52004SC0826

Stellungnahme der Kommission zum Bestehen eines übermäßigen Defizits in Polen - Anwendung von Artikel 104 Absatz 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft /* SEK/2004/0826 endg. */


STELLUNGNAHME DER KOMMISSION zum Bestehen eines übermäßigen Defizits in Polen - Anwendung von Artikel 104 Absatz 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

BEGRÜNDUNG

Am 7. April 2004 veröffentlichte die Kommission ihre Frühjahrsprognose 2004. [1] Nach dieser Prognose, die unter Berücksichtigung der im März 2004 von Polen gemeldeten Daten erstellt wurde, erhöhte sich das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit Polens von 3,6 % des BIP 2002 [2] auf 4,1 % des BIP 2003 und lag damit über dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 3 % des BIP.

[1] Diese findet sich auf folgender Website: http://europa.eu.int/comm/economy_finance/publications/european_economy/2004/ee204en.pdf.

[2] In dem von den polnischen Behörden am 17. Mai vorgelegten Konvergenzprogramm wurde das Defizit 2002 auf 4 % des BIP korrigiert.

Aufgrund dieses Anscheinsbeweises leitete die Kommission am 12. Mai 2004 mit der Annahme des Berichts nach Artikel 104 Absatz 3 EG-Vertrag [3] für Polen das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit ein. Am 17. Mai 2004 erhielt die Kommission das polnische Konvergenzprogramm, das für das Jahr 2003 ein Defizit von 4,1% des BIP bestätigt.

[3] Der vollständige Bericht findet sich auf folgender Website: http://europa.eu.int/comm/economy_finance/about/activities/sgp/procedures_en.htm.

Das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit richtet sich nach Artikel 104 EG-Vertrag und der zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gehörenden Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates "über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit" [4]. Die der EU am 1. Mai 2004 beigetretenen Länder sind Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt und die übermäßige Defizite zu vermeiden haben. Sanktionen nach Artikel 104 Absätze 9 und 11 können gegen sie jedoch nicht verhängt werden.

[4] ABl. L 209 vom 2.8.1997.

Der Bericht der Kommission nach Artikel 104 Absatz 3 EG-Vertrag kommt zu dem Schluss, dass die Überschreitung des im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwerts von 3 % des BIP durch das polnische Defizit im Jahr 2003 weder auf ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der polnischen Behörden entzogen hätte, noch auf einen schweren Wirtschaftsabschwung im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückzuführen war, denn das reale BIP-Wachstum erreichte 2003 3,7 %. Im Hinblick auf die Entwicklung im Jahr 2004 kommt der Bericht zu dem Schluss, dass das gesamtstaatliche Defizit wahrscheinlich steigen und weiterhin über 3 % des BIP liegen wird. So rechnet die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2004 mit einem gesamtstaatlichen Defizit von 6,0 % des BIP im Jahr 2004, das damit über den im polnischen Konvergenzprogramm angesetzten 5,7 % des BIP läge.

Aufgrund der Frühjahrsprognose 2004 der Kommission gelangte der Kommissionsbericht außerdem zu dem Schluss, dass die öffentliche Schuldenquote, die 2003 45,4 % des BIP erreichte, auch 2004 unter dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 60 % liegen wird. So rechnet die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2004 mit einer Schuldenquote von 49,1 % des BIP im Jahr 2004, die damit den von den polnischen Behörden im Konvergenzprogramm angesetzten 49% des BIP entspräche. Die Defizit- und Schuldenstanddaten werden nach oben korrigiert werden müssen, wenn die offenen Rentenfonds nach der EUROSTAT-Entscheidung über die Einstufung von kapitalgedeckten Rentensystemen aus dem Sektor Gesamtstaat herausgerechnet werden.

Nach Artikel 104 Absatz 4 EG-Vertrag "[gibt] der Ausschuss nach Artikel 114 (d.h. der Wirtschafts- und Finanzausschuss) [...] eine Stellungnahme zu dem Bericht der Kommission ab". Der Ausschuss gab seine Stellungnahme am 24. Mai 2004 ab und schloss sich der im Bericht der Kommission enthaltenen Bewertung an. Wie der Ausschuss insbesondere feststellte, deutet die polnische Haushaltslage auf das Bestehen eines übermäßigen Defizits nach dem ersten der beiden in Artikel 104 Absatz 2 vorgesehenen Kriterien für die Feststellung solcher Defizite hin. Die Berücksichtigung sonstiger einschlägiger Faktoren, insbesondere der mittelfristigen Haushaltslage und der öffentlichen Investitionsquote, änderte diese Bewertung anhand der Kriterien selbst nicht. Der Ausschuss hielt es außerdem für wahrscheinlich, dass das gesamtstaatliche Defizit 2004 weiterhin über dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert und der gesamtstaatliche Bruttoschuldenstand 2004 weiterhin unter dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 60 % liegen wird.

Die Kommission vertritt nach Prüfung der in ihrem Bericht berücksichtigten einschlägigen Faktoren und nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses die Auffassung, dass in Polen ein übermäßiges Defizit besteht. Diese von der Kommission am 24. Juni 2004 angenommene Stellungnahme wird hiermit gemäß Artikel 104 Absatz 5 EG-Vertrag dem Rat vorgelegt. Die Kommission empfiehlt dem Rat, gemäß Artikel 104 Absatz 6 in diesem Sinne zu entscheiden. Außerdem legt die Kommission dem Rat eine Empfehlung für eine Empfehlung des Rates vor, die gemäß Artikel 104 Absatz 7 EG-Vertrag an Polen zu richten ist, mit dem Ziel, das übermäßige öffentliche Defizit zu beenden.

STELLUNGNAHME DER KOMMISSION zum Bestehen eines übermäßigen Defizits in Polen - Anwendung von Artikel 104 Absatz 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

ALLGEMEINE ERWAEGUNGEN

Nach Artikel 104 EG-Vertrag haben die Mitgliedstaaten übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden. Dies betrifft auch die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, was bei allen der EU am 1. Mai 2004 beigetretenen Ländern der Fall ist. Entscheidungen über das Bestehen eines übermäßigen Defizits werden nach dem Verfahren bei einem übermäßigen Defizit getroffen, das in Artikel 104 EG-Vertrag und in der zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gehörenden Verordnung (EG) Nr. 1467/97 des Rates [5] geregelt ist.

[5] ABl. L 209 vom 2.8.1997.

Nach Artikel 104 Absatz 2 EG-Vertrag hat die Kommission die Entwicklung der Haushaltslage und der Höhe des öffentlichen Schuldenstands in den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Feststellung schwerwiegender Fehler zu überwachen. Insbesondere hat die Kommission die Einhaltung der Haushaltsdisziplin anhand von zwei Kriterien zu prüfen, nämlich dem Verhältnis des geplanten oder tatsächlichen öffentlichen Defizits zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dem Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands zum BIP. Die statistischen Daten zu diesen Variablen werden von der Kommission auf der Grundlage der von den Mitgliedstaaten übermittelten Meldungen geliefert.

Nach Artikel 104 Absatz 3 EG-Vertrag hat die Kommission einen Bericht zu erstellen, wenn keines oder nur eines der beiden Kriterien des Artikels 104 Absatz 2 erfuellt wird oder wenn die Kommission ungeachtet der Erfuellung dieser Kriterien der Auffassung ist, dass in einem Mitgliedstaat die Gefahr eines übermäßigen Defizits besteht. Gemäß Artikel 104 Absatz 3 berücksichtigt der Bericht der Kommission auch, ob das öffentliche Defizit die öffentlichen Ausgaben für Investitionen übertrifft, sowie alle sonstigen einschlägigen Faktoren, einschließlich der mittelfristigen Wirtschafts- und Haushaltslage des Mitgliedstaats. Auf der Grundlage ihrer Frühjahrsprognose 2004, die unter Berücksichtigung der von Polen im März 2004 gemeldeten Daten erstellt wurde, hat die Kommission am 12. Mai 2004 für Polen einen derartigen Bericht angenommen.

Anschließend hat der Wirtschafts- und Finanzausschuss gemäß Artikel 104 Absatz 4 am 24. Mai 2004 eine Stellungnahme zu dem Bericht der Kommission abgegeben.

Nach Artikel 104 Absatz 5 EG-Vertrag hat die Kommission dem Rat eine Stellungnahme vorzulegen, wenn sie der Auffassung ist, dass in einem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit besteht oder sich ergeben könnte. Um beurteilen zu können, ob ein übermäßiges Defizit besteht oder sich ergeben könnte, sind nach Ansicht der Kommission zu berücksichtigen: (i) die Ergebnisse ihres eigenen Berichts und (ii) die diesbezügliche Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses. Auf der Grundlage dieser Elemente hat die Kommission eine Reihe von Erwägungen zu Polen formuliert.

ERWAEGUNGEN IN BEZUG AUF POLEN

1. Das gesamtstaatliche Defizit in Polen betrug 2003 4,1 % des BIP und lag damit deutlich über dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 3 % des BIP. Damit blieb es in etwa auf dem Stand von 2002 (4,0 % des BIP, im Konvergenzprogramm vom Mai 2004 von den im Bericht über die Haushaltslage vom März 2004 angegebenen 3,6 % des BIP nach oben korrigiert).

2. Die Überschreitung des Defizit-Referenzwerts von 3% des BIP im Jahr 2003 war weder auf ein außergewöhnliches Ereignis, das sich der Kontrolle der polnischen Behörden entzogen hätte, noch auf einen schweren Wirtschaftsabschwung im Sinne des Stabilitäts- und Wachstumspakts zurückzuführen. 2003 betrug das reale BIP-Wachstum den jüngsten Schätzungen entsprechend 3,8 %.

3. Das gesamtstaatliche Defizit 2003 fiel höher aus als im August 2002 bei Verabschiedung des Wirtschaftsprogramms zur Beitrittsvorbereitung erwartet. Die unerwartet hohen Ausgaben waren auf verschiedene zusätzliche Sozialleistungen (wie Kindergeld und Familienzulagen) und den Auslandsschuldendienst zurückzuführen. Trotz des höheren Wachstums und verschiedener Maßnahmen zur Verbesserung der Steuerverwaltung fielen die Einnahmen 2003 geringer aus als ursprünglich vorgesehen. Das Einkommensteueraufkommen wurde aufgrund optimistischer Lohn- und Beschäftigungsprognosen überschätzt. Auch die Einnahmen aus indirekten Steuern waren niedriger als erwartet.

4. Die öffentlichen Bruttoinvestitionen betrugen 2003 3,5 % des BIP, gegenüber einem gesamtstaatlichen Defizit von 4,1 % des BIP.

5. Das gesamtstaatliche Defizit dürfte 2004 weiterhin über dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert liegen. So rechnet die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2004 für Polen mit einem gesamtstaatlichen Defizit von 6,0 % des BIP im Jahr 2004, das damit über den von den polnischen Behörden im Konvergenzprogramm vom Mai 2004 angesetzten 5,7 % des BIP liegt.

6. Der öffentliche Bruttoschuldenstand im Verhältnis zum BIP, der 2003 in Polen 45,4 % des BIP erreichte, dürfte auch 2004 unter dem im EG-Vertrag vorgesehenen Referenzwert von 60 % des BIP bleiben. So rechnet die Kommission in ihrer Frühjahrsprognose 2004 mit einem Bruttoschuldenstand von 49,1 % des BIP im Jahr 2004, der damit den von den polnischen Behörden im Konvergenzprogramm angesetzten 49% des BIP entspräche.

SCHLUSSFOLGERUNG

Die Überwachung der Haushaltslage in Polen und insbesondere die Prüfung der Einhaltung der Kriterien nach Artikel 104 Absatz 2 haben die Kommission veranlasst, einen Bericht nach Artikel 104 Absatz 3 EG-Vertrag zu erstellen. Nach Prüfung der in diesem Bericht berücksichtigten einschlägigen Faktoren und gestützt auf die Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses ist die Kommission der Auffassung, dass in Polen ein übermäßiges Defizit besteht.