25.7.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 270/20


Vorabentscheidungsersuchen des Østre Landsret (Dänemark), eingereicht am 25. Februar 2016 — Skatteministeriet/T Denmark

(Rechtssache C-116/16)

(2016/C 270/29)

Verfahrenssprache: Dänisch

Vorlegendes Gericht

Østre Landsret

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Skatteministeriet

Beklagte: T Denmark

Vorlagefragen

1.

Kann sich ein Mitgliedstaat nur dann auf Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie (1), der die Anwendung einzelstaatlicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen betrifft, berufen, wenn er eine spezifische einzelstaatliche Bestimmung zur Umsetzung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie erlassen hat oder wenn das nationale Recht allgemeine Bestimmungen oder Grundsätze zu Steuerhinterziehungen und Missbräuchen enthält, die im Einklang mit Art. 1 Abs. 2 ausgelegt werden können?

1.1

Falls die Frage 1 zu bejahen ist: Kann § 2 Abs. 2 Buchst. c des Selskabsskattelov (Körperschaftsteuergesetz), wonach „es eine Vorbedingung ist, dass nach den Bestimmungen der Richtlinie 90/435/EWG über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten keine … Steuer auf die Dividenden erhoben wird“, als eine solche spezifische einzelstaatliche Bestimmung im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie angesehen werden?

2.

Ist eine Bestimmung in einem dem OECD-Musterabkommen nachgebildeten Doppelbesteuerungsabkommen zwischen zwei Mitgliedstaaten, nach der die Besteuerung der ausgeschütteten Dividenden davon abhängt, ob der Bezieher Nutzungsberechtigter dieser Dividenden ist, eine solche vertragliche Bestimmung zur Missbrauchsbekämpfung, die unter Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie fällt?

3.

Wenn der Gerichtshof die Frage 2 bejaht: Ist es dann Sache der nationalen Gerichte, den Inhalt des Begriffs „Nutzungsberechtigter“ festzulegen oder ist der Begriff für die Anwendung der Richtlinie 90/435/EWG unter Zugrundelegung eines spezifischen unionsrechtlichen Verständnisses auszulegen, das der Überprüfung durch den Gerichtshof unterliegt?

4.

Wenn der Gerichtshof die Frage 2 bejaht und die Frage 3 dahin beantwortet, dass es nicht Sache der nationalen Gerichte ist, den Inhalt des Begriffs „Nutzungsberechtigter“ festzulegen: Ist dieser Begriff dann dahin auszulegen, dass eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft, die — unter Umständen wie den hier vorliegenden — Dividenden von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft bezieht, „Nutzungsberechtigte“ dieser Dividenden im Sinne der unionsrechtlichen Auslegung dieses Begriffs ist?

a)

Ist der Begriff „Nutzungsberechtigter“ wie der entsprechende Begriff in Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2003/49/EG (Zinsen- und Lizenzgebühren-Richtlinie) auszulegen?

b)

Ist der Begriff allein unter Heranziehung der Erläuterungen (Musterkommentar) zu Art. 10 des Musterabkommens von 1977 (Ziff. 12) auszulegen oder können auch spätere Erläuterungen wie die Ergänzungen, die 2003 zu den Durchleitungsstellen oder 2014 zu den vertraglichen oder rechtlichen Verpflichtungen vorgenommen wurden, herangezogen werden?

c)

Inwieweit ist für die Beurteilung der Frage, ob der Dividendenempfänger als „Nutzungsberechtigter“ anzusehen ist, von Bedeutung, ob er eine vertragliche oder rechtliche Verpflichtung hatte, die Dividenden an eine andere Person weiterzuleiten?

d)

Welche Bedeutung hat es für die Beurteilung der Frage, ob der Dividendenempfänger als „Nutzungsberechtigter“ anzusehen ist, dass das vorlegende Gericht nach einer Würdigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens befindet, dass der Empfänger — ohne dass er durch eine vertragliche oder rechtliche Verpflichtung gebunden gewesen wäre, die vereinnahmten Dividenden an eine andere Person weiterzuleiten — im Wesentlichen nicht berechtigt war, über die Zinsen zu verfügen („use and enjoy“), wie es in den Erläuterungen von 2014 zum Musterabkommen von 1977 heißt?

5.

Wenn hier davon auszugehen ist, dass„einzelstaatliche oder vertragliche Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie vorliegen, dass Dividenden von einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (A) an eine Muttergesellschaft (B) in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschüttet und von dort an deren Muttergesellschaft (C) weitergeleitet worden sind, die außerhalb der EU/des EWR ansässig ist und die Mittel wiederum an ihre Muttergesellschaft (D) weitergeleitet hat, die ebenfalls außerhalb der EU/des EWR ansässig ist, dass zwischen ersterem Mitgliedstaat und dem Staat, in dem C ansässig ist, kein Doppelbesteuerungsabkommen besteht, dass zwischen ersterem Mitgliedstaat und dem Staat, in dem D ansässig ist, ein Doppelbesteuerungsabkommen besteht und dass ersterer Mitgliedstaat daher nach seinem Recht dann keinen Anspruch auf Quellensteuer auf die von A an D ausgeschütteten Dividenden gehabt hätte, wenn D direkte Eigentümerin von A gewesen wäre, handelt es sich dann um einen Missbrauch im Sinne der Richtlinie, der bewirkt, dass B keinen Richtlinieschutz genießt?

6.

Wird eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft (Muttergesellschaft) konkret nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG als von der Quellensteuer auf Dividenden, die sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) erhalten hat, befreit angesehen, steht dann Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV Rechtsvorschriften entgegen, nach denen letzterer Mitgliedstaat die Dividenden der in dem anderen Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft besteuert, wenn er solche Dividenden bei inländischen Muttergesellschaften unter im Übrigen gleichen Umständen nicht besteuert?

7.

Wird eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft (Muttergesellschaft) konkret nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG als von der Quellensteuer auf Dividenden, die sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) erhalten hat, befreit angesehen und von letzterem Mitgliedstaat als dort beschränkt steuerpflichtig für diese Dividenden angesehen, steht dann Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV Rechtsvorschriften entgegen, nach denen die Steuerabzugspflichtige (die Tochtergesellschaft) in letzterem Mitgliedstaat bei verspäteter Abführung der Quellensteuer Verzugszinsen mit einem höheren Zinssatz als dem zahlen muss, der dort für Verzugszinsen auf die Körperschaftssteuerschuld einer gebietsansässigen Gesellschaft gilt?

8.

Wenn der Gerichtshof die Frage 2 bejaht und die Frage 3 dahin beantwortet, dass es nicht Sache der nationalen Gerichte ist, den Inhalt des Begriffs „Nutzungsberechtigter“ festzulegen, und eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft (Muttergesellschaft) auf dieser Grundlage konkret nicht gemäß der Richtlinie 90/435/EWG als von der Quellensteuer auf Dividenden, die sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) erhalten hat, befreit angesehen wird, ist letzterer Mitgliedstaat dann nach der Richtlinie 90/435/EWG oder Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet, anzugeben, wen er in diesem Fall als Nutzungsberechtigten ansieht?

9.

Wird eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft (Muttergesellschaft) konkret nicht gemäß der Richtlinie 90/435/EWG als von der Quellensteuer auf Dividenden, die sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) erhalten hat, befreit angesehen, steht dann Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV (oder Art. 63 AEUV) — einzeln oder zusammen betrachtet — Rechtsvorschriften entgegen,

a)

nach denen die Tochtergesellschaft in letzterem Mitgliedstaat die Quellensteuer auf die Dividenden einbehalten muss und dem Staat gegenüber für die nicht einbehaltene Quellensteuer haftet, eine solche Einbehaltungspflicht aber nicht gilt, wenn die Muttergesellschaft in diesem Mitgliedstaat ansässig ist?

b)

nach denen letzterer Mitgliedstaat Verzugszinsen auf eine Quellensteuerschuld berechnet?

Der Gerichtshof wird ersucht, bei der Antwort auf die Frage 9 die Antworten auf die Fragen 6 und 7 zu berücksichtigen.

10.

In einem Fall, in dem

1.

eine in einem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft (Muttergesellschaft) die in der Richtlinie 90/435/EWG festgelegte Bedingung, (2011) mindestens 10 % des Aktienkapitals einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft (Tochtergesellschaft) zu halten, erfüllt,

2.

die Muttergesellschaft konkret nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 90/435/EWG als von der Quellensteuer auf von der Tochtergesellschaft ausgeschüttete Dividenden befreit angesehen wird,

3.

der oder die in einem Drittstaat ansässige(n) (direkte[n] oder indirekte[n)] Anteilseigner als „Nutzungsberechtigte(r)“ der fraglichen Dividenden angesehen wird bzw. werden,

4.

diese(r) (direkte[n] oder indirekte[n)] Anteilseigner ebenfalls das genannte Kapitalerfordernis erfüllt bzw. erfüllen,

steht Art. 63 AEUV dann Rechtsvorschriften, nach denen der Mitgliedstaat, in dem die Tochtergesellschaft ansässig ist, die fraglichen Dividenden besteuert, entgegen, wenn er solche Dividenden bei inländischen Gesellschaften, die das Kapitalerfordernis der Richtlinie 90/435/EWG erfüllen, d. h. im Steuerjahr 2011 mindestens 10 % des Aktienkapitals der ausschüttenden Gesellschaft halten, nicht besteuert?


(1)  Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. L 225, S. 6).