SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

YVES BOT

vom 28. Mai 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑77/11

Rat der Europäischen Union

gegen

Europäisches Parlament

„Nichtigkeitsklage — Rechtsakt des Präsidenten des Europäischen Parlaments, der den Haushaltsplan der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 betrifft — Unvereinbarkeit dieses Rechtsakts mit dem durch den AEU-Vertrag eingeführten neuen Haushaltsverfahren — Nichtbeachtung des institutionellen Gleichgewichts — Verstoß gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit — Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften — Vorübergehende Aufrechterhaltung der Wirkungen des Haushaltsplans“

I – Einleitung

1.

In der vorliegenden Rechtssache streiten der Rat der Europäischen Union und das Europäische Parlament über die Art und Weise, auf die das Verfahren, das zur Annahme des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 geführt hat, abgelaufen ist. Dieses Verfahren ist erstmals vollständig unter der Geltung von Art. 314 AEUV durchgeführt worden.

2.

Mit seiner Klage beantragt der Rat, den Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments, mit dem die endgültige Annahme des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 festgestellt wird, für nichtig zu erklären ( 2 ). Er trägt in erster Linie vor, seine sich aus Art. 314 AEUV ergebenden Vorrechte seien verletzt worden, da die Annahme des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 entgegen den Vorgaben dieses Artikels nicht zu einem Gesetzgebungsakt des Parlaments und des Rates geführt habe, der von diesen beiden Organen gemeinsam unterzeichnet worden sei. Er macht ferner die Nichtbeachtung des institutionellen Gleichgewichts, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen sowie hilfsweise einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften geltend.

3.

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich darlegen, warum ich der Auffassung bin, dass das Verfahren betreffend den Haushaltsplan der Union für das Haushaltsjahr 2011 im Einklang mit den in Art. 314 AEUV festgelegten Modalitäten durchgeführt worden ist. Insbesondere werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, die verschiedenen Argumente des Rates zurückzuweisen, die auf den Nachweis gerichtet sind, dass – zusätzlich zum Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments, mit dem die endgültige Annahme des Haushaltsplans festgestellt wird – ein Gesetzgebungsakt des Parlaments und des Rates erforderlich sei, der von diesen beiden Organen gemeinsam unterzeichnet werde und die Formalisierung der Annahme des Haushaltsplans durch die genannten Organe zum Gegenstand habe.

II – Rechtlicher Rahmen

4.

Gemäß Art. 13 Abs. 2 EUV „[handelt] [j]edes Organ nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Regelungen und Zielen …, die in den Verträgen festgelegt sind. Die Organe arbeiten loyal zusammen.“

5.

In Art. 14 Abs. 1 EUV heißt es: „Das Europäische Parlament wird gemeinsam mit dem Rat als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus.“ Spiegelbildlich sieht Art. 16 Abs. 1 EUV vor: „Der Rat wird gemeinsam mit dem Europäischen Parlament als Gesetzgeber tätig und übt gemeinsam mit ihm die Haushaltsbefugnisse aus.“

6.

Aus Art. 288 Abs. 1 AEUV ergibt sich, dass „[die Organe] [f]ür die Ausübung der Zuständigkeiten der Union … Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen an[nehmen]“.

7.

Nach Art. 289 Abs. 2 AEUV „[erfolgt] [i]n bestimmten, in den Verträgen vorgesehenen Fällen … als besonderes Gesetzgebungsverfahren die Annahme einer Verordnung, einer Richtlinie oder eines Beschlusses durch das Europäische Parlament mit Beteiligung des Rates oder durch den Rat mit Beteiligung des Europäischen Parlaments“. Abs. 3 desselben Artikels sieht vor: „Rechtsakte, die gemäß einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden, sind Gesetzgebungsakte.“

8.

In Art. 296 Abs. 1 AEUV heißt es: „Wird die Art des zu erlassenden Rechtsakts von den Verträgen nicht vorgegeben, so entscheiden die Organe darüber von Fall zu Fall unter Einhaltung der geltenden Verfahren und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.“ Abs. 3 desselben Artikels sieht vor: „Werden das Europäische Parlament und der Rat mit dem Entwurf eines Gesetzgebungsakts befasst, so nehmen sie keine Rechtsakte an, die gemäß dem für den betreffenden Bereich geltenden Gesetzgebungsverfahren nicht vorgesehen sind.“

9.

Art. 297 Abs. 1 AEUV bestimmt:

„Gesetzgebungsakte, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden, werden vom Präsidenten des Europäischen Parlaments und vom Präsidenten des Rates unterzeichnet.

Gesetzgebungsakte, die gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden, werden vom Präsidenten des Organs unterzeichnet, das sie erlassen hat.

…“

10.

Art. 314 AEUV beschreibt den Ablauf des Haushaltsverfahrens. Im Rahmen der vorliegenden Klage geht es insbesondere um den einleitenden Satz und Abs. 9 dieses Artikels.

11.

In Art. 314 einleitender Satz AEUV heißt es:

„Das Europäische Parlament und der Rat legen den Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens nach den folgenden Bestimmungen fest[.]“

12.

Art. 314 Abs. 9 AEUV bestimmt:

„Nach Abschluss des Verfahrens dieses Artikels stellt der Präsident des Europäischen Parlaments fest, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen ist.“

III – Vorgeschichte des Rechtsstreits

13.

Im Anschluss an Schriftwechsel, die zwischen dem Rat und dem Parlament während des Verfahrens zur Annahme des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2010 geführt worden waren und den Umfang der durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Änderungen am Ablauf des Haushaltsverfahrens betroffen hatten, richtete der Präsident des Rates an den Präsidenten des Parlaments am 12. November 2010 ein Schreiben, in dem er darauf hinwies, dass der Präsident des Rates und der Präsident des Parlaments den Rechtsakt, mit dem der Jahreshaushaltsplan der Union festgelegt werde, infolge des Inkrafttretens dieses Vertrags gemeinsam unterzeichnen müssten, da diese beiden Organe Miturheber dieses Rechtsakts seien. Der genannte Rechtsakt sei vom Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments, mit dem gemäß Art. 314 Abs. 9 AEUV festgestellt werde, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, zu unterscheiden.

14.

Am 10. Dezember 2010 nahm der Rat seinen Standpunkt zum neuen Entwurf für einen Haushaltsplan der Union für das Haushaltsjahr 2011 an. Diesem Standpunkt fügte er einen Entwurf für einen Beschluss des Parlaments und des Rates über die Festlegung des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 bei. Der Beschlussentwurf enthielt einen einzigen Artikel, der vorsah, dass der Haushaltsplan gemäß dem Anhang des genannten Beschlusses festgelegt worden und von den Präsidenten jedes der beiden Organe zu unterzeichnen war.

15.

Am 14. Dezember 2010 antwortete der Präsident des Parlaments auf das Schreiben des Präsidenten des Rates vom 12. November 2010. Er legte diesem u. a. genauer dar, dass der Vertrag von Lissabon nach seiner Auffassung nichts daran geändert habe, dass der Präsident des Parlaments die endgültige Annahme des Haushaltsplans erkläre und dabei den Haushaltsplan unterzeichne. Der Präsident des Parlaments wies den Präsidenten des Rates daher darauf hin, dass er dessen Meinung, wonach der Haushaltsplan der Union von den Präsidenten dieser beiden Organe zu unterzeichnen sei, nicht teilen könne.

16.

In der Plenarsitzung vom 15. Dezember 2010 billigte das Parlament den Standpunkt des Rates ohne Abänderungen. Am Ende dieser Abstimmung des Parlaments gab der amtierende Präsident des Rates folgende Erklärung ab: „Das Parlament hat damit soeben den Standpunkt des Rates zum Entwurf für einen Haushaltsplan 2011 ohne Abänderungen gebilligt. Ich kann unsere gemeinsame Einigung über den Haushaltsplan 2011 im Namen des Rates natürlich nur begrüßen.“ Noch am selben Tag unterzeichnete der Präsident des Parlaments den Rechtsakt, mit dem festgestellt wurde, dass das gemäß Art. 314 AEUV eingeleitete Verfahren abgeschlossen und der Gesamthaushaltsplan der Union für das Haushaltsjahr 2011 endgültig erlassen sei.

17.

Ebenfalls am 15. Dezember 2010 richtete der Präsident des Rates an den Präsidenten des Parlaments ein Schreiben, in dem er das positive Votum des Parlaments zum Entwurf für einen Haushaltsplan 2011 begrüßte und darauf hinwies, dass der Haushaltsplan nach dem AEU-Vertrag vom Parlament und vom Rat festgelegt werde. Er fügte diesem Schreiben als Anhang daher einen Entwurf für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über die Festlegung des Gesamthaushaltsplans der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 bei, der von ihm unterzeichnet worden war und auch vom Präsidenten des Parlaments unterzeichnet werden sollte. Dieser Aufforderung wurde jedoch nicht nachgekommen.

18.

Aus diesem Grund beschloss der Rat, die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung des Rechtsakts, mit dem der Präsident des Parlaments am 15. Dezember 2010 festgestellt hatte, dass das gemäß Art. 314 AEUV eingeleitete Verfahren abgeschlossen und der Gesamthaushaltsplan der Europäischen Union für das Haushaltsjahr 2011 endgültig erlassen sei, zu erheben.

19.

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 29. Juni 2011 ist das Königreich Spanien als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Rates zugelassen worden.

IV – Zur Klage

A – Die beiden widerstreitenden Auffassungen

20.

Die beiden vom Rat bzw. vom Parlament vertretenen Auffassungen beruhen weitgehend auf abweichenden Ansichten über die Art und Weise, auf die zwei Bestimmungen des Art. 314 AEUV, nämlich der einleitende Satz und Abs. 9 dieses Artikels, miteinander in Einklang zu bringen sind.

21.

Der Rat stützt sich auf Art. 314 einleitender Satz AEUV in Verbindung mit einigen weiteren Bestimmungen der Verträge und trägt vor, die Festlegung des Haushaltsplans erfordere den Erlass eines gemeinsamen Gesetzgebungsakts des Parlaments und des Rates, der von den Präsidenten jedes dieser beiden Organe unterzeichnet werde. Der in Art. 314 Abs. 9 AEUV vorgesehene Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments, mit dem festgestellt werde, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, könne einem Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, nicht gleichgestellt werden. Es handele sich lediglich um einen deklaratorischen Rechtsakt, den der Präsident des Parlaments erlasse, nachdem die beiden Organe den Gesetzgebungsakt, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, unterzeichnet hätten.

22.

Im Gegensatz dazu bezieht sich das Parlament auf den genannten Art. 314 Abs. 9 sowie auf die Auslegung des Gerichtshofs zu der in diesem Punkt weitgehend identischen Vorschrift im EG-Vertrag und vertritt die Auffassung, Art. 314 AEUV schreibe, wenn eine Einigung zwischen den beiden Organen erforderlich sei, gleichwohl nicht vor, dass diese durch einen Gesetzgebungsakt des Parlaments und des Rates formalisiert werde. Allein der nach Art. 314 Abs. 9 AEUV erlassene Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments sei geeignet, nach Überprüfung der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens die endgültige Annahme des Haushaltsplans zu bestätigen und diesem Rechtswirkung zu verleihen.

23.

Sehen wir uns die vom Rat und vom Parlament zur Stützung ihrer jeweiligen Auffassungen entwickelten Argumente genauer an.

1. Argumente des Rates

24.

Der Rat bringt zur Stützung seiner Klage vier Gründe vor, und zwar einen Verstoß gegen Art. 314 AEUV in Verbindung mit einigen weiteren Bestimmungen der Verträge wegen des Fehlens eines Gesetzgebungsakts des Parlaments und des Rates, der von diesen beiden Organen gemeinsam unterzeichnet worden ist, die Nichtbeachtung des mit diesem Artikel eingeführten institutionellen Gleichgewichts, einen Verstoß gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen, die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankert sind, sowie hilfsweise einen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften. Da sich die zur Stützung dieser Klagegründe geltend gemachten Argumente weitgehend decken, ist es zur Vermeidung von Wiederholungen nach meinem Dafürhalten zweckmäßig, sie zusammenhängend darzustellen. Ebenso werde ich im Rahmen meiner Beurteilung verfahren, um die Bewertung der Begründetheit dieser Argumente nicht künstlich aufzuspalten.

25.

Nach Auffassung des Rates müssen der Jahreshaushaltsplan der Union sowie die Berichtigungshaushaltspläne künftig durch einen gemeinsamen Gesetzgebungsakt der beiden Organe, die ihn erlassen haben, erstellt werden. Gemäß Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV müsse dieser Rechtsakt von den Präsidenten dieser Organe unterzeichnet werden. Da die Urheber des in Art. 314 AEUV vorgesehenen besonderen Gesetzgebungsverfahrens nach dem Wortlaut dieses Artikels das Parlament und der Rat seien, ergebe sich daraus, dass der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan festgelegt werde, die Unterschriften der Präsidenten dieser beiden Organe tragen müsse.

26.

Folglich sei der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan für das Jahr 2011 erstellt werde, rechtswidrig, da es sich dabei um einen atypischen und nichtlegislativen Rechtsakt handele, der unter Verstoß gegen die Art. 314 AEUV, 288 AEUV, 289 Abs. 2 und 3 AEUV, 296 Abs. 1 und 3 AEUV, 297 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV sowie Art. 13 Abs. 2 EUV vom Präsidenten des Parlaments allein erlassen und unterzeichnet worden sei.

27.

Nach Auffassung des Rates verlangt Art. 314 AEUV den Erlass eines Gesetzgebungsakts, und ein solcher Akt könne nur eine Verordnung, eine Richtlinie oder ein Beschluss sein, wie Art. 289 Abs. 2 AEUV klarstelle. Der Vertrag von Lissabon mache in Bezug auf die Rechtsformen, die sich aus dem besonderen Gesetzgebungsverfahren ergeben könnten, keinerlei Ausnahme, und erlaube weder den Erlass eines Gesetzgebungsakts sui generis noch überhaupt den Erlass eines Rechtsakts sui generis. Im Übrigen folge aus Art. 289 Abs. 3 AEUV, dass das in Art. 314 AEUV genannte besondere Gesetzgebungsverfahren in den Erlass eines Gesetzgebungsakts münden müsse.

28.

Der Rat stellt fest, dass aus Art. 314 einleitender Satz AEUV, insbesondere aus der Verwendung des Verbs „festlegen“ im Plural, folge, dass sich das in diesem Artikel vorgesehene besondere Gesetzgebungsverfahren dadurch von den übrigen im AEU-Vertrag vorgesehenen besonderen Gesetzgebungsverfahren unterscheide, dass an ihm zwei Hauptakteure beteiligt seien. Keiner dieser Akteure habe Einfluss auf den anderen. Unter Hinweis auf die Ähnlichkeiten und die Besonderheiten dieses Verfahrens im Verhältnis zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren qualifiziert der Rat das in Art. 314 AEUV vorgesehene Verfahren als „vereinfachte Mitentscheidung“.

29.

Die Verwechslung zwischen dem Rechtsakt, mit dem der Präsident des Parlaments feststelle, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, und dem Gesetzgebungsakt, mit dem der Haushaltsplan festgelegt werde, hindere den Rat daran, die Vorrechte auszuüben, die er nach dem Vertrag besitze, und verstoße daher gegen Art. 314 AEUV. Auch wenn der Rat anerkenne, dass es gemäß Art. 314 Abs. 9 AEUV dem Präsidenten des Parlaments zukomme, festzustellen, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, könne eine solche Feststellung oder Erklärung nicht als Erlass gewertet werden.

30.

Der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments, mit dem feierlich festgestellt werde, dass die beiden Miturheber des Jahreshaushaltsplans der Union diesen gemeinsam erlassen hätten, stelle, so der Rat, ein wesentliches Formerfordernis des Haushaltsverfahrens und eine Voraussetzung für das Wirksamwerden des Gesetzgebungsakts dar. Gleichwohl handele es sich um die Ausführung einer gebundenen Befugnis durch den Präsidenten des Parlaments in dem Sinne, dass die Feststellung des endgültigen Erlasses des Haushaltsplans nach dem Erlass und der Unterzeichnung des Gesetzgebungsakts durch seine beiden Miturheber ein obligatorischer Rechtsakt sei.

31.

In Bezug auf das Urteil des Gerichtshofs vom 3. Juli 1986, Rat/Parlament ( 3 ), insbesondere auf die Passage dieses Urteils, wonach „[d]er Präsident des Parlaments … förmlich fest[stellt], dass das Haushaltsverfahren durch die endgültige Annahme des Haushaltsplans zum Abschluss gebracht worden ist, und … dem Haushaltsplan damit Bindungswirkung gegenüber den Organen wie auch gegenüber den Mitgliedstaaten [verleiht]“, ist der Rat der Auffassung, diese Feststellung füge sich in einen besonderen Kontext ein; überdies habe die Entwicklung der nachfolgenden Verträge diese Rechtsprechung obsolet gemacht. Insbesondere gebiete der Vertrag von Lissabon eine neue Sicht auf den Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, auf seine Urheber und damit auf seine Unterzeichnung.

32.

Der Rat leitet aus Art. 296 Abs. 1 AEUV ferner ein Argument für die Auffassung ab, dass der Rechtsakt, mit dem der Haushaltsplan erlassen wird, nach dieser Vorschrift ein gemeinsamer Beschluss der beiden Organe sein müsse. Gegen die genannte Vorschrift, die nicht mit der Begründung außer Acht gelassen werden könne, dass es sich bei Art. 314 AEUV um eine lex specialis handele, sei daher verstoßen worden.

33.

Unter dem Aspekt des Grundsatzes des institutionellen Gleichgewichts weist der Rat darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben aufgehoben worden sei und die beiden Teile der Haushaltsbehörde nunmehr gleichberechtigt seien, mit den gleichen Befugnissen, die im Rahmen eines Verfahrens der Mitentscheidung mit dem Ziel ausgeübt würden, rechtzeitig eine gemeinsame Einigung über die Finanzierung der Union während des kommenden Haushaltsjahrs zu erzielen. Art. 314 AEUV beschränke sich nicht darauf, die frühere Praxis in den Vertrag aufzunehmen, sondern führe ein neues Gleichgewicht zwischen den beiden Teilen der Haushaltsbehörde ein. Kein Organ könne das letzte Wort über einen in Mitentscheidung erlassenen Rechtsakt haben.

34.

In dem Erfordernis eines förmlichen Rechtsakts mit Bindungswirkung auf der Grundlage der Verträge schlage sich nicht nur die Anpassung an die Art. 288 AEUV und 289 Abs. 2 AEUV nieder, sondern auch ein neues Gleichgewicht, zu dessen Beachtung die Institutionen und ihre Organe verpflichtet seien. Die Umstände, unter denen der Präsident des Parlaments habe feststellen müssen, dass der Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2011 endgültig erlassen sei, führten dazu, dass dieser Präsident als Organ seiner Institution diese Pflicht verletzt habe. Der Rechtsakt des genannten Präsidenten sei daher für nichtig zu erklären.

35.

Unter dem Aspekt des Verstoßes gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit, die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankert sind, trägt der Rat vor, der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments überschreite die Grenzen der diesem durch die geänderten Verträge zugewiesenen Befugnisse und verstoße gegen die Verfahren, Regelungen und Ziele, die in diesen Verträgen festgelegt seien. Im Rahmen von Art. 314 AEUV könne sich das in Abs. 9 dieses Artikels vorgesehene feierliche Formerfordernis nicht in einen einseitigen Rechtsakt verwandeln, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde.

36.

Der Rat ist ferner der Ansicht, das Parlament habe die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verletzt, von der sich die Beziehungen zwischen den Organen leiten lassen müssten. Er wirft dem Parlament insbesondere vor, dieses habe sich an seinen Vorstößen zur Erarbeitung einer vertragskonformen, für beide Seiten annehmbaren Lösung, die gleichzeitig die Befugnisse der Organe achte und die Vorrechte des Präsidenten des Parlaments wahre, nicht beteiligt. Er wirft dem Präsidenten des Parlaments darüber hinaus vor, den Präsidenten des Rates am Tag der Abstimmung über den Haushaltsplan in Plenarsitzung, nämlich am 15. Dezember 2010, nicht über den Inhalt seines Schreibens vom 14. Dezember 2010 informiert zu haben, obwohl dieser bei der Abstimmung zugegen gewesen sei. Der Rat führt weiter aus, dieses Schreiben des Präsidenten des Parlaments sei dem Präsidenten des Rates erst am 17. Dezember 2010 und damit zwei Tage nach Feststellung des endgültigen Erlasses des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 zur Kenntnis gelangt.

37.

Für den Fall, dass der Gerichtshof die vom Rat vertretene Auffassung zurückweisen sollte, trägt dieser hilfsweise vor, der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments sei wegen Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften für nichtig zu erklären. Der Rat ist insbesondere der Meinung, der Präsident des Parlaments habe ab dem Zeitpunkt, zu dem er sich der Meinungsverschiedenheit zwischen Parlament und Rat über die Art des Rechtsakts, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, und über die Unterzeichnung dieses Rechtsakts vollkommen bewusst gewesen sei, nicht feststellen können, dass das Haushaltsverfahren für das Haushaltsjahr 2011 abgeschlossen sei. Der Rat bemerkt, dass der Präsident des Parlaments die Plenarsitzung seiner Institution weder über den Standpunkt des Rates, auf den in dessen Schreiben vom 12. November 2010 hingewiesen worden sei, noch über den letzten Vorstoß des Präsidenten des Rates, den dieser noch am Tag der Abstimmung des Parlaments über den Haushaltsentwurf mit dem Ziel unternommen habe, eine Lösung für den Streit zur Verfügung zu stellen, unterrichtet. Da der Standpunkt des Rates zum Haushaltsentwurf einen Entwurf für einen Beschluss über den Erlass des Haushaltsplans durch die beiden Organe enthielt, macht der Rat geltend, der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments sei zu einem Zeitpunkt ergangen, zu dem das Haushaltsverfahren – mangels einer Einigung der beiden Organe über die Art des Rechtsakts, mit dem der Haushaltsplan erlassen werde, und über die Unterzeichnung dieses Rechtsakts – noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Aus diesem Grund sei der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments rechtswidrig.

38.

Da der Streit zwischen Rat und Parlament nicht den Inhalt des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 betrifft, beantragt der Rat für den Fall, dass der Gerichtshof entscheiden sollte, den Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments für nichtig zu erklären, schließlich, die Wirkungen des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 gemäß Art. 264 Abs. 2 AEUV aufrecht zu erhalten, bis die festgestellte Rechtswidrigkeit behoben ist.

2. Argumente des Parlaments

39.

Das Parlament tritt der Auffassung entgegen, wonach die Einigung zwischen ihm selbst und dem Rat zum Erlass eines Gesetzgebungsakts führen müsse, der von den Präsidenten dieser beiden Organe gemeinsam unterzeichnet werde und gemäß Art. 289 Abs. 2 AEUV nur eine Verordnung, eine Richtlinie oder ein Beschluss sein könne.

40.

Es ist der Ansicht, das Verfahren zur Annahme des Haushaltsplans sei sui generis. Der in Art. 314 Abs. 9 AEUV vorgesehene Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments sei der einzige Rechtsakt, der dem Haushaltsplan seine Bindungswirkung „gegenüber den Organen wie auch gegenüber den Mitgliedstaaten“ verleihe, wie der Gerichtshof in seinem Urteil Rat/Parlament ( 4 ) hervorgehoben habe, das, so das Parlament, nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon aktuell bleibe. Der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments sei daher konstitutiver Natur. Hätten die Urheber des Vertrags die Befugnisse des Parlaments hinsichtlich der endgültigen Annahme des Haushaltsplans ändern wollen, hätten sie nicht in Art. 314 Abs. 9 AEUV eine Bestimmung wie die des früheren Art. 272 Abs. 7 EG beibehalten.

41.

Nach Auffassung des Parlaments kann der Rechtsakt seines Präsidenten als Annahme des Haushaltsplans gewertet werden, denn ohne diesen letzten Rechtsakt wäre der Haushaltsplan nicht „endgültig erlassen“ im Sinne von Art. 314 Abs. 9 AEUV. Es führt aus, der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments werde in Ausübung einer eigenen Befugnis erlassen, d. h. der Befugnis, festzustellen, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei. Dies setze voraus, dass der Präsident des Parlaments die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens und die Übereinstimmung des Haushaltsplans mit dem Vertrag überprüfe. Diese Befugnis sei nicht symbolisch, und der Gerichtshof qualifiziere sie im Übrigen als „eigenen … Rechtsakt“ ( 5 ).

42.

Darüber hinaus sei, auch wenn Art. 314 einleitender Satz AEUV vorsehe, dass das Parlament und der Rat im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens entschieden, keineswegs vorgesehen, dass eine Verordnung, eine Richtlinie oder ein Beschluss erlassen werden müsse. Wäre dies erforderlich, hätten die Verfasser des Vertrags es explizit angegeben.

43.

In Bezug auf den angeblichen Verstoß gegen Art. 296 Abs. 1 AEUV ist das Parlament der Auffassung, diese Vorschrift finde auf den Haushaltsplan keine Anwendung, da es sich bei Art. 314 AEUV im Verhältnis zur genannten Vorschrift um eine lex specialis handele. Die Tatsache, dass die Urheber des Vertrags die Art des Gesetzgebungsakts nicht festgelegt hätten, sei eine wohlüberlegte Entscheidung. Während der Konvent zur Zukunft Europas und der Vertrag über eine Verfassung für Europa ein „Europäisches Gesetz“ für den Haushaltsplan der Union vorgesehen hätten, habe die Regierungskonferenz von 2007 in diesem Punkt den Ansatz des früheren Art. 272 EG beibehalten wollen. Das Parlament fügt hinzu, dass es sehr überraschend, ja sogar unwahrscheinlich wäre, wenn die Urheber des Vertrags es den Organen hätten überlassen wollen, die Art des Gesetzgebungsakts von Fall zu Fall festzulegen, insbesondere dann, wenn es sich um einen Rechtsakt von politischer und institutioneller Bedeutung wie den Haushaltsplan der Union handele, der jährlich erlassen werde. Darüber hinaus sei das Wesen des Haushaltsplans, der ein essentielles Dokument der Rechnungslegung darstelle und die Vorausplanungen sämtlicher während eines bestimmten Zeitraums zu tätigender Einnahmen und Ausgaben enthalte, zu berücksichtigen. Nachdem der Präsident des Parlaments überprüft habe, ob das Verfahren vertragskonform durchgeführt worden sei, werde dieses Dokument dem Rechtsakt, mit dem es angenommen werde, d. h. dem Rechtsakt, mit dem der Präsident des Parlaments feststelle, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, beigefügt.

44.

Das Parlament ist der Ansicht, die Begriffe „Verordnung“, „Richtlinie“ oder „Beschluss“, so wie sie aus Art. 288 AEUV hervorgingen, würden den Besonderheiten des Haushaltsplans nicht gerecht. Es weist insoweit darauf hin, dass der Haushaltsplan im Unterschied zu jeder anderen Art von Rechtsvorschrift lediglich Vorausplanungen der Einnahmen und Ausgaben enthalte. Allein die Ausführung der in den Haushaltsplan eingesetzten Mittel erfordere den vorherigen Erlass eines Basisrechtsakts. Dieser Umstand sei bezeichnend für die Dichotomie zwischen Gesetzgebungsverfahren und Haushaltsverfahren. Das Parlament bemerkt insoweit, dass der Haushaltsplan nach einem Verfahren sui generis, das speziell an das Wesen und an die Rolle dieses Rechtsakts angepasst sei, erlassen werde. Insbesondere trage dieses Verfahren der rechnungslegerischen Natur des zu erstellenden Dokuments und der Notwendigkeit Rechnung, den Erlass des Rechtsakts vor Ende des Jahres sicherzustellen.

45.

Zum angeblichen Erfordernis einer Unterzeichnung des den Haushaltsplan annehmenden Rechtsakts durch die Präsidenten jedes der beiden Organe hebt das Parlament hervor, dass es den gemäß dem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassenen Gesetzgebungsakten eigen sei, dass sie nicht von den Präsidenten des Parlaments und des Rates unterzeichnet würden; dies sei nach Art. 297 Abs. 1 AEUV Rechtsakten vorbehalten, die gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren erlassen würden. Darüber hinaus sehe Art. 314 AEUV an keiner Stelle vor, dass der Präsident des Rates das Recht habe, den Haushaltsplan ebenfalls zu unterzeichnen. Zudem sei die praktische Wirksamkeit von Art. 314 Abs. 9 AEUV zu bewahren, da es sich bei dieser Vorschrift im Verhältnis zu Art. 297 AEUV um eine lex specialis handele.

46.

Da das Haushaltsverfahren dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nicht gleichgestellt werden könne, sei es falsch, anzunehmen, wie der Rat es tue, dass kein Organ das letzte Wort über einen in Mitentscheidung erlassenen Rechtsakt habe. Das Parlament stellt insoweit fest, dass Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV eine Fallkonstellation betreffe, in der der Präsident des Parlaments gehalten sein könne, die Annahme des Haushaltsplans festzustellen, obwohl der gemeinsame Entwurf nur vom Parlament gebilligt werde, während er vom Rat abgelehnt werde. Eine solche Fallkonstellation beweise, dass der Haushaltsplan vom Präsidenten des Parlaments angenommen und unterzeichnet werden könne, ohne dass überhaupt eine Einigung mit dem Rat erforderlich sei.

47.

Die gemeinsame Unterzeichnung eines Beschlusses durch das Parlament und den Rat sei in einem Verfahren, das die Möglichkeit vorsehe, den Haushaltsplan auch dann anzunehmen, wenn der Rat den gemeinsamen Entwurf ablehne, nicht logisch. Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV komme einem einfachen Erfordernis nach, nämlich dass der Haushaltsplan vor Ende des Jahres angenommen werden müsse, um einen Rückgriff auf die sogenannte Regelung der „vorläufigen Zwölftel“ zu vermeiden. Anstatt zwei unterschiedliche Verfahren einzuführen, eines für den Fall, dass das Parlament und der Rat übereinstimmten, und eines für den Fall, dass Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV anzuwenden sei, hätten die Verfasser des Vertrags ein einziges Verfahren gewählt, nämlich das, mit dem der Präsident des Parlaments durch einen eigenen, objektiven Rechtsakt feststelle, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen sei, auch wenn das Verfahren durch das gemeinsame Tätigwerden dieser beiden Organe gekennzeichnet sei.

48.

Das Parlament ist ferner der Ansicht, es habe nicht gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse verstoßen, sondern im Einklang mit Art. 314 Abs. 9 AEUV gehandelt, als es festgestellt habe, dass das Haushaltsverfahren abgeschlossen sei, und den Haushaltsplan unterzeichnet habe. Hätte es hingenommen, dass ein autonomer Gesetzgebungsakt wie eine Verordnung, eine Richtlinie oder ein Beschluss förmlich erlassen und von den Präsidenten der beiden Organe unterzeichnet werde, als wenn es sich um einen im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens erlassenen Rechtsakt handelte, hätte es ultra vires gehandelt, gegen Art. 314 AEUV verstoßen und auch Abs. 9 dieses Artikels seines Inhalts entleert.

49.

Im Übrigen ist das Parlament der Auffassung, das Argument des Rates, wonach es die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankerte Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verletzt habe, entbehre offensichtlich einer Grundlage. Dem Parlament und seinem Präsidenten sei es allein um die Einhaltung von Art. 314 AEUV gegangen. Der Präsident des Parlaments habe seinen Standpunkt zum Ersuchen des Rates in seinem Schreiben vom 14. Dezember 2010 im Übrigen erläutert. Das Parlament weist ferner darauf hin, dass der Präsident des Rates anlässlich der Abstimmung über den Haushaltsplan 2011 am 15. Dezember 2010 in keiner Weise die Frage des zu erlassenden Gesetzgebungsakts oder die Frage der Unterzeichnung aufgeworfen habe. Er habe sich darauf beschränkt, zu sagen, dass er die Einigung zwischen den beiden Organen begrüße. Erst unmittelbar nach Unterzeichnung des Haushaltsplans habe der Präsident des Rates dem Präsidenten des Parlaments ein Schreiben übermittelt, das im Anhang einen von ihm unterzeichneten Beschluss des Parlaments und des Rates enthalten habe, obwohl er den Standpunkt des Präsidenten des Parlaments zur Frage der Unterzeichnung des Haushaltsplans gekannt habe.

50.

Was schließlich den angeblichen Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften angeht, macht das Parlament geltend, es habe seine Aufgabe, so wie sie in Art. 314 Abs. 9 AEUV vorgesehen sei, erfüllt, indem es festgestellt habe, dass es eine Einigung zwischen den beiden Organen gegeben habe und das Verfahren ordnungsgemäß gewesen sei.

B – Würdigung

51.

Wie ich zuvor ausgeführt habe, beruht der Streit zwischen Rat und Parlament weitgehend darauf, dass es sich auf den ersten Blick als schwierig erweisen kann, zwei Bestimmungen des Art. 314 AEUV miteinander in Einklang zu bringen. Die erste Bestimmung ist im einleitenden Satz dieser Vorschrift enthalten, der – dies sei in Erinnerung gerufen – vorsieht, dass „[d]as Europäische Parlament und der Rat … den Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens nach den folgenden Bestimmungen fest[legen]“. Die zweite findet sich in Art. 314 Abs. 9 AEUV, in dem es heißt: „Nach Abschluss des Verfahrens dieses Artikels stellt der Präsident des Europäischen Parlaments fest, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen ist.“

52.

Auch wenn die erste dieser beiden Bestimmungen eine Neuformulierung der Rolle darstellt, die das Parlament und der Rat bei der Festlegung des Jahreshaushaltsplans der Union einnehmen, befindet sich die zweite in der Kontinuität des früheren Art. 272 Abs. 7 EG, dessen Wortlaut sie mit dem einzigen – meiner Meinung nach folgenlosen – Unterschied übernimmt, dass das Verb „erlassen“ nunmehr das Verb „festgestellt“ ersetzt ( 6 ). Die Befugnis zur Feststellung der endgültigen Annahme des Haushaltsplans, die der Präsident des Parlaments behält, ist somit mit der Aussage, wonach das Parlament und der Rat nunmehr als Miturheber des Jahreshaushaltsplans der Union insgesamt anzusehen sind, in Einklang zu bringen, wobei die Unterscheidung zwischen obligatorischen und nichtobligatorischen Ausgaben aufgehoben worden ist. Eine der Herausforderungen der vorliegenden Klage besteht daher darin, die praktische Wirksamkeit von Art. 314 Abs. 9 AEUV zu gewährleisten und gleichzeitig die Eigenschaft des Rates als Miturheber – mit dem Parlament – des Haushaltsplans zu beachten.

53.

Ich stelle vorab klar, dass die Aussage, wonach das Parlament und der Rat den Haushaltsplan gemeinsam festlegen, meiner Meinung nach nicht bedeutet, dass dessen Erlass zu einem aus einer Verordnung, aus einer Richtlinie oder aus einem Beschluss bestehenden Gesetzgebungsakt im Sinne von Art. 288 AEUV führen muss, der von den Präsidenten jedes dieser beiden Organe zu unterzeichnen wäre.

54.

Diese Auffassung des Rates findet nämlich im Wortlaut von Art. 314 AEUV keinerlei ausdrückliche Stütze. Die Urheber des Vertrags haben sich daher nicht dazu entschlossen, ausdrücklich vorzusehen, dass das Parlament und der Rat den Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens durch eine Verordnung, durch eine Richtlinie oder durch einen Beschluss festlegen.

55.

Das Fehlen einer Klarstellung in Bezug auf die Art des Rechtsakts, mit dem das Parlament und der Rat den Jahreshaushaltsplan der Union festlegen, stellt darüber hinaus einen bemerkenswerten Unterschied im Verhältnis zum Vertrag über eine Verfassung für Europa dar, dessen Art. I‑56 und III‑404 einleitender Satz vorsahen, dass „[d]er jährliche Haushaltsplan der Union … durch Europäisches Gesetz“ aufgestellt wird.

56.

Mangels eines ausdrücklichen Hinweises in Art. 314 AEUV auf die Notwendigkeit eines von den Präsidenten des Parlaments und des Rates gemeinsam unterzeichneten Gesetzgebungsakts zur Formalisierung der Annahme des Haushaltsplans ist zu ermitteln, ob, wie der Rat vorschlägt, die Erwähnung im einleitenden Satz dieses Artikels, wonach der Haushaltsplan im Rahmen eines „besonderen Gesetzgebungsverfahrens“ festgelegt wird, geeignet ist, die vom Rat vertretene Auffassung zu stützen.

57.

Diese Erwähnung kann auf den ersten Blick Verwirrung stiften, wenn man sie mit den Art. 14 Abs. 1 EUV und 16 Abs. 1 EUV vergleicht. Während diese beiden Vorschriften nämlich zwischen Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnissen unterscheiden, legt die Formulierung von Art. 314 einleitender Satz AEUV nahe, dass das Haushaltsverfahren an die Kategorie der Gesetzgebungsverfahren anzunähern ist. Der Rat leitet aus dieser Annäherung des Haushaltsverfahrens an ein Gesetzgebungsverfahren ab, dass es in einen Gesetzgebungsakt münden müsse, der aus den Rechtsakten der in Art. 288 AEUV vorgesehenen Nomenklatur ausgewählt und von den Präsidenten des Parlaments und Rates unterzeichnet werde. Diese Ansicht teile ich nicht.

58.

Hält man sich an den Wortlaut von Art. 289 Abs. 3 AEUV, wonach „Rechtsakte, die gemäß einem Gesetzgebungsverfahren angenommen werden, … Gesetzgebungsakte [sind]“, trifft die Behauptung, dass das Haushaltsverfahren, soweit es unter die Kategorie der Gesetzgebungsverfahren falle, in den Erlass eines Gesetzgebungsakts münden müsse, meines Erachtens zwar zu.

59.

Gleichwohl glaube ich nicht, dass es sich um einen von den Präsidenten des Parlaments und des Rates gemeinsam unterzeichneten Gesetzgebungsakt handeln muss.

60.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass sich aus Art. 297 Abs. 1 Unterabs. 1 und 2 AEUV ableiten lässt, dass, auch wenn die gemeinsame Unterzeichnung im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens die Regel ist, dies für Gesetzgebungsakte, die gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden, nicht gilt. Diese Feststellung fügt sich in die Logik dessen ein, was Art. 289 Abs. 2 AEUV vorsieht, nämlich dass das besondere Gesetzgebungsverfahren im Unterschied zum ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, das aus der Annahme eines Gesetzgebungsakts durch das Parlament und den Rat gemeinsam besteht, durch die Annahme eines Gesetzgebungsakts allein durch eines dieser Organe mit Beteiligung des anderen gekennzeichnet ist. Hätten die Urheber des Vertrags eine wirkliche Mitentscheidung gewollt, die durch einen vom Parlament und vom Rat unterzeichneten Gesetzgebungsakt konkretisiert wird, hätten sie vorgesehen, dass die Modalitäten des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens im Rahmen des Haushaltsverfahrens Anwendung finden.

61.

Der Hinweis, wonach der Jahreshaushaltsplan der Union im Rahmen eines besonderen Gesetzgebungsverfahrens festgelegt wird, soll gerade die Tatsache hervorheben, dass das Haushaltsverfahren, obwohl es sich, beispielsweise was die Einberufung eines Vermittlungsausschusses im Fall einer Meinungsverschiedenheit zwischen Parlament und Rat angeht, am Ablauf des in Art. 294 AEUV geregelten ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens orientiert, von diesem zu unterscheiden ist.

62.

Es handelt sich zwar um ein Gesetzgebungsverfahren in dem Sinne, dass es die beiden Teile der Gesetzgebungsbehörde, die auch die beiden Teile der Haushaltsbehörde sind, zum Tätigwerden veranlasst und dass es in den Erlass eines Gesetzgebungsakts münden muss. Dieses Verfahren wird jedoch als „besonders“ qualifiziert in dem Sinne, dass es an die Erfordernisse angepasst ist, die der Haushaltsbefugnis und den Besonderheiten des Rechtsakts, den der Haushaltsplan darstellt, eigen sind.

63.

Die Urheber des Vertrags haben daher ein spezielles Verfahren eingeführt, dessen verschiedene Stufen dem besonderen Wesen des Haushaltsplans, bei dem es sich um einen Veranschlagungs- und Bewilligungsakt ( 7 ) handelt, der, um eine Abstimmung über ihn vor Beginn des kommenden Haushaltsjahrs zu ermöglichen, dem Gebot der Beschleunigung des Verfahrens sowie der Notwendigkeit unterliegt, unter Überwindung einer etwaigen Meinungsverschiedenheit zwischen Parlament und Rat ein Ergebnis zu erzielen, Rechnung tragen.

64.

Für dieses Verfahren gilt ein straffer Zeitplan; es ist so organisiert, dass eine Einigung zwischen Parlament und Rat zur festgesetzten Zeit erzielt wird, um den Rückgriff auf die Regelung der vorläufigen Zwölftel im Rahmen des folgenden Haushaltsjahrs soweit wie möglich zu vermeiden ( 8 ).

65.

Die Einigung zwischen Parlament und Rat kann in verschiedenen Stadien erfolgen. Günstigstenfalls erfolgt sie, wenn das Parlament gemäß Art. 314 Abs. 4 Buchst. a AEUV den Standpunkt des Rates am Ende der ersten Phase gebilligt hat ( 9 ). Hat das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder Abänderungen angenommen, wird ein Vermittlungsausschuss einberufen, außer wenn der Rat dem Parlament mitteilt, dass er alle seine Abänderungen billigt ( 10 ).

66.

Wenn sich der Vermittlungsausschuss versammelt, beginnt eine zweite Phase, die auf die Suche nach einer Einigung zwischen den Mitgliedern des Rates oder deren Vertretern und den das Parlament vertretenden Mitgliedern über einen gemeinsamen Entwurf gerichtet ist ( 11 ). Einigt sich der Vermittlungsausschuss innerhalb einer Frist von 21 Tagen ab seiner Einberufung auf einen gemeinsamen Entwurf, so verfügen das Parlament und der Rat ab dieser Einigung über eine Frist von 14 Tagen, um den gemeinsamen Entwurf zu billigen ( 12 ).

67.

Es können sich mithin mehrere Situationen ergeben.

68.

Wenn der gemeinsame Entwurf sowohl vom Parlament als auch vom Rat gebilligt wird oder beide keinen Beschluss fassen oder eines dieser Organe den gemeinsamen Entwurf billigt, während das andere Organ keinen Beschluss fasst, so gilt der Haushaltsplan als entsprechend dem gemeinsamen Entwurf endgültig erlassen ( 13 ).

69.

Dagegen ist der Haushaltsplan, wenn der gemeinsame Entwurf sowohl vom Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder als auch vom Rat abgelehnt wird oder wenn eines dieser Organe den gemeinsamen Entwurf ablehnt, während das andere Organ keinen Beschluss fasst, nicht als erlassen anzusehen, und die Europäische Kommission hat einen neuen Entwurf für den Haushaltsplan vorzulegen ( 14 ). Das Gleiche gilt, wenn der gemeinsame Entwurf vom Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder abgelehnt wird, während er vom Rat gebilligt wird ( 15 ).

70.

Wird der gemeinsame Entwurf umgekehrt vom Rat abgelehnt, während er vom Parlament gebilligt wird, hindert dies nicht notwendigerweise den Erlass des Haushaltsplans. Die Ablehnung des gemeinsamen Entwurfs durch den Rat kann nämlich unter bestimmten Voraussetzungen überwunden werden. So sieht Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV vor, dass das Parlament mit der Mehrheit seiner Mitglieder und drei Fünfteln der abgegebenen Stimmen beschließen kann, alle oder einige der in Abs. 4 Buchst. c desselben Artikels genannten Abänderungen zu bestätigen. Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV stellt ferner klar, dass, falls eine Abänderung des Parlaments nicht bestätigt wird, der im Vermittlungsausschuss vereinbarte Standpunkt zu dem Haushaltsposten, der Gegenstand der Abänderung ist, übernommen wird. Der Haushaltsplan gilt mithin als auf dieser Grundlage endgültig erlassen.

71.

Einigt sich schließlich der Vermittlungsausschuss nicht binnen der in Art. 314 Abs. 5 AEUV genannten Frist von 21 Tagen auf einen gemeinsamen Entwurf, so legt die Kommission einen neuen Entwurf für den Haushaltsplan vor ( 16 ).

72.

Aus dieser Beschreibung des Haushaltsverfahrens, so wie es nunmehr in Art. 314 AEUV vorgesehen ist, leite ich ab, dass der Erlass des Haushaltsplans nur erfolgen kann, wenn eine Einigung zwischen Parlament und Rat erzielt worden ist. Selbst in dem in Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV genannten Sonderfall, der dem Parlament die Befugnis verleiht, sich über die Ablehnung des gemeinsamen Entwurfs durch den Rat hinwegzusetzen, gilt der Haushaltsplan als auf der Grundlage der im Vermittlungsausschuss erzielten Einigung erlassen. Aufgrund des Vorliegens einer Einigung, die im Rahmen eines die Zusammenarbeit und Verständigung zwischen Parlament und Rat begünstigenden Verfahrens erfolgt ist ( 17 ), lässt sich die Auffassung vertreten, dass der Haushaltsplan im Einklang mit den Anforderungen von Art. 314 einleitender Satz AEUV von diesen beiden Organen festgelegt worden ist.

73.

Unabhängig davon, welche Fallkonstellationen betrachtet werden, braucht diese Einigung zwischen Parlament und Rat entgegen dem Vorbringen des Letzteren nicht durch einen von den Präsidenten dieser beiden Organe unterzeichneten Gesetzgebungsakt formalisiert zu werden, damit der Haushaltsplan als erlassen angesehen werden kann.

74.

Bezieht man sich auf die in Art. 314 Abs. 7 Buchst. d AEUV genannte Fallkonstellation, lässt sich nach meinem Dafürhalten im Übrigen nur schwerlich die Auffassung vertreten, die Urheber des Vertrags hätten beabsichtigt, den Erlass des Haushaltsplans von der Unterzeichnung durch den Präsidenten des Rates abhängig zu machen, obwohl dieses Organ den gemeinsamen Entwurf abgelehnt hat.

75.

Darüber hinaus verlangt Art. 314 AEUV weder explizit noch implizit das Vorliegen eines von den Präsidenten des Parlaments und des Rates gemeinsam unterzeichneten Gesetzgebungsakts, damit der Haushaltsplan Rechtswirkungen entfalten kann.

76.

Würde anders entschieden, liefe dies, wie das Parlament geltend macht, darauf hinaus, dem in Art. 314 Abs. 9 AEUV vorgesehenen Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments die praktische Wirksamkeit zu nehmen.

77.

Es ist jedoch festzustellen, dass die Urheber des Vertrags von Lissabon beschlossen haben, diese letzte Phase des Haushaltsverfahrens, in der der Präsident des Parlaments feststellt, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen ist, in nahezu unverändertem Wortlaut beizubehalten. Im Übrigen deutet nichts darauf hin, dass sie beabsichtigt hätten, diesem Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments die Rechtswirkungen zu nehmen, die die Rechtsprechung des Gerichtshofs ihm beigelegt hat.

78.

Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass dem Rechtsakt, mit dem der Präsident des Parlaments feststellt, dass der Haushaltsplan endgültig erlassen ist, die gleiche Funktion zukommen muss und die gleichen Rechtswirkungen beizulegen sind wie vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon.

79.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich in diesem Zusammenhang, dass „[d]er Präsident des Parlaments … [mit diesem Akt] förmlich fest[stellt], dass das Haushaltsverfahren durch die endgültige Annahme des Haushaltsplans zum Abschluss gebracht worden ist, und … dem Haushaltsplan damit Bindungswirkung gegenüber den Organen wie auch gegenüber den Mitgliedstaaten [verleiht]. In Wahrnehmung dieser Funktion wird der Präsident des Parlaments am Ende eines Verfahrens, in dem mehrere Organe zusammenwirken, durch einen eigenen, objektiven Rechtsakt tätig“ ( 18 ).

80.

Anders ausgedrückt: In dieser letzten Phase des Verfahrens hat der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments die Funktion, die ordnungsgemäße Durchführung und den ordnungsgemäßen Abschluss des Haushaltsverfahrens zu bestätigen. Dieser Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments ist es auch, der es dem Haushaltsplan erlaubt, Rechtswirkungen gegenüber den Organen und den Mitgliedstaaten zu erzeugen.

81.

Der Rechtsakt des Präsidenten des Parlaments stellt daher den Gesetzgebungsakt dar, der einem verbindliche Wirkungen erzeugenden Beschluss im Sinne von Art. 288 Abs. 4 AEUV, der das in Art. 314 AEUV vorgesehene besondere Gesetzgebungsverfahren abschließt, gleichgestellt werden kann ( 19 ). Es handelt sich letztlich um die Haushaltsentscheidung, ohne die der Haushaltsplan ein Rechtsakt ohne Rechtswirkungen bliebe ( 20 ).

82.

Diese Haushaltsentscheidung stellt selbstverständlich einen anfechtbaren Rechtsakt dar, wie das vorliegende Verfahren veranschaulicht. Eine solche Entscheidung kann insbesondere dann aufgehoben werden, wenn sie ergangen ist, obwohl eine Einigung zwischen Parlament und Rat über den Inhalt des Haushaltsplans unter den in Art. 314 AEUV vorgesehenen Voraussetzungen nicht erzielt worden ist.

83.

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Aus dem Akteninhalt ergibt sich nämlich eindeutig, dass eine unmissverständliche Einigung zwischen Parlament und Rat über den Inhalt des Haushaltsplans für das Haushaltsjahr 2011 erfolgt ist. Der Umstand, dass diese beiden Organe einen Streit über die Formalisierung dieser Einigung führten, hinderte den Präsidenten des Parlaments nicht daran, am 15. Dezember 2010 den Rechtsakt zu erlassen, mit dem festgestellt wurde, dass das gemäß Art. 314 AEUV eingeleitete Verfahren abgeschlossen und der Gesamthaushaltsplan der Union für das Haushaltsjahr 2011 endgültig angenommen sei.

84.

In Anbetracht all dieser Gesichtspunkte schlage ich dem Gerichtshof vor, den Hauptklagegrund des Rates, mit dem ein Verstoß gegen Art. 314 AEUV wegen des Fehlens eines von den Präsidenten des Parlaments und des Rates gemeinsam unterzeichneten Gesetzgebungsakts geltend gemacht wird, als unbegründet zurückzuweisen.

85.

Im Übrigen kann, da ich der Auffassung bin, dass das Parlament im Einklang mit Art. 314 AEUV gehandelt hat, diesem nicht vorgeworfen werden, es habe das durch diese Vorschrift eingeführte institutionelle Gleichgewicht nicht beachtet, gegen den Grundsatz der Zuweisung der Befugnisse und gegen die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit zwischen den Organen oder aber gegen wesentliche Formvorschriften verstoßen.

V – Ergebnis

86.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

die Klage abzuweisen und

den Rat der Europäischen Union zur Tragung der Kosten zu verurteilen, wobei das Königreich Spanien seine eigenen Kosten trägt.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2011, L 68, S. I/1.

( 3 ) 34/86, Slg. 1986, 2155.

( 4 ) Randnr. 8.

( 5 ) Urteil Rat/Parlament (Randnr. 8).

( 6 ) Ich stelle ferner fest, dass der Begriff „adopted“ in der englischen Sprachfassung des Vertrags unverändert geblieben ist.

( 7 ) Vgl. Urteil Rat/Parlament (Randnr. 6), in dem es heißt, dass der Haushaltsplan ein „Akt [ist], durch den jährlich die Einnahmen und Ausgaben veranschlagt und im Voraus bewilligt werden“.

( 8 ) Vgl. Art. 315 AEUV.

( 9 ) Art. 314 Abs. 4 Buchst. b AEUV sieht darüber hinaus vor, dass der Haushaltsplan, wenn das Parlament keinen Beschluss gefasst hat, als erlassen gilt.

( 10 ) Vgl. Art. 314 Abs. 4 Buchst. c AEUV.

( 11 ) Vgl. Art. 314 Abs. 5 AEUV.

( 12 ) Vgl. Art. 314 Abs. 6 AEUV.

( 13 ) Vgl. Art. 314 Abs. 7 Buchst. a AEUV.

( 14 ) Vgl. Art. 314 Abs. 7 Buchst. b AEUV.

( 15 ) Vgl. Art. 314 Abs. 7 Buchst. c AEUV.

( 16 ) Vgl. Art. 314 Abs. 8 AEUV.

( 17 ) Damit formalisiert und festigt Art. 314 AEUV eine Dialogpraxis, die Gegenstand interinstitutioneller Vereinbarungen gewesen ist.

( 18 ) Urteil Rat/Parlament (Randnr. 8).

( 19 ) Da ein solcher Rechtsakt in Art. 314 Abs. 9 AEUV im Rahmen des in Rede stehenden besonderen Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich vorgesehen ist, ist Art. 296 Abs. 1 und 3 AEUV nicht einschlägig.

( 20 ) Die Ausstattung des Haushaltsplans mit Rechtswirkungen befreit die Organe der Union, wenn sie in den Haushaltsplan eingesetzte Ausgaben ausführen wollen, grundsätzlich nicht von der Verpflichtung, einen verbindlichen Rechtsakt zu erlassen, mit dem die Maßnahme der Union entsprechend den Vorgaben von Art. 310 Abs. 3 AEUV eine Rechtsgrundlage erhält.