52012JC0039

Gemeinsamer Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union /* JOIN/2012/039 final - 2012/0370 (NLE) */


BEGRÜNDUNG

1.         HINTERGRUND DES VORSCHLAGS

Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) enthält eine neue „Solidaritätsklausel“, in der festgelegt ist, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam im Geiste der Solidarität handeln, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. Nach Artikel 222 Absatz 3 Satz 1 wird ein gemeinsamer Vorschlag der Kommission und des Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik vorgelegt, damit der Rat einen Beschluss zur Festlegung der Einzelheiten für die Anwendung dieser Solidaritätsklausel durch die Union erlassen kann. Das Europäische Parlament wird darüber unterrichtet.

Angesichts des weiten Anwendungsbereichs dieses Vertragsartikels decken die Anwendungsvorkehrungen zur Solidaritätsklausel eine große Zahl politischer Bereiche und Instrumente ab. Hierzu zählen die EU-Strategie der inneren Sicherheit[1], das Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz und das Finanzierungsinstrument für den Katastrophenschutz[2], der Solidaritätsfonds der Europäischen Union[3], die Initiative zur Sicherstellung der Gesundheit bei schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen[4], die Strukturen zur Krisenbewältigung und ‑analyse im EAD sowie die Vorkehrungen des Rates zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen. Die Vorkehrungen stehen auch im Einklang mit der Schaffung eines europäischen Rechtsraums in der Union.

2.         ERGEBNISSE DER KONSULTATIONEN INTERESSIERTER KREISE

Auf der Grundlage eines von Kommission und EAD erarbeiteten Fragenkatalogs haben die Mitgliedstaaten mit wertvollen schriftlichen Beiträgen zur Erstellung des Vorschlags beigetragen. Ferner haben Vertreter der Mitgliedstaaten Gespräche in verschiedenen Ratsgremien (Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee, Ständiger Ausschuss für die operative Zusammenarbeit im Bereich der inneren Sicherheit, Koordinierungsausschuss für den Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sowie Militärausschuss) geführt.

Darüber hinaus leistete das Europäische Parlament mit der Entschließung „Zu den EU-Klauseln über die gegenseitige Verteidigung und Solidarität: politische und operationelle Dimensionen“[5] einen sehr nützlichen Beitrag.

3.         RECHTLICHE ASPEKTE DES VORSCHLAGS

Ziel des Vorschlags ist es, Artikel 222 Absatz 3 nachzukommen, demzufolge die Kommission und der Hohe Vertreter dem Rat einen Vorschlag mit den Einzelheiten für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union vorlegen. In dem Vorschlag werden der geografische Anwendungsbereich, der Aktivierungsmechanismus und die Notfallplanung auf Ebene der Union festgelegt.

Der Vorschlag berücksichtigt die Koordinierungsvorkehrungen des Rates und stellt (auf der Grundlage der Krisenkoordinierungsvorkehrungen) im Einklang mit Artikel 222 Absatz 2 die Kohärenz mit ihnen sicher.

Im Hinblick auf Artikel 222 Absatz 4 enthält der Vorschlag Einzelheiten über (i) eine integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung auf EU-Ebene, die als Grundlage für die regelmäßige Bewertung durch den Europäischen Rat dient, und (ii) Vorsorgemaßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten, die anhand der Vorgaben des Europäischen Rates entwickelt werden.

Die Klausel gilt für Katastrophen und Terroranschläge auf dem Gebiet der EU, egal ob zu Lande, in den Hoheitsgewässern oder im Luftraum. Sie gilt unabhängig davon, ob der Ursprung der Krise innerhalb oder außerhalb der EU liegt. Ferner findet sie Anwendung auf Schiffe, die sich in internationalen Gewässern, und auf Flugzeuge, die sich im internationalen Luftraum aufhalten, ferner auf kritische Infrastrukturen, beispielsweise Offshore-Öl- und ‑Gas-Förderanlagen, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen.

Die Klausel bezieht sich auf alle Krisenbewältigungsstrukturen auf EU-Ebene. Angesichts der internen Dimension der Klausel sind die meisten einschlägigen Strukturen bei der Kommission (GD ECHO, HOME, SANCO, TAXUD usw.) oder bei den dezentralen Agenturen der EU (FRONTEX, ECDC, EUROPOL, EMSA, EFSA, EMA usw.) angesiedelt. Dem Europäischen Auswärtigen Dienst stehen Strukturen zur Lageerfassung sowie Strukturen mit militärischem Sachverstand und Erfahrung in der Informationsgewinnung[6] zur Verfügung sowie das Netz der Delegationen, das bei Bedrohungen oder Katastrophen im Gebiet der Mitgliedstaaten oder bei Krisen mit externer Dimension ebenfalls einen Beitrag leisten kann. Koordinierung und Informationsaustausch zwischen Kommission, EAD und den einschlägigen Agenturen findet im Rahmen von Sitzungen statt, die von der Kommission zur Vorbereitung der geplanten Krisenbewältigungsmaßnahmen einberufen werden.

Die Anwendungsvorkehrungen zur Solidaritätsklausel ersetzen weder die bestehenden Instrumente oder Politiken noch die spezifischen Verfahren für deren Inanspruchnahme. Sie bieten vielmehr einen Rahmen für außergewöhnlich bedrohliche oder Schadenssituationen, die der betroffene Mitgliedstaat/die betroffenen Mitgliedstaaten nicht bewältigen kann/können. Um die Effizienz zu steigern und doppelte Strukturen und Funktionen zu vermeiden, wird ein Netzwerkansatz gewählt, wobei das für die jeweilige Krise zuständige EU-Notfallzentrum („Schwerpunktzentrum“) mit Unterstützung des gesamtem Spektrums der Spezialdienste als Drehscheibe und Schnittstelle mit den Mitgliedstaaten fungiert.

Nach dem Vorschlag sollte die EU nur in außergewöhnlichen Umständen und auf Antrag der Regierung eines Mitgliedstaats tätig werden, die die eigenen Kapazitäten nach einem bereits erfolgten oder drohenden Terroranschlag oder einer natürlichen oder von Menschen verursachten Katastrophe für nicht ausreichend hält.

Der betroffene Mitgliedstaat kann sich auf die Solidaritätsklausel berufen; er richtet sein Ersuchen an die Kommission und unterrichtet gleichzeitig den Ratsvorsitz.

Die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaats kontaktieren unverzüglich das Notfallabwehrzentrum der Kommission (ERC), das als täglich rund um die Uhr besetzte erste zentrale Anlaufstelle der Union fungiert.

Sobald sich ein Mitgliedstaat auf die Solidaritätsklausel berufen hat, ergreifen die Kommission und der Hohe Vertreter in Einklang mit den in diesem Beschluss festgelegten Einzelheiten folgende Maßnahmen:

· Zunächst werden sämtliche EU-Instrumente, die zur Bewältigung der Krise eingesetzt werden können, erfasst und mobilisiert. Dazu zählen alle sektorspezifischen, operativen oder politischen Instrumente ihres Zuständigkeitsbereichs. Darüber hinaus erfassen und mobilisieren die Kommission und der Hohe Vertreter die Instrumente und Ressourcen, die in den Zuständigkeitsbereich der Agenturen der Union fallen.

· Anschließend wird in engem Kontakt mit dem betroffenen Mitgliedstaat bewertet, ob die vorhandenen Instrumente ausreichen oder weitere Unterstützung erforderlich ist, und gegebenenfalls ergänzend finanzielle Unterstützung aus dem EU-Solidaritätsfonds mobilisiert.

· Gegebenenfalls werden dem Rat Vorschläge unterbreitet, betreffend operative Beschlüsse über den Ausbau bestehender Mechanismen, Beschlüsse über Sondermaßnahmen der Mitgliedstaaten, die nicht in den vorhandenen Instrumenten vorgesehen sind; Maßnahmen zur politischen Koordinierung und für den Informationsaustausch; operative oder unterstützende Maßnahmen, damit die Mitgliedstaaten rasch reagieren können.

Falls es über die Katastrophenschutzverfahren hinaus militärischer Unterstützung bedarf, wird vom Hohen Vertreter in Einklang mit den einschlägigen Vertragsbestimmungen ein eigener Vorschlag vorgelegt.

Die Kommission und der Europäische Auswärtige Dienst erstellen gemeinsame Berichte zur integrierten Lagebeurteilung. Diese Berichte, in die die Beiträge der verschiedenen Lagebeobachtungs- und Krisenzentren in den Mitgliedstaaten, der Kommission, des EAD, der EU-Agenturen und relevanter internationaler Organisationen eingehen, werden vom Europäischen Notfallabwehrzentrum (ERC) oder dem benannten operativen Zentrum in Zusammenarbeit mit dem EU-Lagezentrum gesammelt. Sie werden den Mitgliedstaaten übermittelt, um den Koordinierungs- und Beschlussfassungsprozess im Rat zu unterstützen.

Das ERC fungiert als erste zentrale operative Drehscheibe auf Unionsebene. Die Kommission kann sodann in Abstimmung mit dem Hohen Vertreter ein anderes Zentrum bestimmen, das in Anbetracht der Art der Krise besser geeignet ist, diese Funktion zu übernehmen. Die benannte operative Drehscheibe dient für die Mitgliedstaaten als erste Kontaktstelle. Sie übernimmt federführend die Koordinierung der operativen Maßnahmen sowie die Erstellung gemeinsamer Lageberichte.

Nach Aktivierung der Klausel kann der Vorsitz beschließen, auf die Vorkehrungen zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen zurückzugreifen; er legt fest, wie hinsichtlich der Unterstützungsverpflichtung der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 222 Absatz 2 am besten rasche Beratungen und Beschlussfassungen im Rat erfolgen können. Das Generalsekretariat des Rates, die Kommission und der EAD leisten Unterstützung im Hinblick auf die Anwendung der Regelungen zur Koordinierung in Krisen und Notfällen.

Die Kommission und der Hohe Vertreter erstellen ab 2015 regelmäßig eine integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung auf EU-Ebene. Dieser Bericht stützt sich auf die Gefahren- und Risikoabschätzungen aus verschiedenen Bereichen (z. B. Terrorismus, organisierte Kriminalität, Katastrophenschutz, Gesundheit, Klimawandel und Umwelt). Grundlage hierfür bilden insbesondere die Überwachung, Interpretation und Übermittlung von Informationen durch die Mitgliedstaaten (über die bestehenden Sektornetzwerke oder Krisenzentren), die EU-Agenturen und die einschlägigen internationalen Organisationen. Die integrierten Gefahren- und Risikoabschätzungen bilden die Grundlage für eine regelmäßige Bewertung durch den Europäischen Rat.

Rechtsgrundlage

Rechtsgrundlage für diesen Vorschlag ist Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

Subsidiaritätsprinzip

Nach dem Vorschlag wird die EU nur unter außergewöhnlichen Umständen und auf Ersuchen der Regierung eines Mitgliedstaats, dessen Kapazitäten überlastet sind, tätig.

Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

Der Vorschlag geht nicht über das zur Erreichung der Ziele der Solidaritätsklausel erforderliche Maß hinaus. Zu diesem Zweck sieht er den Einsatz aller bestehenden EU-Unterstützungsinstrumente vor.

2012/0370 (NLE)

Gemeinsamer Vorschlag für einen

BESCHLUSS DES RATES

über die Vorkehrungen für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 222 Absatz 3 erster Satz,

auf gemeinsamen Vorschlag der Europäischen Kommission und der Hohen Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)       Dieser Beschluss betrifft die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union. Allerdings sollte die Kohärenz und Komplementarität der Maßnahmen der Union mit der sonstigen Unterstützung durch die Mitgliedstaaten nach Artikel 222 Absatz 2 des Vertrags und gemäß Erklärung 37 im Anhang des Vertrags angestrebt werden, in der festgelegt ist, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, die am besten geeigneten Mittel zur Erfüllung ihrer Verpflichtung zur Solidarität gegenüber einem anderen Mitgliedstaat zu wählen.

(2)       Für die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union gilt: sie beruht so weit wie möglich auf vorhandenen Instrumenten; sie steigert die Effizienz durch eine bessere Koordinierung und die Vermeidung doppelten Aufwands; sie erfolgt ohne zusätzliche Ressourcen; sie bietet den Mitgliedstaaten eine einfache, klare Schnittstelle auf Unionsebene; sie wahrt die Zuständigkeiten jedes Organs und jeder Dienststelle.

(3)       Dieser Beschluss nimmt auf eine Reihe politischer Instrumente Bezug, insbesondere auf die Strategie der inneren Sicherheit der Europäischen Union, das Katastrophenschutzverfahren der Europäischen Union, den Solidaritätsfonds der Europäischen Union, den Beschluss zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen und die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik entwickelten Strukturen.

(4)       Der Koordinierung der Mitgliedstaaten im Rat sollten die EU-Vorkehrungen zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen (CCA) in der nach dem Mandat des Rates und den nachfolgenden Schlussfolgerungen[7] geänderten Fassung zugrunde liegen, wonach bei der Anwendung der Solidaritätsklausel die Kohärenz sichergestellt werden sollte, die Vorkehrungen sich auf die bekannten üblichen Ratsverfahren stützen sollten, anstatt zuvor festgelegte Ad-hoc-Gruppen einzusetzen, und die Bedeutung der Befähigung zu einem integrierten Situationsbewusstsein in der EU anerkannt werden sollte.

(5)       Der geografische Anwendungsbereich der Anwendungsvorkehrungen muss eindeutig festgelegt werden.

(6)       Im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung[8] sind verschiedene Instrumente verfügbar, die den Schutz kritischer Energie- und Verkehrsinfrastrukturen[9] stärken, die Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden intensivieren, die Vorbeugemaßnahmen gegen Radikalisierung stärken und den Zugang von Terroristen zu Geldern sowie zu Explosivstoffen und chemischem, biologischem, radiologischem und nuklearem Material begrenzen[10].

(7)       Ein Aktivierungsmechanismus für die Anwendungsvorkehrungen muss auf Unionsebene festgelegt werden; er setzt ein Ersuchen von politisch hochrangiger Stelle des/der betroffenen Mitgliedstaats/Mitgliedstaaten voraus und wird durch eine zentrale Anlaufstelle auf Unionsebene unterstützt.

(8)       Die Effizienz der Notfallplanung auf Unionsebene sollte durch eine verstärkte Zusammenarbeit auf der Grundlage der bestehenden Instrumente verbessert werden.

(9)       Das Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz[11] fördert die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und der Union im Bereich des Katastrophenschutzes. Der Kommissionsvorschlag über ein Katastrophenschutzverfahren der Union[12] sieht die Einrichtung eines Europäischen Notfallabwehrzentrums (ECR) vor, das im Dienste der Mitgliedstaaten und der Kommission täglich rund um die Uhr einsatzbereit ist.

(10)     Dem Europäischen Auswärtigen Dienst stehen Strukturen mit militärischem Sachverstand und Erfahrung mit der Informationsgewinnung (beispielsweise das Zentrum der Europäischen Union für Informationsgewinnung und -analyse, der Militärstab der EU und das EU-Lagezentrum) sowie das Netz der Delegationen zur Verfügung, die bei Bedrohungen oder Katastrophen im Gebiet der Mitgliedstaaten oder bei Krisen mit externer Dimension ebenfalls einen Beitrag leisten können.

(11)     Das 2011 in der GD Inneres der Kommission eingerichtete Zentrum für strategische Analyse und Reaktion ist zuständig für die Bewertung und Bewältigung von Risiken und Krisen, die die innere Sicherheit der Union bedrohen, darunter auch Terrorismus.

(12)     Sofern dies mit Blick auf die Dringlichkeit erforderlich und durchführbar ist, sollte die Notfallplanung auf Ebene der Union durch die Annahme von Rechtsakten oder die Änderung bestehender Rechtsakte im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags ergänzt werden.

(13)     Dieser Beschluss lässt die Verteidigung unberührt. Erfordert eine Krise Maßnahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die über den Einsatz militärischer Mittel hinausgehen, die durch bestehende Katastrophenschutzregelungen abgedeckt sind, sollte im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Vertrags der Rat diese Maßnahmen beschließen.

(14)     In der Mitteilung der Kommission „EU-Strategie der inneren Sicherheit: Fünf Handlungsschwerpunkte für mehr Sicherheit in Europa“[13] wurde das Ziel formuliert, die Widerstandsfähigkeit Europas gegen Krisen und Katastrophen durch eine Reihe von Maßnahmen einschließlich der Anwendung der Solidaritätsklausel und der Entwicklung einer Bedrohungs- und Risikobewertungsmethode, die allen Gefahren Rechnung trägt, zu steigern. Im Einklang hiermit sollte auch eine sektorenübergreifende Übersicht über die natürlichen oder vom Menschen verursachten Risiken erstellt und regelmäßig aktualisiert werden.

(15)     Auf Unionsebene sollte eine integrierte Bedrohungs- und Risikobewertungsmethode festgelegt werden, die es dem Europäischen Rat ermöglichen sollte, die Bedrohungen für die Union zu bewerten, um die Union und ihre Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, gegebenenfalls wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

(16)     Am 22. November 2012 hat das Europäische Parlament die Entschließung 2012/2223 „EU-Klauseln über die gegenseitige Verteidigung und Solidarität: politische und operationelle Dimensionen“ verabschiedet.

(17)     Die vorgesehenen Anwendungsvorkehrungen lassen die weitere Entwicklung einschlägiger Vorkehrungen für die Bewältigung von Krisensituationen außerhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten unberührt.

(18)     Dieser Beschluss achtet die Grundrechte, wahrt die in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannten Grundsätze und ist im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen anzuwenden.

(19)     Da die Ziele dieses Beschlusses, insbesondere die Anwendung der Solidaritätsklausel durch die Union, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden können und deshalb auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union verankerten Subsidiaritätsprinzip Maßnahmen treffen. Nach dem im selben Artikel niedergelegten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht dieser Beschluss nicht über das zur Erreichung der genannten Ziele erforderliche Maß hinaus —

HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

Artikel 1

Allgemeines Ziel und Gegenstand

1.           In diesem Beschluss werden die Regeln und Verfahren für die Anwendung von Artikel 222 Absatz 3 erster Satz des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (nachfolgend: „Solidaritätsklausel“) festgelegt.

2.           Die auf Unionsebene zu treffenden Vorkehrungen stützen sich auf die in der Kommission und in den Agenturen der Union bestehenden Informationsbeschaffungs- und Unterstützungsmechanismen und ergänzen sie. Bei Krisen mit externer Dimension oder Krisen, die Informationsbeschaffung, militärische Ressourcen oder GASP-Maßnahmen erfordern, leisten der Hohe Vertreter und der EAD im Zuständigkeitsbereich des Hohen Vertreters einen Beitrag durch geeignete Initiativen und durch die Bereitstellung entsprechender Informationen und Unterstützung.

3.           Diese Vorkehrungen führen durch eine verbesserte Koordinierung zwischen den Maßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten zu mehr Effizienz.

4.           Die politische Koordinierung im Rat stützt sich auf die Vorkehrungen des Rates zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen und stellt die Kohärenz und Komplementarität mit den Maßnahmen der Union sicher.

Artikel 2

Anwendungsbereich

Dieser Beschluss findet Anwendung bei Terroranschlägen oder natürlichen oder vom Menschen verursachten Katastrophen, unabhängig davon, ob diese ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb des Gebiets der Mitgliedstaaten haben:

(a) im Gebiet der Mitgliedstaaten, auf das der Vertrag Anwendung findet, einschließlich der Landfläche, der Hoheitsgewässer und des Luftraums;

(b) sofern Schiffe (in internationalen Gewässern), Flugzeuge (im internationalen Luftraum) oder kritische Infrastrukturen (beispielsweise Offshore-Einrichtungen zur Öl- und Erdgasförderung) betroffen sind, die der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaats unterstehen.

Artikel 3

Begriffsbestimmungen

Für die Zwecke dieses Beschlusses gelten die folgenden Begriffsbestimmungen:

(a) Krise: eine ernste, unerwartete und häufig gefährliche Situation, die rechtzeitige Maßnahmen erfordert; eine Situation, die Menschenleben, die Umwelt, kritische Infrastrukturen oder wesentliche gesellschaftliche Funktionen betreffen oder bedrohen kann und auf eine natürliche oder von Menschen verursachte Katastrophe oder Terroranschläge zurückgeht;

(b) Katastrophe: jede Situation, die schädliche Auswirkungen auf Menschen, die Umwelt oder Vermögenswerte hat oder haben kann;

(c) Terroranschlag: terroristische Straftat gemäß Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung, geändert durch den Rahmenbeschluss 2008/919/JI des Rates vom 28. November 2008;

(d) Bereitschaft: eine Handlungsbereitschaft und -fähigkeit in personeller und materieller Hinsicht aufgrund im Voraus getroffener Maßnahmen, die eine wirksame und rasche Reaktion auf Notfälle ermöglicht;

(e) Reaktion: jede Maßnahme, die während oder nach einer Katastrophe oder einem realen oder drohenden Terroranschlag zur Bekämpfung der unmittelbaren schädlichen Auswirkungen getroffen wird.

Artikel 4

Aktivierung

1.           Jeder Mitgliedstaat, der Ziel eines realen oder drohenden Terroranschlags oder von einer natürlichen oder von Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist, kann sich auf die Solidaritätsklausel berufen, wenn er nach Ausschöpfung der auf nationaler und Unionsebene vorhandenen Mittel und Instrumente der Auffassung ist, dass die Situation seine Bewältigungskapazität überfordert.

2.           Der betroffene Mitgliedstaat richtet über das Notfallabwehrzentrum ein Ersuchen an den Präsidenten der Europäischen Kommission und unterrichtet gleichzeitig den Ratsvorsitz.

3.           Das Notfallabwehrzentrum fungiert als täglich rund um die Uhr besetzte erste zentrale Anlaufstelle für die zuständigen Behörden des betroffenen Mitgliedstaats.

Artikel 5

Notfallplanung auf Unionsebene

1.           Sobald sich ein Mitgliedstaat auf die Solidaritätsklausel berufen hat, ergreifen die Kommission und der Hohe Vertreter im Einklang mit Artikel 1 Absatz 2 folgende Maßnahmen:

(a) Sie erfassen alle einschlägigen Instrumente der Union, die am besten zur Bewältigung der Krise beitragen können, und setzen sie ein; dazu zählen sektorspezifische, operative, politische oder finanzielle Beschlüsse (z.B. das Katastrophenschutzverfahren, das Zentrum für strategische Analyse und Reaktion, die Fazilität für Maßnahmen bei Krisenfällen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, die Informationsbeschaffungsressourcen des EU-Zentrums für Informationsgewinnung und ‑analyse INTCEN), die in den Zuständigkeitsbereich der Kommission und des Hohen Vertreters fallen, sowie militärische Mittel des Militärstabs der EU EUMS; darüber hinaus erfassen sie die Instrumente und Ressourcen, die in den Zuständigkeitsbereich der Agenturen der Union fallen, und schlagen ihre Verwendung vor.

(b) Sie bewerten, ob die vorhandenen Instrumente ausreichen.

(c) Sie erstellen regelmäßig integrierte Lagebeurteilungs- und Analyseberichte und unterstützen die Koordinierung und Beschlussfassung auf politischer Ebene im Rat.

(d) Gegebenenfalls unterbreiten sie dem Rat Vorschläge, vor allem für direkt umsetzbare Beschlüsse über den Ausbau bestehender Mechanismen, Beschlüsse über Sondermaßnahmen der Mitgliedstaaten, die nicht in den vorhandenen Instrumenten vorgesehen sind, politische Koordinierung und Informationsaustausch mit dem Ziel, das notwendige Regelungsumfeld zu schaffen, sowie operative oder unterstützende Maßnahmen für eine rasche Reaktion der Mitgliedstaaten.

Die Kommission beruft Sitzungen zur Vorbereitung der geplanten Krisenbewältigungsmaßnahmen ein. Sie lädt den EAD und die einschlägigen EU-Agenturen ein.

2.           Das Europäische Notfallabwehrzentrum (ERC) dient vorläufig als zentrale operative Anlaufstelle für die Mitgliedstaaten auf Unionsebene. Die Kommission kann in Abstimmung mit dem Hohen Vertreter später ein anderes Zentrum bestimmen, das je nach Art der Krise besser geeignet ist, diese Funktion zu übernehmen. Die benannte operative Drehscheibe fungiert für die Mitgliedstaaten als erste Anlaufstelle. Sie leitet die Koordinierung der operativen Reaktionsmaßnahmen und erstellt Berichte zur Lagebeurteilung.

Artikel 6

Vorkehrungen für die Koordinierung im Rat

Nach Aktivierung der Klausel kann der Ratsvorsitz beschließen, auf die Vorkehrungen zur Koordinierung in Krisen- und Notfällen zurückzugreifen; er legt fest, wie gemäß der Unterstützungsverpflichtung am besten rasche Beratungen und Beschlüsse im Rat vorbereitet werden können. Das Generalsekretariat des Rates, die Kommission und der EAD wirken bei diesen Vorkehrungen unterstützend mit.

Artikel 7

Lagebeurteilungsberichte

Das ERC oder das benannte operative Zentrum erstellt in Zusammenarbeit mit dem EU-Lagezentrum Berichte zur Lagebeurteilung. Dabei werden Beiträge verschiedener Lagebeobachtungs- und Krisenzentren der Mitgliedstaaten, der Kommission, des EAD, der einschlägigen EU-Agenturen und der einschlägigen internationaler Organisationen zugrunde gelegt.

Artikel 8

Integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung auf EU-Ebene

1.           Die Kommission und der Hohe Vertreter erstellen ab 2015 regelmäßig einen Bericht über die integrierte Gefahren- und Risikoabschätzung auf EU-Ebene.

2.           Dieser Bericht stützt sich auf die in verschiedenen Bereichen erstellten Bedrohungs-, Gefahren- und Risikoabschätzungen (z.B. in den Bereichen Terrorismus, organisierte Kriminalität, Katastrophenschutz, Gesundheit, Umwelt, Klimawandel usw.), denen die Kontrolle, Interpretation und Übermittlung von Informationen durch die Mitgliedstaaten (über die bestehenden Sektornetzwerke oder Krisenzentren), die Agenturen sowie die einschlägigen internationalen Organisationen zugrunde liegt.

3.           Die Berichte zur integrierten Gefahren- und Risikoabschätzung bilden die Grundlage für eine regelmäßige Bewertung durch den Europäischen Rat.

Artikel 9

Bereitschaft

Die Mitgliedstaaten, die Kommission und der Hohe Vertreter bewerten die in der Union und den Mitgliedstaaten bereitstehenden Mittel, die gegen Bedrohungen größeren Ausmaßes eingesetzt werden können; sie erfassen mögliche Schwachstellen und stellen fest, wie diese Schwachstellen am wirksamsten und kostengünstigsten beseitigt und wie am besten Mittel für eine effiziente Solidarität aufgebaut werden können.

Artikel 10

Inkrafttreten

Dieser Beschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Geschehen zu Brüssel am […]

                                                                       Im Namen des Rates

                                                                       Der Präsident

[1]               Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat vom 22. November 2010 – EU-Strategie der inneren Sicherheit: Fünf Handlungsschwerpunkte für mehr Sicherheit in Europa (KOM(2010) 673 endgültig).

[2]               Entscheidung des Rates über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung), 2007/779/ EG, Euratom; Entscheidung des Rates zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für den Katastrophenschutz, 2007/162/EG, Euratom.

[3]               Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 des Rates vom 11. November 2002 zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union.

[4]               Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zu schwerwiegenden grenzüberschreitenden Gesundheitsbedrohungen, KOM(2011) 866 endgültig.

[5]               2012/2223 vom 22.11.2012.

[6]               Wie das EU-Zentrum für Informationsgewinnung und ‑analyse, der Militärstab der EU und das EU-Lagezentrum.

[7]               Schlussfolgerungen des Rates „Justiz und Inneres“ vom 1.6.2006, Dok. 9409/06, Schlussfolgerungen des AstV vom 10.12.2010; Schlussfolgerungen des AstV vom 23.11.2011 und 30.5.2012.

[8]               Terrorismus nach der Definition der Rahmenbeschlüsse des Rates zur Terrorismusbekämpfung von 2002 und 2008 (ABl. L 164 vom 22.6.2002, S. 3 und ABl. L 330 vom 9.12.2008, S. 21).

[9]               Siehe Richtlinie 2008/114/EG des Rates vom 8.12.2008 über die Ermittlung und Ausweisung europäischer kritischer Infrastrukturen und die Bewertung der Notwendigkeit, ihren Schutz zu verbessern (ABl. L 345 vom 23.12.2008).

[10]             Mitteilung der Kommission „Politik der EU zur Terrorismusbekämpfung: wichtigste Errungenschaften und künftige Herausforderungen“ (KOM(2010) 386 endg. vom 20.7.2010). Nachfolgend wurden weitere Maßnahmen ergriffen, beispielsweise der Vorschlag für eine Verordnung über das Inverkehrbringen und die Verwendung von Ausgangsstoffen für Explosivstoffe (KOM(2010) 473 endg.), die Errichtung eines EU-Aufklärungsnetzwerks gegen Radikalisierung sowie verstärkte Anstrengungen auf der Gebiet der CBRN, der Sicherheit beim Umgang mit und dem Nachweis von Explosivstoffen.

[11]             Entscheidung 2007/779/EG, Euratom des Rates vom 8. November 2007 über ein Gemeinschaftsverfahren für den Katastrophenschutz (Neufassung) und Entscheidung des Rates 2007/162/EG, Euratom vom 5. März 2007 zur Schaffung eines Finanzierungsinstruments für den Katastrophenschutz.

[12]             KOM(2011) 934 endg.

[13]             KOM(2010) 673 endg.