der Anmeldung ohne Folgen für das geltende Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht bleibt.

47      Was die dem vorlegenden Gericht vom Varhoven administrativen sad erteilten Hinweise angeht, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht, das nach der Zurückverweisung durch ein im Rechtsmittelverfahren angerufenes höheres Gericht in der Sache zu entscheiden hat, entsprechend den nationalen Verfahrensvorschriften an die rechtliche Beurteilung des höheren Gerichts gebunden ist, wenn das nationale Gericht der Auffassung ist, dass diese Beurteilung unter Berücksichtigung der Auslegung, um die es den Gerichtshof ersucht hat, nicht dem Unionsrecht entspricht (Urteil vom 5. Oktober 2010, Elchinov, C‑173/09, Slg. 2010, I‑0000, Randnr. 32).

48      Nach alledem ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, dass die unionsrechtlichen Zollvorschriften dahin auszulegen sind, dass ein Anmelder nicht bei einem Gericht die Nichtigerklärung der von ihm erstellten Zollanmeldung beantragen kann, wenn diese von den Zollbehörden angenommen worden ist. Dagegen kann er unter den Voraussetzungen des Art. 66 des Zollkodex bei den Zollbehörden beantragen, die Zollanmeldung für ungültig zu erklären, und zwar auch nachdem diese Behörden die Ware überlassen haben. Am Ende ihrer Prüfung haben die Zollbehörden – unter Vorbehalt des Rechtswegs – entweder den Antrag des Anmelders durch mit Gründen zu versehende Entscheidung abzulehnen oder die beantragte Ungültigerklärung vorzunehmen.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die unionsrechtlichen Zollvorschriften sind dahin auszulegen, dass ein Anmelder nicht bei einem Gericht die Nichtigerklärung der von ihm erstellten Zollanmeldung beantragen kann, wenn diese von den Zollbehörden angenommen worden ist. Dagegen kann er unter den Voraussetzungen des Art. 66 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1791/2006 des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung bei den Zollbehörden beantragen, die Zollanmeldung für ungültig zu erklären, und zwar auch nachdem diese Behörden die Ware überlassen haben. Am Ende ihrer Prüfung haben die Zollbehörden – unter Vorbehalt des Rechtswegs – entweder den Antrag des Anmelders durch mit Gründen zu versehende Entscheidung abzulehnen oder die beantragte Ungültigerklärung vorzunehmen.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Bulgarisch.

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