31962H0831(01)

Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten betreffend die betriebsärztlichen Dienste in den Arbeitsstätten

Amtsblatt Nr. 080 vom 31/08/1962 S. 2181 - 2188
Spanische Sonderausgabe: Kapitel 05 Band 1 S. 0011
Portugiesische Sonderausgabe: Kapitel 05 Band 1 S. 0011


EUROPÄISCHE WIRTSCHAFTSGEMEINSCHAFT KOMMISSION INFORMATIONEN EMPFEHLUNGEN UND STELLUNGNAHMEN Empfehlung der Kommission an die Mitgliedstaaten betreffend die betriebsärztlichen Dienste in den Arbeitsstätten

Begründung I

1. Die Arbeitsmedizin ist eines der Gebiete, auf denen die EWG-Kommission nach Artikel 118 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft "eine enge Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten in sozialen Fragen" fördern soll, hierbei wird insbesondere das Gebiet der... "Arbeitsbedingungen, der Verhütung von Berufsunfällen und Berufskrankheiten, des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit" ... genannt.

2. Ausserdem erkennt Artikel 117 die "Notwendigkeit" an, "auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen... hinzuwirken", und es liegt auf der Hand, daß die Arbeitsmedizin bei der Lösung der Probleme, die sich aus der technischen Entwicklung der modernen Wirtschaft für die Arbeitshygiene und Betriebssicherheit ergeben, eine wichtige Rolle spielt und daß sie daher auch maßgebend an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen beteiligt ist.

3. Das Europäische Parlament hat in seiner Entschließung vom 1. Juli 1960 "betreffend die menschlichen und medizinischen Aspekte der in den Ländern der Gemeinschaft durchgeführten Untersuchungen über Betriebssicherheit und Arbeitshygiene" die Notwendigkeit unterstrichen, diese Forschung mit wissenschaftlichen Methoden und im europäischen Rahmen durchzuführen, und hat dem Wunsch Ausdruck gegeben, "daß die sechs Länder der Gemeinschaft durch Zusammenkünfte der verschiedenen zuständigen nationalen Minister auf europäischer Ebene zu einer Vereinheitlichung ihrer Politik auf dem Gebiet der Industriemedizin gelangen" ; anschließend fordert das Parlament die Exekutivorgane der drei europäischen Gemeinschaften auf, "zusammenzuarbeiten, um die Koordinierung und Förderung aller Forschungen sowie die Harmonisierung der Gesetzgebung und des Unterrichts auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin auf europäischer Ebene zu gewährleisten".

4. Die Arbeitsmedizin im weitesten Sinne, wie sie auch die erwähnte Entschließung des Europäischen Parlaments auffasst, umfasst eine Reihe von Bereichen, die in ihrer Gesamtheit die wirtschaftliche Entwicklung unserer Tage und die Fortschritte des wissenschaftlichen und praktischen

Anmerkung für den deutschen Text: a) Die Übersetzung lehnt sich weitgehend an die deutsche Übersetzung des französischen Urtextes der Empfehlung 112 der IAO an. b) Wenn in dieser Empfehlung von "Arbeitsmedizinern" die Rede ist, sind alle Ärzte, die sich hauptsächlich mit Arbeitsmedizin befassen, also sowohl die Gewerbeärzte als auch die Betriebsärzte (Werksärzte) und sonstige in der Durchführung der Arbeitsschutzvorschriften tätigen Ärzte, gemeint. Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer widerspiegeln. Wie die von den Exekutiven der drei Gemeinschaften veranstaltete Konferenz über das Thema "Technischer Fortschritt und Gemeinsamer Markt" (Dezember 1960) gezeigt hat, entstehen aus dieser Entwicklung neue Gefahren für die Arbeitnehmer, die die Bedeutung der Arbeitsmedizin noch erhöhen. Ihre praktische Anwendung findet die Arbeitsmedizin in den betriebsärztlichen Diensten ; sie wird von den dort tätigen Betriebsärzten (Werksärzten) in den Arbeitsstätten selbst ausgeuebt ; dieser Zweig der Medizin ist noch jung und befindet sich in den verschiedenen Ländern in einer mehr oder weniger raschen Entwicklung - die Notwendigkeit, ihn zu fördern, wird aber überall anerkannt.

II

5. Die Kommission der EWG hat den Stand der betriebsärztlichen Dienste in den Ländern der Gemeinschaft untersucht ; dabei stellte sich für die rechtlichen Grundlagen und für den tatsächlichen Stand der Dinge folgendes heraus:

6. Die bisherigen Regelungen reichen von mehr oder weniger eingehenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zu Kollektivverträgen zwischen den beteiligten Partnern bzw. deren Berufsverbänden ; letztere laufen jedoch, da sie einer sicheren Rechtsgrundlage entbehren, praktisch nur auf Empfehlungen an die angeschlossenen Unternehmen hinaus. In einigen Ländern, wo bisher noch kein Zwang zur Schaffung eines betriebsärztlichen Dienstes bestand, sind neue Gesetze auf diesem Gebiet erlassen worden, oder es befinden sich solche in Vorbereitung ; mit einer stärkeren gesetzgeberischen Tätigkeit auf diesem Gebiet ist demnach in den nächsten Jahren zu rechnen. Die geltenden bzw. geplanten Rechtsvorschriften beruhen in ihren Grundlinien auf der Empfehlung 112 der IAO (beschlossen am 24. Juni 1959) über die betriebsärztlichen Dienste in den Arbeitsstätten.

7. Die erwähnte Empfehlung ist, auf internationaler Ebene, die erste und einzige erschöpfende Darstellung der Grundlagen und Voraussetzungen für die Arbeit auf diesem besonderen Feld der Sozialmedizin ; sie enthält folgende auch heute noch gültige Begriffsbestimmung:

"Der Ausdruck, betriebsärztlicher Dienst'im Sinne dieser Empfehlung bezeichnet einen in den Arbeitsstätten oder in ihrer Nähe eingerichteten Dienst, der bestimmt ist: a) die Arbeitnehmer gegen jede Gefährdung ihrer Gesundheit zu schützen, die sich aus ihrer Arbeit oder den Bedingungen, unter denen sie ausgeführt wird, ergeben kann;

b) zur körperlichen und geistig-seelischen Anpassung der Arbeitnehmer beizutragen, insbesondere durch die Anpassung der Arbeit an die Arbeitnehmer und deren Einsatz bei Arbeiten, für die sie geeignet sind;

c) dazu beizutragen, daß das höchstmögliche Maß körperlichen und seelischen Wohlbefindens der Arbeitnehmer erreicht und bewahrt wird."

Nach dieser Begriffsbestimmung reicht also die Tätigkeit des Betriebsarztes über die Aufgaben der bisherigen Arbeitsmedizin hinaus ; Aufgabe der letzteren war es, durch allgemeine Rechtsvorschriften für ein Mindestmaß an Gesundheitsschutz in den Betrieben zu sorgen, wogegen jetzt auch die Aufgabe hinzukommt, dem einzelnen Arbeitnehmer ein Hoechstmaß an Anpassung an seine Arbeit und an Gesundheitsschutz zu verschaffen.

8. Die Empfehlung 112 der IAO enthält den Grundsatz, daß "die Rolle der betriebsärztlichen Dienste im wesentlichen eine vorbeugende sein" sollte, und begrenzt deren Arbeitsgebiet in der Weise, daß es von der Aufspürung von berufsbedingten Gesundheitsgefahren bis zur beruflichen Wiedereingliederung eines Arbeitnehmers reicht und physiologische und psychologische Arbeitsplatzstudien, die Arbeitshygiene, die Einstellung und die Einstellungsuntersuchung, die Maßnahmen der ersten Hilfe und Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin mit umfasst.

9. Die Empfehlung der IAO enthält teils Mindestforderungen, teils solche von höherem Niveau, welche der hochentwickelten und sehr differenzierten Industriewirtschaft in den EWG-Ländern entsprechen.

10. Der Boden für eine Harmonisierung ist also bereits vorbereitet. Jedoch sollte man sich für eine beschleunigte Regelung der betriebsärztlichen Dienste einsetzen und nicht abwarten, daß sich Einzellösungen herausbilden, die das Risiko der Uneinheitlichkeit sowohl untereinander wie gegenüber den bestehenden Regelungen in sich bergen. Auf Grund ihres Entwicklungsstandes sollten die EWG-Länder jetzt in der Lage sein, die weitestreichenden Ziele der Empfehlung 112 der IAO anzustreben, ja, gewisse Einzelheiten noch genauer zu regeln als es dort vorgeschlagen wurde.

11. Jede Bestimmung bzw. Regelung auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin muß allgemeinen Charakter haben und daher gleichermassen auch für die Personen und Betriebe gelten, die in den Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Atomgemeinschaft gehören. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft hat es daher für erforderlich erachtet, die Hohe Behörde der EGKS und die Kommission der EAG zu Rate zu ziehen, diese haben der vorliegenden Empfehlung ihre volle Unterstützung zugesagt, insoweit die darin vorgesehenen Maßnahmen Mindestforderungen darstellen, und haben sich nur vorbehalten, auf Grund ihrer jeweiligen Verträge weitergehende Maßnahmen vorzuschreiben.

III

12. Im Hinblick auf den hohen Stand der industriellen Entwicklung in den Ländern der Gemeinschaft sollte ständig alles getan werden, um die "Anpassung der Arbeit an die Arbeiter und deren Einsatz bei Arbeiten, zu denen sie geeignet sind" (Empfehlung 112 der IAO), möglichst weitgehend zu verwirklichen. Ein Vergleich zwischen Ländern gleicher industrieller Struktur, in denen jedoch die Organisation der Arbeitsmedizin erhebliche Unterschiede aufweist, lässt die Vorteile erkennen, die eine gesetzliche Regelung der betriebsärztlichen Versorgung gegenüber einer Regelung auf rein freiwilliger Basis haben kann.

13. In einem Land, wo die Einrichtung betriebsärztlicher Dienste gesetzlich vorgeschrieben ist, hat ein Arbeiter mehr und bessere Aussichten, Nutzen aus einer solchen Einrichtung zu ziehen als in einem Land, wo keine derartigen Vorschriften bestehen, weil ihm die gesetzliche Regelung die formelle Gewähr dagegen bietet, unter unzureichenden Gesundheitsschutzbedingungen beschäftigt zu werden.

Eine gesetzliche Regelung rechtfertigt sich ausserdem aus dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit des Unternehmers für die Sicherheit der in seinem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, ein Grundsatz, der seit langer Zeit für die Versicherung gegen Betriebsunfälle und Berufskrankheiten sowie für die Einrichtung von staatlichen Aufsichtsbehörden für den Arbeitsschutz anerkannt ist. Aus diesem Grunde geht die Entwicklung auf diesem Gebiet im allgemeinen dahin, die Einrichtung von betriebsärztlichen Diensten gesetzlich vorzuschreiben, sei es, daß alle Einzelheiten geregelt werden, sei es, daß nur ein Rahmengesetz erlassen wird, innerhalb dessen die Einzelheiten der Durchführung dann durch Vereinbarung geregelt werden.

14. Der in der Empfehlung 112 der IAO ausgesprochene Grundsatz der Anpassung der Arbeitnehmer und ihrer Arbeitsplätze aneinander entspricht auch den Interessen des Arbeitgebers ; für ihn liegt der Vorteil einmal in der grösseren Stabilität seiner Belegschaft, und zwar auf Grund des besseren Vertrauensverhältnisses, das sich nach Einführung eines gut arbeitenden betriebsärztlichen Dienstes entwickelt, und weiterhin in der besseren Nutzung der Leistungskapazität der Arbeitnehmer ohne Nachteile für deren Gesundheit.

15. Schließlich liegt eine Harmonisierung auch im Interesse der Ärzte selbst, denn Artikel 57 Absatz (3) des Vertrages bestimmt, daß die schrittweise Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit für die ärztlichen Berufe eine Koordinierung der Bedingungen für die Ausübung dieser Berufe in den einzelnen Mitgliedstaaten voraussetzt.

Diese Bedingungen der Berufsausübung umfassen viele verschiedene Möglichkeiten ; eine von diesen Möglichkeiten ist der Beruf des Betriebsarztes.

Man muß sich z. B. vergegenwärtigen, daß die Betriebsärzte in einem Land, wo lediglich freiwillige Vereinbarungen über den betriebsärztlichen Dienst getroffen werden, unter weniger günstigen Bedingungen arbeiten als in den Ländern, wo der betriebsärztliche Dienst gesetzlich vorgeschrieben ist ; die Erfahrung hat ja erwiesen, daß in diesen letzteren das Netz der betriebsärztlichen Dienste erheblich dichter und die Zahl der Betriebsärzte höher ist. Andererseits muß sich die in Artikel 57 vorgesehene Koordinierung der Bedingungen für die Berufsausübung, besonders hinsichtlich der ärztlichen Ausbildung (gegenseitige Anerkennung der Diplome) und der berufsständischen Ordnung, zwangsläufig auf die Tätigkeit der Betriebsärzte auswirken, auch wenn diese in der Regel ihre Tätigkeit auf Grund eines Arbeitsvertrages ausüben.

Es besteht demnach ein enger Zusammenhang zwischen den Bedingungen für die Berufsausübung auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin, vom Standpunkt der Ärzte aus gesehen, und der Art, wie die betriebsärztlichen Dienste aufgebaut sind ; eine Harmonisierung der Bestimmungen über letztere entspricht also auch den Zielsetzungen des oben erwähnten Artikels 57, Absatz (3).

16. Auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin erfordern vor allem die folgenden drei Fragenkomplexe besondere Aufmerksamkeit: a) Für die Ausbildung sollte eine ausreichende Anzahl von Lehrstühlen für Arbeitsmedizin an den medizinischen Fakultäten bzw. von wissenschaftlichen Instituten auf Hochschulniveau zur Verfügung stehen, um sowohl die wissenschaftliche Forschung wie auch die fachliche Ausbildung der künftigen Arbeitsmediziner zu ermöglichen. Es müsste ferner sichergestellt werden, daß auch alle zukünftigen praktischen Ärzte im Rahmen des allgemeinen Medizinstudiums die wichtigsten Kenntnisse auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin obligatorisch erwerben und daß den Ärzten, die bereits als Betriebsärzte tätig sind, die Möglichkeit geboten wird, ihre Kenntnisse zu erweitern und zu ergänzen.

Zudem sollte jeder Arbeitsmediziner nicht nur den Aufbau der Arbeitsmedizin in seinem eigenen Land, sondern auch in grossen Zuegen in den anderen Ländern der Gemeinschaft kennen.

Es wird schließlich daran erinnert, daß das Europäische Parlament in seiner obenerwähnten Entschließung die Errichtung und den Ausbau von Regionalinstituten für Arbeitshygiene und Arbeitsmedizin befürwortet ; diese sollen unter der Schirmherrschaft der zuständigen Ministerien in der betreffenden Gegend an der Aus- und Weiterbildung der Betriebsärzte mitwirken und sich dazu der angewandten Arbeitsmedizin widmen.

b) Zur Schaffung und Aufrechterhaltung eines Vertrauensverhältnisses zwischen den Unternehmern, den Arbeitnehmern und ihrem Betriebsarzt - Grundvoraussetzung für jeden Dienst dieser Art - bedarf es gewisser Garantien für eine fachgerechte Ausübung seiner Tätigkeit ; um wirksam zu sein, müssen derartige Garantien auf gesetzlicher Grundlage beruhen. Garantiert werden muß den Betriebsärzten vor allem : die völlige fachliche und moralische Unabhängigkeit vom Arbeitgeber, von den Arbeitnehmern und von den Sozialversicherungsträgern, die erforderlichen Verbindungen zu den zuständigen Organisationen und Behörden und zu den Vertretern der Berufsverbände, die genaue Abgrenzung seiner Arbeit gegenüber der Tätigkeit der frei praktizierenden Ärzte sowie die Gewähr, daß sie bei Ausübung ihrer betriebsärztlichen Tätigkeit keiner Aufsicht unterworfen sind, es sei denn diese Aufsicht obliegt anderen, dazu befugten Arbeitsmedizinern. Die Überwachung der betriebsärztlichen Dienste soll durch staatliche Gewerbeärzte erfolgen.

c) Die Vielseitigkeit der modernen Industrie lässt eine immer und überall gleiche Organisation nicht zu. Ein betriebsärztlicher Dienst für einen einzelnen Betrieb ist nur angebracht, wenn die Belegschaft genügend groß ist oder wenn die Arbeiter speziellen Gefahren ausgesetzt sind. Für die kleinen und mittleren Betriebe stellt die Errichtung von betriebsärztlichen Diensten, die mehrere Unternehmen, entweder regional oder nach Branchen gruppiert, umfassen, die geeignete Lösung dar.

17. Aus diesen Gründen hat die EWG-Kommission beschlossen, die nachstehende Empfehlung an die Mitgliedstaaten zu richten.

Diese Empfehlung befasst sich nicht mit allen Einzelheiten des Problems, da die meisten von ihnen in der Empfehlung 112 der IAO in nach wie vor gültiger Form klar definiert sind.

Die EWG-Kommission beabsichtigt durch diese Empfehlung zu erreichen, daß die sechs Länder die Schaffung betriebsärztlicher Dienste gesetzlich vorschreiben. Die für die Einrichtung betriebsärztlicher Dienste erforderlichen Fristen und Etappen wurden nur dem Grundsatz nach vorgesehen, aber nicht festgelegt, da die Voraussetzungen für deren Verwirklichung in den Ländern zu unterschiedlich sind, vor allem die Anzahl der Arbeitsmediziner, die zu diesem Zweck zur Verfügung stehen ; diese hängt ihrerseits davon ab, wie weit sich die Medizinstudenten, angeregt durch die neuen Aussichten, die sich ihnen durch den betriebsärztlichen Dienst auf gesicherter Rechtsgrundlage bieten, dieser neuen Berufsrichtung zuwenden.

18. Schließlich macht die EWG-Kommission noch auf einige Sonderprobleme aufmerksam, die sowohl die Arbeitnehmer (auch Grenzgänger und Saisonarbeiter) als auch die Selbständigen, soweit deren Arbeitsbedingungen es rechtfertigen, betreffen und die noch einer Bearbeitung bedürfen: - die Schaffung von betriebsärztlichen Diensten für gewisse Bereiche, wie Landwirtschaft, Handwerk, Handelsbetriebe (Kaufhäuser!), Hotels, Krankenanstalten, öffentliche Dienste und Betriebe;

- die gesundheitliche Überwachung solcher Arbeitnehmer, die infolge des in gewissen Berufen erforderlichen dauernden Ortswechsels besonderen Berufsgefahren ausgesetzt sind, so vor allem im Verkehr auf Land- und Wasserstrassen und zur See sowie in der Bauwirtschaft;

- Besonderheiten der Organisation und der Verwaltung von gemeinsamen betriebsärztlichen Diensten für mehrere Betriebe.

19. Wenn in einem Unternehmen ständig Wanderarbeitnehmer einer Nationalität in erheblicher Zahl beschäftigt sind, sollten nach Möglichkeit Maßnahmen getroffen werden, damit die sprachlichen Schwierigkeiten kein Hindernis für die Wirksamkeit des betriebsärztlichen Dienstes ihnen gegenüber darstellen.

20. Im Hinblick auf die Errichtung neuer Lehrstühle und Institute für Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene, die die bereits existierenden Einrichtungen dieser Art ergänzen sollen, hat das Europäische Parlament nachdrücklich auf einer engen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission bestanden, mit dem Ziel, sowohl für Forschung und Lehre der Arbeitsmedizin als auch für die Betriebsärzte und die ihnen anvertrauten betriebsärztlichen Dienste die Erfahrungen, die in anderen Ländern gesammelt wurden, nutzbar zu machen.

Die Kommission wird in Zukunft alles tun, diesen Aufgaben gerecht zu werden und gemeinsame Betätigungsmöglichkeiten zu erschließen, zu entwickeln und auszuschöpfen, im Dienst am Fortschritt auf dem Gebiet des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer.

IV Empfehlung

21. Aus vorstehenden Gründen empfiehlt die EWG-Kommission, gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 155, und nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses, den Mitgliedstaaten, zwecks Erreichung der weiter unten aufgeführten Ziele - geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen oder

- evtl. bereits bestehende Vorschriften zu ergänzen,

wobei gegebenenfalls Einzelheiten der Durchführung durch Kollektivvereinbarung geregelt werden können.

Durch die Gesamtheit der empfohlenen Maßnahmen sollen folgende Ziele erreicht werden.

22. Der Hochschulunterricht in der Arbeitsmedizin und die Spezialausbildung von Arbeitsmedizinern und Betriebsärzten

Zu diesem Zweck empfiehlt die EWG-Kommission: a) Lehrstühle für Arbeitsmedizin und Fachinstitute in ausreichender Zahl zu errichten oder deren Errichtung zu fördern ; solche Fachinstitute für Arbeitshygiene und Arbeitsmedizin sollen unter Berücksichtigung der jeweiligen Erfordernisse territorial verteilt errichtet werden;

b) Für Unterricht auf dem Gebiet der Arbeitsmedizin in den von der Weltgesundheitsorganisation im 3. Bericht des gemeinsamen IAO/WHO-Ausschusses (siehe Anlage) genannten Lehrfächern in der Weise zu sorgen, daß

- alle zukünftigen Ärzte im Rahmen des allgemeinen Medizinstudiums verpflichtet sind, sich ein Mindestmaß von arbeitsmedizinischen Kenntnissen anzueignen,

- Arbeitsmediziner eine ausreichend lange theoretische und praktische Spezialausbildung und anschließend ein Diplom oder Zeugnis erhalten,

- die bereits als solche tätigen Arbeitsmediziner und Betriebsärzte sich fortbilden und ihre Kenntnisse der Entwicklung der industriellen Technik und dem Stand der Wissenschaft anpassen können.

Die Ausbildung sollte den Arbeitsmedizinern in jedem Land Kenntnisse des Aufbaus der Arbeitsmedizin in den anderen Ländern der Gemeinschaft vermitteln.

c) Für Ausbildung der für ein ordnungsgemässes Funktionieren der betriebsärztlichen Dienste erforderlichen Hilfskräfte zu sorgen.

23. Sicherung der Voraussetzungen, unter denen die Betriebsärzte ihren Beruf ordnungsgemäß ausüben können

Zu diesem Zweck empfiehlt die Kommission, diese Voraussetzungen rechtlich zu garantieren und dabei den Betriebsärzten folgendes zuzusichern: a) Die völlige fachliche und moralische Unabhängigkeit vom Arbeitgeber und von den Arbeitnehmern, wobei er jedoch an die allgemeinen Betriebs- und Verwaltungsvorschriften des Unternehmens gebunden bleibt, sowie völlige Unabhängigkeit von den Sozialversicherungsträgern;

b) die - zur Erfuellung der ihnen auf Grund des Artikels 8 der Empfehlung 112 der IAO gestellten Aufgaben notwendigen - innerbetrieblichen Beziehungen zu den Arbeitgebern und Arbeitnehmern selbst und zu deren Vertretern, als auch zu den Ausschüssen für Betriebssicherheit und Arbeitshygiene, zu den Betriebsräten oder ähnlichen Organen, sofern solche existieren,

c) Anstellungs- und Entlassungsbedingungen, die ihre berufliche Selbständigkeit gewährleisten;

d) die Freiheit von der Verpflichtung, Krankmeldungen auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen, wie in Artikel 7 der Empfehlung 112 der IAO vorgesehen;

e) die Gewähr, daß ihre betriebsärztliche Tätigkeit keiner Aufsicht unterliegt, es sei denn eine solche wird durch die staatlichen Gewerbeärzte oder durch andere dafür eingesetzte Arbeitsärzte ausgeuebt ; dabei bleiben die berufsständischen Rechte und Pflichten unberührt;

f) die erforderlichen Beziehungen zu den ausserbetrieblichen Stellen und Organisationen, die sich mit Fragen der Gesundheit, der Sicherheit, der Berufsumschulung, der Wiedereingliederung, der Zuweisung neuer Arbeitsaufgaben und der Wohlfahrt der Arbeitnehmer befassen;

g) die Abgrenzung ihrer betriebsärztlichen Tätigkeit gegenüber der Tätigkeit der behandelnden Ärzte.

24. Die allgemeine Einführung betriebsärztlicher Dienste

Zu diesem Zweck empfiehlt die Kommission, nach folgenden Grundsätzen zu verfahren: a) Die betriebsärztlichen Dienste sind auf Kosten der Betriebe einzurichten, und zwar entweder in Form eines betriebseigenen Dienstes oder vermittels einer eigens zu diesem Zweck geschaffenen Organisation, an welche sich mehrere Betriebe anschließen ; sie sollen personell und materiell so ausgestattet sein, wie dies zur ordnungsgemässen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist, schließlich sollen für die Betriebsärzte die in der IAO-Empfehlung 112 für ihre Tätigkeit notwendig erachteten Voraussetzungen geschaffen werden;

b) als erste Stufe der allgemeinen Einführung der betriebsärztlichen Dienste sind solche sofort einzurichten in Betrieben, - deren Belegschaftsstärke eine bestimmte, von den zuständigen Behörden festzulegende Mindestzahl überschreitet. Unter Berücksichtigung der Anzahl der zur Zeit zu diesem Zweck zur Verfügung stehenden Betriebsärzte sollte die Zahl von 200 Arbeitnehmern je Betrieb für den Anfang als Richtzahl gelten, die dann so bald wie möglich auf 50 Arbeitnehmer herabgesetzt werden sollte,

- in denen Arbeiten mit besonders grosser Unfallhäufigkeit verrichtet werden, oder in denen die Arbeitnehmer Gefahren besonderer Art für ihre Gesundheit ausgesetzt sind;

c) die betriebsärztlichen Dienste sollen nach Möglichkeit unter der Leitung hauptberuflich tätiger Betriebsärzte stehen ; die Gesamtzahl der Arbeitnehmer, für die ein Betriebsarzt verantwortlich ist, soll 2 500 nicht überschreiten. Diese Zahl ist niedriger anzusetzen, wenn Gefahren besonderer Art in dem jeweiligen Betrieb es erfordern. Die Betriebsärzte sollen Inhaber eines besonderen Diploms oder Zeugnisses sein;

d) bis zu sechs Jahren nach Einführung des vorgesehenen Spezial-Diploms oder -Zeugnisses können zur Berufsausübung als Betriebsärzte auch noch solche Ärzte zugelassen werden, die nicht Inhaber dieses Diploms oder Zeugnisses sind, unter der Voraussetzung, daß ihnen auf Grund ihrer früheren Tätigkeit und ihrer bereits erworbenen Kenntnisse die Befähigung von den zuständigen Stellen ausdrücklich zuerkannt wird ; diese Zuerkennung müsste, soweit sie das Diplom oder das Zeugnis ersetzt, endgültig sein;

e) die Aufsicht über Aufbau und Arbeitsweise der betriebsärztlichen Dienste ist Sache der staatlichen Gewerbeärzte oder gegebenenfalls der Gewerbeaufsichtsbehörden, wobei jedoch die betriebsund verwaltungstechnischen Erfordernisse des Unternehmens berücksichtigt werden müssen;

f) in bestimmten Bereichen wie: - Landwirtschaft

- Handwerk

- öffentliche Dienste und Betriebe

- Krankenhäuser

- Handelsbetriebe

- Hotelgewerbe

- Verkehrsbetriebe

sind die Einzelheiten der Organisation der betriebsärztlichen Dienste je nach Bedarf unter Berücksichtigung der jeweiligen speziellen Betriebsprobleme zu gestalten ; dies gilt sowohl für Arbeitnehmer (auch Grenzgänger und Saisonarbeiter) als auch für Selbständige, soweit deren Arbeitsbedingungen es rechtfertigen;

g) in Betrieben, in denen ständig in erheblicher Zahl Wanderarbeitnehmer beschäftigt werden, sollte den sprachlichen Schwierigkeiten besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.

25. Die EWG-Kommission - erachtet es für wünschenswert, daß sie alle zwei Jahre von allen Mitgliedstaaten über die auf Grund dieser Empfehlung getroffenen Maßnahmen und über die weitere Entwicklung auf dem Gebiet der betriebsärztlichen Dienste unterrichtet wird,

- regt an, daß die zuständigen Dienststellen für allgemeine Verbreitung dieser Empfehlung bei allen daran interessierten Behörden und Körperschaften und bei allen an ihrer Durchführung beteiligten Verbänden Sorge tragen,

- regt an, daß in regelmässigen Zeitabständen Beratungen über die in dieser Empfehlung vorgeschlagenen Fristen und Etappen stattfinden.

Brüssel, den 20. Juli 1962.

Für die Kommission

Der Präsident

W. HALLSTEIN

ANLAGE (vgl. 22, b)

Unterrichtsfächer, welche der gemeinsame IAO/WHO-Ausschuß für Arbeitsmedizin bei seiner 3. Tagung (Genf, März 1957) festgelegt hat: a) Allgemeine arbeitsmedizinische Kenntnisse, die jeder Arzt besitzen sollte:

Jeder Arzt sollte: 1.über die körper- und geistschädigenden Einwirkungen der modernen Industrie unterrichtet sein;

2.über die häufigsten Berufskrankheiten auf dem laufenden sein;

3. die Auswirkungen der Arbeit auf den normalen Verlauf der häufigsten Krankheiten kennen, die nicht Berufskrankheiten sind;

4. mit dem Aufbau der arbeitsmedizinischen Organisation in seinem Land und mit den ihn als Arzt treffenden gesetzlichen Bestimmungen auf diesem Gebiet vertraut sein.

Diese Kenntnisse können im Laufe des allgemeinen Studiums erworben werden.

b) Kenntnisse, die speziell der Arbeitsmediziner haben sollte:

Soweit dies möglich ist, sollte der Arbeitsmediziner über folgende Spezialkenntnisse verfügen: 1. Grundlagen der Arbeitsmedizin: a) geschichtlich;

b) Aufgabenbereich, Ziele;

c) Mittel, über die die Arbeitsmedizin, das öffentliche Gesundheitswesen und die praktische Heilkunde verfügen;

d) die Industrie, ihre Struktur und ihre Aufgaben;

e) Berufsverbände und Gewerkschaftswesen, Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

2. Physiologie der Arbeit: a) körperliche und geistige Arbeit, Energieaufwand;

b) Ermüdung, Monotonie, Arbeitsrhythmus, Pausen;

c) physiologische Gesichtspunkte der Arbeitsorganisation, Anpassung der Maschine an den Menschen;

d) Ernährungsfragen.

3. Arbeitshygiene: a) Umwelthygiene;

b) Arbeitsplatzhygiene : Temperatur und Feuchtigkeit, Lüftung, Beleuchtung, Lärm;

c) Verunreinigung der Luft und gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen wie : Gas, Dämpfe, Rauch, Staub ; ferner : Feststellungs- und Meßverfahren, zulässige Hoechstkonzentrationen;

d) persönliche Körperpflege und Schutzausstattung;

e) sanitäre Anlagen.

4. Pathologie der Arbeit und Toxikologie: a) allgemeine Grundsätze der Industrietoxikologie;

b) Krankheiten, die beruhen auf : chemischen oder physikalischen Ursachen, Staub, biologischen Erregern;

c) Berufskrebs;

d) Berufshautkrankheiten;

e) Berufsallergien.

5. Medizinische Sonderprobleme: a) spezielle Pathologie der einzelnen Berufe oder Gewerbezweige;

b) Einfluß der Arbeit auf Krankheiten, die nicht Berufskrankheiten sind;

c) Methoden zur Beurteilung des Arbeitsunfähigkeitsgrades;

d) medizinische Probleme der beruflichen Wiedereingliederung;

e) Psychoneurosen, welche mit der Arbeit oder mit Gesundheitsschäden zusammenhängen.

6. Arbeitsunfälle: a) Unfallursachen;

b) Grundsätze der Verhütung;

c) erste Hilfe und erste Behandlung;

d) Heilbehandlung zwecks Wiedereingliederung des unfallgeschädigten Arbeiters.

7. Psychologie der Arbeit: a) psychologische Untersuchung und Eignungsbeurteilung;

b) geistige Gesundheit und menschliche Beziehungen.

8. Vorbeugende Medizin: a) ärztliche Einstellungsuntersuchung, periodische Untersuchungen;

b) ärztliche Ratschläge;

c) Impfungen und Immunisierungen;

d) gesundheitlicher Schutz für verschiedene Gruppen von Arbeitern (Jugendliche, alternde Arbeiter, Frauen, gesundheitsgeschädigte Arbeiter);

e) Freizeit, Sport, Suchten (Alkohol, Tabak, usw.);

f) Erziehung und Propaganda.

9. Arbeitsablauf: a) Organisation der Arbeit;

b) industrielle Technik;

c) Arbeitsplatzstudien.

10. Fragen auf ärztlich-juristischem Gebiet, einschließlich der Sozialversicherung: a) Arbeitsrecht;

b) Sozialversicherung;

c) Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten;

d) Gutachten und Meldungen;

e) ärztliche Berufspflichten;

f) Zusammenarbeit mit den anderen Ärzten und mit Stellen des öffentlichen und privaten Gesundheitswesens.

11. Verwaltungsaufbau: a) Aufbau der betriebsärztlichen Dienste;

b) Sanitätseinrichtungen;

c) Verwaltungsfragen und wirtschaftliche Fragen;

d) Führung der Listen und Erstattung der Berichte.

12. Statistische Methoden.

Diese Kenntnisse sollen durch Spezialausbildung erworben werden.