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Document 32011H0701(01)

Empfehlung des Rates vom 28. Juni 2011 für politische Strategien zur Senkung der Schulabbrecherquote Text von Bedeutung für den EWR

OJ C 191, 1.7.2011, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

Legal status of the document In force

1.7.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 191/1


EMPFEHLUNG DES RATES

vom 28. Juni 2011

für politische Strategien zur Senkung der Schulabbrecherquote

(Text von Bedeutung für den EWR)

2011/C 191/01

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 165 und 166,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Der Begriff Schulabbruch wird verwendet, wenn die Aus- oder Weiterbildung nach Durchlaufen der Sekundarstufe I oder davor beendet wird.

(2)

Eine Senkung der Schulabbrecherquote ist von grundlegender Bedeutung für die Verwirklichung mehrerer zentraler Ziele der Strategie Europa 2020. Durch die Verringerung der Schulabbrecherquote werden nämlich sowohl die Ziele für „intelligentes Wachstum“, — durch Anhebung des Niveaus der allgemeinen und beruflichen Bildung — als auch die Ziele für „integratives Wachstum“, und zwar durch Bekämpfung eines der Hauptrisikofaktoren für Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung, verfolgt. Die Senkung der Schulabbrecherquote bis 2020 auf unter 10 % (von 14,4 % im Jahr 2009) gehört daher zu den Kernzielen der Strategie Europa 2020. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, ausgehend von ihrer Ausgangssituation und den nationalen Gegebenheiten nationale Zielvorgaben aufzustellen.

(3)

Gemäß den im Beschluss 2010/707/EU (1) des Rates enthaltenen Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die für die Umsetzung der Strategie Europa 2020 dienen, müssen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um dem Schulabbruch vorzubeugen.

(4)

Mit der Leitinitiative Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung wird ein Aktionsrahmen abgesteckt, der den sozialen und territorialen Zusammenhalt gewährleisten soll, wobei ein besonderer Schwerpunkt darauf liegt, den Kreislauf der Benachteiligung zu durchbrechen und die Prävention zu verstärken. Hiermit wird dem Kernziel der Strategie Europa 2020, nämlich in den nächsten zehn Jahren mindestens 20 Millionen Menschen den Weg heraus aus Armut und sozialer Ausgrenzung zu eröffnen, Rechnung getragen.

(5)

Jugend in Bewegung, eine der Leitinitiativen im Rahmen der Strategie Europa 2020, zielt ab auf die „Steigerung der Leistung und internationalen Attraktivität der höheren Bildungseinrichtungen Europas und die Verbesserung der Qualität der allgemeinen und beruflichen Bildung in der EU insgesamt durch Exzellenz und Verteilungsgerechtigkeit sowie die Förderung der Mobilität von Studenten und Auszubildenden und die Verbesserung der Beschäftigungschancen von Jugendlichen“.

(6)

Der Rat hatte in seinen Schlussfolgerungen vom 5./6. Mai 2003 über europäische Durchschnittsbezugswerte für allgemeine und berufliche Bildung (Benchmarks) erklärt, dass der Anteil der frühzeitigen Schulabgänger bis 2010 unter 10 % sinken sollte; als frühzeitige Schulabgänger gelten junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren ohne weiterführenden Bildungsabschluss, die an keiner Aus- oder Weiterbildung teilnehmen. Diese Benchmark wurde nicht erreicht. Derzeit bricht jeder siebte junge Mensch seine Schul- oder Berufsausbildung vor dem Abschluss der Sekundarstufe II ab.

(7)

In der Entschließung des Rates vom 15. November 2007 zu den neuen Kompetenzen für neue Beschäftigungen (2) wurde die Notwendigkeit hervorgehoben, das allgemeine Qualifikationsniveau anzuheben, wobei die allgemeine und berufliche Bildung jener Menschen Priorität haben sollte, die am stärksten von wirtschaftlichem und sozialem Ausschluss bedroht sind, insbesondere Schulabbrecher. Betont wurde ferner die Notwendigkeit, Arbeitsuchende durch Berufsberatung und die Erstellung eines persönlichen Ausbildungsplans zu unterstützen und die Validierung der im Rahmen formaler, nicht formaler und informeller Lernprozesse erzielten Lernergebnisse auszubauen.

(8)

In den Schlussfolgerungen des Rates vom 22. Mai 2008 zur Erwachsenenbildung wird die Rolle der Erwachsenenbildung für das Problem des vorzeitigen Schulabgangs anerkannt, die darin besteht, denjenigen eine zweite Chance zu bieten, die als Erwachsene über keine Qualifikation verfügen, wobei insbesondere die Grundfertigkeiten, IT-Kenntnisse und Fremdsprachen im Vordergrund stehen sollten.

(9)

In seinen Schlussfolgerungen vom 12. Mai 2009 zu einem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) einigte sich der Rat darauf, dass bis 2020 der Anteil frühzeitiger Schul- und Ausbildungsabgänger weniger als 10 % betragen sollte.

(10)

In den Schlussfolgerungen des Rates vom 26. November 2009 zur Bildung von Kindern mit Migrationshintergrund wird festgestellt, dass Kinder mit Migrationshintergrund, obwohl viele von ihnen erfolgreich die Schule durchlaufen, in der Regel häufiger die Schule abbrechen. Schüler mit Migrationshintergrund verlassen in der Union doppelt so häufig vorzeitig die Schule wie Schüler ohne Migrationshintergrund. Der Anteil der Schulabbrecher unter den Roma fällt nachweislich sogar noch höher aus.

(11)

Im Mai 2010 kam der Rat in seinen Schlussfolgerungen zur sozialen Dimension der allgemeinen und beruflichen Bildung überein, dass zur erfolgreichen Bekämpfung des Schulabbruchs auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, Erkenntnisse über Risikogruppen gesammelt und Systeme für die frühzeitige Erkennung von Personen, bei denen die Gefahr des Schulabbruchs besteht, entwickelt werden müssen; er zog den Schluss, dass umfassende bereichsübergreifende Strategien verfolgt werden sollten, die eine Palette von auf die verschiedenen Ursachen des Schulabbruchs ausgerichteten schulischen und systemischen Konzepten bieten.

(12)

Die Ursachen für den Schulabbruch in den einzelnen Ländern, aber auch innerhalb einer Region, sind höchst unterschiedlich. Eine Politik zur Senkung der Schulabbrecherquote muss an die besonderen Bedingungen in einem Gebiet, einer Region bzw. einem Land angepasst sein; es gibt keine einheitliche Lösung für alle Mitgliedstaaten.

(13)

Trotz der Unterschiede zwischen den Ländern und Regionen ist eindeutig nachgewiesen, dass benachteiligte und gefährdete Gruppen in allen Mitgliedstaaten besonders stark betroffen sind. Außerdem sind junge Menschen, die sonderpädagogischer Förderung bedürfen, in der Gruppe derjenigen, die ihre Schul- oder Berufsausbildung abbrechen, überdurchschnittlich stark vertreten. Der Schulabbruch ist einerseits die Folge sozialer Benachteiligung und führt andererseits dazu, dass sich das Risiko des sozialen Ausschlusses verfestigt.

(14)

Ein europäischer Rahmen für eine umfassende Politik im Hinblick auf die Schulabbrecherquote kann, bei voller Achtung des Subsidiaritätsprinzips, den Mitgliedstaaten dabei helfen, bestehende Maßnahmen zu überprüfen, ihre nationalen Reformprogramme im Rahmen der Strategie Europa 2020 auszuarbeiten und Strategien mit einem hohen Wirkungsgrad und einem guten Kosten-Nutzen-Verhältnis umzusetzen. Dieser Rahmen kann auch als Grundlage für eine Zusammenarbeit im Rahmen der offenen Methode der Koordinierung dienen und die Verwendung von Finanzierungsinstrumenten der Union kanalisieren.

(15)

Bildungsreformen brauchen Zeit, bevor sie Wirkung zeigen. Um die Schulabbrecherquote in den nächsten zehn Jahren senken und das Ziel der Strategie Europa 2020 erreichen zu können, müssen umfassende bereichsübergreifende Strategien im Hinblick auf die Schulabbrecherquote frühestmöglich umgesetzt werden —

EMPFIEHLT DEN MITGLIEDSTAATEN,

den im Anhang dieser Empfehlung dargelegten Rahmen entsprechend den nationalen Gegebenheiten zu nutzen, um:

1.

als Grundlage für zielgerichtete und wirksame faktengestützte Maßnahmen die Hauptursachen des Schulabbruchs zu ermitteln und seine spezifischen Ausprägungen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene zu beobachten;

2.

sicherzustellen, dass bis Ende 2012 umfassende Strategien bezüglich der Schulabbrecherquote vorliegen und dass sie im Einklang mit den nationalen Prioritäten und den Zielen der Strategie Europa 2020 umgesetzt werden. Es werden umfassende Strategien eingesetzt, die Präventions-, Interventions- und Kompensationsmaßnahmen beinhalten, wobei letztere darauf abzielen, Schulabbrecher wieder in das Bildungssystem zurückzuholen;

3.

sicherzustellen, dass diese Strategien auf Ebene der Mitgliedstaaten zweckdienliche Maßnahmen für Gruppen mit erhöhtem Schulabbruchsrisiko umfassen; hierzu gehören Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Verhältnissen, mit Migrationshintergrund oder aus Roma-Gemeinschaften sowie Kinder, die sonderpädagogischer Förderung bedürfen;

4.

sicherzustellen, dass diese Strategien in kohärenter Weise auf die allgemeine Bildung wie auch die berufliche Aus- und Weiterbildung und die damit jeweils verbundenen Herausforderungen abzielen;

5.

Maßnahmen in die einschlägige Politik zugunsten von Kindern und jungen Menschen einzubeziehen, die zur Senkung der Schulabbrecherquote beitragen, und die Tätigkeiten in den unterschiedlichen Politikbereichen zu koordinieren;

6.

unter Anerkennung der Schlüsselrolle, die Lehrern, Schulleitern und anderem Lehrpersonal zukommt, die Mitwirkung aller relevanten Akteure an diesen Maßnahmen und Tätigkeiten sicherzustellen, damit den Menschen geholfen wird, bei denen die Gefahr des Schulabbruchs besteht bzw. die bereits aus dem Bildungssystem ausgeschieden sind;

FORDERT DIE KOMMISSION AUF,

1.

innerhalb des ET 2020 die Anstrengungen der Mitgliedstaaten dadurch zu unterstützen, dass die sich auf den verschiedenen Bildungsniveaus in den Mitgliedstaaten vollziehenden Entwicklungen beobachtet werden, um Trends zu erkennen;

2.

Strategien der Mitgliedstaaten durch den Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren zu unterstützen, wirksames Peer-Learning, Vernetzung sowie die Erprobung innovativer Ansätze unter den Mitgliedstaaten im Hinblick auf Maßnahmen zur Senkung der Schulabbrecherquote zu erleichtern und die schulischen Erfolge von Kindern aus Risikogruppen zu verbessern;

3.

in alle einschlägigen Maßnahmen der Union zugunsten von Kindern und jungen Erwachsenen Maßnahmen zu integrieren, die zur Senkung der Schulabbrecherquote beitragen;

4.

die Ausarbeitung wirksamer Strategien zur Bekämpfung der Schulabbrecherquote durch das Initiieren vergleichender Studien und Forschungsarbeiten zu unterstützen und die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich zu fördern;

5.

in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und unbeschadet der Verhandlungen über den künftigen Finanzrahmen sicherzustellen, dass die Programme der Union in den Bereichen lebenslanges Lernen, Jugend und Forschung sowie die europäischen Strukturfonds die Umsetzung der Strategien der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Schulabbrecherquote unterstützen und einen Beitrag dazu leisten;

6.

mittels des Jahreswachstumsberichts und im Rahmen der Berichterstattung zum ET 2020 regelmäßig über die Erfolge bei der Erreichung des Ziels der Strategie Europa 2020 sowie über die Umsetzung der Strategien der Mitgliedstaaten zum vorzeitigen Schulabgang Bericht zu erstatten.

Geschehen zu Luxemburg am 28. Juni 2011.

Im Namen des Rates

Der Präsident

FAZEKAS S.


(1)  ABl. L 308 vom 24.11.2010, S. 46.

(2)  ABl. C 290 vom 4.12.2007, S. 1.


ANHANG

EIN RAHMEN FÜR EINE UMFASSENDE POLITIK ZUR SENKUNG DER SCHULABBRECHERQUOTE

Strategien im Hinblick auf die Schulabbrecherquote sollten sich auf eine auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene durchgeführte Analyse der zum Schulabbruch führenden Umstände stützen, da durchschnittliche Abbruchquoten die häufig großen Unterschiede zwischen einzelnen Regionen bzw. Ländern nicht zeigen. Die Gruppe der vorzeitigen Schulabgänger ist heterogen; die Beweggründe der Einzelnen sind höchst unterschiedlich. Der familiäre Hintergrund und globalere sozioökonomische Umstände wie der Sog des Arbeitsmarktes fallen hier schwer ins Gewicht. Wie stark diese Faktoren zum Tragen kommen, hängt vom Aufbau des Systems der allgemeinen und beruflichen Bildung, von den vorhandenen Lernmöglichkeiten und dem Lernumfeld ab. Der Koordinierung der Maßnahmen zugunsten von Kindern und jungen Menschen sowie in den Bereichen soziale Sicherheit, Jugendbeschäftigung und im Hinblick auf künftige berufliche Perspektiven kommt eine wichtige Funktion bei der Senkung der Schulabbrecherquote zu.

1.   Ermittlung der Hauptfaktoren und Überwachung

Prozesse, die zu vorzeitigen Schulabgängen führen, haben verschiedene, komplexe Ursachen, sind jedoch oft auf folgende Faktoren zurückzuführen, durch die für den Einzelnen die Gefahr eines Schulabbruchs steigt: sozioökonomische Benachteiligung, Umfeld mit niedrigem Bildungsstand, Entfremdung von der allgemeinen oder beruflichen Bildung bzw. schlechte Leistungen, Sogwirkung des Arbeitsmarktes und/oder eine Kombination aus sozialen, emotionalen und schulischen Problemen.

Zu berücksichtigen ist, in welchem Bildungszweig sich der jeweilige Lernende befindet. In einigen Mitgliedstaaten schlagen Schüler, die sich mit der allgemeinen Bildung schwer getan haben, oft den Weg der beruflichen Aus- und Weiterbildung ein. In solchen Fällen stehen die berufsbildenden Schulen besonders in der Verantwortung und vor einer besonders hohen Herausforderung, wenn es darum geht, den Schulabbruch einzudämmen. Faktengestützte Maßnahmen erfordern zudem eine besondere Berücksichtigung der Leistung je nach Bereich der allgemeinen oder beruflichen Bildung.

Um faktengestützte und kostenwirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Schulabbruchs ausarbeiten zu können, müssen einschlägige Daten erhoben und gepflegt werden. Diese sollten auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene analysiert werden können. Sie könnten Informationen über Schulabbrecherquoten, Übergänge zwischen den einzelnen Bildungsebenen, Anmeldungsquoten und Quoten für den Abschluss der Sekundarstufe II sowie über Fehlstunden und schulvermeidendes Verhalten umfassen.

Durch die eingeholten Informationen sollten die Hauptursachen für den Schulabbruch in Bezug auf die verschiedenen Schülergruppen, Schulen, schulischen und beruflichen Bildungseinrichtungen sowie Städte und Regionen analysiert werden können.

Die Verknüpfung von Daten zum Schulabbruch mit kontextbezogenen Daten wie sozioökonomischen Informationen kann dabei helfen, Maßnahmen und Strategien zielgerichtet auszugestalten. Ebenfalls dazu beitragen können das Zusammentragen und die Analyse von Informationen zu Beweggründen, Beschäftigungsaussichten und beruflichen Perspektiven der Schulabbrecher.

Eine wichtige Grundlage für bessere Strategien und Programme, die es den Schülern erleichtern sollen, die Schule erfolgreich zu beenden, ist die Prüfung der vorhandenen Maßnahmen zur Senkung der Schulabbrecherquote im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Effizienz.

2.   Politikrahmen

Umfassende gegen den vorzeitigen Schulabgang gerichtete Strategien beinhalten einen Mix von Maßnahmen, die Koordinierung über verschiedene Politikbereiche hinweg und die Einbeziehung von Maßnahmen, die zur Senkung der Schulabbrecherquote beitragen, in alle relevanten Bereiche der Politik zugunsten von Kindern und jungen Menschen. Dazu gehören — neben der Bildungspolitik, die qualitativ hochstehende Bildungssysteme fördert — hauptsächlich die Sozialpolitik und soziale Unterstützungsdienstleistungen sowie die Beschäftigungs-, Jugend-, Familien- und Integrationspolitik. Die horizontale Koordinierung zwischen den unterschiedlichen Akteuren und die vertikale Koordinierung durch verschiedene Regierungsinstanzen sind gleichermaßen wichtig. Gegen den vorzeitigen Schulabgang gerichtete Strategien sollten Elemente der Prävention, Intervention und Kompensation umfassen. Die Mitgliedstaaten sollten die konkreten Bestandteile ihrer Strategien entsprechend den jeweiligen Umständen und dem spezifischen Umfeld auswählen.

2.1

PRÄVENTIONSMASSNAHMEN zielen darauf ab, das Risiko des Schulabbruchs zu verringern, bevor Probleme entstehen. Mit derartigen Maßnahmen wird das Angebot an allgemeiner und beruflicher Bildung optimiert, um bessere Lernergebnisse zu ermöglichen und Schwierigkeiten auf dem Weg zum Bildungserfolg auszuräumen.

Sie sollen frühzeitig eine solide Basis schaffen, die es Kindern ermöglicht, ihr Potenzial zu entwickeln und sich gut in der Schule zu integrieren. Die Präventionsmaßnahmen könnten Folgendes umfassen:

1.

eine hochwertige frühkindliche Bildung und Betreuung, die allen Kindern zugute kommt und besonders wichtig für Kinder aus benachteiligten Gruppen, wie Migranten- und Roma-Kinder ist. Sie fördert das körperliche Wohlbefinden, die soziale und emotionale Entwicklung, die sprachlichen sowie grundlegende kognitive Fähigkeiten. Das Angebot sollte hohen Qualitätsanforderungen genügen und erschwinglich sein, es sollte über eine angemessene Personalausstattung verfügen und für benachteiligte Familien zugänglich sein.

Die Maßnahmen setzen beim Aufbau des Systems für die allgemeine und berufliche Bildung, bei der Ressourcenausstattung der Schulen sowie der Verfügbarkeit, Durchlässigkeit und Flexibilität der Bildungswege an. Sie berücksichtigen ferner die geschlechtsspezifische Diskrepanz und fördern Kinder aus benachteiligten Gruppen bzw. mit einer anderen Muttersprache. Die Präventionsmaßnahmen könnten weiter umfassen:

2.

eine Ausweitung des Bildungsangebots durch Gewährung von schulischen und beruflichen Ausbildungsmöglichkeiten über das schulpflichtige Alter hinaus; hierdurch kann das Verhalten junger Menschen und ihrer Familien beeinflusst und bewirkt werden, dass mehr junge Menschen die Sekundarstufe II abschließen;

3.

die Förderung aktiver Maßnahmen zur Bekämpfung der Segregation und die zusätzliche Unterstützung von Schulen in benachteiligten Gebieten bzw. mit einem hohen Anteil an Schülern aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen, um den Schulen bei einer Diversifizierung ihrer sozialen Zusammensetzung und einer Verbesserung ihres Bildungsangebots zu helfen. Dadurch verbessern sich die schulischen Leistungen der Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen, und das Risiko ihres Schulabbruchs wird verringert.

4.

die Hervorhebung des Wertes der sprachlichen Vielfalt und die Unterstützung von Kindern mit einer anderen Muttersprache, die darauf abzielt, dass sie die Unterrichtssprache und gegebenenfalls die Muttersprache besser beherrschen, sowie die Unterstützung von Lehrkräften bei der Unterrichtung von Kindern mit unterschiedlich ausgeprägter Sprachkompetenz, um die schulische Leistung von Kindern mit Migrationshintergrund zu verbessern und das Risiko zu verringern, dass sie die Schule abbrechen;

5.

die Stärkung des elterlichen Engagements sowie der Zusammenarbeit der Eltern mit der Schule und die Einrichtung von Partnerschaften zwischen Schulen und Eltern; hierdurch kann die Lernmotivation bei den Schülern gesteigert werden;

6.

eine größere Flexibilisierung der Bildungswege und die Verbesserung ihrer Durchlässigkeit, beispielsweise durch modulare Kursgestaltung oder Alternieren von Schulbesuch und Arbeit, dient insbesondere der Förderung von Schülern mit niedrigerem Leistungsniveau und kann sie dazu motivieren, eine besser auf ihre Bedürfnisse und Fähigkeiten zugeschnittene Schul- oder Berufsausbildung fortzusetzen. Ferner können hierdurch geschlechtsspezifische Ursachen für den Schulabbruch angegangen werden, wie früher Eintritt in den Arbeitsmarkt oder Schwangerschaft im Teenager-Alter. Eine geringere Schulabbrecherquote ist ferner wohl auch dadurch zu erreichen, dass die Wiederholung von Schuljahren begrenzt und dafür auf eine flexible individuelle Förderung gesetzt wird;

7.

den Ausbau sowie eine attraktivere und flexiblere Ausgestaltung der hochwertigen beruflichen Bildungswege, um gefährdeten Schülern gangbare Alternativen zum vorzeitigen Schulabgang zu bieten. Ein gut in das übergeordnete System für die allgemeine und berufliche Bildung integriertes Angebot an beruflicher Aus- und Weiterbildung bietet alternative Wege in die Sekundarstufe II oder die Hochschulbildung;

8.

eine stärkere Verknüpfung zwischen dem System der allgemeinen und beruflichen Bildung und dem Beschäftigungssektor, durch die sich deutlich machen lässt, wie vorteilhaft der Bildungsabschluss im Hinblick auf die künftige Beschäftigungsfähigkeit ist. Dies könnte dadurch erfolgen, dass Praktika angeboten oder Arbeitgeber sich stärker in Schulen und Universitäten engagieren.

2.2

INTERVENTIONSMASSNAHMEN zielen darauf ab, Schulabbrüche zu verhindern, indem die Qualität der allgemeinen und beruflichen Bildung auf Ebene der Bildungseinrichtungen verbessert, auf erste Warnsignale reagiert und Schülern oder Schülergruppen, bei denen die Gefahr eines Schulabbruchs besteht, gezielte Unterstützung geboten wird. Sie umfassen alle Bildungsstufen, angefangen von der frühkindlichen Bildung und Betreuung bis hin zur Sekundarstufe II.

Auf Ebene der Schule bzw. der Ausbildungseinrichtung sind die Strategien zur Bekämpfung des Schulabbruchs in eine übergeordnete Schulentwicklungspolitik eingebunden. Sie zielen darauf ab, ein positives Lernumfeld zu schaffen, die Qualität der Didaktik zu verbessern und entsprechende Innovationen zu stärken, die Kompetenz der Lehrkräfte im Umgang mit sozialer und kultureller Vielfalt zu erweitern und Konzepte zur Bekämpfung von Gewalt und Mobbing zu erarbeiten. Die Interventionsmaßnahmen auf der Ebene der Schule bzw. der Ausbildungseinrichtung könnten Folgendes umfassen:

1.

den Ausbau von Schulen zu Lerngemeinschaften, die sich auf ein von allen Akteuren mitgetragenes Leitbild für die Schulentwicklung stützen, wobei die Erfahrung und das Wissen aller genutzt werden, und die Schaffung eines offenen, inspirierenden und angenehmen Umfelds, um junge Menschen zu ermutigen, die Schul- oder Berufsausbildung fortzusetzen;

2.

die Einrichtung von Frühwarnsystemen für gefährdete Schüler, was dazu beitragen kann, dass wirksame Maßnahmen ergriffen werden, bevor akute Probleme auftreten, sich die Schüler von der Schule entfremden, dem Unterricht fernbleiben oder die Schule abbrechen;

3.

die Vernetzung mit Eltern und anderen Akteuren außerhalb der Schule wie kommunalen Diensten, Migranten- und Minderheitenorganisationen, Sport- und Kultureinrichtungen, Arbeitgebern und Einrichtungen der Zivilgesellschaft, was ganzheitliche Lösungen zur Unterstützung gefährdeter Schüler ermöglicht und den Zugang zu Hilfe von außen, beispielsweise durch Psychologen, Sozial- und Jugendarbeiter, Kultur- und Gemeinschaftseinrichtungen, erleichtert. Unterstützend dazu können Mediatoren auf der lokalen Ebene tätig werden, die dazu befähigt sind, die Kommunikation zu fördern und Misstrauen abzubauen;

4.

die Unterstützung der Lehrkräfte bei ihrer Arbeit mit gefährdeten Schülern und ihre entsprechende Befähigung, die eine Voraussetzung für erfolgreiche Maßnahmen in den Schulen ist. Durch die Erstausbildung für Lehrer und die berufliche Weiterbildung für Lehrer und Schulleiter lernen sie, mit der Diversität im Klassenzimmer umzugehen, Schüler aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen zu unterstützen und schwierige Unterrichtssituationen zu bewältigen;

5.

außerschulische bzw. außerunterrichtliche Aktivitäten nach und außerhalb der Schule sowie künstlerische, kulturelle und sportliche Betätigung, die das Selbstbewusstsein gefährdeter Schüler sowie ihre Belastbarkeit bei Lernschwierigkeiten stärken können.

Auf individueller Ebene zielt die Interventionspolitik darauf ab, für die einzelnen Schüler, bei denen die Gefahr des Schulabbruchs besteht, eine Reihe von Unterstützungsmechanismen bereitzuhalten, die auf die konkreten Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten werden können. Diese Mechanismen sind auf die persönliche Entwicklung ausgerichtet, um die Belastbarkeit von gefährdeten Schülern zu steigern, wie auch auf die Bewältigung konkreter Schwierigkeiten, die sozialer, kognitiver oder emotionaler Art sein können. Die Interventionspolitik auf individueller Ebene könnte Folgendes umfassen:

1.

Im Rahmen der persönlichen Betreuung wird den einzelnen Schülern geholfen, konkrete schulische, soziale oder persönliche Schwierigkeiten zu überwinden. Die gezielte Betreuung der Schüler erfolgt entweder einzeln (durch einen Mentor) oder in Kleingruppen (durch einen Tutor) und wird häufig von Lehrkräften, Akteuren der lokalen Ebene oder Mitschülern übernommen.

2.

Durch die Abstimmung des Unterrichts auf die Bedürfnisse der Schüler, die Stärkung von auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittenen Lernkonzepten und das Angebot an Unterstützung können sich gefährdete Schüler besser auf die Anforderungen der formalen Bildung einstellen und die dem System der allgemeinen und beruflichen Bildung inhärenten Hindernisse überwinden; auf diese Weise kann dazu beigetragen werden, die Wiederholung von Schuljahren zu begrenzen.

3.

Durch verstärkte Betreuung und Beratung werden der von den Schülern eingeschlagene Werdegang sowie Übergänge innerhalb des Bildungssystems bzw. vom Bildungssystem auf den Arbeitsmarkt unterstützt. Hierdurch verringert sich das Risiko, dass infolge falscher Erwartungen oder unzureichender Informationen inadäquate Entscheidungen getroffen werden. Auf diese Weise können junge Menschen die Entscheidungen treffen, die ihren Ambitionen, persönlichen Interessen und Begabungen entsprechen.

4.

Es wird sichergestellt, dass junge Menschen, deren wirtschaftliche Lage zu einem Schulabbruch führen kann, Zugang zu angemessener finanzieller Unterstützung erhalten. Eine derartige Unterstützung könnte an Bedingungen geknüpft oder mit Sozialleistungen verknüpft werden, wenn dies für zweckdienlich erachtet wird.

2.3

KOMPENSATIONSMASSNAHMEN beinhalten Unterstützung für diejenigen, die die Schule abgebrochen haben, damit sie sich wieder auf den Weg der Bildung begeben, und bietet ihnen Möglichkeiten für den Wiedereinstieg in die allgemeine oder berufliche Bildung und den nachträglichen Erwerb von Qualifikationen. Kompensationsmaßnahmen könnten Folgendes umfassen:

1.

Erfolgreiche Bildungsprogramme für eine zweite Chance, die ein Lernumfeld schaffen, das den spezifischen Bedürfnissen der Schulabbrecher Rechnung trägt, bisher Erlerntes anerkennt und das Wohlbefinden der Betroffenen fördert. Von Schulunterricht unterscheiden sich diese Programme sowohl in organisatorischer als auch didaktischer Hinsicht; charakteristisch sind häufig kleine Lerngruppen, ein auf persönliche Bedürfnisse zugeschnittener, altersangemessener und innovativer Unterrichtsstil und flexible Bildungspfade. Die Programme sollten nach Möglichkeit leicht zugänglich und kostenlos sein;

2.

verschiedene Möglichkeiten des Wiedereinstiegs in die reguläre Schul- oder Berufsausbildung, deren Schaffung wichtig ist. Übergangsklassen, bei denen der Schwerpunkt auf der Betreuung liegt, können dazu beitragen, dass der schulische Misserfolg überwunden wird und der Wiedereinstieg in das reguläre Bildungssystem gelingt;

3.

die Anerkennung und Validierung des bisher Erlernten, was auch durch nicht formales und informelles Lernen erworbene Kompetenzen umfasst, wodurch das Selbstvertrauen und die Selbstachtung junger Menschen gestärkt und ihr Wiedereinstieg in die Bildung erleichtert wird. Dies kann sie ermutigen, ihre Schul- oder Berufsausbildung fortzusetzen, und es hilft ihnen dabei, ihre Begabungen festzustellen und eine adäquatere Entscheidung über ihren beruflichen Werdegang zu treffen.

4.

eine zielgerichtete individuelle Unterstützung, die soziale, finanzielle, pädagogische und psychologische Unterstützung für junge Menschen in Schwierigkeiten vereint. Besonders wichtig ist sie für junge Menschen, die großen sozialen oder emotionalen Belastungen ausgesetzt sind, aufgrund derer sie ihre Schul- oder Berufsausbildung nicht fortsetzen können.


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